Ich bin dann mal hin

„Wie war es im Urlaub“?

Selten habe ich die Frage so oft gehört, wie diesmal nach meiner Pilgerreise auf dem Caminho Portugues.

Und jedes Mal zucke ich noch immer ein wenig zusammen!

Urlaub? Jeden Tag 20-40 km laufen mit 8-9 kg Gepäck auf dem Rücken, teils bei Hitze und bisweilen auch mit unruhigen Übernachtungen in rappelvollen Herbergen?

Zwei Wochen im ständigen Rhythmus schlafen-aufraffen-laufen-laufen-laufen-Herberge finden-waschen-essen-schlafen?

War das wirklich „Urlaub“?

Oder bin ich eher „gereist“? Was ist „pilgern“? Eine bessere Fernwanderung? Oder war die Erfahrung eine ganz andere?

Nun, zwei Wochen sind seit meiner Rückkehr vergangen, längst nicht genug Zeit, aller Erlebnisse einzuordnen.

Ich spüre Veränderungen in mir.

Ich bin nicht in einer Krise losgegangen, nicht in Erwartung orgastischer Erkenntnisse, die mein Leben verändern. Aber natürlich hatte ich ein paar Baustellen im Gepäck, habe (teils überraschende) Antworten gefunden, und wiederum neue Fragen mit nach Hause gebracht.

„Wandel“ beschreibt es vielleicht ganz gut. Prioritäten haben sich verschoben. Manches läßt mich inzwischen unbeteiligt, was mich vor Wochen noch aufzuregen vermochte, anderes ist ins Blickfeld gerutscht.

Eher Evolution statt Revolution. :-)

Man sagt ja, der eigentliche Weg beginne erst, wenn man am Ziel ankomme. Das trifft es vielleicht ganz gut.

Wirklich überrascht hat mich hingegen nach meiner Wiederkehr, daß ich anders als bei anderen Reisen, sehr schnell wieder in den Alltag gefunden habe. Auch, wenn ich ihn seither ein wenig aus der Ferne des Camino betrachte. :-)

Und, die Zeit der Erschöpfung, das Leben entlang meiner eigenen Grenzen, war wirklich erholsam! Okay, länger als im Urlaub mal 2-3 Stunden am Strand zu liegen, streßt mich eh, das wußte ich. Aber daß ich nach 320 km Anstrengung und Müdigkeit mich körperlich erholt fühlen würde, das hat mich dann doch überrascht.

Was nehme ich nun mit?

Es war ein „traumhaftes“ Erlebnis. Keine einzelne Erfahrung wie ein Reise, eher ein Tor zu einer für mich neuen Welt.

Ich bin zwar schon weit herum gekommen, aber ich war nie zuvor in Portugal (wenn ich mich nicht verzählt habe, war es der 40. Staat, den ich bereist habe).

Das Land und vor allem seine Menschen haben mich im Sturm erobert.

Viele wundervolle Menschen haben ich kennenlernen dürfen, und keine der Begegnungen möchte ich missen.

Es war eine völlig „andere“ Art des Reisens, voller Erlebnisse, aber auch Ruhe, voller Gelassenheit, aber auch Momenten des „Stolzes“, mich überwunden zu haben.

Voller freudiger Begegnungen, aber auch Momenten der Einsamkeit, wenn ich mich von liebgewordenen Menschen wieder trennen mußte.

Ich habe erlebt, was „Pilgerfamilie“ bedeutet, und wie unterschiedliche Menschen gemeinsam den gleichen Weg gehen können.

Ich habe gesehen, daß jeder Mensch zwei Rücksäcke trägt, den sichtbaren und einen unsichtbaren. Und manch einer trug an letzterem schwerer, als am Rucksack auf seinem Rücken.

Ich habe Menschen getroffen, die aus unendlich vielen Beweggründen den gleichen Weg auf sich genommen haben.

Waren es die kanadischen Rentner, die nach vier Wochen Europaurlaub spontan ohne jede Vorbereitung beschlossen haben, den Camino zu laufen?

