Camino Finisterre

Ausführlicher Bericht einer 4-tägigen Wanderung auf dem Camino Finisterre von Andrea und Gert Kleinsteuber, die im September 2013 von Santiago bis zum Cap Finesterre, dem “Ende der Welt” gewandert sind. Die Wanderung war eine Verlängerung des Camino Primitivo ab Santiago de Compostela.

Der Artikel steht im Original auf ihrer eigenen Webseite.

Inhalte

1. Tag Santiago de Compostela – Negreira

Blutrot geht die Sonne hinter der Silhouette der Kathedrale auf, als wir die Pension am Morgen verließen. Die Nacht war recht unruhig, da Jörg immer wieder husten musste. Und als ich dann doch mal eingeschlafen war, hatte ich einen Traum, der mir fast den restlichen Weg gekostet hätte.

Die Kurzfassung: Ich gehe mit meinem Hund spazieren, als plötzlich ein Fuchs mit Schaum vorm Maul aus dem Gebüsch kommt – Tollwut – ohne Zweifel !. Ich gerate in Panik und versuche ihn von meinem Hund fern zu halten, komme aber irgendwie nicht vorwärts (– na klar ich liege ja im Bett!). Der Fuchs kam immer näher und ich trat nach ihm. Ich konnte den Schrei gerade noch unterdrücken, den ich vor Schmerz anstimmen wollte. Ich war schlagartig hellwach. Denn ich hatte gegen das Bettgestell getreten und mir dabei eine Zehe so sehr gestoßen, dass sie blutete und ich befürchten musste, dass sie gebrochen ist. Ich humpelte zur Toilette, um wenigstens mal näher nachzusehen.

1674 Camino Primitivo Gert

Am Morgen aber Entwarnung. Ich konnte ganz gut laufen, auch weil meine Schuhe genügend groß waren und ich mit den Zehen vorn nicht anstieß, wie das bei meinem Vorjahresmodell noch der Fall war. Ich danke dem Schuhverkäufer beim Globetrotter in Berlin, der mich beraten hat. Ich hätte diesen Schuh selbst nie so groß gekauft.

Es ist nur ein kurzer Weg aus der Stadt. Schnell erreicht man wieder die ländliche grüne Umgebung, die ich mehr mag als die Städte. Von einer Anhöhe aus hat man noch einmal einen schönen Blick auf die Kathedrale, neben der jetzt schon die Sonne strahlte.

noch einmal steil nach Oben
noch einmal steil nach Oben

Plötzlich war Jörg hinter uns verschwunden. Sonst lief er meist vor uns, da er viel schneller war. Also standen wir im Eukalyptuswald und warteten. Nach über 10 Minuten kam er endlich nach. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht und ich wollte ihm entgegen gehen. Er hatte beim Fotografieren aber nur einen Wegweiser übersehen und uns aus den Augen verloren, schon war er etwa 800 Meter den Berg wieder hinab gestiegen.

Der weitere Weg verlief ohne Komplikationen, mal abgesehen von einem recht heftigen Anstieg vor Carballo, der mich wieder heftig ins Schwitzen brachte. Jürgen hatte doch aber gesagt, dass es bis Finisterra keine größeren Höhenunterschiede mehr gibt?

Doch auch das war längst nicht mit den Auf- und Abstiegen auf dem Primitivo zu vergleichen.

Ponte Maceira
Ponte Maceira

Ein Höhepunkt dieser Etappe ist zweifellos der Ort Ponte Maceira mit seiner gleichnamigen mittelalterlichen Brücke über den Tambre. Die Brücke wurde im 13. Jahrhundert auf den Fundamenten einer älteren römischen Brücke errichtet. Sie hat fünf große und zwei kleinere Bögen und überspannt den Fluss neben einem Wehr und der zugehörigen alten Wassermühle. Der Ort selbst besteht ebenfalls größtenteils aus mittelalterlichen Gebäuden. Alles zusammen bildet eine harmonische Einheit und bietet viele Postkartenmotive.

