Belgisch-französischer Jakobsweg

Seit 2010 bin ich 3 Mal den Camino Frances durch Spanien gepilgert, und es war immer wieder ein großes spirituelles und abenteuerliches Erlebnis. Außerdem bin ich in Tagesetappen den deutschen Jakobsweg von Bremen bis Aachen schon zweimal gepilgert.

Deshalb habe ich mir vorgenommen, in diesem Jahr die große Etappe durch Belgien und Frankreich anzugehen, wohlwissend, dass dafür 3 Wochen nicht ausreichen. Ich will dabei den nördlichen Weg gehen, den Via Turonensis.

Inhalte

Via Turonensis

Den bin ich 2006 schon mit meinem Pilgerfreund Leo aus Moers per Rad gefahren. Für Belgien gibt es ein kleines Outdoor-Pilgerbuch mit einigen Unterkünften im Anhang, die aber manche wirklich interessante Refugio (wie in Liege) nicht enthält. Für den Weg ab Belgien durch Frankreich stellte ich allerdings fest, dass es kaum Material zu diesem Weg im Internet gibt. Nur ein brauchbares Buch (allerdings auf französisch) und erst ab Paris – für mich interessant ab Orleans.

Was diesen Pilgerweg selbst für einen erfahrenen Pilger zu einer besonderen Herausforderung macht: Es gibt kaum Pilgerherbergen auf dem Weg und somit sind die Unterkünfte rar gesät und auch erheblich teuer.

Nach den Erfahrungen in Deutschland rechne ich mit einem fast pilgerfreien Weg, zumal ich nicht direkt über Paris, sondern die Maas entlang bis Charlevilles de Mezieres und von dort weiter über Reims, Epernay, Sezanne, Montargis nach Orleans pilgern werde.

Außerdem sorge ich mich über die Sprache Französisch, die nicht spreche und auch nicht lernen will. Zwar habe ich eine Übersetzer-App im Smartphone, aber ob das reicht?

Und nicht zuletzt gilt meine Sorge dem Wetter – das doch in Mitteleuropa recht unbeständig ist und auch im Sommer durchaus mal eine regenreiche Zeit bieten kann.

Aber diese Vor-Sorgen traten nicht ein und es wurde ein wirklich schöner und tiefberührender Pilgerweg. Wenn auch die Begegnungen mit Pilgern rar waren, so gab es doch viele freundliche Franzosen auf dem Weg und auch die Kirchen am Wegesrand sind immer gut für ein Gebet und eine Atempause.

Außerdem kann ich Andreas, meinen Pilgerfreund von 2012 gewinnen, die ersten fünf Tage mit zu pilgern. Gemeinsam ist der Beginn einfacher und bietet Gelegenheit zu Austausch und wechselseitige Hilfestellung. So sind die ersten 5 Tage dieses Pilgertagebuchs von der Niederschrift Andreas‘ übernommen und von mir nur leicht überarbeitet worden. Danach habe ich dann selbst täglich meinen Bericht in die Schreib-App diktiert. Da ich in der Regel allein war, hat das auch niemanden gestört und ich konnte gleich meine Eindrücke am Ende des Tages verschriftlichen.

Wer findet auch sonst die Zeit, das handgeschriebene Tagebuch abzutippen und zu bearbeiten? Mir ist es jedenfalls nie gelungen. Jetzt war der Text schon niedergeschrieben und musste nur noch etwas geglättet werden.

Dieses Tagebuch ist für mich Erinnerung und mit ausdrucksstarken Fotos reichlich unterlegt. Und es soll meinen Freunde und guten Bekannten, aber auch anderen Jakobspilgern die Möglichkeit geben, an unseren Pilgererfahrungen teilzuhaben und vielleicht auch zu einem eigenen Pilgerweg zu inspirieren.

Inhaltsverzeichnis meines Pilgerberichtes

Sonntag, 28.7.2013 Anreise nach Aachen

8-tägiger Pilgerweg durch Belgien

Montag 29.7.2013 Aachen – Battice (30 km)
Dienstag 30.7.2013 Battice – Liege (34 km)
Mittwoch 31.7.2013 Liege – Esneux (29 km)
Donnerstag 1.8. Esneux – St. Severin (18 km)
Freitag, 2. 8. 2013 St. Severin – Huy (21 km)
Samstag, 3. 8. 2013 Huy – Namur (36 km)
Sonntag, 4.8.2013 Namur – Dinant (33 km)
Montag, 5.8.2013 Dinant – Givet (F) (31 km)

10-tägiger Pilgerweg durch Frankreich von Givet – Nogent sur Seine

Dienstag, 6.8.2013 Givet – Revin (30 km)
Mittwoch, 7.8.2013 Revin – Nouzonville (37 km)
Donnerstag, 8.8.2013 Nouzonville – Dommery (39 km) 30 Freitag, 9.8.2013 Dommery – Chateau (33 km)
Samstag, 10.8.2013 Chateau – Reims (44 km)
Sonntag, 11.8.2013 Reims – Epernay (32 km)
Montag, 12.8.2013 Epernay – Vertus (27 km)
Dienstag, 13.8.2013 Vertus – Sezanne (34 km)
Mittwoch, 14.8.2013 Sezanne – Villenauxe la Grande (27 km)
Donnerstag, 15.8.2013 Villenauxe la Gr. – Nogent sur Seine (20 km)
Freitag, 16.8.2013 Paris – Aachen – Lengerich

Anreise nach Aachen

Sonntag, 28.7.2013

Wir haben uns für den Nachmittag am Hauptbahnhof Essen verabredet, wo ich Andreas mit dem Auto nach Aachen mitnehmen will. Spätestens gegen 18 Uhr müssen wir beim Kloster der Elisabeth-Schwestern sein, wenn wir noch Zimmer und Schlüssel erhalten wollen.

Mein Weg verzögert sich durch Stau und so rufe ich Andeas an, dass ich bis zu einer halben Stunde später komme. Erst erreiche ich Andreas nicht, dann spielt mein iPhone verrückt und endlich ist alles geklärt. Ich bitte Andreas, am Hauptausgang des Bahnhofs zu warten. Andreas wartet am City- Ausgang, dort ist es allerdings schwierig mit dem Parken. Ich warte am Tram-Ausgang. Aber wir treffen uns durch Handy-Kontakt und werden dann vom Navi zuverlässig zu den Elisabeth- Schwestern am Preussweg nach Aachen geführt.

Die Schwester, die uns begrüßt, zeigt uns die Zimmer (Nr. 12 für Andreas und Nr. 11 für mich). Toiletten sind auf dem Flur, Duschen ebenfalls. Dann kocht sie uns noch eine Tasse Kaffee (am Automaten in der kleinen Küche), zeigt uns den Seitenausgang und informiert uns, dass wir, falls wir wollen, morgen um 6:45 h die Messe in der Kapelle des Hauses besuchen können. Es gibt noch 26 Elisabethinnen im Kloster; man hält sich mit einer Station Seniorenwohnungen für ältere Damen und vielleicht auch mit Pilgern (30 € / Übernachtung mit Frühstück) über Wasser.

Gegen 16:50 h begeben wir uns zur St. Jakobskirche Richtung Innenstadt, die nur bis zu einem Gitter geöffnet ist. Wir singen und beten ein wenig aus meinem Pilgerliederbuch. (Ich bin ja erst am Samstagabend um 23 h von einer Pilgerreise des Kreisdekanats Steinfurt mit Benno Hörst und einer weiteren Leiterin sowie 20 Teilnehmer/innen zurück gekommen.)

Weiter geht es am Rathaus vorbei zum Dom, wo heute Abend keine Messe mehr gefeiert wird, und zum Elisenbrunnen mit schwefelhaltigem, laut Schild nicht trinkbarem, Heilwasser, das man unbedingt getrunken haben muss. Andreas ist etwas skeptisch, aber ich überzeuge ihn, als ich das nach faulem Ei schmeckende heiße Wasser vorkoste. Einige Senioren tanzen zu flotter Kapellen-Musik vor dem Brunnen. Macht er also doch müde Glieder wieder flott? Nach dem Brunnenbesuch essen wir zu Abend beim Italiener, den wir auf dem Weg zwischen Jakobskirche und Marktplatz entdeckt hatten: Ich bestelle den obligatorischen Salat, Andreas Tortellini. Und wir trinken beide Krombacher, Andreas mit und ich ohne Alkohol.

Nach dem Essen begeben wir uns noch einmal Richtung Innenstadt, finden für Andreas einen funktionierenden Bankautomaten der Aachener (Volks-)Bank und essen anschließend noch ein Eis auf dem Marktplatz. Dann geht es zurück zur Nachtruhe vor dem Start des belgisch-französischen Jakobsweges.

Aachen – Battice (30 km)

Montag 29.7.2013

Gleich zu Beginn des Pilgerweges ein Einzelzimmer – welch ein Luxus. Ich schlafe ausgiebig, und begebe mich morgens zur Schwesternmesse in die Kapelle, wo Andreas schon am Stundengebet teilnimmt. Als Gäste sind wir optisch durch einen 90 Grad-Winkel (Schwestern=Hauptschiff und Sonstige=Nebenschiff) getrennt. Anfangs sitzt nur eine Ordensschwester, die auch Gast zu sein scheint, in der letzten Reihe des „Gemeindeteils“. Später kommt noch eine weitere Frau (Bewohnerin einer Altenwohnung im Kloster). Der Priester ist Tscheche (nach meiner Vermutung) oder spanisch bzw. portugiesisch sprechend (nach Andreas‘ Vermutung). Wir wissen es nicht.

Das Frühstück (2 Brötchen, zusätzlich Brot, Marmelade, reichlich Aufschnitt, Käse, Kaffee ist sehr reichhaltig. Letztlich ist es schon nach 8:30 h, als wir endlich starten, nachdem wir unsere Schlüssel abgegeben und bezahlt haben. Ich kann für die Pilgerzeit meinen Wagen auf dem Klosterparkplatz stehen lassen. Damit er ggf. bewegt werden kann, hinterlege ich meinen Autoschlüssel bei den Schwestern. Was für ein beruhigendes Gefühl, das Auto gut abgestellt zu wissen!

Es geht zunächst stetig bergan. Nach einem langen Waldweg passieren wir die Grenze zum Königreich Belgien und postieren uns an dem unscheinbaren Schild gebührend für Fotos.

Wir kommen an der bekannten Wallfahrtsstätte Moresnet vorbei und besichtigen dort den Kalvarienberg. Und später auch eine kleine Kapelle. Im Außengelände sind wir die einzigen Gäste und können uns ungestört umsehen.

Auf dem weiteren Weg machen wir in Henri-Chapelle eine Trinkpause. Einen Supermarkt suchen wir vergebens. Kurz danach verpassen wir nach einem Kriegerehrenmal der US-Army zunächst einen kleinen Abzweig nach rechts in den Wald, bemerken es aber noch rechtzeitig, so dass sich der Umweg in Grenzen hält. Später schleichen sich zwei kleine Hunde von hinten an uns heran, um uns im letzten Moment an zu bellen. Die kleinen Kläffer sind sehr anhänglich. Sie lassen erst von uns ab, als eine Oma mit Zwillingskinderwagen uns entgegenkommt und ihr Interesse umlenkt. Ich habe so das Gefühl, dass sie sich verabredet haben: „Komm, wir gehen heute mal Pilger erschrecken – ha, ha, ha“. Dabei ist nerven wohl die bessere Umschreibung.

In Clermont nehmen wir uns eine weitere Trinkpause. Vor einem weiteren Umweg bewahrt uns Andreas, der eine junge Mutter nach dem weiteren Weg fragt. Unser Weg führt vor statt hinter der Kirche links ab. Nach Battice zieht er sich hin. Am Stadtrand liegt eine große Bunkeranlage. Beim Erreichen des ersten Bunkers klettert Andreas unberechtigt über einen Zaun, um sich die Anlage von Nahem anzusehen. Da der Bunker selbst jedoch nicht zu betreten ist, sieht man dort nicht mehr als wenig später bei einem offen zugänglichen anderen Bunker mit Gedenktafel auf der rechten Wegseite.

Am Ortsrand von Battice folgt unsere 3. Trinkpause in einer Gaststätte. Dort erkundigen wir uns nach dem letzten Wegstück zu unserer Unterkunft und nach einem Supermarkt. In einem kleinen Geschäft kaufe ich mir 3 Liter Wasser “con gas” und Andreas 1,5 l Cola. Auf einer Bank leeren wir einen Teil davon, dann haben wir nicht so viel zu schleppen. Wir folgen dann der Hauptstraße. Es zieht sich noch mal hin, bis wir eine nette Unterkunft in einem kleinen Hotel finden: Le Domain de Haut Ven.

Auf den Wunsch, statt des Doppelbetts lieber ein Zimmer mit zwei Einzelbetten zu bekommen, lässt sich der Hotelier allerdings nicht ein. Doch schreiten wir später zur Eigenhilfe. Andreas hat entdeckt, dass zwei Betten nur zusammengestellt worden und mit einem dünnen Matratzen-Zusatzteil sowie Bettlaken verbunden sind. Also trennen wir das Doppelbett in zwei Einzelbetten. Ich bekomme das Oberbett, und Andreas ein Leinentuch. Außerdem holt er sich ein zweites Kopfkissen aus dem Schrank, um die 6 Füße etwas zu wärmen.

Abends essen wir einen Salat, trinken dazu ein Bier und bekommen noch die Wartezeit durch eine Snack-Schale versüßt, die ordentlich gewürzt ist (asiatische Mischung=teilweise scharf). Ich versuche bisher vergeblich, meine gebuchte 100 MB-Auslandsflat zu aktivieren, aber das klappt erst morgen. Dann wird mir die Hotline endlich die richtigen Schritte erklären. Die Flat hat es in sich: 100 MB für 10 € und jederzeit wieder neu buchbar, das ist ein echter Hit. Denn durch die Datendienste Email, Navi, Routenaufzeichner usw. habe ich doch einigen Datenbedarf. Für den Abend aber komme ich mit dem W-Lan des Hotels zurecht und weiß die neuesten Nachrichten: Ludwig
Averkamp ist verstorben; und morgen soll es regnen.

Battice – Liege (34 km)

Dienstag 30.7.2013

Im Hotel nehmen wir ein kleines Frühstück, bestehend aus zwei Kaffee und 2 Mini-Croissants. Die Betten schieben und bauen wir wieder zusammen zum ursprünglichen Doppelbett. Gegen 8 h starten wir.

Bis zum ehemaligen Bahndammweg ist es nicht ungefährlich. Vor allem die LKWs scheinen nicht geneigt, für Fußgänger Platz zu machen. Dafür ist der Himmel strahlend blau und selbst die nahegelegene Fabrik sieht malerisch aus.

Richtig schön wird es dann auf dem Bahndamm-Weg, der uns an allen großen Straßen vorbei durch eine malerische und stille Idylle führt.

In einem Dort machen wir Pause für 2 Cappuccino in einem Geschäft, welches auch Zeitschriften verkauft. Aus der Bäckerei nebenan hole ich 2 Croissants für jeden von uns. Andreas hat kurz vor diesem Dorf siedend heiß seine Geldbörse vermisst und schon in Gedanken durchgespielt, die 5 km zur Unterkunft zu laufen und dann wieder zurück. Aber er hat das gute Stück nur in eine andere Jackentasche verstaut und bald gefunden.

In Liege=Lüttich zieht sich der Weg entlang der Maas hin. Dort liegen etliche Schiffe, ehemaliger Lastkähne, umgebaut zu großen Wohnbooten, die nun anscheinend auf das Abwracken warten. Auch menschenleere Hochhäuser tragen nicht zu einem schönen Bild am Eingang der Stadt Liege bei. Der Himmel hat sich zugezogen und ein kurzer Schauer von vielleicht 10 Minuten nötigt uns, für einen Moment in einem Waschsalon Unterschlupf zu suchen. Doch es ist nur ein Mini-Schauer. Und es lohnt sich nicht, die Regenkleidung überzuziehen. Gut, dass die Wirklichkeit heute dem Wetterbericht in positivem Sinn widerspricht.

