Camino Primitivo

Sehr ausführlicher Bericht einer 16-tägigen Wanderung auf dem Camino Primitivo von Andrea und Gert Kleinsteuber, die im September 2012 von Oviedo bis nach Santiago gewandert sind.

Der Artikel steht im Original auf ihrer eigenen Webseite.

Inhalte

1. und 2. Tag Die Anreise

Unsere Anreise begann am 6.9. 22.30 Uhr am Flughafen Halle/Leipzig. Mit Ryanair flogen wir nach London Stansted. Dort mussten wir übernachten, da wir erst am Folgetag Anschluss nach Asturias hatten.

Geburtstagsfeier für Andrea

Wir, das sind meine Frau Andrea, ihre Freundin Jana und mein Freund Jörg.

Andrea und ich waren schon 2011 auf dem Camino Frances von Saint Jean Pied de Port bis Santiago de Compostela gegangen und im Mai 2012 auf einem Teil der Via Regia von Leipzig nach Eisenach unterwegs. Jana ist Camino Neuling und Jörg musste seinen ersten Camino 2010 in Astorga nach rund 500 Kilometern verletzungsbedingt abbrechen. Wir hatten also schon etwas Erfahrung, Jörg auch, hatte aber eine besondere Motivation, dieses Mal sein Ziel zu erreichen und Jana hatte mit dem Primitivo einen sehr harten Einstieg gewählt und das Ganze etwas unterschätzt. Um es aber vorweg zu nehmen, wir alle haben unser Ziel geschafft.

Zu viert auf dem Jakobsweg? Geht das? Ja, das geht, wenn jeder etwas sein Ego zurück steckt und wenn man Grundsätze vereinbart. Ein Grundsatz war zum Beispiel, dass wir zusammen bleiben und dass sich die Geschwindigkeit nach dem Schwächsten richtet. Ein anderer, dass einer die Rolle des Anführers übernimmt, um nicht in ellenlange Diskussionen zu verfallen bei unterschiedlichen Meinungen. Diese Rolle wurde mir zugeteilt, da ich mich schon um die Etappenplanung und die Anreise gekümmert hatte. Außerdem habe ich einen recht guten Orientierungssinn und kann mir Ortsnamen ganz gut merken.

Der Weg war der gleiche. Das Ziel war das gleiche. Warum also nicht? Im Nachhinein muss ich aber einräumen, dass es manchmal nicht ganz einfach war, besonders wenn sich Lebensgewohnheiten überschnitten. Zum Beispiel das Aufstehen: Man wälzt sich als rücksichtsvoller Pilger ne Stunde im Bett rum, um die Anderen ausschlafen zu lassen. Allein würde man seine Sachen schnappen und losgehen. Das soll kein Vorwurf sein, nur eine persönliche Einschätzung. Meine Frau und ich harmonieren seit 35 Jahren miteinander. Da war so etwas auf dem Camino Frances 2011 gar kein Thema. Trotzdem war es eine gute gemeinsame Zeit auf dem Primitivo und ich möchte sie nicht missen. Wir hatten viel Spaß und so manche Bewährungsprobe miteinander zu bestehen. Am Abend gab es keine Verständigungsprobleme, wenn man sich über die Erlebnisse des Tages austauschen wollte. Und bei Schwierigkeiten half einer dem anderen. Das schweißt zusammen.

Allein auf dem Primitivo kann unter Umständen bedeuten, dass man wirklich tagelang allein ist, auch wenn andere Pilger anwesend sind. Wir haben herkunftsbedingt leider die falschen Fremdsprachen gelernt und sind auch etwas sprachfaul. Da fällt eine tiefgründige Konversation schwer, bzw. sie strengt beide Seiten ungeheuer an, so dass man bald die Lust daran verliert. Da ich immer mit meiner Frau unterwegs war, stelle ich mir das auch sehr schwierig vor, für lange Zeit praktisch allein zu sein und würde platzen mit meinen zurückgehaltenen Eindrücken und Erfahrungen.

Viele Pilger berichten, dass nur wenige Deutsche diesen recht anspruchsvollen Weg in Angriff nehmen. Das können wir nicht ganz bestätigen. Allein in unserer Zeit waren bis zu 7 Deutsch- oder Deutschsprachige (wenn man den Wiener Schmäh von Gabi oder das Schwäbisch von Jürgen dazu rechnen will – mir Saggsn ham ja zum Glügg geen Dialeggd!) auf dem Primitivo unterwegs. Ab der Herberge von Herminia in Campiello waren es noch mehr. Das war in vielen Herbergen fast die Hälfte der Pilger.

Camino Primitivo 07.09.2012 00-05-38

Doch nun wieder zur Anreise:

Die Suche nach Flughafenbänken ohne Zwischenlehne war schnell erfolgreich und nachdem wir den Geburtstag meiner Frau mit Törtchen und Rioja gefeiert hatten, war die Nacht auf den Bänken oder auf der Isomatte angenehmer und ruhiger als zunächst befürchtet.

Unsere Rucksäcke hatten wir als Handgepäck dabei. Für Stöcke, Messer, Flüssigkeiten, die kleine Torte mit Kerze und zwei Flaschen Rioja (für den Geburtstag meiner Frau) hatten wir einen gemeinsamen selbst gebastelten Karton aufgegeben, der erst misstrauisch beäugt aber schließlich über die Sperrgutannahme nach sofortiger Durchleuchtung angenommen wurde.„Wo wollen Sie denn hin?“ so die Frage der Bediensteten, als sie mein Outfit und den Karton sah. Auf den Jakobsweg, so meine stolze Antwort. Das hatte sich dann schnell rumgesprochen und so wünschte man uns schon am Gate in Leipzig einen guten Weg.

7.9.2012  11.30 Uhr Weiterflug nach Asturias mit EasyJet

Abflug nach Asturias

Wieder durfte ich zur Sperrgutannahme wegen der Pappkiste. Wo steht eigentlich, dass man einen industriell gefertigten Koffer aufgeben muss? Das ganze wird zum Geduldsspiel, denn vor mir checkt eine Rockband mit riesigen Kisten ein.

15.30 Uhr sitzen wir im Bus nach Oviedo, denn der Flieger war überpünktlich und mein Pappkoffer hat den Flug ohne größere Blessuren überstanden.

Kurz vor 17 Uhr treffen wir an der Herberge in Oviedo ein, nachdem wir den Inhalt des „Koffers“ am Busbahnhof auf die Rucksäcke aufgeteilt und die leere Pappkiste anschließend entsorgt hatten.

Herberge in Oviedo

Vor der Herberge stehen schon jede Menge Pilger. Wir zählen die Rucksäcke – ja es reicht! Die meisten Pilger kamen vom  Camino del Norte, einige aber auch aus Leon, was man ihnen auch ansah. Denn viele hatten bereits Bandagen oder liefen etwas unrund. Scheint ein recht schwieriger Weg über die Picos zu sein, so mein Gedanke. Der Primitivo sollte uns aber auch noch das Schwitzen lehren.

Von der Herberge sind wir einigermaßen enttäuscht. Dass die Herbergen am Primitivo nicht das Niveau derer am Frances erreichen, damit hatten wir gerechnet. Aber dass eine so schöne und große Stadt wie Oviedo nicht mehr für die Pilger übrig hat, verwunderte etwas. Man bedenke dazu, dass sich hier drei Pilgerwege treffen! Und so war die Herberge auch schnell voll und wir hofften, dass nicht alle die hier schliefen auf den Primitivo wollen. Denn dann bekämen wir ein ernsthaftes Bettenproblem in den folgenden Tagen.

Gabi (Gabriela Krause – was für ein Name für eine Wienerin) klärte uns dann auf. Sie sprach sehr gut spanisch. Ich hielt sie auch zunächst für eine solche, da sie eigentlich gar nicht wie eine Österreicherin aussah und sich angeregt mit einigen Spaniern unterhielt. Sie wird uns die nächsten zwei Etappen begleiten. „Die meisten hören hier in Oviedo auf. Nur 6 von den Spaniern, zwei Polinnen und ein Holländer gehen auf den Primitivo“, so ihre etwas beruhigenden Worte. Dann zählte ich nach: Mit uns 4 und Gabi sind das aber auch schon 14 und damit hatten wir nicht gerechnet.

Nach einem Stadtrundgang, der Besichtigung der Kathedrale und der Markthalle, dem Einkauf von etwas Proviant für den Weg und einem kleinen Begrüßungsessen vor der Kathedrale  geht’s ins Bett.

3. Tag Oviedo – San Juan den Villapanada

Im September wird es in Spanien erst nach Acht so richtig hell und wir wollen doch was sehen von der Landschaft und den Ortschaften. Nicht so die Spanier, sie sind fast alle schon weg, als wir 7 Uhr aufstehen und es draußen immer noch finster ist. Als ich das Frühstück mache und so vor mich hin brabbele, kommt aus der anderen Ecke des Zimmers: „Och Du bist wo ooch aus Leipzsch?“ – Philine aus Leipzig Lindenau. Sie ist mit ihren 20 Lenzen ganz allein unterwegs, will ebenso auf den Primitivo und hat eine alte Praktica Spiegelreflexkamera um den Hals, was mein Interesse noch mehr steigerte.

Also waren wir schon mindestens 15. Aber über diese Gesellschaft war ich richtig froh und da war ich nicht der Einzige.

1. Etappe Aufbruch in Oviedo
Am Ortsrand von Oviedo

8 Uhr gingen wir los und kauften im nahen Bäcker noch vier Brötchen und wunderten uns über den hohen Preis. 5 Euro für 4 Brötchen – die spinnen die Spanier!!
Durch die sehr schöne Stadt, über der die Sonne gerade zu strahlen begann, fanden wir recht schnell den richtigen Weg und treffen auch Gabi wieder, die den ganzen Tag bei uns bleibt, obwohl sie sicher viel schneller ist. Sie nervt zunächst etwas mit ihrem andauernden Geplapper. Sie ist Event Manager und darin scheint der Grund für ihre Aufgedrehtheit zu liegen.
Sie muss erst mal runter kommen aus dem Alltag. Das schafft sie dann auch recht schnell und wird von Stunde zu Stunde sympathischer. Endlich raus aus der Stadt.

Wir gehen mit zügigen Schritten durch Wiesen in Mitten hoher Brombeersträucher. Hier und da ein kleines Dorf durch das mancher Umweg führt. So spart man sich aber den Asphalt, auf dem es an manchen Stellen sicher kürzer und nicht ganz so steil gewesen wäre. Aber schöner war es so auf alle Fälle.

0131 Camino Primitivo Gert

Die Länge der An – und Abstiege hält sich noch in Grenzen und unsere Kondition schien gut zu sein an diesem ersten Tag, so dass wir beschlossen, bis San Juan de Villapanada zu gehen, so wie ich es von Anfang an geplant hatte. Das Streckenprofil des Primitivo sollte uns noch genügend fordern und so hatte ich geplant, gleich die erste Etappe zu nutzen, um richtig voran zu kommen, auch wenn die Erfahrung sagt, dass man es bei solchen Langstreckenwanderungen über mehrere Wochen langsam angehen lassen soll. So machen wir aber gleich am ersten Tag richtig Meter bzw Kilometer. Trotzdem hatten wir den Eindruck, nicht richtig voran zu kommen.

Dieser Eindruck sollte sich im Verlaufe des Primitivo noch weitaus verstärken.

In der Zeit, die man auf großen Teilen des Camino Frances für 30 Kilometer einplant, schafft man auf dem Primitivo meist nur 20. Das ständige Hoch und Runter nagt mächtig an der Kondition und man kann an den steilen Abstiegen leider auch nicht schneller laufen, als an den schweißtreibenden Anstiegen. Man kommt auch gar nicht so recht ins Nachdenken, wie es oft auf dem Camino Frances der Fall war, wo man nichts anderes zu tun hatte, als einen Fuß vor den anderen zu setzen und ab und zu was zu trinken oder zu essen. Hier muss man ständig auf den Weg vor seinen Füßen achten, der zwar nie gefährlich aber doch oft sehr steinig, schmal und unwegsam ist. Hier gibt es keine breiten Pilgerautobahnen, die schnurstracks neben der Nationalstraße entlang führen. Hier geht es mitunter durchs Gebüsch über zugewachsene Pfade oder über Geröll an sehr steilen Hängen. Die Kennzeichnung ist dagegen sehr gut.

Man muss schon ganz schön triefen, um sich da zu verlaufen.

Jana, Gert, Andrea und Jörg

Irgendwo hinter einer geschlossenen Bar, die uns wenigstens mit frischem Trinkwasser versorgt, machen wir Frühstück und lüften gleichzeitig das Rätsel des hohen Brötchenpreises. Im Brötchen war eine Chorizo eingebacken. Mein Freund Jörg ist Vegetarier und hatte damit ein ernsthaftes Problem. Wir haben ihn aber dann doch noch mit Äpfeln und Trockenobst von zu Hause satt bekommen.Weiter geht es durch die immer schöner werdende Landschaft. Weit im Osten sieht man die grauen Picos Europa in der Sonne leuchten. Die Fernsicht ist recht gut und ein laues Lüftchen weht uns um die Nase.

Brücke vor Penaflor

Doch pünktlich um 14 Uhr wird es plötzlich sehr warm, ein Phänomen, unter dem wir immer wieder zu leiden hatten. Bis dahin war es recht angenehmes Wanderwetter bei erträglichen Temperaturen. Es ging bisher oft durch den schattigen Wald. Aber nun kommen wir ganz schön ins Schwitzen, als es vor Grado über Landstraßen und einen staubigen Feldweg geht.
Die erste Bar in Grado ist unsere. Es ist Feiertag in Galicien und so ist die Auswahl nicht besonders groß. Nach einem Kaffee con Leche oder einem kühlen Cerveca grande (je nach Geschmack) aus einem tiefgefrohrenen Glas aus der Tiefkühltruhe und was zu beißen geht es durch Grado auf der Suche nach Lebensmitteln fürs Abendbrot. Wir wollen heute selbst kochen. Fündig werden wir nur in einer kleinen Tankstelle am Ortsausgang, wo wir uns mit Nudeln, Tomatenkonzentrat und natürlich Vino Tinto eindecken.

gemeinsames Abendessen

Die Beutel zerren ganz schön auf dem langen Weg zur Herberge, die einige Kilometer außerhalb liegt. Besonders gleich hinter Grado lauert ein schöner steiler 400 Meter langer Anstieg. Dann am Abzweig vom Camino nur noch ein kleiner Anstieg nach Villapanada und in der Dämmerung erreichen wir die Herberge. Wir werden mit einem Becher Wasser vom ehrenamtlichen Hospitalero Domingo begrüßt, der für uns zudem auch noch Betten hat. Die Herberge ist urgemütlich und ums Kochen müssen wir uns auch nicht kümmern. Das hat alles schon Domingo erledigt und wir setzen uns an einen gedeckten Tisch. Selbst unser Vegetarier wird liebevoll umsorgt und er bekommt sein Essen sin Carne (ohne Fleisch). Als Gegenleistung trennen wir uns gern von unseren eingekauften Lebensmitteln für die Nachfolgenden. Man waren wir kaputt. Im Pilgerführer steht was von 29 Kilometer. Gabi sagte ihr GPS Gerät zeige aber 33 Kilometer an. So fühlten sich meine Füße auch an. Ohne mir es anmerken zu lassen, entgegnete ich:“ Du warst ja auch so oft pullern!“ – ein Wort, dessen Bedeutung sie bisher nicht kannte. Ab jetzt benutzte sie es immer. „Mensch, bei den Sachsen haben wir wieder was gelernt“ – sagt sie. Alle lachen und mit einem herrlichen Ausblick auf Grado lassen wir den Tag bei ner Flasche Roten ausbaumeln und freuen uns auf den nächsten.

4. Tag San Juan de Villapanada – Salas

Wieder sind fast alle Spanier schon weg. Die kennen die Gegend sicher schon und sie stört es nicht, sich im Dunkeln voran zu tasten, denke ich.

Wir brechen wieder 8 Uhr auf und haben es heute nicht ganz so weit. Es sind nur 21 Kilometer von Villapanada nach Salas. Doch gleich nachdem man wieder auf dem Camino ist, wird es zum ersten Mal ernst. Es ist der erste etwas längere Anstieg (1,3 km) und wir sind oben ganz froh, dass es noch ziemlich kühl ist. Ich schätze mal 10-15 Grad – mehr sind es sicher nicht.