War es der Chinese aus Manhattan, der mich überglücklich unter dem Kreuz von Finistere um ein Bild bat, weil er es in 39 Tagen von Saint Jean bis ans Cap geschafft hatte, obwohl ihm das zuhause niemand zutraute?

War es der Antiquitätenhändler aus Plymouth, der nach 800 km Camino Frances noch zusätzlich die 240 km des Caminho Portugues zur „Entspannung“ entgegengesetzt lief, weil der Flug ab Porto billiger war?

War es der 11 jährige Junge, der bei einem Autounfall ein Bein verloren hatte, und sich gewünscht hatte, mit seinen Eltern und seinen Geschwistern und seiner Prothese gemeinsam die 240 km zu laufen?

War es die junge Familie, die mit ihrer zweijährigen Tochter den ganzen Weg auf sich nahm und immer so glücklich und entspannt wirkte?

Waren es die niederländischen Schwestern, die einfach nur gemeinsam sein wollten, und so viel Harmonie ausstrahlten?

Es sind so viele völlig unterschiedliche Eindrücke, die in meinem Herzen geblieben sind.

Oft habe ich mich gefragt, was macht die Pilger aus, was ist der gemeinsame Nenner? Religiosität ist es sicher nicht. Mir sind überraschend wenige religiös motivierte Menschen begegnet.

Das Ziel vereint, der Weg, die gemeinsamen Herausforderungen.

Aber nach vielen Gesprächen glaube ich zu ahnen, was es im Kern ist:

Nach meiner Reise habe ich unzählige Male gehört: „Das ist auch mein Traum“, und dann kommt: aber ich bin zu alt, aber ich bin nicht gesund, aber ich habe einen Hund, aber die Kinder sind zu klein, aber meine Frau ist dagegen, aber ich habe keine Zeit, aber…

… vielleicht irgendwann.

Auf dem Weg trifft man hingegen nur Menschen, die all ihre Einschränkungen (und es sind häufig größere, als die Genannten!) akzeptieren, und ihren Traum dennoch in die Tat umsetzen!

Menschen, die sich bewegen, die ihr Leben in die Hand nehmen, die nicht den einfachen Weg an den Strand des All-inclusive Hotels gehen.

Das spürt man, und man erlebt Respekt, aber auch Demut.

„Und magst Du noch so langsam vorwärts kommen, du bist schneller als jeder auf der Couch, der nur träumt“ (ZItat eines Mitpilgers)

Porto, das Meer, die so ruhige Landschaft im Norden Portugals. die Altstadt von Santiago, all das verschwimmt noch immer zu einem vielschichtigen Bild. Aber es sind weniger die äußeren Bilder die bleiben, eher die Inneren.

Und ja, die „Caminonitis“ hat mich gepackt. Dieses Verlangen, den Rucksack wieder zu packen, und wieder loszulaufen.

Neue Gegenden zu erkunden, neue Menschen zu treffen, neue Herausforderungen zu suchen, wieder Teil der Familie zu sein.

Nach dem Camino ist vor dem Camino…

Vieles hat beim ersten Mal gepaßt.

Ich hatte die richtige Ausrüstung, das Wetter war perfekt, ich bin wundervollen Menschen begegnet, hatte keine einzige Blase (auch wenn ich jetzt erstmal neue Wanderschuhe brauche…).

Es gibt dennoch zwei Dinge, die ich beim nächsten Mal anders machen werde.

  1. Noch weniger planen, noch spontaner sein, noch mehr enlassen, noch mehr vertrauen.
  2. Weniger Hotel, dafür mehr Herberge. :-)

Im Grunde ist es die Entscheidung zwischen Komfort und Begegnung. Mit der Erfahrung meines ersten Camino sind mir die Menschen noch einmal wichtiger geworden. Komfort habe ich auch im Alltag.

„Am Ende sind es immer die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen“ (Guy de Maupassant)

… und sei es bisweilen nur, man begegnet sich selbst.

 

Bericht und Fotos von Oliver Wennmacher (Facebook)

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