Mehr oder weniger entlang des Flusses Tambre erreichten wir danach sehr schnell Negreira. Unsere Wahl für die Übernachtung fiel auf die Herberge „San Jose“. Diese befindet sich etwas abseits vom Weg im Erdgeschoß eines Neubaus und der Weg dorthin ist gut gekennzeichnet. In deutscher Sprache mit Schweizer Akzent wurden wir freundlich empfangen. Und es gab noch jede Menge Platz in der Herberge. Der befürchtete Ansturm auf den Camino Fistarra war also anscheinend ausgeblieben. Na umso besser! So konnte unser weiterer Weg sehr entspannt verlaufen. Die Herberge ist sehr großzügig und modern eingerichtet. Die Betten stehen sehr weit auseinander und in drei miteinander verbundenen Räumen verteilt. Duschen und Toiletten sind ausreichend vorhanden und zu den Sanitärräumen gibt es Nachtlichter an den Stufen, was ich als sehr angenehm und zweckmäßig empfand, auch in Anbetracht meiner ramponierten Zehe. Auch der Aufenthaltsraum mit eingebauter voll ausgestatteter Küche machte einen großzügigen und aufgeräumten Eindruck. Hier konnte man sich wohlfühlen, auch bei Vollbelegung, wovon wir aber an diesem Tag weit entfernt waren.

Jörg, Andrea und Jana gingen in die nahe gelegene Kaufhalle, um Lebensmittel für den Abend zu kaufen. Die gut ausgestattete Küche schrie geradezu danach benutzt zu werden. Während dessen beschäftigte ich mich mit der Wäsche. Lange unterhielt ich mich dann einer sehr netten Pilgerin aus Franken. Etwas nervig waren nur die ersten Versuche eines Pilgers, einer offensichtlich erst gestern in Santiago erstandenen Nasenflöte, sinnvolle Tonfolgen zu entlocken. Aller Anfang ist schwer. Und: „Musik wird störend oft empfunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, um den großen deutschen Dichter, Zeichner, Karikaturisten und Humoristen Wilhelm Busch zu bemühen.

endlich wieder Nudeln
endlich wieder Nudeln

Jörg machte Nudeln und vegetarische Tomatensoße, mit denen wir noch eine halbe Kompanie hätten versorgen konnten. Nur zwei Mitpilger konnten wir dazu bewegen etwas mit zu essen. Einer davon war Franz aus Schwedt, den wir im Schlafraum ansprachen, ob er uns versteht. „Na klar – jedes Wort!“ entgegnete er prompt, trotz unseres ausgeprägten sächsischen Dialektes. Und schon entspann sich ein Kennen – Lern – Gespräch. Er war den Camino Frances in 24 Tagen ab Saint Jean Pied de Port gelaufen und war nun etwas geschafft, was ich in Kenntnis des Weges lebhaft nachvollziehen konnte. Er hatte ganze 10 Tage weniger gebraucht als wir – Donnerwetter! Aber auch in seinem jungen Körper hinterlässt dieser Weg seine Spuren, so dass er sich entschloss, morgen mit uns zu gehen, also einen ruhigeren Tag einzulegen.
Wie ruhig der wird, das sollte sich noch zeigen….

2. Tag Negreira – Olveiroa

So, nun habe ich genug Neugier erzeugt. Zweimal habe ich schon auf diesen Tag in meinem Bericht verwiesen, gerade eben und in Bezug auf meine Füße/Socken/Schuhe – Kombination.
In der Nacht hörte man schon, dass der Wind stark aufgefrischt hatte. Und auch etwas Regen schien schon zu fallen.
Nachdem Jana und ich den Rest Nudeln als Frühstück vertilgt hatten (ich kann gar nicht verstehen, weshalb da einige den Kopf schütteln?), gingen wir nach Draußen und ahnten nichts Gutes, als wir den Himmel sahen. Dicke schwere Wolken wurden von einem stark böigen Wind über den Himmel getrieben. In der Stadt war dieser noch kaum zu spüren. Aber das sollte sich ändern.

bedrohliche Wolken am Ortsausgang von Negreira
bedrohliche Wolken am Ortsausgang von Negreira