Aufbruch zur 2, Etappe nach Salas

Entlang der neuen Autobahn geht es gleich wieder steil bergab und wir wundern uns zum ersten Mal über die verwaiste Straße. Kaum ein Fahrzeug kommt da aus dem Tunnel. Das sollte uns noch mehrfach auffallen, auch dass fast alle Aktivitäten zur Fertigstellung scheinbar eingestellt wurden. Viele Stecken – Abschnitte sind nur zweispurig und einige bestehen nur aus unfertigen Brückenpfeilern.

Die Verkehrsdichte auf den parallelen Landstraßen lässt auch nicht zukünftig auf eine genügende Auslastung dieser Autobahn schließen. Sollte man hier etwa mit EU – Geldern am Bedarf vorbei bauen? Eine Frage, die wir uns oft auf diesem Weg stellten und das nicht nur beim Straßenbau.

Blühendes San Marcelo
Blühendes San Marcelo

Am Ende des Abstieges gehen wir durch das über und über mit Blumen verzierte Dörfchen San Marcelo. Dahinter geht es über einen schmalen Pfad durch einen dunklen Wald mit einer kleinen verfallenen Wassermühle, an der es einen Pilgerstau gab, wegen des schönen Fotomotivs.

Dann heißt es aufpassen, denn die Wegführung ändert sich immer mal durch den Autobahnbau. Und schon ist es passiert. An einem großen Steinbruch latschen wir unbedacht schwatzend hinter ein paar Spaniern hinterher, die aber nach einem Kilometer von aufmerksamen Einheimischen zurück geschickt werden. An der Stelle, wo wir hätten scharf links abbiegen müssen, lag nur ein aus Steinen zusammengelegter Pfeil auf dem Boden, den man leicht übersehen kann. Auch der kleine gelbe Pfeil an einem Verkehrsschild ist niemandem aufgefallen. Na zum Glück gibt es ja die immer freundlichen und aufgeschlossenen Asturier, die einen auf den rechten Weg weisen.

Monastario San Salvador in Cornellana
Kloster San Salvador

Steil nach unten führt der Waldpfad. Unten begrüßt uns ein Labradorwelpe aufgeregt und schlabbert uns voll. Dann geht es an einer Kiwiplantage entlang bis nach Cornellana, wo wir uns gleich hinter der Brücke über den Rio Narcea von Gabi verabschieden. Sie will heute noch bis Bodenaya. Der Weg zweigt hier vor dem Ort nach links ab. Wir gehen weiter in den Ort hinein und finden einige Bars, von denen wir eine als Zwischenstop auswählen.

Vorbei am Kloster San Salvador geht es entlang des Flusses aus der Stadt hinaus.

Bald steigt der Weg wieder an und man hat einen schönen Blick auf Cornellana. Der Weg windet sich durch einen Wald in dem mir vor allem die schönen vermosten Wurzeln der Bäume auffielen.

Aufstieg hinter Cornellana
Aufstieg hinter Cornellana

Plötzlich liegt meine Frau vor mir auf dem Waldweg und kommt wie ein Maikäfer auf dem Rucksack liegend nicht von allein wieder hoch. Sie hat sich mit ihren Wanderstöcken so verknotet, dass ich ihr beim Aufstehen helfen muss. Vor Lachen hätte ich mich fast danebengelegt, so komisch sah das aus. In solchen entscheidenden „Fällen“ hat man leider nicht sofort die Kamera zur Hand. Obwohl ich zugeben muss, dass ich wirklich sehr viel fotografiere und bei dieser Tour sogar einige Videosequenzen aufgenommen habe. Am Schluss sollen es 2300 Fotos und 2,5 Stunden Filmmaterial sein, die ich sortieren und auswerten muss. Die Videos will ich zusammen mit den Aufnahmen von Jörg zu einem Film zusammenschneiden. Das ist aber Winterarbeit.
An einer Sandgrube vor Llamas und unterhalb des Ortes Quintana an einem schönen Brunnen machen wir noch einmal Rast, bevor die „14 Uhr Hitze“ wieder zuschlägt.

im Erdgeschoß die Herberge von Salas
Herberge in Salas

15.00 Uhr sind wir aber schon in Salas und finden die Herberge im Erdgeschoß eines Neubaublockes. Der Schlüssel soll in der um die Ecke gelegenen Bar sein. Also geht Jörg mal hin… „Die Türe müsste offen sein!“, so die nette Barfrau, die ihre Englischkenntnisse darbietet. Einfach mal dran zerren hätten wir sollen und wir hätten gemerkt, dass wir doch nicht die Ersten sind, so wie wir es zunächst annahmen. Es hätte uns auch gewundert bei unserem Schneckentempo.

Die Herberge ist recht nüchtern aber sauber und ordentlich (mein Gott – typisch deutsch! Ich erwische mich immer wieder dabei). Es gibt zwei Schlafräume, einen mit einem ganz kleinen und einen ganz ohne Fenster. Für uns war dann nur noch der ohne Fenster übrig. Na egal, das wird schon gehen und die Spanier rammeln eh alles zu in der Nacht. Die frieren wohl sehr schnell oder sind die warme und muffige Luft gewöhnt. Ich bin es jedenfalls nicht und das sollte sich noch zeigen.

Dann geht’s noch mal in die Bar. Die Barfrau erweist sich als Formel 1 Fan und da das Rennen in Monza gerade im TV läuft (Gibt es in Spanien eigentlich einen Bar ohne laufenden Fernseher??) beweist sie uns ihre Fachkenntnis. Alonso fährt vorne mit und so ist die Welt in Ordnung. Nach ein paar Bier taucht Philine mit einem älteren Herrn auf. Es ist Jürgen aus Ulm, der sich sichtlich freut noch mehr sächsische Gesellschaft zu bekommen. Nach einem heiteren Austausch über unsere Dialekte, merken wir sehr schnell, dass wir miteinander können. Und so sehen wir uns nach fast jeder Etappe wieder. Jürgen ist viel schneller als wir und schläft fast immer in Pensionen oder Hotels. Trotzdem trifft man sich immer wieder auf dem Camino. Das war auch schon auf dem Frances unsere Erfahrung. Ist schon eigenartig….

Die Bar um die Ecke bietet ein sehr gutes Pilgermenü. Ich bestelle das Lamm und bin begeistert von der Fülle und der Zubereitungsart. Bin aber hinterher mit einem schlechten Gewissen und einem vollen Bauch belastet. Ich wollte doch eigentlich einige meiner überflüssigen Kilos auf dem Primitivo lassen. Aber wenn das so weiter geht…. ? Dann geht’s noch durch das dämmrige Salas für ein paar Fotos und einen „Absacker“.

auf diesen Sitzelementen habe ich die Nacht verbracht

Die Nacht sollte dann weniger schön werden für mich und vielleicht auch für manch anderen in der Herberge. Meine Befürchtungen der Luft in den Schlafräumen wegen, bestätigten sich rasch. Über eine Stunde lag ich wach, wälzte mich von einer Seite auf die andere und warf alles von mir, was auf mir lag. Ich stellte mir vor, wie oft diese Luft schon durch andere Lungen geströmt sein mag oder wie viel Prozent davon anderen Körperöffnungen entglitten ist. Ich geriet in Panik und Atemnot. Dann verließ ich das Zimmer und überlegte, mit der Isomatte, die ich zum Glück dieses Mal mit hatte und meinem Schlafsack auf der draußen stehenden Bank zu nächtigen. Doch draußen begann es gerade zu nieseln. Was nun? Im Vorraum schob ich zwei Elemente einer in die Jahre gekommenen Sitzgruppe zusammen, legte meine Isomatte drauf und dann mich selbst in meinem Schlafsack. Bequem war was anderes. Zuvor habe ich mit einer Reihe Wanderschuhe die Eingangstür so verklemmt, dass sie nicht mehr von allein zu fiel. Endlich frische Luft! Ein Mitpilger, der meine Aktivitäten vielleicht bemerkt hatte, die gleichen Probleme hatte wie ich oder einfach nur aufs Klo musste, trat an mein Schlaflager heran, entdeckte meine Türoffenhaltungskonstruktion und streckte mir den erhobenen Daumen entgegen. Gut gemacht!

Ich schlummerte ein, wurde aber durch das Auseinanderdriften der Sitzgruppenelemente regelmäßig wieder wach. Gegen 3 Uhr dann suchte draußen unter lautem Miauen ein kleines Kätzchen seine Mama. Man hörte es um mehrere Häuserecken. Es war herzzerreißend. Und dann kam das Miauen immer näher… „Was machst Du jetzt, wenn die Katze in die Herberge kommt? Die macht noch die ganze Meute munter…“ Die Nacht war gelaufen. Ich hielt mehr oder weniger Katzenwache, schlummerte aber schätzungsweise gegen 5 Uhr wieder ein. Die Katze hatte sich gerade verzogen, da starteten die ersten Anwohner ihre fahrbaren Untersätze. Ich gab es auf, ging ins Bad und auf Toilette und war ohne Gedränge bereits abmarschbereit, als die anderen aufstanden.

Das einzig Gute daran? – So was vergisst man nie.

5. Tag Salas – Tineo

Gabi hatten wir gestern zum letzten Mal gesehen. Sie ist weiter nach Bodenaya gegangen. Wenn ich die Nacht hätte vorhersehen können, vielleicht wäre ich auch weiter gegangen.

Während des straffen Aufstieges gleich hinter Salas habe ich diese Gedanken aber sofort wieder verworfen. Das wäre in der Hitze des Nachmittages zu viel gewesen.
Heute sind es wieder nur 20 Kilometer. Doch wie schon geschrieben, kommt man auf dem Primitivo nicht so schnell voran.

steiler Waldweg
Anstieg hinter Salas

So wandern wir zunächst stetig bergauf durch eine Art Regenwald. Ja, es nieselt leicht heute Morgen. Vielleicht sind es aber auch nur tief hängende Wolken, durch die wir gehen. Denn es ist teilweise auch recht nebelig.

 Nebelspinne
Nebelspinne

Aber dieser Nebel verzaubert die Pflanzenwelt. Überall hängen dicke Tropfen an den Blättern und Zweigen. Besonders die Spinnennetze haben es mir angetan. Und so ist es auch nicht so ärgerlich, dass wir von dem als sehr schön beschriebenen Tal das wir durchwandern, nicht viel zu Gesicht bekommen.

dieses Kalb haben wir gerettet
Diesem Kalb haben wir das Leben gerettet

Kurz vor Bodenaya eine Begebenheit, die mich dann restlos davon überzeugt hat, dass es richtig war, in Salas zu bleiben: Wir hören schon von Fern eine Kuh laut muhen. Und als wir näher kommen, steht da an einer ca. 1,5 Meter hohen Mauer ein kleines Kälbchen, nach dem seine Mutter aufgeregt ruft. Das Kälbchen war durch den Zaun nach unten auf den Weg gefallen und kam nun nicht mehr nach oben. Versuche, das Kalb weiter auf dem Weg zu einer Stelle der Weide zu treiben, an der es von allein wieder zur Mutter kam schlugen fehl, weil es schon zu schwach war oder noch gar nicht richtig laufen konnte. Die Mutterkuh war außer sich, als wir ihrem Kalb zu nahe kamen. Doch es nutzte nichts, ich nahm mir ein Herz und alle Kraft zusammen, packte das Kalb um alle Viere und hievte es seitwärts auf die Mauer zwischen dem Weidezaun hindurch auf die Wiese. Zum Glück stand es sofort wieder auf und fand auch gleich das Euter der Mutter. – Ein gutes Gefühl, wahrscheinlich ein Leben gerettet zu haben. Auch wenn es „nur“ eine Kuh war. Zum Dank hat das Kalb mir aufs Hemd geschi…. Und von den Hufen hatte ich ne Schmarre am Schienbein. Doch wäre ich vorbei gelaufen, wäre mir das Bild eines verendeten Kalbes nicht aus dem Hirn gegangen. Es war also gut, heute dort lang zu gehen, wenn es auch sicher möglich gewesen wäre, dass sich ein anderer Helfer gefunden hätte. Nach einer kleinen Pause in La Espina besserte sich das Wetter Zusehends und wir kamen ohne Regenkleidung und relativ trockenen und sauberen Fußes bei strahlendem Sonnenschein in Tineo an.

Hohlweg vor Tineo
Hohlweg vor Tineo

Unterwegs dorthin geht man durch herrliche Hohlwege, die bei der wie immer ab 14 Uhr einsetzenden Hitze schön schattig und kühl waren. Ich möchte nicht wissen, wie diese Wege bei Regenwetter aussehen.

Die Herberge in Tineo ist schnell gefunden, liegt sie doch fast am Ortseingang. Ein recht großer Saal mit vielen recht eng gestellten Stockbetten. Es waren aber noch welche am Fenster frei. Heute bin ich der Herr des Fensters und so war das Problem der stickigen Luft erst mal gebannt. Es folgte der übliche Tagesablauf, Duschen, Wäsche waschen und aufhängen, ab in den Ort, ein paar Fotos machen, was trinken, was essen, was einkaufen für den Proviant des Folgetages und fürs Abendessen. Dieses fiel heute Abend etwas spartanischer aus. Es gab nur etwas Käse, Schinken und Brot an den Tischen vor der Herberge. Der Ort selbst sieht von oben besser aus, als wenn man ihn durchstreift. Es gibt ein großes Neubauviertel und eine kleine Altstadt, an die sich eine lange Einkaufsstraße anschließt. Das war´s auch schon.

Tineo erreicht
Tineo

In der Herberge muss ich unbedingt noch Ordnung in meinem Rucksack schaffen! Das hat im vorigen Jahr viel besser geklappt. Da wusste ich genau in welchem Fach welcher Zip – Beutel ist und wo die Schere, das Messer, die Ohr-stöpsel oder die Ersatzakkus für die Kamera sind. Wenn man zu viert ist, nimmt nicht jeder alles mit. Man teilt sich in verschiedene Dinge rein. So spart man Gewicht, ist aber ständig auf der Suche, wer z.B. gerade die Wäscheklammern hat. – Nein, jeder hatte seine Zahnbürste mit!! Dann ins Bett und falls ich nicht selbst geschnarcht habe, war es eine richtig gute und erholsame Nacht.

Rathaus von Tineo

6. Tag 11.9.2012 Tineo – Campiello

– So gut, dass ich, der Frühaufsteher es verschlafen hatte und Jörg mich wecken musste. Na, ich hatte ja auch was nachzuholen.

Eigentlich hatte ich geplant, dass wir heute bis Borres laufen, trotz des etwas angekratzten Rufes dieser Herberge. Aber wir wollten so nahe wie möglich heran an die Hospitales Route. Das sind nur 16 Kilometer und so ließen wir es geruhsam angehen.

 

Tineo im Nebel
Tineo im Nebel

Der Anstieg hinter Tineo ließ ein schnelles gehen auch gar nicht zu, denn immer wieder mussten wir halten, um den fantastischen Anblick der gerade so aus den Wolken schauenden Stadt zu betrachten.

Morgengrauen
Aussichten hinter Tineo

Die höher steigende Sonne verursachte Farbspiele auf den unter uns liegenden Nebelbänken und auf den Bergketten am Horizont. Es war eine Lust hier zu laufen und die Wege kamen uns heute auch gar nicht so steil vor.