In der Stadt begeben wir uns zur Tourismusinformation. Die junge Frau dort ist bemüht und findet tatsächlich eine Pilgerherberge in Liege. Die Übernachtung sei kostenlos. Wenn wir mit Essen versorgt werden möchten, soll es 20 € kosten. Wir sollen angeben, wann wir da sind. Da wir noch den Dom und die Jakobskirche besichtigen möchten, sagen wir: zwischen 17 und 18 h. Auch für den nächsten Tag hat die freundliche Frau eine Adresse anzubieten, wenn ein Weg von über 40 km nicht zu weit für uns ist.

Der Dom und die St. Jakobskirche in Lüttich sind von ihren Ausmessungen her ähnlich beeindruckend groß. Die Jakobskirche war die Bürgerkirche, die – wie in anderen Städten auch – in Abgrenzung zur Bischofskirche gebaut wurde.

Unsere Herberge für die Nacht erreichen wir knapp am Zeitlimit, da die Wegführung durch die Verzweigung der Maas etwas komplizierter ist.

Vermieter ist ein älterer Herr mit Zopf namens George. Er spricht mehrere Sprachen, u.a. auch Deutsch. Der Versuch, ein Lebensmittelgeschäft zu finden, um Salat machen zu können, schlägt fehl. Doch dafür zeigt uns George nach dem Begrüßungsbier aus Belgien unsere Unterkunft und kocht abends für uns. Ab 19:30 h verleben wir einen interessanten und schönen gemeinsamen Abend. George sieht den neuen Papst Franziskus kritisch (Der rede nur Luft, ohne etwas zu tun, meint er). Und George bekennt uns seine große Schwäche: Er kann nicht vergeben. Seine Berufung zum Herbergsvater erfuhr er bei seiner eigenen Fahrradwallfahrt nach Santiago. Das war so: Eigentlich wollte er ein Haus bauen mit 5 Appartements zum Vermieten an Studenten. Das machte er ganz allein. Als er ein paar Reihen gemauert hatte und abends sein Tagewerk begutachtete, sah er, dass ein Stein, den er vermauert hatte, eine abgebröckelte Ecke hatte. Das ärgerte ihn so, dass er darüber fluchte. Darauf sprachen ihn andere an: „Du bist doch katholisch. Wie kannst Du da so fluchen?“ Ihm wurde bewusst, wie sehr ihm sein eigene Vorhaben über den Kopf gewachsen war und statt Freude nur noch Pflichtgefühle und Überforderung hervor rief. Und er nahm sich vor: Es muss etwas mit mir passieren. So machte er sich per Rad nach Santiago auf den Weg. Dort vernahm er die Botschaft vom Hl. Jakobus, dass er eins seiner fünf Appartements für Pilger herrichten solle. Mit diesem Auftrag kehrte die Zufriedenheit und Gelassenheit in sein Tun zurück. Er genießt sichtlich den Austausch und das Gespräch mit zwei Priestern. Als wir am nächsten Morgen nach dem Frühstück unseren Obolus zahlen wollen, nimmt er nichts an: Nur einen Euro pro Person, symbolisch. Abends schon hatten wir uns in sein Gästebuch eingetragen, inklusive Telefonnummer. Ob er sich anlässlich eines geplanten Wohnmobil-Urlaubs zum Fischen in Dänemark mal bei uns melden wird?

Wir haben ihm versprochen, einige Fotos von unserem Aufenthalt bei ihm zu senden. Das ist mittlerweile nach einiger Verzögerung geschehen und George hat tatsächlich sofort angerufen und sich herzlich bedankt, als er sie erhielt.

Liege – Esneux (29 km)

Mittwoch 31.7.2013

Wir haben beide gut geschlafen in unserem Etagenbett. Die Benutzung der Schleuder nach der Handwäsche erweist sich als gute Entscheidung. Alles ist heute früh richtig trocken.

Um 8 h verlassen wir die gastliche Refugio und gehen rüber zu unserem Herbergsvater. Er hat zum Frühstück ordentlich aufgetischt: Orangensaft, Kaffee, Toastbrot (ungetoastet), Marmelade, Aufschnitt, Käse und – wenn wir’s wollen – auch Nutella. Dazu gibt es noch Eierkuchen mit Schinkenstreifen; da halte ich mich allerdings zurück, denn das Ei scheint mir nicht gut durchgebraten zu sein, sieht aber lecker aus.

Wir verabschieden uns herzlich.

Nun geht es zunächst in Richtung Bahnhof Angleur entlang der Maas zurück, dann (bei der Engelsbrücke) rechts ab, um fortan den Pfeilen, die George selbst angebracht hat, zu folgen. Als wir gerade einige hundert Meter gelaufen sind, meint Andreas, was sind das für Geräusche hinter uns. Es ist George, der verzweifelt hinter uns her pfeift, weil er uns nicht einholen kann. Unser Wanderführer war am Frühstückstisch liegen geblieben und der hätte doch sehr gefehlt auf dem Weg, zumal dort einige Herbergen mit Tel-Nr. verzeichnet sind.

Der Weg heute könnte, nachdem wir Liege verlassen haben, überschrieben werden: (endlos) durch den Wald rauf und runter. Er bietet allerdings auch wunderbare Aussichten auf die Maas und das weite Umland. Als wir kurz vor 18 h endlich Esneux erreicht haben, sind wir ziemlich geschafft. Nicht etwa aufgrund der zurückgelegten Kilometer, sondern aufgrund ihres Anspruchs. Wir lassen uns auf der Treppe eines Privathauses nieder, um die Lage (wo finden wir Unterkunftsmöglichkeiten) zu peilen. Ein Hund kläfft hinter uns. Die Hausbesitzerin fragt uns, ob sie uns helfen kann. Sie bringt uns gekühlte Flaschen Wasser und hilft bei der Suche nach einer Unterkunft. Sie findet heraus, dass die Telefonnummer der im Führer verzeichneten Herberge inzwischen einer Privatperson gegeben wurde, die 20 km entfernt wohnt. Die Herberge dürfte es also wohl nicht mehr geben. Der 2. Campingplatz, den wir zwischendurch mal antelefoniert hatten, ist ihr auch nicht bekannt. Nur den ersten, der ca. 1 km hinter dem Bahnhof am Fluss liegt, kennt sie. Wir machen uns auf den Weg, nachdem wir uns durch das von ihr angebotene Mineralwasser gestärkt haben. Zwischendurch essen wir ein Eis und sehen zahlreiche Lokale. Der Campingplatz erweist sich als wenig hilfreich: fast leer, keine Möglichkeiten für Leute ohne eigenes Zelt, es sei denn unter freiem Himmel auf der blanken „Mutter Erde“. Das ist uns dann doch nicht recht. Was also tun.

Wir laufen zurück in den Ort und kommen so kurz vor dem Bahnhof doch noch auf unsere 29 km. Am Bahnhof sehen wir, dass es eine Verbindung mit Liege-Angleur gibt. Ich schlage vor, zur Not mit dem Zug nach Liege zurück fahren und dort ein Quartier zu suchen. Andreas setzt noch eins drauf, wir können doch zurück zum alten Herbergsvater, der angeboten hat, wenn uns im Umkreis von 90 km etwas passiert, komme er, um uns zu helfen.

Esneux

Erst mal essen wir nun eine Dönertasche. Ein Anrufversuch beim 2. Campingplatz hilft uns nicht weiter. Mir ist es peinlich, bei George anzurufen, also übernimmt das Andreas. Für George ist es kein Problem ist, uns ein zweites Mal aufzunehmen. Sein letzter Gast, so hatten wir in den Gästebucheintragungen gelesen, war zuvor am 20.6. dort; so erhöhen wir deutlich seinen Pilgerbesuch-Schnitt. Auf dem Weg zurück zum Bahnhof gönnen wir uns ein weiteres Eis. Am Bahnhof sehen wir, dass die Verbindung doch nicht stündlich, wie ich vermutete, sondern zweistündlich geht. Da es 19:40 h ist, fährt der nächste Zug leider erst um 21:19 h. Die Wartezeit verkürzen wir uns bei Bier und Eistee neben dem Bahnhof in einem Pavillon-Lokal.

Andreas will unbedingt wissen, wo man Fahrkarten kaufen kann. Ein Belgier, der deutsch spricht, dolmetscht kurzerhand: In den Zug einsteigen und warten, ob ein Kontrolleur kommt. Dann bezahlen. Wenn kein Kontrolleur erscheint– die Strecke ist kurz – fährt man umsonst. – Tatsächlich kontrolliert uns niemand und wir fahren also ungewollt schwarz, was Andreas betont. Anders als ich es mir wünsche, finden wir am Bahnhof kein Taxi und müssen zu Fuß laufen. Dank meines Navi-App 10 ist der Weg bis George aber ein paar Meter kürzer. Dennoch scheint er bereits aus dem Bett zu kommen, als wir schellen. Immerhin sind wir über eine Stunde später angekommen, als telefonisch angemeldet. Wir nehmen die Schlüssel für die Refugio in Empfang, hören seine Verwunderung, dass wir keine Unterkunft gefunden haben in Esneux. Dann sind wir endlich in vertrauter Refugio mit Wäscheschleuder und guten Betten. Gott-sei-Dank.

Esneux – St. Severin (18 km)

Donnerstag 1.8. 2013

Morgens um 8 h frühstücken wir wieder bei beim Pilgervater George. Diesmal etwas knapper als gestern, da wir nicht zu spät von Esneux Richtung Huy starten wollen. Es soll heute sehr heiß werden. Da wir gestern nicht mehr nach der Bahnverbindung geschaut hatten, gehen wir mit gemischten Gefühlen zum Bahnhof, ob wir vielleicht 2 Stunden warten müssen. Das ist nicht der Fall. Gegen 8:50 Uhr sind wir am Bahnhof und sehen, dass um 9:27 Uhr der Zug fährt. So haben wir Zeit genug, um zwei Fahrkarten zu je 2,90 € am Automaten zu ziehen und versuchen, per iPhone-Telefonat schon mal etwas zu regeln im Blick auf unsere abendliche Unterkunft. Die vom Tourismusbüro Liege genannte Zweit-Adresse weist uns ab – schon belegt. Während wir eine Alternative beim Tourismusbüro – speziell für Jakobspilger – suchen, fährt gegen 9:23 h ein Zug auf unserem Gleis ein.

In der Meinung, das sei unser, steigen wir schnell ein. Als er um 9:25 Uhr schon weiterfährt, werden wir unsicher: Ein Zug verspätet sich manchmal oder auch öfters, aber er verfrüht sich nie. Unsere Befürchtung bewahrheitet sich: Der Zug hält nicht an den Zwischenstationen von gestern Abend und auch nicht in Esneux, sondern erst eine Station später. Dass der Schaffner gerade vor uns die Kontrolle unterbricht, weil der Zug in den Bahnhof einfährt, ist im Nachhinein noch als glückliche Fügung. Wir vergewissern uns, wann der nächste entgegengesetzte Zug Richtung Esneux fährt und dort auch hält. Und stellen fest, wir haben erneut eine gute halbe Stunde Wartezeit. Zeit genug für einen Kaffee in der nahe gelegenen Taverne und für meinen Versuch, die Santiagopilgeradresse in Huy erreichen. Die Frau versteht allerdings nichts. Ein Besucher im Cafe hilft, kann aber auch nichts erreichen. Nichts zu machen also. Und die Tourismusinfo in Huy erweist sich auch als wenig entgegenkommend: Wir sollten bis 18 h dorthin kommen, dann werde man schon sehen. Doch bis 18 h werden wir es bei unserm heutigen späten Start nicht schaffen können. So werden wir auf gut Glück loslaufen.

Beim Frühstück informierte uns übrigens George, dass in ganz Europa ein Vertrag bestünde, dass der Bürgermeister jedes Ortes im Notfall Pilgern eine Unterkunft stellen müsse.

Direkt vor unserem wirklichen Tagesetappenstart spricht uns in Esneux eine Frau an, die meine Muschel sieht und mich als Jakobswegpilger identifiziert. Sie ist ebenfalls dieses Jahr von Burgos nach Santiago gepilgert, nachdem sie im vergangenen Jahr von St. Jean Pied de Port bis Burgos gelaufen war. Nächstes Jahr möchte sie noch von Santiago bis Fisterre laufen, auch weil Santiago in diesem Jahr am Fest des Hl. Jakobus, den 25.Juli wegen eines furchtbaren Zugunglücks anders gestimmt war. Das habe ich ja auch miterlebt auf der Flug-Bus- Pilgerreise des Dekanats Steinfurt 2013.

Unser Pilgerstart klappt nach allen Hindernisse durch das Quartierproblem von gestern und das Zugproblem heute ganz gut. Die Beschreibung im Führer ist hilfreich und die Pfeile (zunächst) auch ausreichend. Es geht mäßig stetig bergauf. Der Schatten der Bäume ist sich angenehm. Teilweise wird der Weg später noch matschig und zugewuchert sein. Hier bewähren sich lange Hosen bzw. ein Wanderstab, beides hat Andreas. Er leiht mir zur groben Abwehr von Brennesseln und Disteln einen Stock aus. Den werden wir später noch mal brauchen, um zwei kleine Hunde an einem Hof zu beeindrucken, die sich angriffslustig in unsere Richtung bewegen.

In Croix Andre fehlt nach dem Überqueren eines sog. Bolzplatzes die Markierung. Doch das Pilgerbuch beschreibt es richtig. Auf meine Bitte hin schenkt mir eine Anwohnerin des sog. Bolzplatzes, deren Rasenfläche wir quasi überqueren, eine große Flasche Wasser, eisgekühlt.

Ein weiteres Erfrischungshighlight soll später noch ein Automat mit gekühlter Milch für 80 ct / Liter sein. Dort trinken erst jeder einen halben Liter Milch. Und legen einen weiteren ganzen Liter pro Person nach. Es schmeckt herrlich. Doch danach ist es Andreas zunächst etwas übel und er befürchtet Darmbeschwerden.

Als wir endlich St. Severin erreichen bei der großen Hitze, erweist sich die Kühle der romanischen Kirche, deren Tür einladend offen steht, als weiteres Geschenk des Tages. Wie viel schöner ist außerdem die Unterbringungsmöglichkeit in einer der Kirche zugehörigen Herberge im Obergeschoss des Nebengebäudes des Pfarrhauses. Der schönen Dinge nicht genug hat der Ort sogar einen richtigen Supermarkt. Hier decken wir uns für abends und auch das Frühstück für knapp 20 € ein. Nach der Rückkehr wird ausgiebig geduscht. Andreas geht es wieder gut, er hat sich vom Milchschock erholt. Nach dem Duschen ist noch Wäsche waschen angesagt. Der Vorraum der Küche ist warm genug, damit alles schnell trocknet.

Ein Wermutstropfen: St. Severin hat nach Auskunft unserer Herbergsmutter alias Pfarrhaushälterin keinen Busanschluss und auch keine Taxiverbindung. So kann Andreas nicht direkt nach Huy fahren, sondern wird mit mir morgen gegen 7 h gemeinsam nach Huy pilgern. Sollte sich zwischendrin eine Mitfahrgelegenheit ergeben, wird er diese natürlich ergreifen, denn sein Zeitplan ist schon etwas überschritten. Eigentlich wollte er schon morgen Mittag in Gemen sein, das geht auf keinen Fall, aber gegen Abend müßte es möglich sein. Für ihn steht Morgenabend noch ein Geburtstagsbesuch an.