Nachdem der Rest der Mannschaft in einer bereits offenen Bar in Negreira auch noch ihr Frühstück eingenommen hatte, gingen wir aus der Stadt heraus und spürten alsbald den heftigen Wind, der von der Seite kam. Na wenigstens regnet es nicht… Doch kaum ist der Gedanke zu Ende gedacht, ging es auch schon los, in einer Heftigkeit, dass wir einen Balkonvorsprung nutzen mussten, um den Poncho anzulegen. Mit diesem preiswerten (19,90€) Pocho von Decathlon war ich übrigens ganz zufrieden, denn der hat richtige Ärmel und man kann ihn mittels eines Reißverschlusses vorn komplett öffnen. Eigentlich sollte man ihn somit auch ganz allein anziehen können, was mir aber (wahrscheinlich wegen meiner Ungelenkigkeit) nie gelang. Selbst beim Ausziehen brauchte ich Hilfe. Irgendwie bekam ich ihn immer nicht über den Rucksack. Ob er wirklich dicht ist, vermag ich nicht zu sagen, da ich so sehr schwitzte, dass es Innen fast immer genau so nass war wie Außen. Zu Hause habe ich ihn unter der Dusche ausprobiert und da war er dicht. Aber was nun auf uns zu kam, war der Härtetest für jede Outdoorausrüstung. Und ich glaube, an diesem Tag wäre jede Ausrüstung an ihre Grenzen gestoßen. Es gab Böen bis 70 km/h und der Regen kam eher waagerecht als von oben. Es war oft so, als ob jemand einem eine Schüssel Wasser ins Gesicht kippt. Ich hatte unter dem Poncho kurze Hosen an. Lange wären eh in Sekunden durch gewesen.

heftige Regenschauer und Sturm
heftige Regenschauer und Sturm

Bis jetzt waren meine Schuhe dicht. Damit das so bleibt, holte ich die Gamaschen raus, die ich von Martin aus dem Pilgerforum geschenkt bekommen hatte. Das ging auch die erste Zeit ganz gut. Sie waren dicht und ich hatte warme Waden, auch wenn ich damit richtig komisch aussah, wie ich später beim Betrachten der Fotos feststellte.

meine Gamaschen und ich
meine Gamaschen und ich

Doch ich bemerkte nicht, dass sich die Bänder, mit denen die Gamaschen oben über den Waden zugebunden waren lösten und das Wasser, das in Strömen kurz darüber vom Poncho auf das Bein floss, freie Bahn bis zu den Socken hatte. Die Wirkung der Gamaschen kehrte sich in kürzester Zeit um. Schützten sie eben noch den Schuh von außen, waren sie nun wie ein Trichter, der das Wasser in

die Schuhe beförderte. Es kam mir vor, als hätte ich volle Wassereimer an den Füßen. Doch den anderen erging es auch nicht besser. Kaum waren die Hosenbeine in einer Schauerpause durch den heftigen Wind getrocknet, kam der nächste Guss. Und der Wind wurde immer heftiger. Da etliche große Äste bereits auf der Straße lagen, haben wir es vermieden durch den Wald zu laufen. Wir blieben also auf den Straßen, auf die Gefahr hin, dass eine Böe uns auf die Fahrbahn treibt. Die großen Rucksäcke und Ponchos wirkten wie Segel, so dass man sich mit den Wanderstöcken auf der Straße abstützen musste. Ein zügiges Vorankommen war so ausgeschlossen. Und ausgerechnet heute waren es 34 Kilometer. Zum Glück hatte Jörg eine GPS Anwendung und den GPS Track des Caminos  auf seinem iPhone, so dass wir nicht auch noch Gefahr liefen, uns auf den nicht beschilderten Straßen zu verlaufen. Eine längere Pause zum Verschnaufen gönnten wir uns hinter Santa Marina in einer Bar.

Was heißt eigentlich Grog auf Spanisch? Das wäre hier das Richtige gewesen bei diesem Mistwetter. Jeder Versuch seine Socken oder Schuheinlagen trocken zu bekommen hatte überhaupt keinen Sinn. Es war einfach alles nur nass und schlimmer konnte es eigentlich nicht mehr kommen.
Das war auch der Grund, warum wir nicht in die Herberge in Santa Marina gegangen sind und weitere 12 Kilometer nach Olveiroa gingen. Nasser konnten wir nicht werden. Aus den Unterhosen kam in der Herberge genau so viel Wasser wie aus den Socken.

angekommen - nass aber grücklich
angekommen – nass aber glücklich

Wie gut die Entscheidung weiter zu gehen war, erfuhren wir erst am nächsten Tag. Denn die Meisten waren entweder per Anhalter weiter gekommen oder hatten in Santa Marina aufgegeben. Dort gab es aber keinen Strom und damit auch keine Heizung, kein warmes Wasser und keine Möglichkeit die Sachen zu trocknen, denn der Hospitalero hatte weder Holz für den Ofen noch Zeitung zum trocknen der Schuhe.
Ganz anders in Olveiroa, wo wir in der privaten Herberge „Horreo“ einkehrten. Dort lagen die Zeitungen schon bereit und ein Müllsack, in dem die nassen Sachen für die Waschmaschine und den Trockner eingesammelt wurden. Noch ehe wir die Herberge bezahlt hatten stand dank Jö