Windräder

Wir waren gut drauf, körperlich ging es uns gut (außer Andrea hatte etwas Rückenschmerzen) also wird es auch kein Problem sein, wenn wir schon in Campiello bei Herminia absteigen und die 3 extra Kilometer am Folgetag hinnehmen. Wir hatten uns fest vorgenommen, über die Hospitales Route zu gehen und hatten schon etwas Respekt davor, vor allem, da das Wetter nicht gerade stabil war und so manche Gruselgeschichte von diesem Weg erzählt wurde. Leider hatte Wetter.com mit seiner 16 Tage Voraussage recht. Und es sollte gerade auf dieser Etappe das schlechteste Wetter der Woche auf uns warten.

viel Gegend im Nebel

Bar Herminia
Casa Herminia

Die geschäftstüchtige Herminia stürzte sich förmlich auf uns. Darauf hatte uns Raimund in seinem Buch ja schon vorbereitet. Also traten wir erst mal mit Skepsis ihr entgegen. Doch als wir uns den Schlafraum und die sanitären Einrichtungen betrachtet hatten, stand unser Entschluss fest. Herminia hat übrigens nicht versucht uns Borres schlecht zu reden. Wir erfuhren aber später, dass es dort kein warmes Wasser gab. Wir zahlten pro Kopf 23€ für Unterkunft, Abendessen und Frühstück, was uns vor allem nach dem Abendessen als sehr angemessen erschien. Um unseren Vegetarier hat sich Herminia persönlich gekümmert und auch so machte sie auf mich bei aller Geschäftstüchtigkeit einen sehr netten Eindruck. Die Großraumwaschmaschine teilten wir uns, so dass auch das ein preiswertes Unternehmen war

Herminia
Herminia mit Jana und Andrea

Zum Abendessen saßen wir mit einem sehr lustigen spanischen Ehepaar in unserem Alter am Tisch und hatten viel Spaß bei der Unterhaltung mit ihnen, unter zu Hilfenahme aller Körperteile. Später gab es dann wieder ein Fläschchen Rotwein mit Philine und Jürgen.

Herberge Casa Herminia
Herberge Casa Herminia

Beim Heimgehen wurden wir dann noch Zeuge eines uns unbekannten Spieles. Am Rand eines Feldes von der Größe zweier nebeneinander liegender Handballfelder, standen hinter einer schräg nach oben einbetonierten Eisenplatte eine Reihe von Holzkegel. Hinter dem Feld (Wiese) waren Netze gespannt. Nun kam ein Werfer mit einer Faustgroßen Holzkugel ins Spiel. Mittels einer eigenartigen aber gekonnten Wurftechnik schmetterte er im Anstand von etwa 10 Metern diese Kugel auf die Stahlplatte, von der sie abprallte und eine unterschiedliche Anzahl von Kegel durch die Luft wirbelte. Hinten im Feld stand ein Anderer, der die Kugeln zurück rollte und dabei versuchte, die restlichen Kegel umzuwerfen. Es gab eine große Tafel, auf der dann viele Zahlen aufgeschrieben wurden. Worum es dabei ging, erschloss sich keinem von uns aus dem Spielverlauf heraus. Und auch die spanischen Mitpilger sahen etwas ratlos aus.

Aber probiert hat es Jörg und der Spanier, der bei uns am Tisch saß trotzdem. Nun sah man ganz deutlich, dass es dazu viel Übung und Geschick bedarf, denn beide trafen zwar die Stahlplatte aber nicht einen Kegel. Einziges Ergebnis war eine schmerzende Schulter und ein paar belustigte Einheimische.

Wenn also jemand weiß, wie dieses Spiel heißt und worum es da geht – ich bin sehr gespannt.

7. Tag Campiello – Berducedo

Heute nun die Königsetappe. So erschien sie jedenfalls in unseren Augen.

 

Nebelstimmung über Borres
Nebelstimmung über Borres

Bis Borres und dann bis zum Abzweig nach Pola Allande geht es auf recht bequemen Wegen gut voran, so dass die zusätzlichen 3 Kilometer kaum ins Gewicht fielen.

Heidelandschaft auf der Hospitales Route
Heidelandschaft auf der Hospitales Route

Ab dem Abzweig geht es dann mehr oder weniger steil ständig bergauf. Zuerst noch bei Sonnenschein, konnten wir die herrlich blühende Heidelandschaft bewundern doch dann hinter dem kleinen Dörfchen La Mortera, an dessen Kapelle wir noch einmal Rast machten, zog es sich mehr und mehr zu.

Bei der ersten Ruine begann es zu nieseln, die Sicht war gleich null und es wurde etwas windiger. Für uns war das noch kein Grund, weshalb man diese Route nicht laufen sollte. Es war nur schade, dass man wenig von der Bergwelt sah, die im Pilgerführer so eindringlich beschrieben wird. Aber was nicht ist, das ist eben nicht. Und das Wetter kann man nun mal (zum Glück) noch nicht beeinflussen.

Hinter dem Alto de Santa Marta, dort wo man auf die Straße trifft, riss wenigstens der Nebel auf und man konnte nach unten etwas sehen.

Sicht gleich Null hinter dem Alto de la Marta
Sicht gleich Null hinter dem Alto de la Marta

Hier machten wir noch einmal Rast und zogen für diesen Tag endgültig die Ponchos aus.

Doch erst kurz vor dem Bergdorf Montefurado, nachdem wir den halsbrecherischen Abstieg über eine Schotterpiste gemeistert hatten, kam die Sonne wieder raus, dann aber mit aller Kraft.

Wir waren froh, als wir die strategisch günstig gelegene Bar am Ortsausgang von Lago erreichten. Nach Kaffe und Bier (natürlich nicht zusammen) war es dann nur noch ein Katzensprung bis Berducedo. Hier schauten wir nur mal kurz in die Herberge, um festzustellen, dass wir hier nicht bleiben können und wollen.

Einige hatten es sich schon zwischen den Betten auf ihren Isomatten bequem gemacht und es roch entsetzlich. Schade, dass die neue private Herberge immer noch nicht fertig ist, obwohl sie von außen eigentlich fertig aussieht. Und so schlägt sich die fehlende Konkurrenz auch im Preis der hiesigen Pension nieder. Die Pilgerbetten der sich im gleichen Hause befindlichen Herberge Camin Antiguo waren auch schon belegt. So dass wir hier 30€ für die Nacht pro Bett hinlegen mussten.

Na wenigstens ein Frühstück war dabei und die Wäsche wurde gewaschen und getrocknet. Da relativiert sich der Preis doch etwas. Und die Dame des Hauses war auch sehr nett.

Blick auf Berducedo
Blick auf Berducedo

Fürs Abendessen sorgt hier eine der zwei ansässigen gastronomischen Einrichtungen, die Bar „Casa Gago“. Und das war für die verlangten 7 Euro recht zufriedenstellend. Philine und Jürgen waren auch wieder mit von der Partie und einen Absacker in Form von drei Flaschen Vino gab es dann noch auf dem Zimmer. Etwas beschwipst gingen wir schlafen. Was sollen die Schwaben nur von uns denken…

8. Tag Berducedo – Grandas de Salime

Diese Etappe sollte eine der schönsten werden, auch wenn das Streckenprofil so manchen Schweißtropfen und schmerzende Knien in Aussicht stellte.

Lange steile Asphaltstraße hinter La Mesa
Lange steile Asphaltstraße hinter La Mesa

Bis La Mesa geht es noch recht beschaulich zu. Dann lauert aber ein langer Aufstieg über eine Asphaltstraße, von der auch wir nicht besonders begeistert waren. Raimund schrieb dazu auch, dass sich dafür nicht jeder Pilger begeistern kann. Von oben hat man aber einen herrlichen Ausblick auf einen Teil der am Vortag zurückgelegten Strecke, so dies das Wetter zulässt. Bei uns ging es. Und so sahen wir auch in der Ferne die schlimme Schotterpiste, die vom Alto de Santa Marta schnurgerade herunter führt.

Abstieg zum Stausee
Abstieg zum Stausee

Nachdem wir die Straße nach links verlassen haben, erreichen wir Buspol, einen historischen Bauernhof mit einer kleinen Kapelle. Von hier sieht man bereits das Tagesziel Grandas de Salime und den darunter liegenden Stausee – ein herrlicher Anblick.

Doch diese bereits sichtbaren Orte sind noch weit und so schlängelt sich eine Piste stetig bergab in Serpentinen hinunter zum Stausee. Auf sein smaragdgrünes Wasser hat man immer neue phantastische Aussichten und immer wieder holte ich die Kamera heraus. Doch dann zog es sich plötzlich wieder zu. Eine dunkle Wolkenwand versprach nichts Gutes. Und schon mussten wir wieder einen unfreiwilligen Stopp einlegen, um die Ponchos bzw. Regenjacken anzuziehen. Na ein Glück, dass der Scheuer nur von kurzer Dauer war und so konnten wir die Regensachen bald wieder verpacken.

Mit schmerzenden Knien erreichten wir die Staumauer.

Ein eindringlicher Tipp für alle, die auch einmal hier lang pilgern wollen: Geht langsam! Euere Knie werden es auf dem weiteren Weg danken.

die Staumauer
Die Staumauer

Franco hatte sicher noch großes hier vor, davon zeugen jedenfalls die vielen hässlichen Ruinen am Gegenhang hinter der Staumauer gegenüber dem Fluss Navia. Von einer Aussichtsplattform, zu der ein kurzer Tunnel rechts neben der Straße führt, hat man einen beeindruckenden Blick auf das Stauwerk, seine elektrotechnischen Anlagen und das Tal des Rio Navia.

Unser Zwischenziel thront aber auf einem Felsen gleich einem Adlerhorst über dem Stausee – ein Restaurant. Noch 1 Kilometer nach der Staumauer treibt es die müden Knochen noch einmal zu Höchstleistungen. Ist schon komisch, welche Kräfte plötzlich frei werden, wenn man das Ziel bereits sieht. Und so habe ich auch manchmal die restliche Strecke etwas kürzer gelogen, wenn ich danach gefragt wurde. Das ist Psychologie!

Ein riesiger beeindruckender Hund begrüßte uns auf der Außenterrasse, von der man einen phantastischen Blick auf den Stausee hat. Doch er war sehr schläfrig – war ja auch bereits Siesta.
Auch Jürgen trafen wir hier noch, der aber bereits im Aufbruch war. „Wir treffen uns auf alle Fälle in Grandas!“

Ich hatte keinen geringsten Zweifel daran.

Aussicht beim Aufstieg nach Grandas de Salime
Aussicht beim Aufstieg nach Grandas de Salime

Wir hatten es uns recht lange auf der sonnigen Terrasse bequem gemacht, einiges gegessen und getrunken. Der anschließende Aufstieg nach Grandas de Salime war fast in Vergessenheit geraten. Am liebsten wären wir hier geblieben.

Doch weiter geht’s! Der Schinderhannes, wie ich gern von unseren Freunden auf Wanderungen durch die Walliser Bergwelt genannt werde, treibt alle zum Aufbruch.
Der anschließende Weg auf der Straße entlang ist nicht ganz ungefährlich. Vor allem die Aufleger von Sattelzügen kamen in den Kurven oft gefährlich an uns heran. Es ist besser, man wechselt die Straßenseite, um auf der Außenseite der Kurven zu gehen.

An einigen Stellen hat man wiederum herrliche Ausblicke auf den See und man wundert sich, wie schnell man wieder an Höhe gewinnt. Bald liegt das Gasthaus schon weit unter uns. Bis dann die Straße ins Landesinnere abbiegt. Kurz danach sollte man den Abzweig zum Waldweg nicht verpassen. Der ist zwar im ersten Teil sehr steil, aber wesentlich schöner und ungefährlicher als die Straße.

Pilgerherberge in Grandas de Salime
Pilgerherberge in Grandas de Salime

Leichten Fußes geht es zügig voran und so merkten Jörg und ich gar nicht, dass die Frauen hinter uns zurück blieben. Am Ortseingang von Grandas warteten wir jedoch und gingen gemeinsam zur Herberge. Diese befindet sich in einem schönen schneeweißen Haus und verfügt über zwei Schlafräume. Alles machte einen sehr ordentlichen Eindruck. Die kleine Tochter der Hospitalera übte sich eifrig im Credencial abstempeln. Und so muss ich an sie denken, wenn ich mir die Stempel betrachte und einer etwas blasser ausfällt. Wir waren uns sehr sicher hier noch ein freies Bett zu bekommen, denn man hatte noch ein Notlager mit 22 Matratzen. Als ich das jedoch beim Wäsche waschen sah, war ich froh, nicht dort übernachten zu müssen. Ich wünsche es keinem in diesem Kellerloch ohne richtigen Fußboden auch nur einen Nacht zu verbringen, dann lieber unter freiem Himmel. Obenrum jedoch ist alles pico bello.

Rathaus Grandas de Salime
Rathaus von Grandas de Salime

Wir starten zu einem Stadtrundgang durch die sehr interessante Stadt. Auch hier gab es wie in Portomarin in der Franco Zeit Umsiedlungen wegen des Stausees. Und wie Portomarin macht die Stadt auf mich einen wohlhabenden Eindruck. Man leistet sich ein überdimensionales Stadthaus mit schmiedeeisernem Glockenturm. Die Häuserzeilen machen einen gepflegten Eindruck und das Besondere der Architektur sind die mit Holzschnitzereien verzierten Fensterlaibungen.

 

Iglesia Parroquial de San Salvador
Iglesia Parroquial de San Salvador

Na und vor einer Bar saßen dann auch Philine und Jürgen. Ein kurzer Plausch, ein paar Bier und ein Rundgang durch die Stadt verkürzten uns die Zeit bis zum Abendessen. Jürgen übersetzte uns die aufgestellten Erklärungen vor der Iglesia Parroquial de San Salvador, einer imposanten Kirche aus dem 13. Jahrhundert, die sich im Ortskern befindet. Und – welch ein Wunder die Kirche ist sogar offen, was an diesem Weg bisher recht selten war. Es wird zu viel geklaut wird behauptet.

Nach einer kleinen Spende hatte die Aufpasserin auch nichts mehr gegen ein paar Fotos im Inneren der Kirche.

Das Abendessen fiel wieder einmal viel zu üppig aus, auch wenn die Dame des Hauses und auch die Küche wegen unserer vegetarischen Sonderwünsche zunächst etwas überfordert schien. Doch hier zeigt es sich, wie nützlich es ist, auf jemanden wie Jürgen zurückgreifen zu können, der recht gut spanisch beherrscht. Man wird auf einmal viel freundlicher und umgänglicher, versteht manchen Scherz, den man ansonsten vielleicht auf beiden Seiten ganz falsch gedeutet hätte. Auch ein keiner Unfall mit einem Weinglas, dessen Inhalt sich über Jörgs Hose verteilte konnte der heiteren Stimmung keinen Abbruch tun. Das Essen? Na ja, Gourmets sind die Spanier nicht gerade. Wer keine Majonäse überladene Gemüse – Thunfischpampe mag, sollte um den hier überall angebotenen russischen Salat einen weiten Bogen machen. Aber als Pilger ist man leidensfähig, auch beim Wein. Der hiesige Vino Tinto de la Casa machte nicht mal Flecken auf Jörgs Hose, vom Geschmack ganz abzusehen. Wir sind eben doch schon vom Rioja verwöhnt. In Asturien sollte man lieber Weißwein oder Sidra trinken, das können sie besser.
Es war schon dunkel, als wir zur Herberge gehen. Und deshalb würde ich bei meiner nächsten Pilgerreise nach Spanien doch wieder das Frühjahr vorziehen. Man hat mehr vom Tag. Im Mai war es schon um 7 Uhr hell und erst gegen 21 Uhr dunkel.

Morgen geht es nach Galicien und mit dem Alto del Acebo wartet wieder ein anspruchsvoller Weg.

9. Tag Grandas de Salime – Fonsagrada/Padron

Ein "Nebelbogen"
Ein “Nebelbogen”

Der Morgen war kalt und die ersten Kilometer wanderten wir durch eine graue Suppe. Als wir die Landstraße endlich verlassen konnten und der Weg weiter über einen schmalen Pfad führte, hellte es plötzlich auf. Wir waren raus aus den Wolken, die noch im Tal hingen. Und wir sahen vor uns eine Erscheinung, die ich so noch nie gesehen hatte. Ich nannte sie einen Nebelbogen. Gleich einem Regenbogen nur ohne Farben spannte sich der weiße Bogen vor uns über den Feldern auf. Das sah unwirklich aus aber ich habe es trotzdem aufs Foto bannen können.

Herberge in Castro

Herberge in Castro

Dann hatten wir Castro erreicht. Die hiesige Jugendherberge ist gleich am Ortseingang in einem romantischen Granitsteinhaus untergebracht. Die Fotos mit dem Haus im teilweise mit Sonne durchfluteten Nebel sind sehr mystisch geworden. In Castro befindet sich am Ortsausgang rechts vom Weg eine große Ausgrabungsstätte. Hier wird eine mittelalterliche Burg aus dem 8. Jh. ausgegraben, das Castro del Chao Samartin. Leider hatten wir keine Zeit uns dieses näher anzusehen. Sie öffnen erst um 11 Uhr.

Man wandert weiter über Wald- und Feldwege, vorbei an einer kleinen Kapelle bis man auf die AS 28 trifft. Auf ihr entlang geht es dann immer weiter ansteigend bis nach Penafuente.