St. Severin – Huy (21 km)

Freitag, 2. 8. 2013

Heute Morgen stehen wir um 5:30 Uhr auf, da Andreas gegen Mittag den Zug in Huy erreichen will. Da heißt es gut 20 km pilgern. Das Frühstück ist dank unserer Einkäufe reichhaltig und schmackhaft. Anschließend wäscht Andreas das Geschirr und trocknet es, währenddessen ich als Ausgleich in das Gästebuch schreibe. Gegen 7:10 Uhr verlassen wir das gastliche Haus. Die Herberge in St. Severin ist wirklich etwas Besonderes, schade dass sie nicht im Pilgerführer aufgeführt ist. Heute soll der heißeste Tag auf unserem Pilgerweg anstehen. Die Sonne scheint vom klaren Himmel, aber zunächst ist es noch mild und es weht ein kühler Wind. Die 5 km bis zum nächsten Ort sind fast ganz flach und sehr leicht zu gehen. Dann wird es etwas schwieriger, doch wir kommen gut voran. Der Weg führt uns jetzt meistens über Straßen oder Feldwege, so dass der Schatten der Bäume uns nicht mehr schützt. Es wird auch wärmer und gegen 11:00 Uhr ist es schon sehr heiß.

Am Stadtrand von Huy gibt es einen großen Freizeitpark. Die Getränke am Kassenschalter sind total überteuert. Da warten wir lieber noch etwas ab und zehren von unseren Vorräten. Wir machen eine schöne Pause auf einer Holzbank im Schatten. Der letzte Abschnitt in die Stadt Huy ist eine lang gezogene, über mehrere Serpentinen führende abschüssige Straße.

Andreas schaut einem Rennradfahrer interessiert zu, der sich mühselig die langgezogene Steigung hochquält. Aus der anderen Richtung gesehen, ist immer wieder der Stadtname Huy in weißen Lettern auf den Asphalt markiert. Die Rennradfahrer, die sich hochkämpfen, scheinen noch Lesebedarf zu haben, denn ihr Keuchen hört sich eher nach „Hoch…hoch“ an, statt nach „Huy … Huy“ Das geht noch einmal richtig in die Knochen, nicht nur für den Rennradler, auch für uns. Dann haben wir die Maas erreicht.

Auf Nachfrage finden wir auch schnell den Weg Richtung Bahnhof. Andreas hat Glück, sein Zug nach Aachen fertig in etwa 20 Minuten, gegen 12.40 Uhr. Wir verabschieden uns, allerdings geh ich nicht mehr mit zum Bahnsteig, da ich echt geschafft bin. Es ist mittlerweile so drückend heiß, dass ich es kaum mehr aushalten kann. So geh ich ein Stück des Weges zurück, wo ich vorhin eine kleine Imbissbude gesehen habe, die sehr kühl wirkte. Mit einer Cola und eine Flasche Wasser lasse ich mich zunächst einmal verwöhnen. Dann gehe ich zurück zur Brücke über die Maas, im Belgischen auch Meuse genannt, wo in der direkten Nachbarschaft zur Kathedrale auch die Touristik Information ihren Sitz hat.

Eine nette junge Frau hilft auf Englisch. Zunächst einmal kann sie mir eine Unterbringung für 25 € benennen, die ich gerne annehme. Solche Zimmer für eine Nacht, in einem privaten Haushalt werden hier wie auch in Irland „Bed and Breakfast“ genannt. Allerdings ist die Frau berufstätig, so dass sie mich erst um 18:30 Uhr reinlassen kann. Also überlege ich, ob ich noch etwa 10 km an der Maas entlang Richtung Namur gehe, um morgen eine etwas leichtere Etappe zu haben. Aber die Hitze und auch die Ungewißheit einer Übernachtung vertreibt diesen Gedanken schnell wieder.

Stattdessen frage ich nach Kartenmaterial für Frankreich.

Die nette junge Frau beschreibt mir eine Buchhandlung, in der es auch eine Vielzahl von Karten gäbe. Außerdem reicht sie mir eine Karte, die aber nur für den Bereich um Huy gilt. Ich suche die Buchhandlung, kann sie aber nicht finden. Ein junger Mann bemerkt meine Suche und hilft mir den Laden zu finden.. Tatsächlich gibt es gutes Kartenmaterial und ich kaufe zwei wertvolle gute Karten, eine für den Rest von Belgien und die Zweite für den ersten Abschnitt von Frankreich.

Leider erschließt sich der Weg aus Huy nicht so leicht und außerdem ist es mittlerweile schon 15:00 Uhr. Die Kathedrale kann ich ebenfalls nicht betreten, sie ist mittags geschlossen. Mittlerweile ist es unerträglich heiß, weit über 34°. Ich suche einen Lebensmittelladen, komme allerdings durch falsche Hinweise nicht weiter. Nach einer kleinen Pause in einer Eisdiele mit drei Bällchen gehe ich wieder los und finde ohne Nachfragen auf eigene Faust einen Supermarkt. Ich kaufe drei Flaschen Mineralwasser und ein paar Weintrauben. Die Weintrauben und die erste Mineralwasserflasche verzehre ich im Eingang des Geschäftes, wo eine Bank steht und es angenehm gekühlt ist. Als ich gegen 17:15 Uhr wieder aufbreche, steuere ich die Kathedrale an. Sie ist sogar geöffnet, es sind Glocken zu hören. Der Raum ist groß und majestätisch. Leute sind nicht zu sehen. Eine leise kirchliche Musik läuft im Hintergrund. Sehr angenehm. Ich setze mich auf einen der Stühle und schaue mich um. Dann geht ein Priester mit Talar und Stola durch den Chorraum und verschwindet an der linken Seite. Ich gehe sofort hinterher, weil ich vermute, dass dort eine Messe gefeiert wird.

Tatsächlich sitzen etwa zehn ältere Leute dort auf Stühlchen, und zwei jüngere, die schon beten. Es sind viele Wechselgesänge, die der junge Mann anstimmt, und die Gemeinde singt die nächsten Verse. Ich vermute, dass es Psalmengebete sind. Der Priester feiert die Messe sehr gesten- und mimikreich. Nach der Messfeier geht er zu den Leuten und gibt jedem die Hand. Er kommt auch zu mir, begrüßt mich und fragt, ob ich Niederländer sei. Ich sage: Deutscher. Er rümpft die Nase und ich kann es mir nicht verkneifen zu sagen: auch Deutsche beten. Ich glaube nicht, dass er mir eine Unterkunft besorgt hätte, wenn ich diese nicht schon gehabt hätte. Aber er verabschiedet sich dann freundlich mit Ultreia und Auf Wiedersehen. Jetzt gehe ich zu meiner Herberge, erstaunlich dass sie fast direkt beim Supermarkt liegt, etwa 20 Minuten von der Kathedrale entfernt. Es ist ein großes Zimmer mit einem Doppelbett, das auch gut nach hinten frei ist. Die Dusche gefällt nicht so, sie ist ohne Vorhang in einer Badewanne. Außerdem stehen dort die Sachen der Frau auf dem Waschbecken, was mir auch etwas befremdlich ist. Und die Toilette ist unten in direkter Nachbarschaft zum Wohnzimmer, diese Nähe ist mir unangenehm.

Nach dem Duschen lege ich mich aufs Bett, um meinen Schweiß trocknen zu lassen. Anschließend diktiere ich dieses Tagebuch mit der Dragon-App, was erstaunlich gut klappt. Vor allem kann ich dabei liegen und mich ausruhen. Nachdem Andreas nicht mehr da ist, habe ich natürlich auch noch nicht meine Wäsche gewaschen. Ich überlege, ob ich noch einmal nach draußen gehe, um zum Beispiel chinesisch zu essen, aber meine Bequemlichkeit besiegt den kleinen Hungeranfall. Außerdem möchte ich abnehmen und ich habe keinen Haustürschlüssel, müsste also bei der Frau schellen, wenn ich wieder herein wollte.

Huy – Namur (36 km)

Samstag, 3. 8. 2013

Heute Morgen bin ich nach kurzer Wäsche um 7:00 Uhr pünktlich zum Frühstück erschienen. Ein schwarzer Kater streicht um meine Füße, aber ich streichle ihn nicht, um mir die Hände nicht noch einmal waschen zu müssen. Es ist ein einfaches Frühstück mit etwas wenig Kaffee, dazu Weißbrotschnitten und Marmelade, wie ich es mir wünsche. Um 7:30 Uhr starte ich. Ich habe meine Navi-App eingesetzt, damit ich eine leichte Route aus Huy finde. Es geht wieder zurück zur Kathedrale und zur Brücke und dann einfach die Straße geradeaus weiter.

Nach etwa 300 m schon zweigt ein kleiner asphaltierter Weg rechts ab und schon bin ich auf dem durchgehenden Pilgerweg an der Meuse. Auf dem Bild links ist der Abzweig zu sehen, hinter dem Mast im Vordergrund sofort rechts herunter zur Trauerweide. Es ist sonnig, aber angenehm und ein milder Wind weht mir entgegen. Der Weg ist fast menschenleer und sehr großzügig und breit angelegt, immer gut asphaltiert. Es ist einfach nur schön, zwischen Maas und Landschaft zu pilgern, ohne Höhen zu überwinden oder Tiefen zu durchschreiten.

Der heutige Weg ist ein Weg des Gebetes. Ich bete den Rosenkranz, singe alle Lieder aus dem Liederbuch und bete die Psalmen, die ich noch auswendig kenne. Dabei stelle ich fest, dass ich einige Psalmen, die ich auf dem spanischen Pilgerweg gelernt habe, wieder vergessen habe. Morgen werde ich diese mit dem kleinen Psalmenbuch wieder auffrischen.

Besonders freut mich, dass der Uferweg auch als Pilgerweg ausgezeichnet ist. Damit setzt er sich vom deutschen Autor des Pilgerbuches ab, der den Weg wieder durch die angrenzenden Berge führen will. Ich kann mich gar nicht satt genug sehen an der schönen Natur zur linken und jenseits der Maas zur rechten Seite. In der Ferne taucht wieder eine gigantische Seilbrücke auf, die wie ein Dreieck geformt in der Mitte von einem großen Pylon gehalten wird. Ein Zelt mit Fahrrad steht einsam am Wegesrand. Etliche Angler versuchen ihr Glück, sind aber oft mundfaul. Ein Vater mit Sohn und Hund hat nichts dagegen, dass ich sie fotografiere. Dann komme ich an einer großen und langen Galopprennbahn vorbei, die über mehrere 100 m, wenn nicht km am Uferweg entlang führt. Als einige Reiter des Weges entlang geprescht kommen, zücke ich rechtzeitig die Kamera und kann einige Fotos machen. Später dann bin ich so in Gedanken, dass ich den rasenden Galopp einer Reiterin nicht mitbekomme und erst an die Handykamera denke, als sie schon n mir vorbei gejagt ist. Schade, das war wirklich ein unglaublich schneller Ritt. Immer wieder sind kleine und große Ansammlungen von Gänsen zu sehen. Flattern sie anfangs noch ängstlich ins Wasser, wenn ich ihnen zu nahe komme, werden Sie in der Nähe von Ortschaften mutiger. Sie bleiben sitzen oder picken weiter, ohne sich an mir zu stören. Auch etliche Fabriken säumen das anderweitige Flussufer. Mindestens zwei Werke reißen gewaltige Schneisen in die mir gegenüberliegende Bergwelt. Ich denke dabei an die Diskussion in Lengerich um den Kalkabbau im Teutoburger Wald. Nicht nur in Deutschland wird Kalk abgebaut, um den Bedarf nach Baumaterial zu decken.

Dann habe ich Ardennen erreicht und damit die halbe Strecke geschafft. Ich treffe auf dem Weg in die Stadt sofort auf einen Aldimarkt. Dort kaufe ich mir zwei Dosen eisgekühlten Kaffee, die ich an der Kasse bezahle. Dann will die Kassiererin meinen Rucksack prüfen. Ich nehme ihn ab und sage, sie solle es tun. Sie will aber, dass ich den Rucksack öffne. Dass ich tue ich natürlich nicht und bleibe einfach stur stehen. Das gefällt den Kunden, die hinter mir an der Kasse stehen, natürlich auch nicht, aber was soll ich machen? Die Frau ruft die Geschäftsführerin und diese mahnt mich, dass Rucksäcke und andere Taschen in einem bestimmten Winkel am Ladeneingang abzugeben sind, bevor man den Verkaufsbereich betritt. Danach kann ich gehen, ohne dass mein Rucksack durchsucht wurde. Nachdem ich die beiden Kaffeebecher geleert habe, gebe ich die Adresse der Touristinfo in mein Navi ein. Der Weg ist gar nicht weit und eine freundliche Frau hilft mir, eine gute Pension in Namur zu finden, wo ich mich auf 16:00 Uhr festlege, was ein völlig übertriebener zu früher Zeitpunkt ist, wie ich später feststelle. Nach einem Kaffee mache ich mich wieder frohgemut auf den Weg. Natürlich sehe ich am Ortsausgang auch noch Lidl, was sollte sonst auch zu erwarten sein.

Zwischendurch lasse ich mich auch mal fotografieren, damit ich sowohl für mein Handy, als auch für die Kamera einige Fotos von mir habe. Ein Hinweisschild weist auf die Grotten von Goyet hin. Offensichtlich sind dort Malereien von Höhlenmenschen einer grauen Vorzeit zu sehen. Mittlerweile türmen sich mächtige Klippen an meiner Seite auf. Bei einer Rast sehe ich eine ganze Gruppe von Radrennfahrern, die an einer Ampel auf das Startzeichen warten. Als sie losradeln, habe ich die Kamera auf schnelle Bildfolge eingestellt. Allerdings sind diese Fotos nicht sehr scharf geworden. Eine Apotheken Uhr zeigt 27° an, ich empfinde das Wetter aber kühler. Langsam wird mir der Weg dann doch schwer, weil ich die Zeit im Nacken habe. Durch meine leichtfertige Zusage von 16:00 Uhr bin ich im Verzug. ich komme erst kurz vor 17:00 Uhr am vereinbarten Casino an, wo mich die Gastgeberin abholen will. Sie ist mit dem Fahrrad gekommen, eine ältere Dame, die nicht nur Englisch, sondern auch einigermaßen Deutsch spricht. Der Weg ist noch über 1 km weit bergan – das erste Mal an diesem Tag. Das halte ich aber gerne aus, da es dem Ziel entgegen geht. Die Wohnung ist sehr adrett, ich bekomme ein schönes Gästezimmer, auch Bad und WC sind in Ordnung. Wieder eine „Bed and breakfast“-Unterbringung. Die Vermieterin hilft mir noch, eine weitere Unterkunft für Dinant zu besorgen. Sie sucht dazu im Internet und reserviert anschließend telefonisch. Ich gehe duschen und meine Wunden verbinden. Es gibt Reibungsflächen im Oberschenkelbereich, da hilft die Salbe Bepanthen sehr gut. Eine Busfahrt in die Stadt ergibt leider keine Möglichkeit, an diesem Abend eine Messe mit zu feiern, schade. Ich kaufe ein paar Getränke und fahre mit dem Bus wieder nach oben zu Wohnung. Den Schlüssel habe ich bekommen. Unterwegs esse ich noch einige Pommes mit Ketchup. Die Gastgeberin will noch einen irischen Musikabend machen, aber da ist bereits 21:30 Uhr ist, sage ich dankend ab. Ich lege mich vielmehr auf mein Bett und beginne dieses Tagebuch in Dragon zu diktieren. Jetzt bin ich fertig, es ist nach 22:50 Uhr und es wird Zeit zu schlafen. Morgen früh habe ich das Frühstück für 8:00 Uhr vereinbart, das ist die früheste Zeit für die Gastgeberin am Sonntagmorgen.