rg eine Flasche Rum auf dem Tisch. Nach diesem Kampf, ja ich möchte es so bezeichnen, hatten wir uns das verdient. Franz war auch froh, dass er Begleitung an diesem Tag hatte und Hartmut begrüßte uns freudestrahlend an der Tür.
Mehrfach hatte ich mich auf dieser Etappe gefragt, warum ich mir das antue und bin trotzdem weiter gelaufen. Andrea meint da immer:“Nützt doch nüscht, weiter geht´s!“ Und mit dieser Einstellung treibt man sich voran. Am Abend ist man dann stolz das geschafft zu haben und hat noch ewig was zu erzählen. Wenn alles im Leben leicht wäre, würde es auch schnell langweilig werden.

"Aufwärmrunde"
“Aufwärmrunde”

Aber etwas mehr Langeweile haben wir uns dann schon für die nächsten Tage gewünscht, vor allem dass der Sturm aufhört. Doch das war jetzt erst mal in die Ferne gerückt, als wir in der kleinen Bar der Herberge saßen und den vergangenen Tag auswerteten.

Übrigens, entgegen der Meldung, dass es in Olveiroa keine Einkaufsmöglichkeit mehr gibt (im Update des Pilgerführers von Raimund Joos), kann ich verkünden, dass man in der Herberge „Horreo“ eine kleine Tienda betreibt und dass so Pilger aus anderen Herbergen sich dort versorgen können.

Ach ja, meine Füße/Socken/Schuhe – Kombination: Die hat funktioniert, auch wenn die Socken nass waren. Ich hatte die Befürchtung, dass ich mir in den nassen Socken Blasen laufe. Doch nach einer Kontrolle konnte ich Entwarnung geben.

3. Tag Olveiroa – Cee

Der erste Blick an diesem Morgen galt dem Himmel. Es sah zwar auch nicht viel besser aus als am Vortag aber der Wind hatte sich wenigstens gelegt.
Gespannt nahm ich das zerknüllte Zeitungspapier aus den Schuhen. In der Nacht hatte ich es nochmals erneuert und die Schuhe waren immer noch nass. Nun aber fühlten sie sich eigentlich recht trocken an. Nur die Einlegesohlen, die ich separat in Zeitungen verpackt hatte, waren immer noch feucht. So war es nicht sehr angenehm, mit den trockenen Socken in die Schuhe zu schlüpfen. Sofort merkte man die Feuchtigkeit, woran ich mich aber nachdem die Schuhe warm gelaufen waren, ganz schnell gewöhnte.

Massive Horreos in Olveiroa
Massive Horreos in Olveiroa

Doch vor dem Losgehen gab es noch ein gutes Frühstück in der kleinen Bar der Herberge. Beim Gang durch Olveiroa, der am Vorabend verständlicherweise Wetter bedingt ausgefallen war, fallen sofort die vielen Horreos, welche hier aus Natursteinen gebaut sind auf. Sie stehen in Reihen wuchtig nebeneinander und zieren fast jeden Hof.

Tal des Rio Xallas
Tal des Rio Xallas

Hinter Olveiroa steigt das Gelände in Richtung einiger Windkrafträder wieder an und man kann links in das Tal des Rio Xallas mit seiner Staumauer sehen. Leider begann es wieder zu nieseln aber kein Vergleich zum Vortag. Das anziehen des Ponchos lohnte jedenfalls nicht, so dass die Regenjacke ausreichte.
Hinter einer kleinen Brücke, nach der es nochmals ein Stück bergauf geht, kommt man nach Logoso, an dessen Ortseingang sich gleich die hiesige Herberge befindet. In diesem Ort ein Bild, dass man auch nicht so oft sieht. In einem offen stehenden Bauernhof tummelten sich neben dem Hund etliche Katzen und Kaninchen, alles wie in freier Wildbahn in einem bunten Durcheinander. Die Katzen fraßen zusammen mit  den Kaninchen aus einem Napf und alles verlief überaus friedlich. Es war mir eh schon mehrfach aufgefallen, dass sich hier Hunde und Katzen besser miteinander vertragen als zu Hause. Meiner wird jedenfalls immer zur Bestie, wenn er eine Katze sieht.
Immer noch geht es ständig bergauf. Man müsste doch bald das Meer sehen? Dachte ich bei mir und vermutete dies nach jeder Bergkuppe. Aber dahinter ging es nur noch weiter bergauf.