Aufstieg zum Alto de el Acebo

Schon hier auf etwa 860 Metern Höhe erblickt man das Schauspiel, das uns dieser Morgen beschert: Ein strahlend blauer Himmel und von der Sonne beschienene Berggipfel, die Inseln gleich, sich aus einem Meer von Wolken erheben. Die Sonne bleicht die Wolkensuppe schneeweiß, so dass sich die Kontraste der Berge noch stärker abheben. Es sieht wirklich aus wie ein weißes Meer mit vielen kleinen Inseln, auf denen sich Windräder drehen. Je höher wir steigen, desto eindrucksvoller wird dieses Bild. Man kann hineinschauen in die Buchten der Wolkensuppe und sieht hinweg über einen Berg, der sich vor einer Stunde noch neben einem auftürmte.

Die Grenze zu Galicien
Die Grenze zu Galicien

Nur noch ein steiler Anstieg bis zu einem mit Windkrafträdern gespickten Höhenzug, dann haben wir den Pass „Alto del Acebo“ und damit die Grenze zu Galicien erreicht. Ein schmuckloses Steinrelief und eine Linie aus Steinen über den Weg kennzeichnet diese Stelle. Wir schauen hinein nach Galicien und stellen fest, dass es dort auch nicht anders aussieht, das gleiche Wolkenmeer mit herausschauenden Bergkuppen. Aber weit in der Ferne sieht man schon unser Ziel Fonsagrada. Bis dorthin sollte aber noch eine Menge Zeit vergehen und es waren noch viele Schritte nötig.

Unsere Schritte führten uns zunächst in das erste Haus in Galicien. Das war wie nicht anders zu erwarten eine Bar. Wir tranken Kaffee und Cola, aßen unsere mitgebrachte Wegzehrung und ein paar Häppchen Weißbrot mit gebratenem Fleisch, die uns der Wirt hingestellt hatte und berieten unser weiteres Vorgehen.

Die Herberge in Fonsagrada / Padron ist nicht gerade groß und so hatten wir etwas Sorge um unsere Unterkunft. Außerdem war Andreas Rücken immer noch nicht besser. Wie auch, die ständige Belastung und als Schmerzmittel nur ein paar homöopathische Dropse, die wir mit Jürgens Hilfe in einer Farmacia in Grandas de Salime bekommen haben. Andrea darf die meisten Schmerzmittel nicht nehmen, weil sie regelmäßig Blutgerinnungshemmer nehmen muss. Nach dem Ausschlussverfahren blieben da nur die „Dropse“ übrig. Na vielleicht helfen sie bis Weihnachten. Und so beschlossen wir, in Kenntnis der Tatsache, dass ein Belegen von Betten in staatlichen Herbergen nicht geduldet wird, uns zu trennen und dass Jörg und ich voraus gehen, um ein paar Betten zu organisieren. Und wenn wir nur zwei bekämen, wäre das auch nicht so schlimm. Für solche Fälle hatten wir zwei ja je eine Isomatte mitgenommen. Dann könnten wenigstens die Frauen in den Betten schlafen.

Teilweise über Waldwege oder breite Schotterpisten neben der Straße zog sich die restliche Strecke enorm in die Länge. Und da war sie auch wieder die gefürchtete 14 Uhr Hitze. Der letzte Anstieg vor Fonsagrada war besonders schlimm für mich und mein Wasser war auch zu Ende. Jörg hatte ich schon lange aus den Augen verloren. Er hatte auch unsere Pilgerpässe bei sich. Seine Beine sind mindestens 1,5 mal so lang wie meine und er ist deshalb auch viel schneller. Er sollte aber auch nicht auf mich warten. Das hätte weiter unsere Chance auf ein Bett geschmälert. Dass das hier auf dem Primitivo nun auch mit der Bettenrennerei losgeht, hat mich tief enttäuscht. Und ich komme da auch nicht raus aus meiner Haut und mache mir so meine Sorgen, wo wir diese Nacht bleiben können. Gegen die jungen Spanier haben wir keine Chance und im Dunkeln losrennen wäre noch schlimmer fürs Gemüt.

Fonsagrada
Fonsagrada

Fonsagrada türmte seine hässlichsten Häuser als eine Art Wohnwand neben mir auf, als ich endlich das Ziel vor Augen hatte. Nein, das was ich von diesem Ort gesehen habe, war wahrlich keine Schönheit. Aber bitte lass mich ein Nachtlager finden!

Padron ist ein Ortsteil von Fonsagrada und liegt etwa 1 Kilometer hinter dem Ort. Es ist ein kleines Dorf, an dessen Rand sich die Herberge in einem uralten Haus befindet. Die Horpitalera begrüßte mich freundlich in dem sehr rustikalen Aufenthaltsraum, nahm ihr Buch und da las ich schon unsere Namen. Sie wollte nur wissen, wer von den Nachzüglern ich bin. Sehe ich schon aus wie eine Frau? Ich machte mir ernsthafte Sorgen.

Nachdem ich die Schuhe und Stöcke abgestellt hatte, stieg ich in Socken die knarrende Holzstiege empor. Hinter der ersten Tür, die ich mittels eines sehr mittelalterlich anmutenden Verschlusses öffnete, war schon Jörg, der bereits geduscht war. Man, das hat geklappt! Wir haben sogar ein vierer Zimmer. Alle Sorgen waren umsonst. Aber lieber so herum, als dass man sorglos vor der vollen Herberge steht, dachte ich.

1.5 Stunden später trafen dann auch mit hochrotem Kopf die Frauen ein. Sie waren ebenso ziemlich erleichtert solch eine nette Unterkunft bekommen zu haben.

Abendessen in der Herberge Padron
Abendessen in der Herberge Padron

Nun hatten wir noch ein Problem, das Essen. Es gab nur einen Snack- und Getränkeautomaten. Von der Tanke in Fonsagrada hatte ich schon Wasser und Bier mitgebracht, jedenfalls so viel ich noch außer mir und meinem Rucksack tragen konnte. Jörg und ich erklärten uns bereit, noch einmal zurück in den Ort zu gehen. Zurück auf einem Pilgerweg! – wo gibt es denn sowas? Pilger sind lauffaul, habe ich im Forum mal gelesen. Und das stimmt in gewisser Weise. Alles was rechts und links vom Weg abzweigt ist tabu – aber nun auch noch zurück? Es blieb uns nichts weiter übrig und außerdem waren wir ja am Zielort und da gilt die Regel nicht so streng. In einem Supermecado bekamen wir alles, was wir für heute Abend und den folgenden Tag brauchten, inklusive einem großen Wasserkanister. Das Trinkwasser aus dem Hahn kann man in Spanien zwar überall bedenkenlos trinken aber es wird eben sehr stark gechlort. Und wenn man dieses Wasser dann den ganzen Tag in der Flasche mitschleppt, schmeckt das nicht wirklich gut. Als Notbehelf kann man aber unterwegs auch Leitungswasser trinken.
Mit den Plastikbeuteln und dem Kanister an den Händen ist der Weg nach Padron noch einmal so weit.

Andrea und Jana hatten sich inzwischen ganz gut erholt und so konnten wir uns gemeinsam mit Philine und Jürgen das Abendessen schmecken lassen.

10. Tag Fonsagrada/Padron – Cadavo Baleira

Angesteckt von der allgemeinen Unruhe standen wir auch recht früh auf. An den wenigen Wasch- und Pinkelbecken gab es etwas Gedränge aber sonst ging alles sehr zügig und diszipliniert ab. Da es aber draußen noch sehr dunkel und zudem noch nebelig war, ließen wir uns mit dem Frühstück viel Zeit. Ich machte ganz in Ruhe unseren löslichen Kaffee. Der war zwar nicht vergleichbar mit dem sonst üblichen Kaffee con Leche in den Bars aber doch ganz genießbar. Ein paar Reste an Brot und Käse vom Vorabend waren auch noch übrig dazu noch ein paar Apfel- und Pfirsichstreifen, das genügt.

Erst als es gegen 8 Uhr dämmerte zogen auch wir los. 23 Kilometer bis Cadavo Baleira, das klingt nicht viel. Das ständige Hoch und Runter ließ uns aber auch heute kaum vorwärts kommen.

Raus aus dem Nebel
Raus aus dem Nebel

Zunächst ging es mehr oder weniger parallel zur LU 530 über Pisten und Waldwege. Noch war es recht nebelig und kalt. Die Wolken hatten sich wieder in den Tälern verfangen. Da wir aber höher stiegen, sahen wir bald wieder das mittlerweile gewohnte Bild. Die von der Sonne beschienenen Wolken waberten um die Kuppen der Galicischen Hügellandschaft und wir standen oben drüber. Hinter dem Dorf Montouto geht es noch einmal kräftig bergan und man überschreitet nochmals die 1000 Meter Marke. Bei 1030 Meter haben wir den höchsten Punkt der heutigen Etappe erreicht. Die Aussicht ist wieder phänomenal. Danach geht es wieder steil bergab durch einen schönen Wald. Kurz bevor wir wieder in die „Wolkensuppe“ eintauchten, erreichten wir die urgemütliche Bar „Meson“.

Casa Meson
Casa Meson

Wir beschlossen hier etwas zu essen und zu trinken, was eine sehr gute Entscheidung war. Denn die Bocadillos waren riesig, so dass ich mir einen mit Andrea teilen musste. Einen ganzen hätten wir beide nicht geschafft.

Hier entschlossen wir uns wiederum zur gleichen Taktik wie am Vortag. Es waren noch 13 Kilometer und noch ein Pass, der Alto de Fontaneira lag vor uns. Jörg war der schnellste und bekam wiederum unsere Pilgerausweise. Man kann´s ja mal probieren.

Also stiefelten wir los, ohne zu hetzen. Ich hatte immer noch einen Blick für die Umgebung übrig und habe mir die Zeit für einige Fotos und Videoaufnahmen genommen. Der Weg ging zunächst etwas oberhalb der LU 530 entlang und war ziemlich feucht von diversen Bachläufen, die diesen Weg kreuzten. Bei Regenwetter dürfte dieser Abschnitt kaum passierbar sein. Dann kreuzt man die Landstraße nach links und geht eine ganze Zeit ziemlich steil bergab zum Dorf Degolada.

Steiler Weg nach A Lastra

Das machte mich einigermaßen nervös, denn ich meinte doch, dass es zum Pass nach oben gehen muss. Und dann kam er, ein langer steiler Anstieg mitten durch einen schönen Wald bis zum Ort A Lastra, wo man wieder auf die Straße trifft. Der Anstieg war so steil, dass ich mehrmals eine Pause einlegen musste. Wäre ich auf der Straße geblieben, hätte ich mir diese Schinderei sicher erspart. Ein Rat von mir deshalb: Wenn ihr schon etwas erschöpft seid oder schon angeschlagen, bleibt hier auf der Straße. Auf alle Fälle sollte man aber bei Regen oder Sturm auf dieser bleiben. Man sah auf dem Pfad, dass das Wasser diesen als Flussbett nutzt, wenn es länger regnet und im Wald sah ich viele umgestürzte Bäume.

Hinter A Lastra blieb ich deshalb auf der Straße und erklomm den Alto de Fontaneira linksseitig auf dieser. Das Höhenprofil zeigt mir, dass man dadurch auch einige Höhenmeter einspart. Wenn ich an dem Tag besser drauf gewesen wäre, hätte ich sicher den Waldweg benutz aber so war mir das Ankommen wichtiger.

In Fontaneira gönnte ich mir noch ein schnelles Bier im Stehen und nahm den letzten Abschnitt in Angriff, der dann fast ständig bergab bis Cadavo Baleira führt.

0950 Camino Primitivo Gert

Am Ortseingang gleich rechts sah man schon die Herberge. Und da kam mir auch schon Jörg entgegen und der machte kein glückliches Gesicht.

Dieses Mal hat unser Plan nicht geklappt. Es waren nur noch 5 Betten frei und hinter ihm standen 6 Spanier, die natürlich mitbekamen, was Jörg wollte und auf den Hospitalero einredeten. Jörg hat sich erst mal dumm gestellt und so getan, als verstehe er nicht. Dann hat er sich noch höflich für die Geduld bedankt und ist gegangen.

Wir dürfen ja nicht meckern. Die Spanier waren im Recht und wir wussten, dass man nicht vorbelegen darf. Ohne Groll zogen wir in die nahe gelegene Bar und bekamen dort zwei Doppelzimmer für je 30 Euro.

Na was will man mehr. Alles wird sich finden, sagt Jörg immer. Er ist viel gelassener als ich und ich sollte mir etwas von seiner Gelassenheit abgucken.
Wir setzten uns in die Bar, tranken ein Bier und warteten auf Andrea und Jana, denen wir schon telefonisch Bescheid gegeben hatten, wo wir sind. Eine Stunde später standen sie ebenfalls kaputt aber glücklich in der Bar.

Beim Wäsche waschen dann wieder eine etwas lustigere Begebenheit:

Es war auch schon auf dem Frances im vorigen Jahr ausgemacht, dass jeder sein eigenes Zeug wäscht. Und so nahm ich mein Zeug und ging in die Waschküche. Na ja, es war so eine Art Scheune mit allem möglichen Plunder darin. Am Waschbecken stand eine Flasche und ich dachte mir au fein, da muss ich nicht mein eigenes Waschmittel nehmen, das eh bald zu Ende ging. Fröhlich ließ ich Wasser ins Becken und goss einen schönen Schwapp des Mittels dazu. Aus meinen Socken kam eine schwarze Brühe, als ob ich sie seit einem halben Jahr angehabt hätte. Etwas verwundert spülte ich sie aus, um sie gleich noch mal in die Lauge zu tauchen. Wieder diese schwarze Brühe. „Mein Gott, was bist du für ein Schmutzfink!“ dachte ich immer noch. Bis mir der Chlorgeruch in die Nase stieg. In der Flasche war Chlorbleiche und ich hätte mir um ein Haar weiße Socken gewaschen. Auch mein dunkles kariertes Hemd war etwas heller geworden. So ist das, wenn man keine Ahnung hat. Aber Jörg erging es genau so. Übrigens hat er hier ein Paar seiner schönen Wollpower Socken eingebüßt. Wir haben alle vier Rucksäcke auf den Kopf gestellt. Sie blieben bis heute verschwunden. Übrigens weil wir gerade bei den Socken sind: Ich kann diese Wollpower Socken nur empfehlen. Die gibt es bei Globetrotter, kosten rund 16€ und bestehen hauptsächlich aus Merinowolle und einem Kunstfasermischgewebe. Es gibt keine Funktionszonen und auch kein „R“ und „L“ auf den Socken. Sie sehen völlig unspektakulär aus. ABER! Ich neige sehr stark zur Fußblasenbildung und bin auf meinen bisherigen Wegen nie ohne Blasen ausgekommen. Da trug ich Falke TK2 coolmax – auch keine schlechte Socke und oft gekauft und getragen. Aber erst mit den Wollpower Socken bin ich in diesem Jahr völlig blasenfrei bis zum Ende des Weges geblieben und das war für mich ein ganz neues Laufgefühl. Ich hatte dann sogar auf mein geliebtes Hirschtalg verzichtet.

Eine besondere Herausforderung für die Kombination Füße, Socken und Schuhe sollte aber noch hinter Santiago auf dem Camino Finisterra folgen. Doch dazu später.

Jürgen und Philine

Nach dem Wäschedebakel gingen wir in den Ort. Dieser ist unspektakulär und uns interessierte einzig ein kleiner Supermecado. Ein bisschen Obst, was für den Abend und für den langen Weg nach Lugo am nächsten Tag, alles das bekamen wir hier. Unterwegs dorthin trafen wir natürlich wieder Philine und Jürgen, mit denen wir uns zum Pilgermenü in unserer Pension verabredeten.
Das Pilgermenü war wieder hervorragend. Ich hatte eine Art Schweinebraten, der herrlich zart war, den ich aber nicht ganz geschafft habe. Auch der gegrillte Lachs sah sehr gut aus. Das Menü gab es a la Cart und Jürgen half uns wieder sehr bei der Auswahl. (Ich hab schon wieder ne Pfütze auf der Zunge!) Der Vino Tinto de la Casa war dieses Mal auch etwas besser. Wir hatten uns jedoch schon in der Kaufhalle mit besserem eingedeckt, den wir am Abend neben der Bar vertilgten. Plötzlich kam die Dame des Hauses nach draußen. Ich rechnete mit einem Donnerwetter, weil wir unseren mitgebrachten Wein an ihren Tischen tranken. Sie jedoch machte sich nur Sorgen, weil die Außenbeleuchtung nicht ging und wir im Dunkeln saßen.
Na stellt euch mal so was in Deutschland vor….