Namur – Dinant (33 km)

Sonntag, 4.8.2013

Ich habe tief und fest geschlafen, wenn auch bei geschlossenem Fenster, woran die heiße und stickige Luft am Morgen erinnert. Um 7:00 Uhr wache ich auf, packe meinen Rucksack, erledige die morgendliche Wäsche und den Toilettengang und bin pünktlich um 8:00 Uhr beim Frühstück. Die Frühstückstafel ist gedeckt und es gibt reichlich Kaffee, Marmelade, Butter und Brot. Allerdings trinke ich nicht allzu viele Tassen, da sich schon nach der zweiten Kaffeetasse ein Schweißfilm auf meinen Handoberflächen bildet. Das wird wohl heute ein richtig heißer Tag. Es sind kaum Wolken am Himmel und die Sonne scheint klar und hell. Meine Wirtin wünscht mir noch einmal alles Gute und gegen 8:30 Uhr verabschiede ich mich. Eine Messe habe ich am Samstagabend in der Stadt nicht besuchen können, da ich keine Kirche mit Abendmesse gefunden habe. Und die Messe am Sonntagmorgen um 10:00 Uhr, die der Freund der Frau besuchen will, ist mir dann doch zu spät. Ich gehe davon aus, dass ich in Dinant noch eine Abendmesse finden werde. Genauso ist es auch gekommen, aber davon später mehr.

Bin ich gestern auf der linken Seite der Maas gegangen, so gehe ich heute auf der rechten Seite. Die Vermieterin hat mir das eindringlich empfohlen. Sie sagt, dass die linke Seite durch allerlei bergiges Gebiet führt. Natürlich probiere ich trotzdem erst einmal die linke Seite, aber nachdem ich die Brücke überquert habe und einige 100 m in Richtung Dinant gegangen bin, endet der schöne Weg und mündet in eine Sackgasse. Dann mache ich kehrt, quere die Brücke erneut und gehe auf der rechten Seite weiter. Tatsächlich versuche ich noch an zwei weiteren Brücken die linke Seite zu benutzen, aber immer wieder werde ich eines Besseren belehrt. Das liegt daran, dass das Navi immer wieder auf die linke Seite zeigt. Außerdem ist es auf der rechten Seite sehr heiß, denn dort gibt es keinen Schatten, während die andere Uferseite noch voll im Schatten der Bäume und der Felsen liegt. Der rechte Weg ist unangenehm heiß, zumal ich an vielen Stellen den beschatteten baumbewachsenen Weg auf der anderen Seite sehe. Das Laufen selber ist sehr leicht für mich an diesem Morgen. Ich habe keine Knochenschmerzen und es geht mir sehr gut.

Immer sehe ich riesige Schleusen, die den Wasserstand regulieren und den Schiffen die Weiterfahrt auf der Maas ermöglichen. Ich kann aber nicht erkennen, dass die fallenden Wassermassen zur Energieerzeugung genutzt werden. Ganze Gänsefamilien machen es sich mittlerweile entlang des Weges und rechts und links davon bequem und lassen sich auch durch einen müden oder bescheidenen Pilger nicht verscheuchen. Sie schauen zwar wachsam, bleiben aber ansonsten auf ihren Plätzen und zupfen Gras oder suchen Würmer. Die Architektur der belgischen Häuser unterscheidet sich grundlegend von der deutschen Bauweise. Anstatt eines Einheitsstils sind die Häuser sehr individuell kreativ, oft wie kleine Schlösser oder Burgen gestaltet, auch die Neueren. Eine Augenweide für den Betrachter. Ob mit dem Kajak, oder mit dem Fahrrad oder mit der Angelrute – viele Leute am Weg haben ein Hobby.

Vor allem für die Radfahrer gibt es ein besonderes Sonntagsvergnügen – ein großes Radrennen, an dem alle interessierten Radler über verschieden lange Strecken teilnehmen können. In einer Stadt ist eine große Zeltgarnitur aufgebaut mit Getränken und Verpflegung zur Stärkung für die Radfahrer, aber auch für Pilger – soweit diese bezahlen können. Die vielen Radfahrer, die manchmal in größeren Pulks herangeschossen kommen, sind schon lästig, andererseits gönne ich Ihnen die Freude des sonntäglichen Radelns. Verstörender sind die zahlreichen Motorradfahrer, die oft mit laut aufjaulenden Motoren die Berge hoch und runter rasen und dabei eine Schallwelle vor sich her schieben oder hinter sich lassen, die über Kilometer zu hören ist. Als Anwohner würde ich da die Krise kriegen. Offensichtlich scheint es die Bewohner aber nicht zu stören. Auch rasende Boote mit Wasserskiern im Tau tummeln sich zusehends auf dem Wasser, je näher ich Dinant komme. Vielleicht bin ich aber einfach nur sensibler für Lärmquellen und Schnelligkeit, da mich der Pilgerweg schon entschleunigt hat. Entschleunigt ist auch der im Sonnenschein ruhende Hund am Wegesrand. Man achte auf die heraushängende Zunge.

An einem Kriegerdenkmal, in dessem Schatten ich eine kleine Pause einlege, entdecke ich kleine rote Käfer, die dort zahlreich vorhanden sind und überall herum krabbeln Sie sehen durch die Leuchtfarbe Rot bedrohlich aus und haben die Form von Wanzen; jedenfalls so, wie ich mir Wanzen vorstelle. Schöner sind dagegen die Salamander, die sich manches Mal zum Sonnen an den steinernen Mauern festhalten, wo ich sie fotografieren kann.

Die letzten 7 km ziehen sich noch ziemlich hin, aber dann kann ich endlich den Kirchturm von Dinant sehen. Hier tobt das touristische Leben. Die Straßen sind bevölkert mit vielen Leuten, die entweder an den Tischen der Straßencafes sitzen oder sich durch die engen Gassen an den Lokalen und Geschäften vorbeischlängeln.

Es ist gegen 16:30 Uhr und ich gehe zunächst einmal in die Kathedrale. Dort kann ich einem Orgelkonzert lauschen, zu dem sich relativ viele Menschen versammelt haben. Ich höre mir einige Stücke an, bevor ich mich erhebe, um nach der Messzeit zu schauen. 18:00 Uhr heute Abend – das ist eine ideale Zeit, um vorher noch meine Pension zu besuchen und dann gewaschen und geduscht zu Kirche zu gehen. Das Tourismusbüro hat bereits ab 16:00 Uhr geschlossen, so dass ich dort keine Auskünfte für den kommenden Tag und eine Unterkunft in Givet (Frankreich) einholen kann. Als ich zu der Herberge komme, sehe ich die Bescherung. Es ist ein Mittelklassehotel und das Zimmer kostet 50 €. Das ist ein guter Preis für ein gutes großes Zimmer, wenngleich Bad und WC auf dem Flur liegen und mit einem anderen Zimmer zu teilen sind. Allerdings hatte ich meiner Vermieterin in Namur gesagt, dass ich privat untergebracht werden möchte. Aber wenn man nicht alles selber macht. Ich habe mich dann aber mit dem Preis arrangiert und bin auch zufrieden.

Die Messfeier um 18:00 Uhr ist sehr dürftig besucht, aber musikalisch ansprechend und festlich gestaltet. Ich bekomme auch einen Kirchenstempel in meinen Pilgerausweis. Als Priester gebe ich mich allerdings nicht zu erkennen. Nach der Messfeier kaufe ich einige Lebensmittel ein, bevor ich zurück zum Hotel gehe. Dort wasche ich zunächst einmal T-Shirt, Unterhose und das Handtuch. Schließlich kann ich ja nicht warten, bis Andreas mir mit gutem Beispiel voran geht. Danach gehe ich in den Garten, wo es einige Gartenmöbel gibt. Ich bitte die angestellte Frau, die gerade Blumen gießt, mir einen Liegestuhl zu reinigen. Sie reinigt nicht nur den Stuhl, sondern bringt noch eine Auflage. Dann setze ich mich dort und diktiere dieses Tagebuch. Außerdem verzehre ich die Lebensmittel, zwei Joghurts, sechs Würstchen aus einem Glas und die Getränke. Es ist jetzt 21:07 Uhr und wird langsam kühler, eine angenehme Abendruhe kehrt ein. Morgen werde ich voraussichtlich die Grenze nach Frankreich überschreiten und habe bisher noch keine Unterkunft, aber ich lasse mich nicht entmutigen und versuche mein Glück dann halt am kommenden Nachmittag.

Dinant – Givet (F) (31 km)

Montag, 5.8.2013

Ich habe auch in dieser Nacht gut geschlafen, das Frühstück ist ausgezeichnet. Obwohl es erst um 8:00 Uhr beginnt, bin ich der erste Gast, der frühstückt. Nach dem Frühstück rufe ich zuerst im Tourismusbüro an, ob dieses geöffnet ist. Tatsächlich erreiche ich eine Dame, die mir sagt, dass um 9:00 Uhr geöffnet sei. Flugs gehe ich vor der Zeit hin und informiere mich, wie ich am besten an eine Unterkunft in Givet komme. Viele Informationen bekomme ich nicht, aber zumindest die Straße des Tourismusbüros in Givet. Außerdem sagt mir die freundliche Dame, dass ich bis Hastiere das linke Maasufer entlang gehen solle, anschließend rechts. Das hört sich gut an, zumal auf der linken Maas-Uferseite die Sonne durch viel Schatten gemildert ist. Fröhlich ziehe ich des Weges und erfreue mich an der Natur. Die Zeit nutze ich, um den Rosenkranz zu beten und auch die Psalmen. Ich beginne, einen Psalm neu zu lernen. An einem Hotel stapeln Hunderte gelbe und holzfarbene Kajaks, allerdings ist kein Kajakfahrer auf dem Wasser zu sehen.

Eine Gänseart sieht unglaublich nett aus. Diese Gänse haben braune Ringe um ihre Augen, so dass sie aussehen wie die Panzerknacker in Donald Duck. Sie lassen sich von den Menschen nicht mehr stören, soweit man ihnen nicht zu nahe kommt. Vor allem die Eltern junger Gänse postieren sich jeweils hinten und vorne von der Familie und beginnen regelrecht zu fauchen, wenn Menschen stehen bleiben beziehungsweise sich ihnen gezielt nähern.

Nach etwa vier Kilometern verändert sich der Weg. Er geht jetzt durch einen Wald, wird dabei immer enger und führt direkt am Ufer entlang. Der Boden ist uneben, führt leicht auf und ab und ist mit Wurzelwerk geädert. Das alles ist aber noch sehr erträglich, zumal die Bäume jetzt vollen Schatten bieten. Dann allerdings verändert sich der Weg, indem Gestrüpp aus Dornen, Brennnesseln und anderem widerwärtigem Zeug den Weg immer mehr einengt, so dass ich mich durch diese urtümliche Dschungelwelt durcharbeiten muss. Zuletzt mündet der Weg in eine große Lichtung. Vor mir liegt eine riesige Wiese.

Obwohl ich keine Wegzeichen mehr sehe, begebe ich mich auf diese Wiese und gehe immer in der Nähe des Flussufers meinen Weg. Endlich, nach etwa 1 km ist wieder eine neue Fläche zu sehen. Hier weist das rotweiße Wanderzeichen nach links, ich befürchte schon einen Bergaufstieg. Dennoch folge ich den Zeichen und tatsächlich, schon nach wenigen Metern windet sich der Weg immer steiler bergauf. Ich bin ziemlich unleidlich, gehe aber weiter. Nach etwa einem halben Kilometer stoppte ich und wende meinen Schritt. Es reicht! Ich gehe mit schnellem Schritt zurück und wende mich dann nach links zur Wiese die durch einen Zaun begrenzt ist, den ich aber leicht überwinde. Und wieder geht es wohl 1 km lang über Wiesen immer am Ufer entlang. Ein Trampelpfad ist nicht zu erkennen, so dass ich immer in Sorge bin, letztlich doch umkehren zu müssen, wenn ich auf ein unüberwindbares Hindernis treffen sollte. Doch endlich beginnt sich ein schmaler Trampelpfades abzuzeichnen und zuletzt ein breiterer Weg. Ich habe es geschafft. An der nächsten Brücke wechsle ich dann die Uferseite.

Vor mir sehe ich in der Ferne einen Wanderer mit Rucksack, ob aber ein Pilger, sei dahin gestellt. Ich gebe mir aber keine Mühe diesen einzuholen, sondern bleibe bei meinem Tempo. Über mehrere Kilometer nähere ich mich der Person. Kurz bevor ich in Rufweite komme, schwenkt diese nach rechts ab. Damit ergibt sich keine Begegnung, denn mein Weg geht weiter. Ich gehe jetzt mit schnellen Schritten, da es schon auf 16:00 Uhr zugeht. Und mich treibt die Sorge um, dass die Tourismus-Information um 17:00 Uhr geschlossen sein könnte.

Die ersten Schritte in Frankreich nach dem Grenzübertritt, der kaum gekennzeichnet ist, sind enttäuschend. Die Straße und die ganze Umgebung sieht aus wie die DDR in früheren Zeiten. Das liegt daran, dass der Straßenbelag völlig ausgefranzt und mit Schlaglöchern übersät ist. Die Bürgersteige sind nicht gepflastert, sondern lediglich durch geborstene Randsteine von der Straße abgegrenzt. Kurz und gut – häßlich. Einige Fabrikgebäude scheinen seit längerem verlassen zu sein und die geborstenen Fenster geben Einblick in das dunkle Innere. Nach etwa anderthalb Kilometer ändert sich das Straßenbild schlagartig. Auf einmal sind die Bürgersteige gepflastert, die Straßen gepflegt und alles sieht ordentlich aus, fast wie bei uns. Offensichtlich haben die Franzosen den Grenzbereich bewusst von der Sanierung ausgenommen.

Gegen 16:45 Uhr erreiche ich das Büro in Givet und eine freundliche junge Frau empfängt mich. Sie ist dunkelhäutig und spricht fließend Deutsch, da sie in Deutschland studiert hat. Sie freut sich sogar, mal wieder deutsch sprechen zu können. Sehr freundlich versucht sie zunächst einmal, die zuständige Frau für die Jakobuspilger ausfindig zu machen. Diese ist aber im Krankenhaus, so dass diese Quelle versiegt ist. Also besorgt sie mir eine Unterkunft für 35 € über einem Restaurant. Als ich dort um 17:30 Uhr ankomme, ist mein erster Eindruck nicht sehr berauschend. Das Haus sieht von außen sehr schäbig aus und die Flure sind verraucht. Als ich mein Zimmer in Augenschein nehme, ist dieses aber sauber und offensichtlich nicht allzu stark durch Zigarettenqualm belastet. Also nehme ich das Angebot an. Ich ruhe mich erst aus, dann gehe ich zum Aldi einkaufen, diesmal ohne Rucksack, nur mit meiner kleinen faltbaren Plastiktasche. Da es aber schon fast 19:00 Uhr ist, hat der Laden geschlossen. Doch als eine Person heraus kommt, gehe ich schnell hinein und kaufe mir etwas zu trinken und Obst, schließlich habe ich ja heute Mittag schon eine Pizza gegessen, sozusagen als Ausgleich für den langen Marsch durch die Natur. Jetzt sitze ich in einem französischen Park, trinke und diktiere dieses Tagebuch. Ich habe außerdem im Tourismusbüro eine super gute Karte für den Weg bis Rethel gefunden, so dass ich für morgen gut planen kann. Ich hoffe, dass ich den Weg gut finde.

Nach 8 Tagen Pilgern – davon 5 Tage mit Andreas – bin ich von Aachen durch Belgien nach Frankreich gekommen. Ich habe mich gut eingelaufen und bin zuversichtlich für den Pilgerweg durch Frankreich. Bis Charleville-Mezieres (hinter Nouzonville) werde ich noch den französischen Weg an der Maas genießen, dann geht es querfeldein nach Reims, über Orleans nach Tours.