Abzweig Muxia
Abzweig Muxia

Linksseitig tauchte dann ein hässlicher schwarzer Klotz mit einem darüber hinausragenden Schornstein aus dem dicker schwarzer Rauch quoll auf. Das war ein sehr seltsamer Anblick, passte doch diese uralte Industrieanlage überhaupt nicht in diese verlassene grüne Gegend.
Nach erreichen der Landstraße AC 3404, bei Hospital de Logoso kurz vor dem Abzweig nach Muxia gingen wir zu einem zweiten Frühstück in die gleich neben der Industrieanlage liegenden Bar. In dieser wird man sofort darauf hingewiesen, dass es die nächsten 16 Kilometer bis nach Cee keine weitere Möglichkeit gibt einzukehren. Das gleiche steht auch auf den Schildern hinter dem Tresen.
Wir bekamen in der Bar ein lautstarkes Gespräch zwischen zwei deutschen Pilgerinnen, die auf dem Rückweg nach Santiago waren und einem deutschen Pilger, der in unsere Richtung ging mit. Mir fiel sofort das Wort „Vielflieger“ ein. Das sind Leute, die alles schon gesehen haben, die alles (besser)wissen und dies jedem, auch wenn er es gar nicht gefragt hatte, mitteilen müssen. Wir waren uns ohne Absprache scheinbar einig, dass es besser ist, sich nicht an dem Gespräch zu beteiligen. Nur ein „Buen Camino“ kam uns über die Lippen, als wir die Bar wieder verließen. Bei aller Nervigkeit dieser Begegnung, hatten wir aber erfahren, welche Herberge „sehr sauber“ ist. Wir Deutschen (zumindest viele von uns) sind schon ein seltsames Völkchen, suchen mit unserem Geld das Abenteuer in der Fremde, erwarten aber die gleichen Bedingungen wie zu Hause. Das ist auf dem Camino sicher längst nicht so ausgeprägt, wie in den all inklusive Hotels der Pauschalurlauber. Aber man trifft sie auch hier, die Leute, die nach der Bild Zeitung greifen und meckern, wenn es in der Pension im TV keine deutschen Sender gibt.
Aber wir haben wieder ein Stück mehr Toleranz gelernt und ich habe mich auch gleichzeitig selbst überprüft, wie viel von dem Gedankengut und dem Verhalten noch in mir steckt.
Die hässliche Industrieanlage, lag schon lange hinter uns. Die Wege wurden breiter und gingen oft Kerzen – geradeaus durch Gestrüpp und immer niedriger werdende Pinienwälder, ein Zeichen, dass das Meer nicht mehr weit sein kann.

Cap Finisterre in Sicht
Cap Finisterre in Sicht

Dann plötzlich erschien aus dem Dunst am Horizont ein dunkler waagerechter Streifen. Das musste der Atlantik sein. Nur gering hob er sich vom Grau des Himmels ab. Aber es war genau zu erkennen. Halb rechts erblickten wir dann zum ersten Mal das Cap Finisterre, das mit seinem großen Leuchtturm unverkennbar ist. Alles war noch sehr fern und im Dunst. Trotzdem versuchten Jörg und ich davon die ersten Fotos zu machen. Im Weitergehen kamen uns mitten auf dem Weg eine Herde Ziegen und der zugehörige Hirte mit seinen zahlreichen Hunden entgegen. Die Ziegen verbreiteten einen schlimmen Gestank und sprangen meckernd auseinander, als ich filmend mitten durch die Herde ging. Der Hirte grüßte freundlich und wir waren froh über das schöne Fotomotiv. Am folgenden Pilgerkreuz, an dem Pilger so manches abgelegt hatten, machte Jörg mittels Selbstauslöser eines der seltenen Fotos, auf dem wir alle vier drauf sind.

Blick nach Corcubion
Blick nach Corcubion

Eine kleine Rast machten wir dann noch einmal an der kleinen „Capilla da Nosa Senora das Neves“. Danach noch einmal ein langer gerader Weg hinauf zu der Stelle, an der man auf Cee und Concubion schauen kann und ab der es ziemlich steil bergab bis in die Stadt geht. Hier hat man auch erstmals einen Blick auf die stark zerklüftete Atlantikküste links von uns. Der Weg nach unten hatte es in sich und man musste sehr aufpassen, da das lockere Gestein durch den Regenguss am Vortag noch instabiler geworden war.