11. Tag Cadavo Baleira – Lugo

Heute nun eine Etappe, die verspricht etwas ebener zu werden. Dafür geht es immer mal über Asphalt, was mich aber nicht besonders stört, da man dann die Möglichkeit hat, mal etwas entspannter zu laufen und sich im Gehen die Gegend zu betrachten, weil man nicht dauernd auf den Weg und die Füße achten muss

Sonnenaufgang hinter Cadavo Baleira
Sonnenaufgang hinter Cadavo Baleira

In der Pension gibt es noch Frühstück. Und nachdem wir uns den obligatorischen Kaffee con Leche grande oder solo zusammen mit einem Croissant einverleibt hatten, gingen wir los. Es war noch recht dunkel und die Lichter von Cadavo Baleira waren noch lange zu sehen. Am Horizont bildete sich ein orangefarbener Streifen, der immer breiter wurde und bald die Gegend erleuchtete. Das versprach wieder ein schöner sonniger Tag zu werden. Hinter Cadavo stieg das Gelände nochmals etwas an, so dass wir die Morgen – Kühle kaum spürten. Wir liefen uns warm.

Kirche vor Villabade

Dann ging es recht bequem und leicht abfallend durch ein ausgedehntes Waldgebiet. Kurz vor Vilabade betrachteten wir uns eine recht große Kirche, die in einem Wäldchen steht und vor der sich in einem Wald viele Tische und Bänke befinden. In Anbetracht der Größe des Geländes, muss sie sehr bedeutend sein. Über dem Eingang sind drei interessante Wappen angebracht und an die Tür des Seiteneingangs war ein großes Holzkreuz gelehnt. Das sah alles sehr interessant aus und weckte unsere Neugier. Leider war auch diese Kirche wie die meisten hier verschlossen. Anders in Vilabade, zu unserer Überraschung war diese, für den kleinen Ort recht überdimensionale Kirche offen und eine nette Frau begrüßte uns und verteilte Stempel in unsere Pilgerpässe, was wir gerne annahmen. Denn im Vergleich zum Vorjahr, war ja genügend Platz für die Stempel. Auf dem Camino Frances mussten wir in Astorga unseren Credencial verlängern, in dem wir einen neuen kauften, das erste Blatt abschnitten und den Rest mit Pflaster an unseren vollgestempelten anklebten.

Im Pilgerbüro in Santiago hatte man damit übrigens kein Problem. Jörg erzählte uns in diesem Zusammenhang eine lustige Begebenheit von seinem ersten Camino aus dem Jahre 2010: Eine Frau aus Deutschland, die den Credencial allem Anschein nach als besonders gefährdet betrachtete, hatte Angst davor, dass dieser nass wird und hat ihn zu Hause ein laminiert. Er blieb zwar schön sauber und trocken aber ein Stempel hatte keine lange Überlebenschance.

Doch nun weiter zum Weg:

Kirche in Villabade
Kirche in Villabade

Wir betrachteten uns den üppig ausgestatteten Kirchenraum, hinterließen eine kleine Spende und wanderten weiter.

Plötzlich drangen ungewohnte Geräusche an unsere Ohren. Wir kamen an einen weißen Eisenzaun eines gepflegten Grundstückes und versuchten die Quelle des nun deutlichen Gesanges zu orten. Die Musik kam aus einem Baum. Der Besitzer hatte darin einen Lautsprecher versteckt und übertrug eine Morgenandacht. Wir blieben eine Weile stehen und lauschten, gingen aber dann etwas ratlos weiter. Was das wohl zu bedeuten hat? Die verhältnismäßig großen Kirchen, das große Gelände weit außerhalb des Ortes und nun die öffentliche Übertragung einer Messe aus einem Apfelbaum, wir mussten uns in einer sehr frommen Gegend befinden. Außerdem war Sonntag.

In Castroverde fiel uns am Ortseingang sofort die neue Herberge auf. Hier war alles schon ausgeflogen und man war dabei rein Schiff zu machen.

Im Ort folgten wir nicht weiter den gelben Pfeilen, sondern gingen weiter der Hauptstraße folgend in den Ortskern, auf der Suche nach einer offenen Bar. Diese fanden wir in der Nähe des Kirchplatzes und es herrschte bereits rege Betriebsamkeit. Während die Bars um diese Zeit am Frances fast ausschließlich von Pilgern belagert werden, waren es am Primitivo eher Einheimische, die bereits am Vormittag ihre Zeit hier verbrachten, Zeitung lasen oder lautstark über den Inhalt der Zeitungen diskutierten. Für mich hörte sich das eigentlich immer an, als ob man streitet, wenn sich mehr als zwei Spanier miteinander unterhalten. Alle sprechen gleichzeitig in einer enormen Lautstärke und in einer rasanten Geschwindigkeit und jeder scheint jeden zu verstehen. Ohne zu wissen, worum es dabei geht, lauschte ich oft fassungslos.

Weg hinter Castroverde
Weg hinter Castroverde

Aha, nun wird es betriebsam. Wir nähern uns der 100 Kilometer Marke und schon tauchen die ersten „Buspilger“ auf. Ein großer Reisebus hielt direkt auf dem Kirchplatz und spuckte etwa 40 mit Muscheln und Wanderstäben geschmückte Pilger aus. Ihr winziges Gepäck verriet uns aber, dass sie es nicht so weit haben. Sie stellten sich zu einer Andacht vor dem Rathaus am Kirchplatz auf und wir grüßten freundlich, als wir schnellen Schrittes an der Menge vorbeizogen. Wir wollten uns einen kleinen Vorsprung verschaffen, um nicht mit der lärmenden Masse wandern zu müssen. Das kannten wir vom Frances, wo es sehr viele solche Gruppen gab. Doch wir hatten keine Chance. Schon nach kurzer Zeit holten uns die ersten ein. Und ich bin mir heute noch nicht sicher, worum es bei diesem „Rennen“ ging. Jeder der Gruppe wollte wahrscheinlich Erster in Lugo sein. Anders kann ich mir diese Gangart nicht erklären. Ein wenig grotesk sah das ganze schon aus. Ich bemühte mich trotzdem Toleranz zu wahren, auch weil ich die Motive dieses Unternehmens ja nicht kannte. Doch die Ruhe, die wir auf dem Primitivo so zu schätzen gelernt hatten, war dahin. Uns blieb also nichts weiter übrig, als eine größere Pause einzulegen, um abzuwarten, bis der Spuk vorbei ist.

Romantische Ruine
Romantische Ruine

Dies taten wir dann vor Moreira auf einer auffallend blau gestrichenen Bank an einer kleinen Brücke, die plötzlich am Wegesrand stand. Wir aßen unseren Proviant fast völlig auf und ich konnte auch das Trockenobst, das ich schon seit Oviedo mit mir als Notreserve rumschleppte, an den Mann bringen. Wieder etwas weniger Gewicht auf dem Rücken…

Die Reihe der „Buspilger“ zog sich in die Länge. Abgeschlagen, ohne Aussicht auf den Sieg kamen immer noch Nachzügler. So oft „Buen Camino“ haben wir bisher auf dem gesamten Weg nicht gesagt, so mein Eindruck, der natürlich etwas übertrieben ist.

Wir gingen dann auch weiter, denn wir wollten ja auch irgendwann in Lugo ankommen, denn das Wetter versprach uns wieder einen raschen Temperaturanstieg um 14 Uhr.

Der weitere Weg verlief ohne größere „Störungen“. Eine kleine Rast gönnten wir uns noch einmal an einem Getränkeautomaten in einem Dorf, dessen Namen ich nicht mehr ergründen kann, da hier das GPS in meiner Kamera keine Daten mit dem Foto speicherte. Auffallend war hier aber, dass es allem Anschein nach eine Zucchini- oder Kürbisschwemme gegeben haben musste. Ob Zucchini oder Kürbis, konnte ich nicht genau erkennen. Die Form war eher die von Zucchini, die Größe sprach aber eher für Kürbisse. Jedenfalls lagen überall diese riesen Dinger zum Mitnehmen rum, selbst auf dem Monolithen mit der Muschel.

Plötzlich wieder ungewohnte Laute, von Fern hörte man das Hämmern eines Basses, dann einer E-Gitarre, dann eines Schlagzeuges und eines Keyboards. Eine Band stimmte sich für ein Dorffest ein. Eine große Freilichtbühne und ein Festzelt standen etwas abseits des Weges auf einem großen Platz. Salsa – Rhythmen drangen durchs Dickicht – alles klang sehr professionell und machte Lust zum Zuhören. Aber wie schrieb ich schon? – Ein Pilger ist lauffaul. Und so ließen wir die Szenerie rechts liegen und gingen weiter. Aus allen Ecken der weitläufigen Streusiedlung kamen uns die „Dorfschönheiten“ entgegen. Sie hatten sich mächtig aufgedonnert und manche verströmte einen Duft, der einem den Atem nahm.

Schotterpiste vor Lugo
Schotterpiste vor Lugo

Kurz vor Lugo, es war wieder sehr warm geworden, mussten wir dann noch eine Zwangspause einlegen. Jana war am Ende ihrer Kräfte und schleppte sich mit kleinen Schritten hinter uns her. Mit Engelszungen versuchten wir ihr wieder neuen Mut und neue Kraft zu verleihen. Je langsamer sie läuft, umso länger ist sie der der Hitze ausgesetzt. Kurz vor der Autobahn verlässt man den schattenspendenden Wald und ist auf einem gleißend hellen Schotterweg ungeschützt der Sonne ausgesetzt. Das schlaucht mächtig und nach diesen über 32 Kilometern waren wir froh, dass wir auch Jana wohlbehalten in der Herberge hatten. Diese erwies sich als noch ausreichend aufnahmefähig, sehr modern und großzügig eingerichtet. Soll heißen, dass die Betten nicht so dicht beieinander standen, dass man befürchten musste, nachts den Arm des Nachbarn ins Gesicht zu bekommen.

Einzig die Anzahl der Duschen und Toiletten ist im Verhältnis zu den Betten sehr knapp bemessen, so dass immer mal Wartezeiten entstanden, was sehr unangenehm ist, wenn man schon die Oberschenkel aneinander pressen muss und die Augen etwas hervortreten.…. (Ich baue das Bild mal nicht weiter aus.)

Rathaus von Lugo
Rathaus von Lugo

Nach dem Quartier machen ging es dann in die Stadt, auf die ich mich schon gefreut hatte. Die Strapazen auf den letzten Metern vor Lugo waren vergessen und selbst Jana stieß nach einer einstündigen Ruhephase und einem kleinen Nickerchen noch zu uns. Sie hatte sich aber für Morgen vorgenommen, einen Ruhetag einzulegen und eine Etappe mit dem Bus zu fahren. Irgendwie muss auch durchgesickert sein, dass es wieder 30 Kilometer bis Ponte Ferreira werden.

Und da machte irgendwas Klick in ihrem Gehirn, das sagte, dass sie das nicht schafft und dass dies nicht „ihre“ Entfernungen sind. Na egal, Hauptsache sie erholt sich gut.

Historische Stadtmauer in Lugo
Historische Stadtmauer in Lugo

Lugo ist die älteste Stadt Galiciens. Ihre Gründung geht auf die Römer in der Zeit des Kaisers Augustus zurück. Die Stadt liegt am Fluss Miño und hat etwa 98 000 Einwohner. Der alte Stadtkern ist ringsum vollständig von einer zwei Kilometer langen begehbaren römischen Mauer aus dem 3. Jahrhundert umgeben. Die Mauer ist zwischen acht und zwölf Meter dick und an der höchsten Stelle etwa zwölf Meter hoch. Alle 100 bis 200m gibt es eine mächtige halbkreisförmige Bastion, was die Mauer noch eindrucksvoller wirken lässt. Diese Stadtmauer, welche ursprünglich nur 5 Stadttore hatte (heute sind es verkehrsbedingt 10) gehört seit dem Jahr 2000 zum UNESCO Weltkulturerbe.

Kathedrale von Lugo
Kathedrale von Lugo

Wir also in die Stadt und bevor wir die Sehenswürdigkeiten betrachten auf der Suche nach einem geeigneten Freisitz, um ein Bierchen oder einen Kaffee zu trinken. Bei dem Überangebot ist das gar nicht so einfach, bis man sich geeinigt hat. Dann noch Streifzüge durch die Gassen und ein Besuch der Kathedrale, die bei stahlblauem Himmel mit ein paar Schäfchenwolken in der Sonne glänzte. Überhaupt sind die großen Gotteshäuser im Vergleich zu vielen Deutschen in einem beneidenswerten äußeren Zustand, soll heißen, sie sehen aus wie gerade eingeweiht.

Ja und ein Stück auf der imposanten römischen Stadtmauer zu gehen, das gehört natürlich auch zum Programm eines Lugo – Besuchers.

Fressmeile au der Plaza Mayor
Fressmeile au der Plaza Mayor

Abends dann das gleiche Spielchen. Zusammen mit Jürgen und Philine suchten wir nach einem Restaurant, in dem man gut speisen konnte. Jürgen hatte da genaue Vorstellungen und fragte sich mit seinem guten Spanisch durch. Endlich hatten wir das angepriesene Etablissement gefunden und standen vor verschlossenen Türen. Na wenigstens hatten wir so noch einen weiteren Stadtteil kennen gelernt. Ohne weiteres Federlesen steuerte ich aber nun auf die Plaza de Mayor zu. Hier gibt es das größte Angebot, wenn sicher auch nicht das preiswerteste. Denkste, das Essen war sein Geld durchaus wert. Wir hatten aber auch keine Zeit mehr wählerisch zu sein. Bekanntlich schließen die staatlichen Herbergen 22 Uhr. Das ist zwar in ländlichen Gegenden nicht weiter störend aber in großen Städten mehr als hinderlich und meiner Meinung nach lebensfremd. In einem Land, in dem das Leben erst bei Dämmerung so richtig losgeht, wo man nachts noch Kleinkinder auf dem Platz spielen sieht, während die Eltern und Großeltern über die Palza flanieren, will man doch nicht ins Bett! Was einem einzig übrig bleibt, um diese antiquierten Vorschriften zu umgehen, ist eine Privatunterkunft zu nehmen, was aber gerade in den großen Städten sich oft als schwierig erweist, weil das Angebot erschöpft ist und weil die Preise natürlich höher sind.

Nächtliches Lugo
Nächtliches Lugo

Pünktlich standen wir also wieder vor der Herberge, verabschiedeten uns von Jürgen, der es wieder vorzog in einem Hotel zu übernachten, welches nach seinen Aussagen aber nicht an den Hygiene- und Ausstattungsstandard der Herberge in Lugo heran reichte. Wir verabredeten uns zum Frühstück vor der Herberge. „Essen werde ich in dem Schuppen nichts“ sagte er in schönstem Schwäbisch und wir lachten, bevor wir in der Herberge verschwanden. Es wird sich schon eine offene Bar finden lassen morgen Früh.

Bettfertig holte mich Jörg dann noch mal auf die Terrasse. Dort hatte sich eine bunt gemischte Truppe versammelt und jeder hatte einen Plastikbecher in der Hand. Einer der Spanier verteilte großzügig Kostproben aus einer Flasche mit Kaffeelikör. Torte gab es auch. Es wurde noch ein lustiger Abend. Solche Abende sind ein Hauptgrund, weshalb ich Herbergen vorziehe. In einer Pension erlebt man sowas nicht.