10-tägiger Pilgerweg durch Frankreich von Givet – Nogent sur Seine

Givet – Revin (30 km)

Dienstag, 6.8.2013

Ich stehe morgens frohgemut auf, da es heute nicht zu heiß werden soll. Allerdings lacht schon die Sonne vom blauen Himmel in mein Fenster. Nach der Morgenwäsche packe ich meine Sachen und bin um 7.00 Uhr unten beim Frühstück. Diesmal ist sogar die Butter streichzart und nicht wie sonst kühlschrankhart. Trotzdem dauert es nach dem Frühstück noch fast bis 8:30 Uhr, bevor ich endlich aufbreche. Durch die Unterlagen eines Radfahrers (im Internet gezogen) nehme ich zunächst eine Abkürzung, indem ich anstelle des ausgewiesenen Fußgängerweges die Straße nehme. Damit lasse ich eine große Schleife der Maas aus.

In etwa 5 km Entfernung vom Ort siehe ich zwei Kühltürme, die wahrscheinlich zu einem der vielen französischen AKWs gehören. Sie dampfen ihren weißen Nebel friedlich in den Himmel.

Was für eine Überraschung, als ich dann auf den wunderbar gestalteten Radweg der Franzosen (Ravel genannt) treffe. Er ist gut asphaltiert, in die Landschaft eingefügt, ebenerdig und braucht sich in keiner Weise vor dem belgischen Ravel zu verstecken. Außerdem führt er auf der linken Seite des Flusses entlang, wo es angenehm schattig ist. Der Sonnenschein ist nicht knallig, trotzdem tut der Schatten sehr gut.

Ein Mann aus Belgien läuft hinter mir her und fragt mich, ob ich Jakobspilger sei, was ich bejahe. Dann erzählt er, dass auch er schon den Jakobsweg gegangen sei. Jetzt aber reise er mit seiner Familie per Boot auf der Maas. Er zeigt stolz auf das Schiff und postiert sich für ein Foto mit seiner Familie.

Überhaupt sprechen mich jetzt öfter Leute auf den Jakobsweg an und sind davon sehr begeistert. Entweder sind sie selbst schon gepilgert, oder wollen ihn gehen. Dann überholen mich zwei Frauen mit dem Rad, die ich auch gestern schon gesehen habe. Sie scheinen offensichtlich kein hohes Tempo zu haben.

In Hangbes suche ich das Tourismusbüro auf, das direkt am Weg liegt. Dort versucht mir eine Frau bei der Suche nach einer Unterkunft zu helfen. Allerdings kann sie keine Jakobsunterkunft finden. Sie findet nur ein Hotel, wo das Zimmer 48 € kostet. Ich lasse mir den Hörer geben und spreche selber mit der Angestellten des Hotels. Sie holt den Chef ans Telefon, dem ich sage, dass ich Pilger bin. Er fragt mich, was ich bezahlen könne. Ich sage 30 bis 35 €. Er meint, dann könne ich das Zimmer für 35 € haben. Da bin ich sehr zufrieden. Es gibt doch noch gute Leute, die einen Pilger unterstützen. In der Tourismuszentrale, die einen Aufenthaltsraum und eine gute Toilette hat, ruhe ich mich aus und sammle neue Kräfte. Da ich nun eine Unterkunft habe, drängt mich die Zeit nicht und ich bin schon weit auf dem Weg vorangekommen.

Dann treffe ich eine Fahrradgruppe, die bis nach Jerusalem fahren will. Sie ist optimal ausgestattet mit vielen Tragtaschen an den Rädern und sehr gutem Fahrwerk. Nachdem sie weitergefahren sind komme ich in den Ort Fumar, wo es wieder eine große Schleife der Maas gibt. Ich kann diese Schleife durch eine Querung des Ortes abkürzen. Als ich wieder auf den Weg an die Maas treffe, treffe ich dort tatsächlich noch die sechsköpfige Radgruppe der Jerusalamfahrt, die nicht schlecht staunen, mich nach kilometerlanger Radfahrt wieder zu sehen.

Kurz darauf treffe ich an der Schleuse den belgischen Pilger mit seinem Schiff wieder. Ich habe jetzt die Ohrhörer aufgesteckt und höre Werner Heisenberg „die Weltformel“ – dokumentarische Reden.

Die letzten 7 km ziehen sich wieder hin, wie schon so oft erlebt. Es dauert über eineinhalb Stunden, bis ich endlich die Häuser des Zielortes sehe. Kurz vorher spricht mich ein älterer Franzose an, und fragt genau nach meinem Weg und wie es mir geht. Sein Sohn erklärt in Englisch, dass sein Vater gerne selber den Pilgerweg nach Santiago gehen möchte, sich aber nicht sicher ist, ob und wie er es schaffen kann. Ich mache ihm Mut. Ein anderer Mann erklärt mir genau, wie ich in die Stadt komme.

Zuerst suche ich den Buchladen, der im Internet verzeichnet ist. Stelle aber fest, dass er nicht mehr existiert. Es gibt auch keinen anderen. Dann lasse ich mir von einer Mitarbeiterin im Brillengeschäft erklären, wo das Tourismusbüro liegt. Es liegt die Straße hinunter, die ich vorher erst raufgegangen bin. Ich suche dort Hilfe, um für den nächsten Tag und Ort eine Unterkunft zu reservieren. Aber die Frau stellt sich dumm an, sie ist wohl nicht sehr erfahren und noch sehr jung. Fast um die Ecke ist dann das Hotel, das ich gebucht habe. Es macht schon von außen einen sehr guten Eindruck. Der Chef händigt mir den Schlüssel von einem Zimmer aus und es ist wirklich ein sehr gutes Zimmer, auch mit Bad und Toilette. Ich dusche mich schnell und gehe dann einkaufen. Allerdings kaufe ich zu viel an. Danach esse ich und ruhe mich aus.

Anschließend diktiere ich dieses Tagebuch. Übrigens: ich habe meine erste Blase am rechten Fuß auf der linken Innenseite relativ hinten und noch recht klein. ich hoffe, dass sich mit dem Aufstechen der Blase der Schaden eindämmen lässt.

Revin – Nouzonville (37 km)

Mittwoch, 7.8.2013

Ich werde heute Morgen um 6:00 Uhr wach und bin noch sehr müde, am liebsten möchte ich das weiche, warme Bett gar nicht verlassen. Gegen 6.30 Uhr stehe ich schließlich auf, um mich zu waschen und den Rucksack zu packen. Da ich nicht mit einem Frühstück rechnen kann, muss ich gegen 7:00 Uhr, wie mit dem Hotelier besprochen, unten sein, um zu bezahlen. Bis dahin sollte der Rucksack natürlich gepackt sein. Allerdings wird es dann 7:15 Uhr, als ich schließlich fertig bin. Unten ist noch niemand anzutreffen, und alle Türen sind verschlossen, so dass ich das Geld nicht auf den Tresen legen und einfach hinausgehen kann. Also setze ich mich in einen der bequemen Sessel und warte ab. Es ist kurz nach 7:30 Uhr, als der Chef persönlich kommt. Ich bitte ihn um die Abrechnung und er nimmt mir nur 30 € ab. Ich bedanke mich sehr und lobe das Zimmer.

Dann lädt er mich noch zu einem Kaffee in die Bar ein, wo persönlich den Kaffeeautomaten anschaltet. Das ist wirklich ein netter Mann, und ich verabschiede mich herzlich bei ihm, bevor ich gehe.

Als ich nach draußen komme, trifft mich der Schock. Es ist nieseliges Wetter, und unter der Brücke verpacke ich meinen Rucksack mit der Regenhülle und ziehe den Regenponcho an. Dann bin ich gerüstet und schreite aus. Es ist ein einfacher Weg mit Gebet und Stille, und ich komme sehr gut voran.

Erst nach 11 km mache ich eine erste Pause unter dem Dach einer noch nicht geöffneten Cafeteria, wo ich trockenen Fußes meine Trauben und die Nüsse esse, außerdem auch trinke. Das etwas kühlere Wetter tut mir sehr gut, wobei Nieselregen und manchmal heftiger Regen ziemlich stören. Ich habe Angst um meine Füße, da die Schuhe langsam Wasser durchlassen oder es sich schon feucht im Schuh anfühlt. Außerdem will ich meinen Zielpunkt, die große Stadt Charleville nicht mehr ansteuern, sondern die 7 km davor vorliegende Stadt Nouzonville. Die telefonische Anfrage in der Stadt Nouzonville ergibt, dass dort die Buchung eines Hotels für 45 € Übernachtung mit Frühstück möglich ist. Ich beginne keine Diskussion, sondern bitte die Frau, zu buchen. Sie übernimmt diesen Dienst für mich, da ich mich mit dem Vermieter nicht verständigen kann, der nur französisch versteht und spricht.

Zwischendurch spüre ich das Verlangen, eine Toilette zu finden. Ich gehe in zwei Cafés, wo es aber jeweils nur ein WC mit 2 Fußständern gibt, auf denen der WC-Besucher sich stehend hinzuhocken hat. Dazu aber fühle ich mich doch nach den Kilometern nicht mehr gut in der Lage und so verlasse ich die ungewohnten WC‘s ungenutzt und gehe weiter.

Nach etwa 25 km merke ich, dass meine Schuhe mittlerweile völlig durchnässt sind und Füße darin buchstäblich schwimmen. Ich fühle meine Füße und hoffe, dass diese keine Blasen werfen.

Nach 34 km erreiche ich die Stadt, wo ich auch bald schon das anvisierte Hotel finde. Es ist ein prachtvoller Herrenbau hinter einer großen Mauer mit eisernem Tor.

Da ich mich aber erst für die Zeit nach 18:00 Uhr angemeldet habe, muss ich noch eine Dreiviertelstunde auf einer Bank unter einem Baum warten. Mittlerweile hat der Regen aufgehört, die letzte Stunde war es trocken. Schon klar, schließlich war das Ziel ja erreicht. Ich sitze auf einer Bank unter dem Baum und ziehe Schuhe und Strümpfe aus, um die Füße zu inspizieren und sie der Nässe zu entziehen. Die Haut ist welk wie bei Waschhänden, aber es scheint keine Blase zu geben. Gut, dass ich in die blauen Sandaletten schlüpfen kann.

Als ich gegen 18:00 Uhr schelle, wird die große Eisentür tatsächlich geöffnet und eine Frau bittet mich herein. Sie führt mich in das Herrenhaus und dort in ein riesengroßes, wunderschön eingerichtetes Zimmer mit zwei Betten, daneben ein eigener Raum mit Toilette Dusche und WC. Alles in allem eine wunderbare Einrichtung.

Zuerst dusche ich mich, dann stopfe ich die Schuhe mit Toilettenpapier aus, schließlich wasche ich die Kleidung und hänge sie auf. Dann reibe ich meine Füße mit Salbe ein und lege mich dazu aufs Bett. Jetzt habe ich Zeit, in aller Ruhe das Tagebuch zu schreiben und anschließend will ich dann die Route für morgen und die nächsten Tage planen. Ab jetzt geht es nur noch 7 km an der Maas entlang bis Charlevilles de Mezieres, dann querfeldein bis Reims. Ich will morgen auf jeden Fall noch in Charlevilles de Mezieres eine Wanderkarte besorgen, wenn es diese im Tourismusbüro gibt. Außerdem an einer Bank neues Bargeld ziehen, jetzt bin ich ziemlich blank. Ich habe festgestellt, dass ich mein kleines Tagebuch verloren habe, vielleicht auch nur verlegt. Jedenfalls stehen darin die Kilometerangaben der vergangenen Tage. Gut dass ich das Tagebuch jeweils über die Elektronik direkt diktiert und an mein E-Mailfach geschickt habe. Allerdings ist auch das nicht narrensicher, denn heute Abend habe ich schon das komplette aktuelle Tagebuch diktiert und als ich es versenden wollte, war die Verbindung WLAN unterbrochen. Sobald ich aber Dragon schließe, ist der ganze Text verloren. Nächstes Mal will ich den Text direkt als SMS an mein Handy senden, dann bleibt zumindest der Text erhalten, vor allem wenn die WLAN-Verbindung unterbrochen wird. Morgen früh ist das Frühstück erst um 8:00 Uhr, so dass ich mich mal wieder richtig ausschlafen kann.

Ich habe das große Glück, das gerade in dieser Herberge zum Bad ein Handföhn gehört, so dass ich immer wieder mal die Schuhe mit dem Heißluftgebläse föhne und diese so ganz trocken bekomme. Mit dem Papier allein wäre das nicht geglückt.

Nouzonville – Dommery (39 km)

Donnerstag, 8.8.2013

In der wunderbaren Villa frühstücke ich mit einem anderen Ehepaar an einem reich gedeckten Tisch. Der Raum selber hat die Einrichtung, wie man sie in restaurierten Schlössern findet, die Decken sind besonders verziert und auch die Einrichtung passt zu dem hohen Raum.

Frohgemut starte ich. Der Weg führt zunächst am Fluss entlang, eine ganze Weile durch eine schöne Landschaft. Ich gehe auf glattem asphaltiertem Grund und komme gut voran. Die Stadt Charlevilles de Mezieres ist sehr groß und das Tourismusbüro gut ausgestattet. Ich buche dort eine Unterkunft in Dommery, die allerdings 50 € kostet. Ist aber die einzige Möglichkeit. Genauere Wanderkarten gibt es keine, aber den Tipp, wo eine Buchhandlung zu finden ist. Dort kann ich mich tatsächlich mit gutem Kartenmaterial versorgen und verlasse dann die Stadt. Ich habe ziemlich getrödelt und es ist nach 12 Uhr, als ich wieder auf dem Weg bin. Dazu muss ich auf eine größere Landstraße wechseln, die ziemlich befahren ist. Außerdem geht es steil bergauf und bergab, das zehrt schon an den Kräften. Schließlich kann ich wieder kleinere Wege nutzen und erreiche nach 31 km ein Dorf, in welchem es sogar ein Hotel gibt. Am liebsten wäre ich dortgeblieben.

Allerdings habe ich eine andere Unterkunft im 6 km entfernten Dorf Dommery gebucht. Ich gehe in das Hotel und frage nach Wasser. Die Frau dort gibt mir zwei 0,5 l Flaschen eisgekühlt, kostenlos. Wirklich eine nette Geste, die Flaschen sind für mich wie eine Erlösung, denn ich habe schon seit längerer Zeit nichts mehr zu trinken. Die letzten 6 km zu gehen habe ich keine Lust mehr. So rufe ich den Besitzer meiner gebuchten Herberge an und bitte ihn, mich abzuholen, was dieser aber ablehnt. Also mache ich mich auf den Weg, zunächst versuche ich noch zu trampen, doch als mich niemand mitnimmt, ist es mir zu blöd und ich sage mir, jetzt gehe ich den Weg bis zum Ziel. Es geht auf einer kleinen Landstraße über sanfte Höhen und Tiefen, rechts und links sind Wiesen mit Kühen, die mich treu anschauen.

Endlich erreiche ich das Dorf, weiß aber, nicht wo die Straße liegt. Ich frage einen Landwirt, der mit seinem Trecker und einem großen Anhänger mit Heuballen des Weges kommt. Er sieht mich interessiert an, versucht es mir zu erklären, aber dann lädt er mich ein, mich hinten auf die Deichsel zwischen Trecker und Hänger zu stellen und mitzufahren. Was ich gerne annehme. So stehe ich hinter auf der Deichsel und muss mich mit beiden Händen am Trecker festhalten – aber ich werde gefahren. Wenn es um die Kurve geht, muss ich aufpassen, dass mein Fuß nicht unter die Deichsel gerät. Am Steuer sitzt der 14-jährige Sohn des Bauern, der zum ersten Mal den Trecker allein steuern darf, wie mir der Vater stolz erklärt. Wir fahren auf den Hof des Bauern, einen ziemlichen Hügel hinauf.