Der Weg durch Cee war nicht so einfach zu finden. Die angesteuerte Herberge am Ortsausgang Richtung Concubion hatte zwar einige Wegweiser angebracht aber dies nur sehr lückenhaft gemacht. Die Muschelzeichen hatten wir schon längst aus den Augen verloren. Aber eigentlich war es ganz einfach, denn man hat ja nun den Atlantik als Orientierungsmittel und der ist ja groß genug.
Schon als wir die Herberge ansteuerten, gefiel uns Cee nicht besonders. Die meisten der Häuser waren sehr neu aber es machte wenig Eindruck auf uns.

Die neue private Herberge findet man auf dem Weg nach Concubion. Eine steile Asphaltstraße zweigt an einem Monolithen rechts ab und schon nach 30 Metern liegt diese auf der linken Seite.
Die Hospitalera war noch beim Saubermachen. Sehr unkompliziert wies sie uns die Betten zu, an denen wir sehr belustigt die deutschen Worte „Beschäftigt“ für belegt und „Freischaffend“ für frei auf der anderen Seite der Täfelchen fanden, die an den Betten hingen. Man kann hier einfach rein gehen und durch umdrehen der Schilder sein Bett belegen, so steht es auf einer Infotafel an der Eingangstür. Man kochte uns sofort Kaffee und reichte Kekse aus einem großen Glas. Es gibt eine kleine Küche und aus den Fenstern hat man eine schöne Aussicht auf die Bucht, alles sehr, sehr nett.
Ein den üblichen Verrichtungen in der Herberge folgender Streifzug konnte den Gesamteindruck von Cee auch nicht entscheidend verbessern. Es gibt einen großen Einkaufstempel und diverse Einkaufsstraßen mit teils recht hochwertigen Markengeschäften.

Zentrum von Cee
Zentrum von Cee

Cee ist eine Industriestadt und da ist auch etwas mehr Geld unterwegs. Wir trennten uns wieder, um uns individuell in der Stadt bewegen zu können. Jörg besuchte die Farmacia, da sich sein Gesundheitszustand leider immer noch nicht gebessert hatte und ich war auf der Suche nach ein paar neuen Sandalen. Denn meine heiß geliebten Regatta Latschen hatten in Santiago leider den Geist aufgegeben. In einem China – Markt wurde ich dann fündig. Es waren ein paar Gummi – Clogs, die zwar schrecklich nach Chemie stanken aber bis Finisterre sicher ihren Dienst versehen würden. Sie waren vor allem eins – leicht. In tiefer Trauer versenkte ich die Reste meiner Sandalen in einem Papierkorb vor dem Markt.
Concubion sah von weitem besser aus als Cee und so entschlossen wir uns, dorthin zu gehen, um zu Abend zu essen.

Hafen von Corcubion
Hafen von Corcubion

Der Bummel an der Promenade entlang bestätigte dann unseren Eindruck. Concubion besitzt einen schönen alten Ortskern und sieht irgendwie ursprünglicher aus. Direkt am Hafen fanden wir dann auch eine kleine Bar, die am Abend recht voll wurde. Man brachte uns hervorragende Calamares und  der einheimische Wein war gut.

Entlang der Hafenpromenade ging es bereits in der Dunkelheit zurück zur Herberge. Diese war fast vollständig gefüllt. In dem Bett schräg unter mir hatte sich spät abends noch eine Deutsche einquartiert, die mir den Schlaf raubte. Ich schnarche ja auch ab und zu, sagt jedenfalls meine Frau, aber was diese kleine zierliche Frau in der Nacht für Geräusche machte, war unzumutbar. Ich kletterte also noch mal nach unten, um in meinem Rucksack die fast vergessenen Ohrstöpsel zu suchen.
Diese waren aber auch aus einem anderen Grund notwendig. Bei offenem Fenster war der Verkehrslärm vor dem Haus ungewohnt laut. Das soll aber die einzige Kritik an der Herberge gewesen sein.