12. Tag Lugo – Ponte Ferreira

Man kann es drehen wie man will, einen Dreißiger hat man auf der Süd – Route von Lugo nach Melide in jedem Fall. Entweder man übernachtet in San Roman und geht heute nur 20 Kilometer oder man geht die dreißig bis Ponte Ferreira. Da ich schon viel Gutes von der neuen privaten Herberge in Ponte Ferreira gehört hatte und wir Jana die 30 Kilometer von San Roman bis Melide übermorgen nicht zumuten wollten, entschlossen wir uns heute, nach Ponte Ferreira zu gehen, so wie es mein Etappenplan auch vorsah. Die meisten der Pilger, die in Lugo übernachteten, wählten übrigens die Süd – Variante, sollen doch auf der Nord – Route zum Camino del Norte systematisch die Wegzeichen entfernt worden sein. Bestätigen konnte mir das niemand. Solche Aktionen sind bei Alternativrouten meist wirtschaftlich motiviert. Man will ja niemandem was unterstellen aber auf so einem wenig begangenen Weg wie dem Camino Primitivo, ist es in manchen Zeiten sicher schwierig, kostendeckend zu arbeiten. Die staatlichen Herbergen sind eh ein Zuschuss – Geschäft für die Kommunen. Da kann man sich schon vorstellen, dass da so manche nicht ganz saubere Aktion gestartet wird, um sein Geschäft in Schwung zu halten. Es gibt auf der Süd – Route in San Roman und in Ponte Ferreira neue private Herbergen und in Merlán / As Seixas ein neues großes Anwesen am Weg, auf dem noch mächtig gewerkelt wird und in dem sich bereits eine Bar befindet. Möglich, dass hier zukünftig auch Betten angeboten werden. Da wird die Konkurrenz langsam zu groß für die relativ wenigen Pilger.

Doch zurück zum Weg:

Aufbruch in Lugo zur nächsten Etappe
Aufbruch in Lugo zur nächsten Etappe

Wir durchstreiften noch in der Dunkelheit Lugo und verließen die Stadt über eine der Brücken über den Rio Miño. Während des Aufstieges aus dem Flusstal ging hinter uns die Sonne blutrot auf. Wir durchstreiften anschließend die ländlichen Außenbezirke von Lugo, die ich hier mal als „Speckgürtel“ bezeichnen will. Denn alles was genügend Geld hat und nicht in der belebten und hektischen Stadt wohnen will, hat sich hier ein Domizil geleistet. Und was da für kleine Paläste stehen!

Natursessel in einer Bar in Burgo
Natursessel in einer Bar in Burgo

In Burgo, etwa 200 Meter rechts vom Weg fanden wir dann eine Bar, in der wir uns stärken konnten.

Bemerkenswert waren hier die Möbel auf der Terrasse. Die Stühle waren aus ganzen Baumstämmen gesägt und waren so alt, dass sie schon Moos angesetzt hatten und der Efeu sich an ihnen empor rankte – tauglich für ein „Herr der Ringe“ Filmrequisit. Weiter ging es dann fast ausschließlich auf schmalen unbelebten Asphaltstraßen. In San Roman sollte man sich noch einmal in der am Weg gelegenen Bar stärken, bevor man den letzten Aufstieg des Tages hinter sich bringt.

Nach diesem geht es erst steil, dann leicht bergab bis man Ferreira erreicht. Hier wird man unvermittelt nach links geleitet und macht einen Umweg von etwa einen Kilometer, um sich das berühmteste Bauwerk von Ponte Ferreira anzusehen, die Ponte Romanum, eine völlig unspektakuläre Brücke aus der Römerzeit, die ich gar nicht wahrgenommen hätte, wenn es nicht im Pilgerführer stehen würde.

Wer also schon etwas erschöpft ist, kann hier auch auf der Straße bleiben, auf die man eh wieder trifft, wenn man seinen kleinen Abstecher beendet hat. An diesem Abstecher liegt auch die hiesige Pension, die laut Jürgens Aussage einen sehr guten Eindruck auf ihn gemacht hat.

Ponte Ferreira historische römische Brücke
Ponte Ferreira historische römische Brücke

Wir waren aber auch sehr erfreut über den Anblick der nagelneuen Herberge „O Carballal“ und die freundliche Begrüßung des jungen Betreiberpaares. In einem alten Bauernhaus haben sie hier etwas geschaffen, wo man sich auf Anhieb wohl fühlt. In die rustikale Struktur des Hauses wurden gekonnt die notwendigen funktionellen Elemente integriert. So schauen riesige knorrige Deckenbalken aus den Zimmerdecken oder es sind einzelne Natursteinwände als Blickfang ohne Putz belassen worden. Alles ist dazu noch liebevoll eingerichtet und dekoriert. So hängen im Speiseraum, der früher sicher der Speicher war, alte bäuerliche Handwerksgeräte an den unverputzten Wänden. Oben drüber thront ein Dachstuhl, der mit viel handwerklichem Geschick aus unbearbeiteten, gewachsenen Holzstämmen gezimmert wurde. Es wäre schade gewesen, wenn der durch eine langweilige abgehängte Decke verschwinden würde.

Neue private Herberge in Ponte Ferreira
Neue private Herberge in Ponte Ferreira

Draußen gibt es neben einem restaurierten Horreo auch einen alten Bauernwagen auf dem sauber betonierten Platz. Seine strapazierten Füße kann man in einem künstlich angelegten stufenförmigen Bachlauf entlang der Außenmauer, in eiskaltem Wasser kühlen, wovon auch reger Gebrauch gemacht wurde.

Gemeinsames Abendessen
Gemeinsames Abendessen

Abends wurde dann ein Pilgermenü gereicht, nachdem von einem spanischen Pilger noch etwas Gitarrenmusik dargeboten wurde. Der Hospitalero fragte einfach in die Runde, ob denn jemand Gitarre spielen könnte. Und schon holte er eine aus dem Haus, als sich ein junger Spanier meldete. Das Essen war ebenfalls vorzüglich und nach diesem gelungenen und runden Tagesabschluss gingen alle froh gelaunt ins Bett. Dabei beschäftigte sicher viele der Gedanke, dass eine solche Atmosphäre ab morgen nicht mehr so leicht reproduzierbar ist. Denn wir treffen morgen in Melide auf den Camino Frances und damit auf die gen Santiago ziehenden Pilgerscharen.

Aber es sollte doch nicht ganz so schlimm werden, wie befürchtet.

13. Tag Ponte Ferreira – Melide

Das Aufstehen und die Vorbereitung auf den Weg verliefen diesmal recht entspannt, da wir uns einig waren, dass der erste, der das Bett verlässt, das Licht einschaltet. Es ist ein Blödsinn in meinen Augen, dass man mit seiner Kopflampe rum funzelt, seine 7 Sachen zusammenrafft, obwohl alle Anderen schon längst wach im Bett liegen und sich amüsieren, wie man sich zum zweiten Mal den großen Zeh anstößt. Bisher bin ich immer auf Zustimmung gestoßen, wenn ich dann endlich aus dem Bett gesprungen bin und den Lichtschalter betätigt habe. Machen wir uns doch nichts vor, wach sind doch eh schon fast alle und die, die es noch nicht sind, werden weniger durch das Licht sondern durch die langwierige Rumfunzelei mit Taschen- und Kopflampen gestört.
Heute also nicht! Auch die ausreichende Anzahl von Toiletten in beiden Etagen hat die Situation sichtlich entspannt.

Die letzte Etappe vor dem Camino Frances
Die letzte Etappe vor dem Camino Frances

Ich fand es auch toll, wie umsichtig die Betreiber waren. Wir hatten aus Versehen unsere Teleskopstöcke vorn im Küchen- und Barbereich vergessen. Dieser ist aber morgens zugeschlossen. Unsere Stöcke hatten sie aber dankenswerter Weise nach draußen gestellt.

Frühstück gab es nur aus dem Automaten und bestand aus einer Packung Kekse und einem Kaffee. Auch eine Küche, um sich seinen Kaffee selbst zu brühen sucht man leider vergebens, dies nur als kleine Kritik am Rande.

Müder Hund am Wegesrand
Müder Hund am Wegesrand

Der erste Streckenabschnitt bis Merlán / As Seixas war wiederum eine kleine Asphaltstraße, auf der nur sehr selten Autos kamen. An der schon erwähnten neuen Bar linker Hand wurde schon sauber gemacht und wir nahmen an, dass sie nach dem ersten Pilgeransturm erst mal schließen, was unsererseits ein Irrtum war, denn sie machten gerade erst auf, wie wir später erfuhren. Das wäre eine gute Möglichkeit gewesen ein ordentliches Frühstück zu machen.

Jörg und ich gingen aber vorbei, weil wir die auf eine Tafel gekritzelten Öffnungszeiten falsch deuten. Es geht steil aufwärts auf einen Bergrücken mit Felsformationen, die man als Orientierungspunkt schon weithin ausmachen kann. Fast oben bemerken wir, dass Andrea und Jana nicht nachkommen. Na gut, es war auch ziemlich steil und vielleicht waren wir wirklich zu schnell. Die Wartezeit verkürzten wir, in dem wie die Brombeerhecken plünderten. Quietsch vergnügt kamen sie nach über einer halben Stunde nach. Sie hatten die Öffnungszeiten richtig gedeutet.

Vorteile hat eben der, der richtig lesen kann. So bestand unser heutiges Frühstück nur aus Keksen und Brombeeren.

Bergrücken hinter As Seixas
Bergrücken hinter As Seixas

Der Weg auf dem Kamm des Bergrückens mit den Felsformationen war von blühendem Ginster und Heide gesäumt. Man sah auch Spuren eines Brandes. Die Reste größerer Büsche und Bäume standen verkohlt zwischen der blühenden Umgebung. Etwas bizarr war der Anblick. Nach dem Abstieg von dieser Erhebung ging es aber nach einem kleinen Dorf, sofort wieder nach oben. Entlang einer riesigen Neupflanzung von Nadelbäumen gingen wir bis zu einem mit vielen Windrädern gespickten Bergrücken.

In der Ferne - Melide
In der Ferne – Melide

Von hier an geht es bis nach Melide fast ausschließlich bergab. Schon in der Ferne sah man im Sonnenschein die Stadt, an die ich mich von meinem Camino Frances im vorigen Jahr kaum erinnern konnte. Ich wusste nur noch, dass es ab hier nur noch 50 Kilometer waren bis Santiago. Allem Anschein nach war ich schon hier nur noch aufs Ankommen geeicht. Oder lag es daran, dass ich mit einem Magen- Darm Infekt an nichts anderes denken konnte?

Na egal, dieses Mal habe ich mehr Zeit mir die Stadt anzusehen.

Piknick vor Melide
Piknick vor Melide

Irgendwann ging es dann auch wieder runter von der nun etwas ermüdenden Asphaltstraße und wir schlenderten durch einige Dörfer. An einem Abzweig breitete ich meine Isomatte aus und wir fanden doch noch etwas Essbares im Rucksack. Der Weg nach Melide war nun nicht mehr lang und wir lagen gut in der Zeit, waren uns auch sicher, dass wir bei der Vielzahl von Betten auch je eins abbekommen werden.

Der Weg zur Herberge war schnell gefunden. Vorher fotografierte ich noch den letzten Monolithen des Camino Primitivo.

Wir kamen unter in der privaten Herberge „O Apalpador“ gleich neben der großen staatlichen Herberge von Melide. Mit 12€ war diese Herberge definitiv überbezahlt. Wer auf die Idee kam, in eine Herberge eine Stahltreppe einzubauen, den sollte man damit bestrafen, neben dieser denn Rest seines Lebens zu schlafen. Das Ding machte einen Höllen Lärm, wenn man nur in seine Nähe kam. Besonders sauber war es auch nicht. Na wenigstens wegwerf – Laken gab es.

Unser Fazit nach einer kurzen Stadtbesichtigung: Viel hatten wir im Vorjahr nicht verpasst. An einige Straßenzüge konnte ich mich dann noch erinnern. Und da war es, was ich schon zuvor befürchtete, man begann zu vergleichen. Das schreckt mich etwas davon ab, den Frances noch einmal zu gehen.

Vielleicht später, wenn ich dann ganz verkalkt bin…

Es schmeckt besser als es aussieht - Pulpo
Es schmeckt besser als es aussieht – Pulpo

Natürlich trafen wir in der Stadt auf Jürgen und später auf Philine und wir verabredeten uns nach einem längeren Plausch in einer Bar an dem wohl meist befahrenen Kreisverkehr der Stadt zum Pulpo essen. Ganz wohl war mir dabei nicht. Ich hatte die Dinger schon in Santiago im Schaufenster liegen sehen und etwas ekelig sah das schon aus. Ich hatte mir aber fest vorgenommen, diesmal zu probieren. „Das gehört dazu!“ sagte Jürgen. Und „hier bekommst Du sie noch zu normalen Preisen“.

Die kultigste Möglichkeit Pulpo zu essen, ist wohl die volkstümliche Pulperia Ezequiel in der Avenida de Lugo. Hauptgericht ist neben Caldo Galego, der galicischen Gemüsesuppe, Pulpo a feira zusammen mit Weißbrot und Weißwein das Hauptgericht. Der Krake wird in heißem Wasser gegart, im richtigen Augenblick herausgenommen (sonst wird es Gummi), mit einer Schere in Stücke geschnitten, mit Olivenöl übergossen, einer Paprika Würzmischung überstreut und auf einem runden Holzbrett mit Spießen serviert.

Soweit die Theorie….

In der Praxis wollte ich wegen des sehr strengen Fischgeruches den riesigen Raum sofort wieder verlassen. Jürgen hatte sich aber so ins Zeug gelegt für diesen Pulpo, dass die Neugier dann doch siegte. Man, die müssen hier mit ganzen Fußballmannschaften rechnen, so viele Tische gibt es hier. Zunächst ist nur eine Reihe locker besetzt und ich sehe schon diesen entsetzlichen Anblick der zerschnippelten Fangarme auf dem Nachbartisch. „Wir bestellen erst mal zwei Portionen und jeder kann es probieren, ob es ihm schmeckt.“

Der Vorschlag von Jürgen war erst mal gut, nur dass die bestellten Portionen aus Versehen eigentlich für zwei Personen gedacht waren.

Nicht Jedermanns Sache
Nicht Jedermanns Sache

Vergessen was es ist, Augen zu und rein!

Naa? „Schmeckt gar nicht schlecht.“ Antwortete ich auf Jürgens Frage. Und richtig, mit der Würzmischung war das richtig gut und selbst Andrea, die gar nicht für sowas ist, hat zugelangt.

Aber dass ich das öfter brauche, kann ich nicht unbedingt behaupten. Na die Geschmäcker sind eben verschieden.

Wenn der Pulpo noch heiß ist, schmeckt er richtig gut. Nur es war eben zu viel und so kühlten die Stücken schnell ab und dann wurde das Zeug immer mehr in meinem Mund und die Kehle schnürte sich langsam zu. Kurzum mir wurde etwas schlecht, vielleicht durch das wiederkehrende Bewusstsein, was das mal im Urzustand war. Und ein riesiger Topf mit diesen Tieren im Urzustand wurde gerade an mir vorbei getragen. Da hätte ich nicht reinschauen sollen, denn von nun an bekam ich keinen Bissen mehr runter.

Deshalb mein Rat: Bestellt euch kleine Portionen, damit ihr den Pulpo heiß essen könnt, dann kann man ihn fast als Delikatesse bezeichnen und dann ganz wichtig – Schaut nicht in den Topf!

14. Tag Melide – Salceda

Alle Befürchtungen der Stahltreppe wegen hatten sich am frühem Morgen bestätigt.

Die ersten „Nachtpilger“ polterten bereits vor 5 Uhr diese herunter und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Also wälzte ich mich vorsichtig aus dem sehr wackeligen Bett, um Andrea nicht zu wecken. Ab zur Toilette, na wenigstens hatte jede Etage eine eigene. Licht an – NICHTS! Na prima, jetzt gibt´s nicht mal Licht – na vielleicht nach 6 Uhr. Doch auch dann blieb alles dunkel.

Später wurde dann von Jörg das Rätsel gelöst. Unsere Zimmergenossen, die schon vor 22 Uhr schlafen wollten, hatten vergeblich den Lichtschalter gesucht, weil da meine Klamotten am Bett drüber hingen. Also haben sie im Sicherungskasten den Hauptschalter ausgeschalten. Da kann man lange suchen.

Etwas seltsam waren die Kollegen schon, da sie am Morgen ja bemerkt haben mussten, wie wir vergeblich versuchten, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Doch keiner hat sich gerührt.

Als wir dann auch die Treppe herunter polterten, war es 7.15 Uhr und draußen immer noch stockdunkel. Also rein in die nächste Bar zum Frühstück schräg gegenüber der Herberge.