Dann geht er mit mir um die Ecke und zeigt mir die futuristisch anmutende Unterkunft in etwa 150 m. Es ist ein sehr modernes Haus, das wie ein Ufo aussieht, auf Stelzen gebaut. Ich bin auf das Innenleben gespannt.

Ich habe mir vorgenommen, mich zunächst höflich für die freundliche Hilfe zu bedanken. Diese Ironie ist besser als Gejaule. In dem Haus sind ein Mann und eine Frau und die zwölfjährige Tochter, die mich alle erwartungsvoll anschauen. Ich bitte aber, mir gleich das Zimmer zu zeigen, damit ich mich fertig machen kann, denn ich bin fertig. Dann bekomme ich noch kühles klares Wasser, genug, um damit diesen Abend durchzustehen. Mein Zimmer liegt unten dem Haus in einem viereckigen Betonkasten, ähnlich einer Garage und ich befürchte schon Schlimmes. Als ich aber hinein gelassen werde, sehe ich, das es gut eingerichtet ist, sehr funktional und auch sehr modern, sauber und für mich passend. Ein weites Fenster zeigt auf die Natur direkt gegenüber. Allerdings hatte ich diesen Blick ja schon etliche Kilometer an diesem Tag.

Hätte der Mann mich abgeholt, wäre ich sicher aufgelegt gewesen zur Konversation oder auch noch ein wenig freundlicher, aber die Enttäuschung, mich stehen zu lassen, verstellte dafür meine Bereitschaft. Andererseits bin ich dadurch den Weg selbst komplett gegangen und habe auch die letzte Etappe zu Fuß zurückgelegt. Irgendwie fügt es sich immer richtig.

Dommery – Chateau (33 km)

9.8.2013

Heute Morgen nehme ich eine Schmerztablette Aspirin, um beschwerdefrei laufen zu können. Ich fühle mich hundemüde und als ich um 7:30 Uhr zum Frühstück gehen, habe ich noch nichts gepackt, sondern mich nur einigermaßen gewaschen. Nach einem guten und reichhaltigen Frühstück gehe ich nach unten und packe bis kurz nach 9:00 Uhr. Um 9:15 Uhr starte ich den neuen Weg. Es geht über sanfte und wellige Hlügel auf und ab, ist aber leicht und angenehm zu gehen.

Die Landschaft ist von Wiesen durchzogen und manchmal tauchen kleine Wälder dazwischen auf. Interessant sind die Tiere. Es sind zumeist Kühe, die jedes Mal, wenn ein Mensch auftaucht, sich mit ihren Blicken ihm zuwenden und innehalten. Sie schauen mich die ganze Zeit an, vom ersten Wahrnehmen bis zum letzten Blick. Interessant, wie sie sich zusammenstellen und alle stumm in meine Richtung blicken. Anders dagegen die Schafe, sobald die einen Menschen sehen, wenden sie sich fluchtartig und rennen gemeinsam bis an den hintersten Rand der Koppel.

Die gute Wetterlage lässt viele Landwirte in diesen Tagen ihre Getreideernte einfahren. Deshalb sind viele schwere Trecker mit ihren großen Anhängern unterwegs. Im ersten Dorf nach 6 km will ich das Tourismusbüro aufsuchen. Es ist als Tourist-Info ausgeschildert, ist aber die öffentliche Bücherei. In der Einrichtung hält sich auch eine Mutter-und-Kind-Spielgruppe auf.

Eine der Mütter spricht deutsch und ich frage nach dem GR Wanderweg. Sie und dGR Wanderweg gibt es kaum Informationen, zumindest nicht für den Uneingeweihten. Und eine Karte gibt es auch nicht. Nach dieser netten Begegnung gehe ich weiter. Ich sehe zwischendurch immer wieder sogar das Santiago-Pilgerzeichen und freue mich, auf dem richtigen Weg zu sein.

Einmal gibt es sogar eine GR Kennung, die durch Wald und Wiesen führt und mir als eine Abkürzung erscheint. Ich folge dem landschaftlich schönen Weg und komme tatsächlich gut weiter. Gegen 17:30 Uhr erreiche ich schließlich Chateau Hier muss ich unbedingt eine Unterkunft finden, denn für mehr reichen die Kräfte nicht. Es gibt es kein Tourismusbüro, allerdings soll ich in der Bürgermeisterei nachfragen. Diese ist aber bereits ab 17:00 Uhr geschlossen. So gehe ich dann noch zur Kirche. Dort treffe ich einen älteren Mann, der gerade die Kirche abschließt. Ich sage ihm, dass ich Jakobspilger bin und bitte um ein Bett. Er fragt mich, ob ich einen Stempel wolle, was ich bejahe. Anschließend frage ich erneut nach dem Bett. Er meint, in einem Café böte sich eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich verstehe ihn aber nicht und frage höflich, ob der mich mit seinem Wagen dorthin fahren könne. Er lässt mich in seinen Wagen (noch unordentlicher als meiner!!) einsteigen und tatsächlich gibt es in diesem Café einen Schlüssel beziehungsweise einen Zahlencode, mit dem ich Zugang zur Refugio erhalte. Sie liegt direkt gegenüber dem Cafe und hat drei Betten, einen Waschraum und Dusche, außerdem einen Toilettenraum. Sie ist sauber und ordentlich. Ich gehe zunächst in den großen Supermarkt und hole mir dort drei Flaschen zu trinken, außerdem viel Joghurts. Danach gehe ich in das Café, um dort ein Menü zu bestellen. Es ist recht ordentlich, Pizza, Salat, und ein Bier.

Das Essen ist o.k. und ich bezahle elf Euro. Die Herberge ist umsonst. Nach dem Essen gehe ich zur Refugio, lege mich hin und diktiere das Tagebuch, zunächst das von heute. Gleich will ich auch noch das von gestern diktieren, dazu bin ich nämlich aus Müdigkeit gestern nicht gekommen. Ich hatte großes Glück, genau an der Kirche zu sein, als der Mann abschloss. Wäre ich früher oder später hingegangen, so hätte er mir nicht helfen können. Und ich bin sicher, dann hätte ich die Refugio nicht gefunden.

Chateau – Reims (44 km)

10.8.2013

Heute also soll es nach Reims gehen. Ich möchte Reims unbedingt am Samstagabend erreichen, um am Sonntagmorgen in der Kathedrale die Messe zu feiern. Allerdings ist dies eine sehr lange Wegstrecke, es geht etwa um 35 km. Ich habe mir einen Weg durch kleine Orte und über Landstraßen ausgesucht, damit ich möglichst wenigem Verkehr begegne. Am Morgen mache ich mich in der kleinen Refugio fertig und packe meine Sachen. Dann schreibe ich einen kleinen Text in das Buch der Danksagung aller Gäste. Frühstück gibt es nicht in dem Dorf, also starte ich ohne dieses frohgemut los. Es ist sonnig, aber öfters bewölkt, so dass die Temperaturen sehr angenehm sind, auch später am Tag. Bis zum Ort Blanzy ist es fast ein Spaziergang und ich bin schon ein Dorf weiter, als ich erst vermutet hatte.

Der Weg ist doch wirklich schön, allerdings gibt es in all den Orten keine einzige Bar, wo ich ein kleines Frühstück einnehmen könnte oder wenigstens ein kaltes Getränk zu mir nehme. Zwar sind meine Vorräte gut gefüllt, aber auf Dauer werden sie nicht reichen. Mir fehlt vor allem der morgendliche Kaffee, der mich sonst auf Trab bringt.

Nach etwa 20 km erreiche ich ein Dorf, in welchen ich fest damit gerechnet habe, ein Restaurant zu finden. Das hatte mir ein älterer Bewohner gesagt und auch zwei Jugendliche. Als ich schließlich das Restaurant finde, ist es geschlossen und damit die einzige Möglichkeit versiegt, Wasser zu tanken und ein wenig in der Kühle auszuruhen. Ich bin ziemlich enttäuscht und fertig. Gegenüber dem geschlossenen Hotel liegt ein Friseursalon. Es gibt viele dieser Friseursalons, und ich wundere mich, dass diese so zahlreich sind, während Geschäfte und Einkehrmöglichkeiten in den Dörfern sich sehr in Grenzen halten. Ich gehe in den Friseurladen, um mich zu erkundigen, ob es noch eine andere Möglichkeit zur Einkehr gibt.

Diese gibt es nicht. Während noch die Angestellte mit mir redet, kommt eine andere Frau in den großen Raum und bietet mir Wasser an. Es ist eine 1 l Flasche aus dem Kühlschrank eisgekühlt, wunderbar. Ich nehme sie gerne an. Sie bittet mich, auf einem der Stühle Platz zu nehmen und holt anschließend auch noch einige Würfel Frischkäse und Toastbrot. Mehr habe sie nicht, deutet sie bedauernd an, indem sie die Kühlschranktür öffnet, hinter der es leer ist. Ich danke sehr und setze mich in den kühlen Raum, um das Toastbrot zu belegen und zu verspeisen und trinke dabei die kühlen Schlucke Wasser. Außerdem kann ich den Akku meines Handys aufladen. Es ist etwa 14:00 Uhr und die ruhigste Zeit am Tag. Keine Kundin kommt während der folgenden Dreiviertelstunde in den Laden. Ich genieße einfach nur die Kühle, das Wasser und das Brot. Als ich dich wieder gestärkt fühle, erhebe ich mich und will mich verabschieden. Die Frau fragt mich, ob ich noch eine weitere Flasche Wasser wolle. Was ich dankend ablehne. Das ist eine große Dummheit, ich hätte sie gut in meine halb leere Flasche hinein gießen können.

Das war eine wirkliche Begegnung wie mit Engeln und ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Menschen so hilfsbereit sein können. Dann gehe ich den Weg weiter, es sind noch lange Kilometer. Endlich erreiche ich die große Hauptstraße, die direkt nach Reims führt, nur noch etwa 8 km.

Die Baumreihe im Hintergrund ist die Begrenzung der Hauptstraße. An der großen Verkehrsader geh ich auf der linken Seite auf einem Feldrain, das ist zwar anstrengender als auf Asphalt, andererseits tut es meinem linken Fuß gut, unter dem sich am vorderen Ballen eine sehr schmerzhafte Stelle entwickelt hat.

Ich befürchte eine Blase. Durch die unebene Fläche verteilt sich der Druck der Bewegung besser auf den ganzen Fuß. Dann erreiche ich den Ort Betheney. Es ist eine ruhige Schlafstadt, und auch hier finde ich trotz vieler Häuser keine einzige Bar. Ich will schon fast verzweifeln, als ich endlich zumindest auf einen kleinen Lebensmittelladen aufmerksam werde, in welchem ich mich mit Getränken eindecken kann. Die große Flasche Orangensprudel leere ich auf einer Bank im Schatten gleich aus. Zehn Minuten nach meinem Einkauf hat auch dieses Geschäft geschlossen – Glück gehabt.

Der Weg danach zieht sich noch, allerdings geht es jetzt durch die Straßen der Stadt und bald schon sehe ich nicht weit entfernt auf der rechten Seite die Kathedrale zwischen den Häusern herausragen. Ich besuche diese aber noch nicht, sondern bewege mich gleich in Richtung meiner Herberge, die ich unterwegs über booking.com gebucht habe. Dies ist übrigens eine sehr gute Einrichtung. Booking.com, ist ein Hotelportal, in dem ich auch damals schon in Lourdes ein günstiges Quartier gebucht habe. Es bietet eine sehr gute Auswahl von preiswerten bis teuren Unterkünften an. Noch einmal werde ich vom Navi in die Irre geführt, indem ich auf der Zielstraße linksherum gehe und erst nach 150 m merke, dass ich falsch gegangen bin. Dann wende ich in die andere Richtung und gehe an großen Sportstätten vorbei. Es ist schon nach 20:00 Uhr und ich bin 44 km gelaufen, als ich endlich die Herberge erreiche. Welch eine Überraschung – es ist genau die Herberge, die ich 2005 mit Leo bezogen habe.

Dieses wunderbare Jugendhotel hatte, so erinnere ich mich, gut eingerichtete Einzel-Zimmern, einfach aber praktisch und mit reichhaltigem Frühstück. Tatsächlich bekomme ich ein gutes Einzelzimmer mit Bad auf dem Zimmer, während die Toilette auf dem Flur quasi gegenüber meinem Zimmer liegt. Also auch keine große Schwierigkeit.

Unter meinem linken Fuß hat sich am Fußballen eine Blase gebildet, die aber noch nach innen geht, statt nach außen. Ich will es diesmal mit einem Blasenpflaster von Scholl probieren, meinem letzten Versuch und klebe es nach dem Duschen drauf. Ich kann vorab berichten, dass es nichts gebracht hat. Seitdem steche ich die Blase gut auf und lasse so die Flüssigkeit ablaufen. Obwohl draußen viele, vor allem junge Leute sind und sicher auch einige Deutschsprachige, bleibe ich auf meinem Zimmer, um mich einfach nur zu pflegen und auszuruhen. Für den heutigen Tag bin ich geschafft. Gleichzeitig aber bin ich auch sehr dankbar, dass ich diese Etappe geschafft habe und morgen in aller Ruhe die Kathedrale anschauen kann, dort die Messe feiere und dann gegen Mittag aufbrechen werde. Ich gehe davon aus, dass der Weg nach Epernay sich auf 23 km beläuft, denn das sagt mir das Navi. Wie man sich doch täuschen kann, merke ich erst später.

Reims – Epernay (32 km)

Sonntag, 11.8.2013

Heute Morgen bin ich nach gutem Schlaf aufgewacht und gerne noch liegen geblieben. Gegen kurz vor acht stehe ich auf und gehe nach der Morgenwäsche zum Frühstück. Das Frühstück in der Herberge ist reichhaltig und sehr gut. Es gibt Kaffee, soviel man will, ein Frühstücksbuffet mit Obst mit Milchprodukten Körnerbrot und Cornflakes, Honigsmacks. Zu mir an den Tisch setzt sich der Turiner Luca, der mit seinem Freund mit dem Fahrrad von Turin in Italien bis nach Amsterdam fahren will. Ich rate Ihnen zur Route an der Maas in Belgien und gebe ihm dazu die Karte, die er gerne annimmt. In der Herberge ist der Frühstücksraum proppenvoll, und es herrscht eine gute Atmosphäre zwischen verschiedenen Menschen vieler Nationen, jungen und älteren Menschen, halt alle jene, die eine preiswerte Unterkunft brauchen. Die Erinnerungen mit dem Radfahrer Leo kommen wieder, zum Beispiel beim Toasten.

Anschließend gehe ich nach oben, die Sachen packen. Ich will gegen 9:30 Uhr zur Kathedrale gehen, da ich mit der Messfeier um 10:00 Uhr rechne. Ich habe das Blasen Pflaster unter dem linken Fuß kleben und lasse es dort. Als ich um kurz vor 10:00 Uhr an der Kathedrale bin, hat die Messe bereits um 9.30 Uhr begonnen. Also warte ich bis zur Messfeier um 11:00 Uhr.

Vor der Kathedrale ist eine Platte in den Boden eingefügt, die an die friedenstiftende Begegnung von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer 1962 erinnert. Die Begegnung fand auf großem historischem Boden statt, war doch Reims schon zur Zeit Karls des Großen – wie auch Aachen – ein wichtiger Ort für diesen. Dort wurde er 816 zum Kaiser gekrönt. Die Kathedrale wurde allerdings erst 1211-1311 errichtet. Ein erster Blick in die Kathedrale zeigt das mächtige gotische Kirchschiff mit einer Höhe von fast 39 m und einer Länger von 138 m. Ein echtes Wahrzeichen mittelalterlicher Baukunst. Außerdem beginnt mit Reims die Champagne, was mir aber bei meinem Aufenthalt hier noch nicht bewusst ist. Dann besuche ich das Tourismusbüro und suche weitere Karten für den Weg nach Sezanne und darüber hinaus. Die Suche ist ergebnislos. Über Booking.com suche ich mir ein Hotel in Epernay aus, das für 45 € zu buchen ist. Außerdem lade ich mein Smartphone auf, damit die Energie diesmal reicht. Ich gehe davon aus, dass ich nach 26 km das Ziel erreiche.