4. Tag Cee – Finisterre

Heute nun die letzte Etappe, denn wir hatten uns nach Jörgs Mitteilung, dass er wegen seines angeschlagenen Gesundheitszustandes voraussichtlich nicht mit nach Muxia gehen wird entschlossen, auch in Finisterre zu bleiben. Wir hatten zwar nur zwei Nächte in der Pension gebucht, aber da ließe sich vielleicht was machen. Wir hatten uns nun mal geeinigt, dass wir zusammen bleiben. Und ehrlich gesagt, war ich auch nicht unglücklich darüber.
Ganz in Ruhe, in der Gewissheit, dass es erstens nicht mehr weit ist und zweitens, dass wir eine sichere Unterkunft hatten, gingen wir am Morgen noch einmal durch Corcubion, wo wir auch gleich unser Frühstück in einer Bar einnahmen.

das Haus eines Camino - Fans
das Haus eines Camino – Fans

Der Weg aus Corcubion führt recht steil durch eine feuchte Schlippe hinauf bis nach Amarela. Entlang der Straße, teilweise auf ihr, teilweise daneben durch den Wald geht es wieder bis auf Meereshöhe, die bei Estorde erreicht wird. Hier nutzten wir einen schmalen Zugang, um erstmals zum Strand zu gehen. Es herrschte zwar immer noch kein Strandwetter aber es war Ende September, wir waren in Galicien und es war der Antlantik, da kann man kein Mittelmeerklima erwarten und auch nicht die entsprechenden Wassertemperaturen. Also lassen wir das lieber mit dem Bad im Meer. Ich weiß, wir sind Weicheier.
Im anschließenden Sardineiro fiel besonders das blaue Haus eines offensichtlichen Camino- Fans auf. Es strotzte nur so von Motiven, die mit dem Jakobsweg zusammenhängen. Schöne Motive aus blauen Kacheln an der Fassade und eine Jakobusstatue zierten das Grundstück.

Playa de Lanosteira
Playa de Lanosteira

Hinter der nächsten Anhöhe lag dann endlich der lange Strand Playa de Langosteira vor uns. Jeder für sich ging diesen letzten Abschnitt seines und unseres Weges und dachte sicher darüber nach, wie es ihm in den vergangenen Tagen ergangen ist. Nun stand das Ende des Weges unmittelbar bevor und aus der gemäßigten Geschwindigkeit, in der wir uns fortbewegten, konnte man schließen, dass keiner von uns so schnell ankommen wollte.
Ein Höhepunkt stand uns jedoch noch bevor. Wir hatten uns mit Philine, Hartmut und Franz am Cap zum Sonnenuntergang verabredet. Doch ein Blick zum Himmel verriet uns, dass das wohl nichts werden würde mit dem Sonnenuntergang. Na mal sehen!

In Finisterre angekommen, suchten wir sofort die angegebene Adresse, bei der es den Schlüssel zum Apartment geben sollte. Etwas ratlos waren wir dann, als wir trotz Navi die angegebene Adresse nicht finden konnten. Eine nette Mitarbeiterin der privaten Herberge am Weg zum Hafen half uns dann beim Telefonieren. Doch sie bekam auch keinen Anschluss. Selbst Anwohner hatten keine Ahnung, wo diese Adresse in Finisterre ist. Nun gut, wir hatten noch bis 16.30 Zeit, dann sollte das Büro besetzt sein und damit auch sicher das Telefon. Also suchten wir, auch weil es gerade wieder heftig regnete eine Bar, um etwas zu essen. Für Andrea gab es El Salada Mixa, für Jörg und mich eine riesige Tortilla und für Jana Champignons in Knoblauchsoße, wovon wir alle noch sehr lange was hatten. Mann was für eine Knoblauchfahne! Dann sind wir noch einmal zu der netten Dame in die Herberge. Ich sah ihr beim Telefonieren zu und als sich ihre Mine erhellte, wusste ich, wir haben eine Unterkunft.

Kurze Zeit später kam der Vermieter mit seinem Auto und fuhr uns zur Apartmentanlage. Er konnte etwas Englisch und erklärte uns, dass er uns ein Upgrate anbietet, da es September ist und eh alles leer ist, bringt er uns in der ersten Reihe direkt am Strand in einer höherwertigen Anlage unter, natürlich ohne Mehrkosten. Wir fanden das sehr nett und nahmen dankend an. Als wir die Wohnung sahen, war unser Entschluss gefasst, dass wir noch einen Tag hinzu buchen. Kein Problem meinte der Vermieter und kassierte die 15€, die pro Tag fällig waren ein. In Anbetracht des Preises in manchen Herbergen, erschien uns das hier zu Recht als Schnäppchen. Er bot uns auch noch an, dass er unsere Einkäufe zum Apartment fährt, wenn wir sie in seinem Büro ablieferten. Wir fanden das alles sehr nett und verabschiedeten uns nach einer kurzen Einweisung.
Ein Blick vom Balkon und wir stellten fest, dass sich auch noch ein überdachter Pool im Garten befindet. Dann wird das ja doch noch was mit dem Bad am Meer! Das Wasser war zwar auch nicht viel wärmer als das des Atlantiks aber so was mussten wir ausnutzen.