Am Vortag hatten wir bei einem unabsichtlich belauschten Gespräch von einer Pilgerin aus Oberfranken ein neues Fränkisches Wort gelernt: Pilgerrabat (ihr müsst das fränkisch aussprechen, also das „r“ etwas rollen, da klingt es nochmal so schön). Also nutzten wir diesen für das Frühstück und für 3,20€ gab´s Tost, Kaffee und frisch gepressten Orangensaft mit … Pilgerrabat.

11. Etappe, noch 50 Kilometer bis Santiago
11. Etappe, noch 50 Kilometer bis Santiago

Dann ging es endlich los, immer noch im Finstern. Erst ein ganzes Stück hinter Melide begann es zu dämmern. Die Fotos an der schönen aus großen Steinen gelegten Brücke sind also recht dunkel geworden. Vor mir quälte sich mit ganz kleinen Schritten eine etwas ältere, ziemlich übergewichtige Finnin über die Steine. Sie war uns schon am Vortag aufgefallen, weil sie allem Anschein nach massive Probleme mit ihren Füßen hatte und ziemlich „unrund“ lief. Man was muss die für einen starken Willen haben, dieses Unternehmen zu Ende führen zu wollen. Und ich erinnerte mich wieder an das Vorjahr, als ich auch mit ganz kleinen Schritten über diese Brücke ging und Andrea eins der wenigen Fotos an diesem Tag schoss. Ich hatte andere Probleme an diesem Tag als zu fotografieren. Und die kleinen Schritte machte ich nicht wegen meiner Füße, sondern wegen eines Magen/Darm Infektes. Nee, mir war nicht zum Lachen.

Ganz anders auf dem diesjährigen Camino, die schweren Etappen hatten wir hinter uns und ich hatte noch nicht mal eine Blase an den Füßen. Jana hatte sich durch ihren Ruhetag auch wieder etwas erholt und war wieder diese Frohnatur, die auch lacht, wenn es weh tut. Andrea hatte immer noch mit ihrem Rücken zu tun und versuchte tapfer nicht allzu offensichtlich zu humpeln und bei Jörg bahnte sich eine Erkältung an. So schien ich also der einzige zu sein, dem es rundum gut ging, was mich bei meiner so gut wie völlig ausgebliebenen Vorbereitung auf diesen Weg, doch sehr verwunderte. So bin ich zwar mit meinem Übergewicht recht langsam und schnaufe bei jeder kleinen Steigung wie eine Dampflok aber die Zeiten, bis ich wieder Normal – Puls habe, werden immer kürzer.

Ortseingang Arzua
Ortseingang Arzua

Und so schnaufe ich auf Arzua zu, einer Stadt, die ich auch nicht in bester Erinnerung habe. Besonders schön ist die Strecke in die Stadt hinein nicht, auch nicht durch den wiederum strahlend blauen Himmel. Wir sind seit einigen Tagen in Galicien und immer noch hat es nicht geregnet. – Das muss der Klimawandel sein!

In einem Obstladen an der Hauptstraße versorgten wir uns mit frischen Äpfeln und Pfirsichen, die wir gleich auf der Bank davor vertilgten. Etliche Pilger zogen an uns vorbei, alles welche, die wir noch nie zuvor gesehen hatten. Da macht sich der Unterschied zum Primitivo deutlich bemerkbar, wenn ich auch mit noch mehr Pilgern gerechnet hatte. Es ging recht geruhsam, manchmal sogar einsam zu auf dem Frances – seltsam.

Gefährlicher Zebrastreifen (ich bin im vorigen Jahr ausgerutscht)
Gefährlicher Zebrastreifen (ich bin im vorigen Jahr ausgerutscht)

Und dann die Stelle, weswegen ich Arzua in keiner guten Erinnerung habe, ein hinterlistiger Zebrastreifen. 750 Kilometer hatte ich bis hier hin im vorigen Jahr ohne größeren Schaden (sieht man mal von den paar Fußblasen ab) zurück gelegt und dann kam er, der glitschige, nasse, weiße Streifen und brachte mich zu fall. Ich landete sehr schmerzhaft auf dem linken Knie. Das muss lustig ausgesehen haben. Das hätte es aber auch gewesen sein können, so kurz vorm Ziel. Aber nach vorübergehendem „Aua“ ging es weiter, mit dem bereits bekannten Happyend.

Auf dieses hofften wir heute auch, denn wir hatten als Ziel nicht wie zuerst geplant Pedrouzo, sondern die neue kleine private Herberge in Salceda. So umschifften wir die für Jana psychologisch so schwierige Hemmschwelle der 30 Kilometer. Später erfuhren wir, dass es in Pedrouzo durch vorübergehende Schließung einer Herberge zu Problemen mit den Unterkünften gekommen war. „Alles fügt sich“, „Es gibt für jedes Problem eine Lösung und manchmal kommt sie von allein“, lauter solche Sprüche fielen mir dazu ein. Alle hatte ich sie schon auf den Caminos gehört. Aber noch kam ich nicht raus aus meiner Haut und bat Jürgen schon in Melide doch mal in Salceda in der Herberge anzurufen und uns vier Betten zu bestellen. Was er mit Bravour mittels seiner Spanisch – Kenntnisse erledigte. Am Nachmittag des heutigen Tages sollte sich zeigen, wie sinnvoll dieses Telefonat war. Im Vorjahr sind wir fast völlig ohne Vorbestellung durchgekommen und hatten überall in der ersten angesteuerten Herberge ein Bett. Aber diesmal fühlte ich mich irgendwie verantwortlich, weil ich doch den Etappenplan vorgeschlagen hatte. Ich weiß ja, dass das Quatsch ist. Aber das ist halt drin.

Hohlweg hinter Arzua
Hohlweg hinter Arzua

Immer mehr Eukalyptuswälder säumten den Weg. Wenn man nicht genau wüsste, welch ökologischen Schaden diese Gewächse in der hiesigen Fauna anrichten, könnte man sich an der Exotik und der beeindruckenden Größe der Bäume erfreuen. Auch der Geruch ist interessant, weil eben anders.

In Castaneda, nach einem kleinen Anstieg wieder eine Pause in der Herberge, in der wir 2011 übernachtet hatten. In der darunter befindlichen Bar hatte man mir damals wegen meiner Magenbeschwerden Schonkost dargeboten, das erste, das ich an diesem Tag drin behielt.

Dann auf dem weiteren Weg eine Schrecksekunde, ein offenbar Geistesgestörter kam mit einer Höllen Geschwindigkeit in einer riesigen Erntemaschine mit Schneidwerk an der Vorderseite auf einem Hohlweg auf uns zu. Jörg und ich hatten Glück, weil wir uns gerade an einer kleinen Ausbuchtung befanden und so rechtzeitig zur Seite springen konnten. Andrea und Jana waren etwa 20 Meter hinter uns und konnten nur noch in eine Brombeerhecke springen. Entsetzt schauten wir der Maschine hinterher und sahen, dass es nur um Zentimeter ging, sonst wäre der Fuß von Andrea überfahren worden. So ein Idiot, schrieen wir hinterher. Er war wahrscheinlich frustriert, weil er auf dem engen Weg mit seiner Maschine wegen der vielen Pilger nicht voran kam. Aber deshalb Menschenleben riskieren? Dahinter kam noch ein Traktor, der aber rücksichtsvoll und langsam fuhr. Nur etwa 100 Meter weiter – ein frisch abgeerntetes Maisfeld. Die Hemmschwelle des rücksichtslosen „Idioten“ schien also nicht sehr hoch zu sein und ich hoffe, dass ihn irgendjemand mal einem Psychiater vorstellt.

Pilgerraststätte Made in Südtirol
Pilgerraststätte Made in Südtirol

Auf den Schreck einen Kaffee, denn etwas weiter fanden wir einen Hof, an dessen dem Weg zugewandte Seite ein Regal stand, in dem sich neben Wasserflaschen, Obst und Kaffeekannen auch eine Kasse des Vertrauens befand. Im Garten waren Bänke und ein Pavillon aufgebaut.

Diese Einladung konnten wir einfach nicht abschlagen und so füllten wir die bereit gestellten Becher und setzten uns in den Garten, nachdem es in der Kasse geklappert hatte. Andrea musste eigentlich mal auf die Toilette, am Haus stand aber ein Schild „Privado“ und sie traute sich nicht hinein, obwohl die Türe offen stand. „Leute, die solch einen Stand aufbauen, haben bestimmt nichts gegen Pilger in Not“, meinte ich zu ihr.

Aber ich musste sie nicht weiter beruhigen, denn eine Mittvierzigerin trat aus dem Haus und meinte, dass sie doch deutsche Stimmen zu hören glaubte. Sie befragte uns nach unserer Herkunft und wo wir losgelaufen sind. Die Südtirolerin erzählte uns dann ihre packende Geschichte, wie sie hier her gekommen ist, was ihre Motive waren und welche Probleme sie bei der Verwirklichung ihres Traumes hatte. Sie hatte sich in diesen Camino verliebt und wollte an ihm irgendwann Leben. Nach langen Wirren und viel Bürokratie bekam sie dieses große Grundstück nebst Haus und war dabei, den Garten zu kultivieren und eine Alpacca – Zucht aufzubauen. Dann verfinsterte sich ihre Mine und sie verwies auf die Veränderungen am Weg.

Etwa 300 Meter hinter ihrem Grundstück wurde eine neue Autobahn gebaut, eine Autobahn die niemand braucht. Aber EU Fördergelder machen es möglich. So lange noch Mittel aus Brüssel und Madrid fließen, hat die Bau – Mafia das Sagen und kümmert sich eine Dreck um die Anwohner.

Sie klang sehr verbittert und sah ihren Lebenstraum platzen. Ständig diese Sprengungen und der Baulärm, in dem Bewusstsein, dass diese Autobahn eigentlich überflüssig ist, das zermürbt. Uns ist ja auch bereits aufgefallen, dass die Autobahnen, über die wir bis jetzt gelaufen sind, den Eindruck eines autofreien Sonntags machten und die Landstraßen auch recht leer sind. Einen Stau hatten wir noch nie bemerkt.

Und so wuchsen unser Verständnis und unser Mitgefühl mit den Schilderungen dieser starken Frau, die bei allen Sorgen sich auch noch um die Pilger kümmerte. Natürlich konnte Andrea ins Haus…

Autobahnbaustelle bei Calzada
Autobahnbaustelle bei Calceda

Im Weitergehen überquerten wir die riesige Autobahnbaustelle. Na wenigstens wird die Fahrbahn hier etwa 20 Meter abgesenkt, da wird der Lärm (so denn welcher entsteht) wenigstens nicht so groß.

Wenig später erreichten wir Salceda. Die Herberge liegt etwa einen Kilometer Abseits vom Weg.

Schon von Weitem erkennt man, dass diese Herberge was Besonderes ist. Da hier auch eine Pension betrieben wird, haben die Betreiber eine sehr schöne Außenanlage mit Springbrunnen, Fischteichen, einer Bar und einem großen, unter gewölbten Zeltdächern untergebrachten Restaurantbereich geschaffen.

Alles sieht sehr gepflegt aus und die Pilger, die in den 12 Betten unter kommen, haben dieses Ambiente gratis. Hier zahlte es sich aus, dass wir bestellt hatten, denn ein paar junge Leute, die vor uns da waren, mussten auf Matratzen in einem Nebenraum, den ich mir aber nicht näher angesehen habe. Es gibt zwei nach Geschlechtern getrennte Sanitärbereiche mit je einer Toilette und einer Dusche.

Auch hier kannte man die Hand eines Designers vermuten. Denn statt der sonst üblichen Kacheln, waren hier schwarze Natursteine an den Wänden und die Duschkabinen waren aus Echtglass. Das Licht kam großflächig von einer der Wände, die mit Milchglas verblendet war. Alles sehr sehr schön und man fühlte sich sofort wohl.

Jörg und Hartmut aus Greifswald
Jörg und Hartmut aus Greifswald

An der Bar sitzend kam ein Pilger mit grauem Rauschebart auf uns zu und rief schon von Weitem:“Ah, ich höre deutsche Stimmen!“ Es war Hartmut aus Greifswald, der am 1. Juni Rentner geworden ist und genau da in Greifswald losgelaufen ist und nun hier war.

Wahnsinn!!

Wir waren schrecklich interessiert an seiner Geschichte. Er hatte nach den ersten 1000 Kilometern bereits 20 Kilogramm von seinen 115 abgenommen. Er spricht kein Wort Französisch oder Spanisch und gibt sich auch keine Mühe damit, ist aber trotzdem bis hier her gekommen. Die lange Zeit in Frankreich war sehr einsam und teuer, denn in Frankreich hat er kaum Herbergen gefunden. Er erzählte uns von seiner Arbeit beim Jugendherbersverband vor und nach der Wende und der Überzeugungsarbeit bei Puschelchen. Puschelchen, das ist seine Frau und die musste recht lange „bearbeitet“ werden, bis sie seinem Vorhaben zustimmte.

Gespannt lauschten wir seinen Erzählungen und die Zeit bis zum Abendessen verging wie im Fluge.

Doch noch mal zur Herberge:

Der Betreiber versuchte den leichten und lockeren Eindruck noch dadurch zu verstärken, dass er bisher zu keiner Zeit auf die Bezahlung oder die Vorlage des Pilgerausweises drang. Jedes Getränk, das bestellt wurde oder die Waschmaschine, die wir benutzten, immer sagte er: „Das machen wir später.“ Und hier zeigte sich die Unerfahrenheit, denn Absicht möchte ich auf keinen Fall unterstellen. Die Abschlussrechnung wurde uns (wir waren mit Jürgen zusammen fünf) auf einem Bon dargeboten und wir mussten sehen, wie wir das auseinander klamüsern. Da wir einige Getränke auch sofort an der Bar bezahlt hatten, diese aber nun doch wieder auf der Rechnung auftauchten, meldeten wir leisen Protest an, dem zwar sofort ohne Diskussion statt gegeben wurde aber irgendwie ein ungutes Gefühl hinterließ.

Schöne private Herberge in Salceda
Schöne private Herberge in Salceda

Ein Tipp also von mir: Wenn ihr hier mal einkehren solltet und dazu kann ich trotzdem nur raten, bezahlt sofort nach Ankunft die Unterkunft und an der Bar sofort die Getränke, um spätere Komplikationen zu vermeiden. Auch wenn die Leute abwiegeln, lohnt es sich beharrlich zu bleiben. Vielleicht ändert die dortige Mannschaft auch irgendwann dieses etwas eigenartige Geschäftsgebaren.

Denn ein Gefühl kam am Ende bei jedem von uns hoch, das den positiven Gesamteindruck unnötig ab mindert, ein Gefühl, dass ich bisher am Camino nie gehabt habe. Das Gefühl abgezockt worden zu sein.

Wenn ich auch keine Absicht unterstellen möchte, das unangenehme Gefühl bleibt.

15. Tag Salceda – Monte do Gozo

Trotzdem verbrachten wir eine ruhige und erholsame Nacht. Am Morgen gab es dann noch für 3 € ein Frühstück mit Kaffee, Tost und Saft.

Bei Sonnenaufgang wanderten wir los. Dieses Mal blieb Jürgen bei uns, ging also etwas langsamer. Philine hatten wir seit gestern nicht mehr gesehen. Sie hat noch viel Zeit für ihren Weg und ist hinter Melide schon in Ribadiso abgestiegen. Am 21. Haben wir uns aber um 19 Uhr vor dem Westportal der Kathedrale in Santiago verabredet. Sicher werden wir uns eher treffen in der Stadt, so unserer aller Meinung.

Rieseneukalyptus unter blauem Himmel
Rieseneukalyptus unter blauem Himmel

Auf dem Weg begleitete uns erneut der strahlend blaue Himmel Galiciens und so konnten wir Dörfer und Gegenden sehen, die wir bisher nur unter einem Regenschleier kannten. Macht doch gleich einen ganz anderen Eindruck das Ganze. Im Vorjahr hatte man uns in der Meseta Galicien als wunderschön angepriesen. Was wir aber dann größtenteils sahen, waren nach Kuhfladen stinkende, verschlammte Dörfer und nass triefende Wälder, Weiden und Wege.

Was dieses heutige Wetter doch ausmacht für einen positiven Gesamteindruck!