Die Messfeier beginnt um 11:00 Uhr mit einem älteren Priester, der von älteren erwachsenen Messdienern begleitet wird. Die französische Liturgie arbeitet viel mit Kantoren und Wechselgesängen. Der Kantor steht vorne und leitet die Gemeinde an. Viele singen mit, ich allerdings kann nur das Halleluja. Es ist eine gute Altersmischung bei der Messfeier, allerdings eine kleine Schar von höchstens 80 – 100 Personen! Nach der Messfeier hole ich mir noch den Pilgerstempel und dann geht’s los gegen 12:00 Uhr. Nach etwa 2 km merke ich, dass dies nicht der richtige Richtung sein kann, denn ich befinde mich auf dem Weg, auf dem ich gestern in die Stadt hinein gekommen bin.

Eine Überprüfung meines Navis ergibt, dass er mir die Route zurück eingestellt hat, anstatt zum neuen Ort. d.h. vier Kilometer mehr pilgern. Diesmal stelle ich den Navigator auf das richtige Ziel ein und es sind insgesamt etwa 31 km zu gehen. Bravo. Ich setze mich auf eine Mauer am Straßenrand, um das zu verarbeiten. Eine junge Frau kommt singend auf der anderen Straßenseite entgegen. Ich winke ihr zu, und sie und sie kommt und fragt, ob sie helfen könne. Ich sage, dass ich ihren Gesang schön finde. Erst will ich englisch sprechen, aber dann stellt sich heraus, dass Sie auch Deutsch spricht. Sie kennt Aachen sehr gut und es ist ihre Lieblingsstadt, da sie dort durch die Universität Bekannte hat. Sie ist sehr nett und ich finde es ungewöhnlich, dass sie so unbefangen rübergekommen ist. Sie sagt, sie freue sich, dass sie mitten in Frankreich jemanden treffe, der Deutsch spreche. Dann verabschieden wir uns und ich bleibe noch etwas sitzen. So gibt es immer wieder Begegnungen, mit Menschen, mit denen man nicht rechnet.

Das Wetter heute ist sehr angenehm, sonnig und warm, allerdings nicht heiß. Der Weg aus der Stadt Reims führt natürlich über viele verschiedene Straßen, und bald habe ich eine doppelspurige Bundestraße erreicht, der ich folge, da kein anderer Weg zu erkennen ist.

An dieser Straße, die einer Autobahn ähnelt, entlang zu gehen, ist schon ein wenig riskant und ich habe dabei auch ein ungutes Gefühl, aber zumindest gibt es einen Seitenstreifen, dem ich den entgegen brausenden Autos folge. Einige setzen den Blinker und wechseln die Spur, die meisten jedoch halten wenigstens Abstand. Einige fahren sehr dicht an mich heran und zwei oder dreimal auch hupend. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie auf deutschen Straßen gehupt würde. Insgesamt sind die Autofahrer sehr diszipliniert, trotzdem ist der Straßenlärm der brausenden Autos und die Gefährlichkeit eine Belastung für meine Nerven. Dabei ist es weniger die Angst, überfahren zu werden, als vielmehr die Geräuschkulisse der ständig heranbrausenden Autos, die mir entgegenkommen beziehungsweise die von hinten an mir vorbei fahren. Ich gehe dem Verkehr entgegen, denn wenn ich überfahren werden sollte, dann wenigstens sehenden Auges.

Die Straße zieht sich endlos hin. Immer wieder geht es lange aufwärts und dann auf einer großen Ebene immer geradeaus und zuletzt noch einmal in ein Tal hinein, bevor es wieder hochgeht zum Zielort. Dabei fällt mir auf, dass ich nun in der Champagne bin, darauf weisen die vielen Werbeplakate und Schilder der Winzer hin.

Die Kilometer laufe ich herunter und bete dabei den Rosenkranz, beziehungsweise singe Lieder oder bete die Psalmen. Das ist die beste innere Haltung, um nicht an die Kilometer zu denken. Erst 5 km vor dem Ziel komme ich auf eine kleinere Straße und kann endlich entspannt sein. Da sind allerdings meine Kräfte auch schon ziemlich aufgebraucht und ich bin froh, als ich endlich das Ziel gegen 20:15 Uhr erreiche.

Das Hotel ist wie beschrieben ein herrschaftliches Gebäude und die Zimmer sind auch schön. Ich treffe hier den belgischen Pilger Thomas, der bis nach Santiago laufen will. Im Augenblick hat er eine Sehnenscheidenentzündung an seinem Schienbein und kann täglich nur 12-14 km laufen. Er scheint mir auch ein bisschen wehleidig zu sein, denn wenn ich an meine Blase denke, könnte ich eigentlich auch keine großen Etappen gehen. Immerhin ist er der erste Pilger, der zu Fuß geht und er will über Vezelay gehen. Dann gehe ich auf mein Zimmer, um zuerst einmal dieses Tagebuch zu diktieren und Andreas anzurufen mit der Bitte, mir sein Tagebuch der ersten fünf Tage zu mailen, das er geschrieben hat.

Die letzten Tage habe ich ein Hörbuch gehört, das von einem Mädchen Lea handelt, welches nach dem Verlust der Mutter durch das Geigenspiel zunächst aufgebaut wird, aber dann letztlich durchdreht. Es ist die Fixierung auf eine ganz bestimmte Art des Lebens, die keine anderen Möglichkeiten mehr zulässt. Diese Fixierung auf ein Thema mit immer vertiefenden Schleifen bis hin zum Wahnsinn erinnert mich an zwei andere Romane, die ich gelesen habe. Zunächst einmal die Schachnovelle von Stefan Zweig, die von einem Schachspieler handelt, der immer mehr über das Schachspiel ins Grübeln gerät und schließlich innerlich durchdreht. Der den Schachzügen schon weit voraus ist und das Nachdenken des Mitspielers nicht aushalten kann. Der zweite Roman schließlich ist von Patrick Süskind, und heißt „Das Parfüm“. Darin geht es um einen Mann, der ein besonderes Riechorgan hat, mit dem er immer wertvollere Parfüms aus unterschiedlichen Essenzen und Mischungen kreiert. Die Gier nach einem ultimativen exquisiten Geruch mündet dabei in einen Mord, um den Duft einer Frau einzufangen.

In der Geschichte von Lea erzählt der Vater dem Erzähler, der ihn auf einer Reise kennenlernt, die ganze Geschichte mit Lea und seiner Rolle darin. Das Mädchen landet in die Psychiatrie und nimmt sich zuletzt das Leben, weil sie glaubt, ihrem Vater nicht wieder gut zu machendem Schaden zugefügt zu haben. Der Vater verkraftet das nicht. Nachdem er die ganze Geschichte erzählt hat, bringt er sich ebenfalls um. Eine schwermütige Lektüre auf dem Pilgerweg, aber doch sehr intensiv und tiefsinnig, und damit durchaus passend.

Fazit: Gestern habe ich nach 13 Tagen auf dem Pilgerweg Reims erreicht, die alte Kaiserstadt mit einer großen Geschichte. Heute Morgen konnte ich dann in der Kathedrale von Reims die Heilige Messe um 11:00 Uhr mitfeiern. Ich bin sehr zufrieden mit dem Weg. Da ist einerseits das schöne Wetter, das nur einen einzigen Regentag geboten hat, ansonsten nur Sonne, höchstens einige Wolken, die ich gerne sehe, da sie etwas Schatten spenden. Das Wetter ist so gut wie in Spanien auf dem Camino. Außerdem kann ich mich besser verständigen, als ich befürchtet hatte. Das Französische ist zwar die Landessprache, aber mit Hand und Fuß und vielem guten Willen gibt es immer einen Weg der Verständigung. Und wenn ich auch heute dem ersten Jakobuspilger Thomas aus Belgien begegnet bin, so habe ich doch schon viele Begegnungen mit netten und interessanten Menschen gehabt. Viele interessieren sich für den Jakobusweg und sprechen mich an, wenn sie meine Jakobsmuschel auf dem Rucksack sehen. Durch die reichhalte Zeit, die ich allein unterwegs bin, kann ich den Rosenkranz und die Psalmen beten, Lieder singen, den Gedanken nachhängen oder mich einfach nur innerlich an der Schönheit der Natur am Wegesrand freuen.

Natürlich gibt es auch kleine Quälereien am Rande. So habe ich unter dem linken Fuß wieder mal eine Blase, die ich aber noch nicht gross werden ließ. Und mancher Schweißtropfen gehört auch zum Camino. Alles in allem geht es mir sehr gut und ich freue mich, wenn ich den Camino in den letzten Tagen noch bis Orleans gehen kann.

Epernay – Vertus (27 km)

Dienstag, 12.8.2013

Als ich heute Morgen gegen 7:00 Uhr aufwache, bin ich noch unentschlossen, was zuerst anzugehen ist. Da ich gestern Abend kein Tagebuch mehr diktiert habe, nehme ich mir dies zuerst vor und diktiere das Tagebuch von gestern und noch zwei andere Tage, die aufzuholen sind. Damit bin ich auf dem neuesten Stand. Anschließend überlege ich, welche Route ich heute Richtung Sezanne gehe.

Gestern Abend habe ich mir schon überlegt, ob ich links an der Bundesstraße vorbei über die Dörfer gehe und Sezanne auslasse und direkt nach Nogent sur Seine gehe. Meine Sorge dabei ist, dass es in den Dörfern keine Bars oder Geschäfte gibt, erst recht keine Unterkünfte. Dann aber wäre ich aufgeschmissen. Denn dieser Weg dauert wohl drei Tage. Die andere Möglichkeit ist rechts an der Bundesstraße vorbei ebenfalls über die Dörfer zu gehen, aber an einer anerkannten Wanderroute und damit wahrscheinlich auchmit Herbergen und Gastlichkeit bestückt. Der Nachteil dieser Route besteht darin, dass sie über Sezanne führt und mich damit einen Tag mehr kostet. Andererseits kann ich mich dann auf 24 km für heute beschränken, was mir angesichts meines linken Fußes und der Blase nicht schlecht erscheint. Ich reiße das Pflaster von der Blase am linken Fuß ab und sehe, dass sich die Blase nicht wesentlich vergrößert hat und durch weiße Haut zu sehen ist. Diesmal versuche ich es mit dem Polster, dass ich mitgenommen habe und dass ich mir mit der Schlaufe um den kleinen Zeh binde und dann unter dem Fußballen befestige, um die Blase gegen Stöße abzumildern. Außerdem steche ich vorher die Blase an, es kommt aber kein Wasser. Dann habe ich alle Vorbereitungen getroffen und verlasse gegen 10:00 Uhr das Haus. Zunächst aber gehe ich zurück in die Stadt, um mich noch einmal im Tourismusbüro über andere Möglichkeiten zu informieren. Dort aber ist wenig Hilfe zu erfahren. Man nennt mir eine günstige Herberge in Vertus für zwölf Euro. Das gibt den Ausschlag, mich für die rechte Route zu entscheiden und damit die kleine Etappe von 24 Kilometern.

Ich gehe noch einmal in eine Bar, um dort Kaffee zu trinken und etwas Brot zu essen. Schnell merke ich, dass ich mit sieben Euro beim Frühstück im Haus besser weggekommen wäre, als mit den zehn € für das Frühstück in diesem Café. Mein Geiz hat sich schon manches Mal nicht ausgezahlt. Endlich breche ich gegen 11:00 Uhr auf und suche nun zügigen Schrittes mit meinem Navi den Weg aus der Stadt. Anfangs nieselt es leicht, aber nach einigen Minuten hört das wieder auf. Ich muss zunächst doch einer großen Straße folgen, bevor eine kleinere Straße davon abzweigt. Jetzt habe ich endlich eine freie gute Gehstrecke.

Was gibt es von dem Weg viel zu sagen? Es ist die Route de Champagne und mir dämmert erst allmählich, dass dies das Anbaugebiet des weltberühmten Champagners ist. Und dass Champagner nicht eine Sorte, sondern eine Gattung ist wie der Rheinwein – mit unzählig verschiedenen Marken. Überall gibt es Champagnerfirmen und -sitze und unterschiedlich gute Namen, die der Kenner sicher einzuordnen weiß.

Der Weg führt auf schönen Asphaltstraßen mitten durch die riesigen Weinanbaugebiete, die sich rechts und links des Weges manchmal endlos erstrecken, durchbrochen von kleinen Dörfern, die wie Inseln im Meer der grünen Reben liegen. Die Trauben sind noch klein und unansehnlich, keine Verführung für den Wanderer.

Gegen 17:00 Uhr nähere ich mich Vertus, eine recht früher Ankunft, die mich hoffen lässt, an diesem Tag alle meine Aufgaben zur vollstenZufriedenheit meinerseits zu erledigen. Beunruhigt hat mich unterwegs, dass sich unter der Tel-Nr. für die 12 € Unterkunft immer nur ein Anrufbeantworter meldet. Aber ich habe mein Navi und mache mich auf zur angegebenen Straße. Dort befindet tatsächlich ein großes Heim, und auch eine Schule (kurz Schullandheim), und daneben ein kleines Haus. Das Schullandheim sieht geschlossen aus, der riesige Hof ist menschenleer, keine Fahrzeuge sind zu sehen und ich befürchte Schlimmes. Ich hoffe, dass im kleinen Haus der Hausmeister wohnt und mich aufnimmt. Als ich dort schelle, öffnet tatsächlich sofort eine Frau. Ich erkläre ihr, dass mir das Tourismusbüro diese Adresse gegeben hat. Sie sieht etwas ratlos aus und sagt, dass sie selber die Schule nicht vergeben darf. Sie versucht telefonisch die Direktorin zu erreichen, aber ohne Erfolg. Ich mache mein Problem, wo soll ich übernachten zum Thema für diese Frau und ihre erwachsene Tochter, lasse nicht locker und sehe bittend um Hilfe an. Sie beratschlagen sich und tätigen weitere Telefonate.

Endlich bedeutet mir die junge Frau, zu ihr in den Wagen zu steigen, sie wolle mich zu einer Unterkunft bringen. Ich weiß nicht, wohin es geht, aber ich steige vertrauensvoll ein und wir fahren wieder zurück in die Stadtmitte und dort zu einer Kirche.

Wir steigen aus und gehen einen Pfad hinauf zum Pfarrhaus, wo ein älterer Herr öffnet. Es ist wahrscheinlich der alte Pastor, der sehr familiär und häuslich aussieht. Er hat Pantoffeln an, ein einfaches Hemd über die Hose hängend, ist aber freundlich. Er spricht sogar ein paar Brocken Deutsch und führt mich dann in den Keller des Pfarrheims, wo ich einen Raum mit zwei Toiletten für mich allein bekomme, allerdings fehlt das Bett bzw. eine Matratze. Später wird er mir eine Matratze bringen, so erzählt er mir.

Ich wasche zuerst meine Wäsche, damit mir nicht noch einmal die schmuddelige und stinkende Wäsche am Leib hängen muss. Dann gehe ich in die Stadt, um einen Lebensmittelladen zu suchen, was kein leichtes Unterfangen ist. Hier in Frankreich scheinen alle Lebensmittelläden von den Ortszentren an die Peripherie verlagert zu sein. Kleine Geschäfte gibt es kaum. Ich halte das für eine unselige Entwicklung, die sich in Deutschland so noch nicht abzeichnet. Nach einigem Fragen und Suchen finde ich aber schließlich ein riesengroßes Kaufhaus „Brickolage“ und decke mich dort mit Getränken und Lebensmitteln ein. Dann geht es zurück zum Pfarrheim, wo ich mir mit einem Schlüssel Zugang verschaffe. Die Trocknung der Wäsche macht schon Fortschritte, ich habe sie auf einen Landkartenständer gehängt und diesen nach draußen an die frische Luft gestellt. Heute Abend werde ich ihn wieder rein holen. Besonders gefreut habe ich mich über die Hilfsbereitschaft der Frauen, also der Hausmeisterin und ihrer Tochter, die mir auf diese Weise zu einem Quartier an der Kirche verholfen haben.

Heute Morgen hat mich übrigens Hermann angerufen, der sich am Samstag mit Maria trifft, der Berliner Pilgerin von 2010. Ich bestelle herzliche Grüße. Der ältere Mann mit seinem Gehstock hat mir eine aufblasbare kleine Matte hingelegt, ich bin mal gespannt wie weit sie mich schützt vor der Kälte der Bodenfliesen. Die Blase unter dem Fuß ist unverändert, sie hat unterwegs manchmal mehr oder weniger geschmerzt. Ich glaube, der Druckverband darunter ist eine sehr gute Maßnahme, die ich auch morgen wieder ergreifen werde.

Ich merke erst nach dem Einkauf, dass die zwei Räume nur jeweils eine Toilette, aber keine Dusche enthalten. Jetzt bereue ich, dass ich gestern erstmals abends nicht geduscht habe, obwohl eine wunderbare Dusche vorhanden war. So muss sich jetzt den zweiten Abend ohne Duschen auskommen und es wird langsam unangenehm. Morgen Abend will ich auf jeden Fall wieder in einem richtigen Bett schlafen und vorher in Ruhe duschen. Man sollte die wichtigen Dinge nicht aufschieben, wie ich wieder einmal erkenne.

Vertus – Sezanne (34 km)

Dienstag, 13.8.2013

Ich bin doch erstaunt, dass ich relativ gut auf dem schmalen und dünnen Luma schlafen konnte. Zunächst einmal habe ich mich so gelegt, dass mein Kopf oberhalb der Unterlage zu liegen kommt und zwar auf einem kleinen Kissen, dass ich mir selber aus Wäschestücken gebildet habe. Darunter liegt die folierte Sitzunterlage gegen die Kälte der Steinfliesen, die ich erst zwei Mal benutzt habe. Mein Schlaf ist leicht und oberflächlich, da jedes Drehen auf der kleinen Fläche mühsam ist. In der Nacht fällt mir ein, dass ich meinen Rucksack als Unterlage für den Kopf auch gut nutzen kann. Dies ist der Durchbruch und verhilft mir zu einem tiefen Schlaf bis morgens gegen 6.30 Uhr. Diesmal breche ich schon um 8:30 Uhr auf. Es ist draußen noch sehr frisch, und ich freue mich, wenn ich in den Sonnenstrahlen laufen kann, dann ist mir gleich wärmer.

Es geht über viele kleine Dörfer, zunächst noch durch die großen Weinanbaugebiete der Champagne, später dann an Kornfeldern und andere Flächen vorbei.

Die kleinen Straßen sind angenehm zu laufen es geht zwar auf und ab, aber alles im Rahmen. Vor dem Zielort Sezanne ist eine Anhöhe, die sich etwas hinzieht. Dort liegen auch mehrere kleine Gewässer, deren Ursprung mir unergründlich ist.

Das Büro insgesamt hat mir eine Telefonnummer für „Bad and breakfast“ gegeben, die ich aber nicht anrufen kann, da niemand den Anruf annimmt. Also versuche ich, bis 17 Uhr Sezanne zu erreichen, um im Tourismusbüro direkte Informationen zu erheischen. Tatsächlich bekomme ich in 44 einem Hotel für 40,00 € ein Einzelzimmer angeboten, das eine gute Qualität hat. Endlich mal wieder ein richtiges gemütliches Zuhause. Unter der Dusche merke ich, dass sich auf meiner rechten Schulter, dort wo der Rucksack mit dem Gurt aufliegt,kleine rötliche Pusteln gebildet haben.

Ich weiß nicht, was das ist. Sieht aus wie eine Allergie. Ich habe heute das andere T-Shirt von Wolfskin angezogen,  vielleicht liegt es daran. Ich hoffe, dass die Salbe Bepanthen auch in diesem Fall hilft. Jedenfalls juckt die Haut nicht und ist auch schmerzfrei. Die Blase unter dem linken Fuß hat sich dagegen stabilisiert und macht auch unterwegs keine großen Zicken mehr. Auf dem Weg zu meiner Unterkunft treffe ich heute zwei belgische Pilgerinnen, die auch Richtung Santiago aufgebrochen sind. Sie wohnen in dem anderen Hotel, dass mir der Besitzer für 70,00 € das Einzelzimmer anbieten wollte. Als ich ihnen davon erzähle, staunen sie nicht schlecht, denn sie haben für ein Zimmer mit 2 Betten insgesamt nur 50 € bezahlt. Sie gehen aber ebenfalls die andere Pilgerroute über Vezelay.

Das Wetter heute war im Wesentlichen sonnig und dann ab Mittag zunehmend bewölkt, aber trocken. Es ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, ein solches Pilgerwetter zu haben, zumal die Temperaturen sich heute und auch gestern bei milden 22° bewegen.

Sezanne – Villenauxe la Grande (27 km)

Mittwoch, 14.8.2013

Nach einem ausgiebigen, guten Frühstück starte ich um 9:00 Uhr vom Hotel aus. Es ist jetzt sehr sonnig und auch schon um diese Zeit warm. Das Laufen fällt mir leicht und die Wege sind ausgesprochen verkehrsarm, es fahren nur selten Autos durch die Landschaft des Weines.

Es ist angenehm, von Dorf zu Dorf zu gehen, dabei schwindet die Strecke wie von selbst unter meinen Füßen. Große Pause mache ich nicht. Heute will ich am frühen Nachmittag das Dorf Villenauxe erreichen, anstatt bis zur Stadt Nogent sur Seine weiterzugehen.

Meine Etappen nach Orleans sind so geplant, dass es reicht, wenn ich erst morgen in Nogent sur Seine ankomme. Anschließend habe ich drei Tage Zeit bis zur Stadt Montargis und dann noch einmal zwei Tage bis Orleans. Übrigens sieht man ab und zu einen Rosenstrauch an den Weinfeldern.

“Rosen? Häh?”

Unwillkürlich fragt man sich, ob der Weinproben einer zu viel war… aber nein: Winzer pflanzen Edelrosen entlang ihrer Felder. Warum nur…?

Die Lösung ist bestechend einfach. Einer der größten Feinde der Trauben, ist der Mehltau. Es gibt aber jemanden, der noch empfindlicher darauf reagiert: die Rose. Also läuft es so ab:

Wenn die Rose Mehltau bekommt, hat der Winzer noch genügend Vorlaufzeit, um seine Weinstöcke zu schützen, indem er sie chemisch schützt. Die Empfindlichkeit der Rose dient als Vorwarnsystem für die wertvollen Weinstöcke. Grandiose Idee!

Was sind Vorwarnsysteme für unseren Glauben? Was deutet an, dass in den nächsten Monaten und Jahren ernsthafte Glaubensprobleme entstehen können? Du bist gefragt! Ich fange schon mal an…

  • Aufbau von frommen Fassaden – man traut sich nicht mehr, transparent zu sein
  • Verweigern von Vergebung, nicht von erhaltener, sondern von zugesprochener Vergebung

gegenüber Menschen, die verletzt haben

  • schleichender Einzug von Gesetzlichkeit oder funktionaler bzw. formalistischer Bibel”treue”
  • das Beginnen im Geist und weiter machen aus eigener Kraft – sprich aus der alten Natur (Galater 3,3)

Diesen kursiven Text habe ich im Internet gefunden und meine, er ist so gut, dass ich ihn hier eingefügt habe.

Ich beeile mich aber, damit das Tourismusbüro noch geöffnet hat, wenn ich ankomme. Kurz nach 16:00 Uhr habe ich das Dorf Villenauxe erreicht.

Die Mitarbeiterin im Tourismusbüro besorgt mir ein Hotel für 35 € und bringt mich auch direkt dorthin, es ist etwa 200 m vom Ortskern entfernt. Offensichtlich hat es geschlossen, die Wirtin macht für mich aber eine Ausnahme. Ich kann morgen das Hotel verlassen, und den Schlüssel stecken lassen, ohne dass jemand mich heraus lassen muss.

Dann bin ich quasi allein in dem Hotel, auch nicht schlecht. Mit dem Schlüssel kann ich durch die Hintertür raus und auch wieder rein.

Ich mache eine kleine Pause auf dem Bett. Dann kommt ein Anruf aus Lienen, ich denke es, es sind die Kaufmanns. Ich nehme ab. Frau Kaufmann berichtet mir stockend, dass Luca Kötterheinrich aus Lengerich tödlich verunglückt ist. Er hat mit 6 anderen Jungen an einer Schülerstädtepartnerschaft mit Wapakoneta/USA teilgenommen. Bei der traditionellen Rafting-Tour ist das Boot gekentert und er ist ertrunken. Ich bin geschockt. Ausgerechnet Luca, ich habe noch heute Morgen für ihn und die Jugendgruppe und auch für die Eheleute Recker (die Großeltern) gebetet. Ich rufe zuerst die Eheleute Recker an und drücke mein Beileid und meine Anteilnahme aus.

Da der Körper von Luca mindestens 10 Tage für die Überführung brauchen wird, denke ich zuerst, noch bis Sonntag nach Montargis zu pilgern und dann zurück zu fahren. Aber je länger ich darüber nachdenke, umso deutlicher wird mir, das meine Pilgerreise in diesem Jahr zu Ende ist. Die Leichtigkeit des Camino ist dahin und ich möchte als Seelsorger die Situation mit auffangen. Mein Mitbruder Michael Hürter hat schon einen Besuch bei den Eltern gemacht und einige gute Schritte in die Wege geleitet.

Anschließend kaufe ich Getränke und etwas Lebensmittel ein. Ich gehe noch in die Kirche und bete dort. Das tut mir so leid für Luca und seine Eltern und seine ganze große Familie. Am Abend rufe ich bei Recker an, dass ich schon zum Wochenende wieder in Lengerich bin.

Villenauxe la Grande – Nogent sur Seine (20 km)

Donnerstag, 15.8.2013

Über die Hauptstraße wären es nur 12 km nach Nogent sur Seine. Aber ich habe Zeit und möchte den letzten Tag noch in Ruhe und innerer Einkehr gehen. Allzu abrupt endet der Pilgerweg, also nehme ich den längeren Weg über die Dörfer. Die Sonne scheint angenehm warm vom strahlendblauen Himmel und die Straßen sind leise und still. Es gibt auch öfter mal Anstiege, aber die sind sanft und stetig, wie auch die Abstiege.

Von Courtioux sehe ich die beiden Kühltürme der Meiler bei Nogent sur Seine. Ihr weißer Wasserdampf schraubt sich quasi senkrecht in den blauen Himmel und aus bestimmten Perspektiven wirkt es, als gäbe es zwei Brände hinter den Häusern eines Dorfes. Resson (Gemeinde Saulsotte) ist ein weiteres Dorf, das ich durchstreife, dann quere ich die große Verkehrsader, die von Villenauxe nach Nogent sur Seine führt.

Die Straße ist jetzt von alten Bäumen gesäumt und verschiedene Wasserläufe werden von kleinen und größeren Brücken überquert. Zur Rechten sind jetzt die vielen Ausläufer der Seine zu sehen, die kleine und große Wasserflächen bilden, mittendrin gras- und baumbewachsene Inseln. Interessant ist ein Holzsteg, der auf Stelzen durch die wasserreiche Landschaft führt und größere Wasserläufe mit Brücken überwindet.

Gern wäre ich dort entlangspaziert, aber dazu reicht die Zeit und auch die Lust dann doch wieder nicht, zumal ich nicht weiß, wie und wo ich dann wieder auf die Straße komme. Dann erreiche ich die Ausläufer der Stadt, ein größeres Industriegebiet. Mit dem Navi gehe ich gleich zielgerichtet zum Bahnhof, der quasi am Weg liegt. Als ich oben auf der Brücke stehe, sehe ich einen TGV im Bahnhof stehen, Leute kommen heraus. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies mein Zug nach Paris ist, aber das schaffe ich eh nicht. Also gehe ich ruhig zum Bahnhof und sehe den Zug in die Ferne entschwinden.

Es ist tatsächlich so. Und der nächste Zug nach Paris geht erst im 2 1⁄2 Stunden, das ist noch eine lange Zeit. Ein junger Franzose hilft mir, das Ticket nach Paris zu ziehen – nur 8.50 €, dafür käme man in Deutschland nicht weit. Hier komme ich damit über 100 km weit, da sind die Franzosen vorbildlich. Dann schultere ich meinen Rucksack und gehe in die Stadt, um eine Kneipe o.ä. zu suchen. Die Auswahl ist gering, eine Lokalität hat offen und ist vom Stil her etwas weit über Pilgerniveau. Aber ich bekomme mein Wasser und versuche schon mal, die Verbindung von Paris nach Aachen zu erkunden. Der Thalys fährt die Strecke, aber buchen geht nur am Bahnhof in Paris: NICHT MIT DEM SMARTPHONE. Als ich gegen 18.00 Uhr wieder am Bahnhof bin, steht dort bei beiden Zugverbindungen des Abends nach Paris – Retard (Verspätung)! Das ist wieder sehr vertraut. Statt um 18.46 Uhr rauscht der TGV gegen 19.50 Uhr ein. Viele Gäste sind zwischendurch schon wieder nach Hause gegangen. Aber ich steige zufrieden ein und starte nach Gare Est (Pariser Ostbahnhof), wo ich kurz vor 21 Uhr eintreffe. Ich schlafe tief und gut.

Paris – Aachen – Lengerich

Freitag, 16.8.2013

Um 5.30 Uhr bin ich unten an der Tür, die aber abgeschlossen ist. Als ich versuche, durch ein Fenster nach draußen zu gelangen, kommt ein junger Mann, der unten geschlafen hat und schließt mir die Tür auf. Auf dem Bahnhof ist wenig los, aber es gibt zwei Thalys und ich bin unruhig, welcher der Richtige ist, das kann mir auch keiner sagen. Kurz vor 6 Uhr aber kommen Bahnbedienstete, die den Zug besteigen und dann kann ich auch Platz nehmen in der 1. Klasse (für 3 Euro zusätzlich!). Dafür gibt es Sessel mit breiten Armlehnen und einen Tisch für das Frühstück.

Als nämlich der Zug rollt, kommt bald schon der Schaffner und bringt ein Frühstückstablett, reich gedeckt wie im Flugzeug mit Croissant, Brötchen, Butter, Marmelade, Joghurt, reichlich Kaffee und Obst. Das ist wirklich ein unglaublicher Service und ich frühstücke mit Genuss, später kommt er jeweils nach den Haltestellen und will weitere Gaben auftischen, die ich dann aber dankend ablehne. So erreiche ich pünktlich nach etwa 3 Stunden Aachen.

Den Weg zum Elisabeth-Kloster finde ich dank meiner Navi-App auf Anhieb. Die Schwester empfängt mich freundlich und händigt mir den Autoschlüssel aus. Bei der Suche nach einer Tankstelle sehe ich ungeplant die Schokoladenfabrik Lindt mit Werksverkauf und decke mich dort gleich mit einigen Leckereien ein. Dann endlich starte ich nach Lengerich, wo ich gegen Mittag eintreffe. Mit einem großen Gefühl der Dankbarkeit und Freude schaue ich zurück auf den Jakobus- Pilgerweg. Dann nehme ich Kontakt zu den trauernden Angehörigen von Luca auf.

Karl Jasbinschek
leidenschaftlicher Santiagopilger
Pfarrer in Sel.Niels Stensen, Lengerich

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