Gruppenbild vor Santiago
Gruppenbild vor Santiago

Vor Santa Irene ließen wir uns auf der Terrasse einer Bar die Sonne auf den Bauch scheinen, bevor wir an Pedrouzo vorbei den letzten größeren Anstieg vor dem Flughafen Santiago bewältigten. Ein Gruppenfoto mit Selbstauslöser neben dem Steinrelief am Kreisverkehr und schon hatten wir Labavolla erreicht, wo Jürgen uns mit ein paar Bier und Kaffee verabschiedete, bevor er in seinem Hotel verschwand.

Die restlichen Kilometer bis zum Mone do Gozo zogen sich mit Bier im Bauch noch mächtig hin. Jörg wollte auf dem Berg ein Einzelzimmer, um sich mal ruhig auszuschlafen. Seine Erkältung wurde immer schlimmer und er hustete nachts heftig. Ob ihm ein Einzelzimmer da wirklich hilft, mal durch zu schlafen, bezweifelte ich.

Vorbei am immer noch vor sich hin rostenden Denkmal auf dem Berg, gingen wir gleich zur Herberge, vor der ein entsetzlich hässlicher Hund mit raushängender Zunge seine Siesta ausschlief. Alles schien heute hier wie in Zeitlupe abzulaufen. Die Herberge war erst zu einem Viertel gefüllt und es wurden später auch nicht viel mehr Pilger.

Piknik auf dem Monte do Gozo
Piknik auf dem Monte do Gozo

Nach dem Duschen und der Wäsche (wir wollten doch sauber und wohlriechend in Santiago einziehen und der historische Waschplatz in Labacolla erschien uns dann dafür doch ungeeignet zu sein) trafen wir uns mit Jörg, der auch ein nettes Zimmer in einer der Baracken bekommen hatte.

Für den Abend hatten wir uns was Besonderes ausgedacht. Neben dem Hotelkomplex stehen auf einer Anhöhe zwei Bronzepilger. Und dort wollten wir ein Picknick machen und dem Sonnenuntergang über Santiago zusehen. Also gingen Jörg und ich noch mal in den Ort zurück, um Käse, Wurst, Brot, Wein und Bier zu kaufen. Zwei davon tranken wir dann noch vor Ort und anschließend machten wir uns auf den Weg zum Denkmal. Schade, dass sich dort, wo im vorigen Jahr noch die Statuen befanden, diesmal nur ein Baugerüst stand. Nun gut, die Pilgerstatuen waren schon recht mitgenommen und einem fehlte schon der halbe Pilgerstab. Da war eine Restauration an der Zeit.

Sonnenuntergang hinter Santiago
Sonnenuntergang hinter Santiago

Wir setzten uns auf die Wiese und breiteten unser Essen und Trinken aus. Die Sonne spielte auch mit uns zauberte einen herrlichen Sonnenuntergang an der Abendhimmel hinter der Silhouette der Stadt.

In der Cafeteria des Hotelkomplexes gab dann Jörg noch einen aus, weil er im Lotto fast 200€ gewonnen hatte und wir redeten noch eine Weile mit Hartmut aus Greifswald, bevor wir ins Bett gingen.

Die restlichen vier Betten im Zimmer waren nun auch vergeben. Die Herberge erschien mir trotzdem wesentlich leerer als im Vorjahr. Auch da hatten wir auf dem Monte do Gozo übernachtet und waren verwundert über den schlechten Ruf der dieser „Pilgerverwahranstalt“ vorauseilte, konnten diesen aber nicht bestätigen. Wir hatten wie damals auch in diesem Jahr vor, viel Zeit in Santiago zur Verfügung zu haben, auch in Anbetracht des viel schöneren Wetters.

16. Tag Monte do Gozo – Santiago de Compostela

Pustekuchen!!! – war mein erster Gedanke, als ich schon den Rucksack auf dem Rücken aus der Herberge trat.

Und ich traute meinen Augen nicht, denn es regnete in Strömen. Also alles wieder runter und die Regenjacke raus. War wider nichts mit einer Ankunft bei schönem Wetter!

Draußen standen zwei Koreanerinnen in ihren roten Notponchos aus Plastikfolie, die sich nicht so recht trauten loszulaufen. In Englisch fragten sie mich, ob ich jetzt loslaufen will. „Yes“ meinte ich und trottete los. Die beiden folgten mir auf dem Fuße.

Dann war ich vor Jörgs Unterkunft angekommen, der schon auf uns wartete. Ich blieb stehen und auch die beiden Koreanerinnen etwas fassungslos mich anblickend. Ganz in Ruhe streifte ich meinen Rucksack ab, um die Regenjacke gegen den Poncho zu tauschen, denn es regnete doch stärker als zunächst bemerkt. Immer noch fragende Blicke von den Koreanerinnen bemerkend, beruhigte ich sie mit den Worten“ I waiting for my Wife“. Die Minen erhellten sich, so man das in der Dunkelheit sah, denn auch um 8 Uhr schien es heute Morgen nicht richtig hell werden zu wollen.

Jana und Andrea tauchten aus dem Dunkel auf und es ging weiter, die Koreanerinnen immer hinter mir her.

Immer wenn ich stehen blieb, um auf Jana und Andrea zu warten oder zu fotografieren, blieben auch die Koreanerinnen stehen. Ich fragte mich, ob sie das so auf dem gesamten Weg durchgezogen haben? Dann dürfte das ziemlich stressig für den Verfolgten und auch für sie selbst gewesen sein. Dieses Spielchen zogen sie bis zur Kathedrale ab und wurden später nie mehr gesehen.

Da waren wir nun, zwar nur ein Zwischenziel in diesem Jahr aber ein bedeutsames und emotionales.

Der letzte Schritt über den Nullstein
Der letzte Schritt über den Nullstein

Noch ein Schritt über den Nullstein und der Camino Primitivo 2012 war Geschichte. Die geistige Leere, die wir zu diesem Zeitpunkt im vorigen Jahr erlebten, kam dieses Mal nicht auf. Schon deshalb war ich froh, noch weiter bis zum Meer laufen zu können.

Schnell liefen wir dann noch zur Pension, denn auf dem Vertrag stand „Eintreffen bitte bis 9 Uhr“. Wie das normalerweise gehen soll, fragte ich mich schon lange. Aber der Sinn ist mir schon klar. Man will die Pension innerhalb der Hauptankunftszeit der Pilger voll bekommen. Und wenn dann jemand bis zur vertraglich vereinbarten Zeit nicht da ist, kann man das Bett weiter vergeben. Als wir aber ankamen bei Roots& Boots sahen wir, dass das alles nicht so heiß gegessen wird wie gekocht. Wir haben wieder mal typisch deutsch gedacht. Ich muss viel, viel ruhiger werden!! Aber das schrieb ich ja schon.

Ansicht der Kathedrale von Südwesten
Ansicht der Kathedrale von Südwesten

Dann wollten wir zur 9.30 Uhr Messe in die Kathedrale. Das Westportal war verschlossen und so gingen wir zum Nordportal, wo uns aber ein Wachmann abweisen wollte. Aus seinem Redeschwall entnahm ich, dass es nicht gewünscht ist, dass Touristen während der Messe durch die Kathedrale streifen. Aha, haben sie doch was geändert. Im vorigen Jahr war es sehr störend, dass selbst während der Messe Touristengruppen durch die Kathedrale geführt wurden. Aber sehen wir aus wie Touristen? Nun gut, wie hatten unsere Rucksäcke bereits zur Herberge gebracht. Wir hatten bereits von zu Hause aus zwei Doppelzimmer bei „Roots & Boots“ gebucht. Aber unser Outfit unterschied uns trotzdem noch sehr von den üblichen Touristen, die nicht zu Fuß die Stadt erreicht hatten. Und so machten wir ihm klar, dass wir zur Messe wollen. Bereitwillig gab er nun den Eingang frei und ohne Umwege suchten wir uns einen Platz im Hauptschiff der Kathedrale.

Diese war sehr spärlich gefüllt, ganz anders als im Vorjahr. Wie immer verstand ich nichts von dem, was da vorn gesagt wurde und so hatte ich die Zeit und die Muße, mir diese Kathedrale in aller Ruhe anzusehen. Man entdeckt noch so vieles, wenn man sich die Zeit dafür nimmt und nicht von Touristengruppen „durch geschubst“ wird. Ich hatte mal keinen Fotoapparat am Auge und war nicht auf der Suche nach Motiven. Ich ließ einfach den Raum auf mich wirken und es stellte sich eine tiefe innere Ruhe und Zufriedenheit ein. War das die Ruhe, die ich suchte?

Nach der Messe folgte dann noch die obligatorische Umarmung des „Jakobus“ und der Gang durch die Gruft.

Diese Ruhe war sofort nach Verlassen der Messe wieder vorbei. Wenn man 14 Tage seine Zeit fast ausschließlich in der Natur verbracht hat, geht einen diese Stadt gehörig auf den Zeiger. So geht das mir jedenfalls und das nicht zum ersten Mal. Vielen mit denen ich sprach ging es ebenso. Und viele sehen auch deshalb das Erreichen des Atlantiks als eigentlichen Abschluss ihrer Pilgerreise. Ich bin gespannt auf die Eindrücke und Gedanken, die mich ergreifen, wenn ich das Cap erreiche.

Im Pilgerbüro
Im Pilgerbüro

Zweimal abbiegen und schon standen wir in der Schlange vor dem Pilgerbüro. hier hielt sich glücklicherweise das Gedränge in Grenzen. Nach nur 15 Minuten hatten wir stolz unsere Compostela in den Händen. Und ein Wartender hielt dies dann auch mit meinem Fotoapparat fest. Noch schnell eine Papprolle besorgt, um das Dokument sicher zu verpacken und schon waren wir wieder draußen.

Um nicht vor jedem Souvenirladen aufeinander warten zu müssen, beschlossen wir, uns zu trennen.

Eigentlich hatten wir eh vor, nichts zu kaufen, da wir ja noch weiter nach Finisterra wollten. Aber die Verlockung einfach mal rein zu gucken ist zu groß. Also ging ich mit Andrea allein weiter durch die Gassen. Und da saß Hartmut mit einer Gruppe junger Pilger und der rief uns zu sich, an den Tisch eines Straßenkaffees. Eine kleine Unterhaltung, der Austausch von Erfahrungen und schon trennte man sich wieder. So geht das immer. Tiefgründige Gespräche hat man erst, wenn man sich länger kennt.

So verbrachten wir den Vormittag bis zum Beginn der Pilgermesse. Zu dieser hatten wir uns am Südportal der Kathedrale verabredet. Zusammen gingen wir in die diesmal überfüllte Kathedrale und fanden nur noch einen Stehplatz. Dieser hatte aber wenigstens eine gute Sicht auf das Geschehen. Natürlich stand Philine wie aus dem Nichts plötzlich neben uns und wir schauten gemeinsam zu, wie eine Nonne zusammen mit den Anwesenden, die den Text kannten oder verstanden, den Gesang übte, welcher später während der Messe mit der Orgelbegleitung angestimmt werden sollte. Das erschien mir etwas befremdlich und ich musste in mich hinein grinsen, denn sowas kannte ich bisher nur von Fernsehaufnahmen im Studio von sogenannten „Warmmachern“.

Die Messe lief auch etwas volkstümlicher ab, als die am frühen Vormittag. Ich muss dazu sagen, dass ich in derlei religiösen Dingen keinerlei Erfahrung oder Vorbildung habe. Für mich war das im vorigen Jahr alles sehr neu und interessant. Mit den Standard – Ritualen bin ich aber inzwischen vertraut.

Pilgermesse mit schwenken des Botafumeiro
Pilgermesse mit schwenken des Botafumeiro

So eine Pilgermesse ist aber eben was anderes. Obwohl ich wieder kein Wort verstand, war die Predigt, die in der Aufzählung der Pilger bzw. ihrer Nationalitäten und der Startorte der verschiedenen Wege gipfelte, sehr unterhaltend.

Als Höhepunkt wurde wie auch im letzten Jahr der Botafumeiro geschwenkt. Wer bis hierher nicht von der Szenerie berührt war, der ist es spätestens jetzt. Die Nonne sang in den schönsten Tönen und der Organist ging in die Vollen und zog alle Register seines Instrumentes. Der Weihrauchkessel zieht angetrieben vor der Kraft und Technik der Bruderschaft schwungvoll seine Bahn durch das Querschiff der Kirche, die bald völlig erfüllt ist vom Geruch des Weihrauch.

Nach dem Schlussakkord war ich schon wieder wie im vorigen Jahr kurz davor, Applaus zu spenden. Ich konnte mich aber gerade noch so zurück halten, da ich nicht weiß, ob das der Etikette entspricht.

Was für ein schöner Abschluss einer Pilgerreise! Das versöhnte mich etwas mit dieser trubeligen Stadt.

Beeindruckt verließen wir die Kirche, um uns wiederum ins Gewimmel zu stürzen. Bis zur Verabredung um 19 Uhr am Westportal mit Jürgen und Philine versuchten wir die Zeit mit Mittagessen und Besichtigungstouren zu verbringen. Santiago ist teuer und da geht das Geld schneller durch die Finger, als auf dem bisherigen Weg. Man muss also seine Taschen ganz schön zu halten, um den vielen Verlockungen nicht zu erliegen. Zum Glück verging die Zeit hier wie im Flug, weil es viel zu sehen gibt.

Was mir im Vergleich zum Vorjahr aber auffiel war ein Unterschied, der schon bemerkenswert ist. Man lernt auf dem Frances viel mehr Leute kennen und hat beim Durchstreifen der Stadt immer wieder die große Freude, sie in Santiago wieder zu treffen. Wenn man den Primitivo gegangen ist, hat man eher das Gefühl, einer kleinen Familie anzugehören. Denn man trifft immer wieder die gleichen wenigen Leute und die Beziehungen werden viel tiefer, so man das will oder man das Glück hat auf Menschen zu treffen, die einem sympathisch sind und mit denen man sich einigermaßen verständigen kann. Das sollte man bei der Auswahl des richtigen Weges für sich entscheiden, ob man eher die Einsamkeit mag oder gerne viele interessante Menschen kennen lernen möchte. Beides hatte für mich seinen Reiz. Beide Wege sind aber in ihrer Gesamtheit kulturell, sozial, spirituell und wegen ihrer Natur kaum vergleichbar.

Über solche und ähnliche Dinge tauscht man sich auch aus. Und fast jeder empfindet das Gleiche, der beide Wege gegangen ist.
Morgen nun begann für mich wieder Neuland. Ich hatte zwar von verschiedenen Fotos bereits einige Bilder im Kopf von den Wegen hinter Santiago. Diese sollten sich aber wiederum kolossal von der Wirklichkeit unterscheiden.

Andrea und ich vor der Kathedrale
Andrea und ich vor der Kathedrale

Bevor wir aber in die Pension gingen, trafen wir uns dann vor dem Westportal der Kathedrale mit Philine und Jürgen. Alle waren super pünktlich, selbst Jörg, dessen Stärke nicht in der Pünktlichkeit liegt. Jana schaffte es auf den letzten Pfiff, sie war als einzige zum ersten Mal in Santiago und hatte noch Orientierungsprobleme in der Stadt.

Damit nicht die gleiche Sucherei nach einer Bar wie in Lugo los geht, schlug ich vor in eine zu gehen, die ich kenne. In der Calle Rua Nova 36 ist die Bar Galeon, sicher kein Gourmet – Tempel aber die machen hervorragende Scampi. Und die wollte ich mir nicht entgehen lassen. Alle waren einverstanden und so saß ich wie schon am Nachmittag am gleichen Tisch und beobachtete, was es doch ausmacht, wenn man sich bemüht in der Landessprache zu bestellen. Der Kellner, der uns schon am Mittag bediente und den ich gerne gefragt hätte, ob er seinen Job gerne macht, war plötzlich freundlich, aufgeschlossen und sogar schnell, als Jürgen mit seinen Spanisch – Kenntnissen wieder mal glänzte. Es gingen einige Gläser Bier und einige Flaschen Wein über den Tisch und durch die Kehlen. Der Abend war viel zu schnell vorbei.Und von Jürgen mussten wir uns nun leider verabschieden. Er war schon in Finisterra und wollte noch ein paar Tage in Santiago bleiben.

Ihm fiel der Abschied mindestens genauso schwer wie uns.

1665 Camino Primitivo Gert

Der ganze Artikel steht im Original auf der Webseite von Gert Kleinsteuber, dort sind auch Videos und noch mehr Fotos zu finden.

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