Hafen von Finisterre
Hafen von Finisterre

Der anschließende Bummel durch den Ort und zum Hafen war verbunden mit den notwendigen Einläufen, die wir beim Vermieter im Büro ablieferten. Der fuhr mich und die Einkäufe auch sofort zur Unterkunft.In der kommunalen Herberge bekommt man die Pilgerurkunde von Finisterre. Überrascht waren wir vom Dialekt des Hospitalero. Er kam aus Dresden und bat uns in einer Stunde noch einmal zu kommen, da derzeit der Teufel los ist. Na klar machen wir das, sagten wir und verschwanden wieder an den Hafen.
Als dann unsere Urkunden geschrieben wurde, tauchte plötzlich Philine auf, die hier schon ihr Bett hatte.
Zusammen gingen wir daraufhin zum Cap. Das Wetter wurde immer besser und es waren auch schon blaue Flecken am Himmel zu sehen, ein Anblick, den wir in den letzten Tagen selten genug hatten. Sollte es doch noch klappen mit dem Sonnenuntergang?

auf dem Weg zum Cap
auf dem Weg zum Cap

Auf dem Weg zum Cap, den wir nicht allein zurücklegten, gab es immer wieder schöne Aussichten auf die Bucht. Sogar ein Regenbogen zierte den Himmel. Es herrschte rege Begängnis und auch diverse Busse, Autos und Camper kreuzten unseren Weg. Na da wird ein ganz schönes Gedränge herrschen auf dem engen Felsen, war da so mein erster Gedanke.

Pilgerkreuz am Cap Finisterre
Pilgerkreuz am Cap Finisterre

Angekommen am Cap herrschte aber eine angenehm lockere Betriebsamkeit. Auffällig waren sofort schwarze Rauchfahnen an einer Stelle, an der die Pilger irgendwas ihrer Ausrüstung verbrannten. An diesem Ritual haben wir uns dann auch beteiligt, in dem Jörg seinen Hut und Andrea ihre heiß geliebten Socken verbrannten.

Sonnenuntergang am Cap
Sonnenuntergang am Cap

Schnell fanden wir auch Hartmut und Franz. Sie hatten einen schönen Platz hinter einem Felsvorsprung. Wir kletterten dorthin und sahen, dass es heute was wird mit dem Sonnenuntergang. Und was das für einer war! Beschreiben kann man das eigentlich nicht. Da müssen Bilder sprechen.

Gruppenfoto am Cap
Gruppenfoto am Cap

Alle saßen mit ihrem Wein oder Bier in der Runde, sahen zum Horizont und sehr ergriffen aus. Dieser Augenblick gehörte jedem selbst und so hatte jeder seine eigenen Gedanken. Andrea brachte einen Toast aus auf Inge, einer Bekannten vom Camino Frances, die im vorigen Jahr kurz vor diesem magischen Ort aufgeben musste und immer noch an den gesundheitlichen Folgen zu leiden hat. Sie wünschte ihr, dass sie sich das hier ebenfalls noch ansehen kann. Zum Schluss tranken wir auf

“Salud, Dinero y Amor!”

Und damit möchte ich meinen Reisebericht schließen. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Und das war es in diesem Augenblick.

In den zwei abschließenden Tagen nutzen wir noch das bessere Wetter zu einem Strandbesuch auf der Nordseite des Caps und wir hatten noch ein sehr schönes Abendessen, das Jörg zubereitet hatte in unserer Unterkunft zusammen mit Philine, die eine Nacht bei uns übernachtete, bevor sie nach Muxia weiter ging. Am 28.9.fuhr unser Bus entlang der Küste zurück nach Santiago, wo wir noch ein paar Andenken gekauft und zu Mittag gegessen haben. Dann nur noch der Bus zum Flughafen und der Flug über Mallorca nach Leipzig, wo unser Sohn, Janas neuer Freund und Jörgs Familie auf uns wartete.

Und schon war der Camino Primitivo 2012 Geschichte.Es waren unvergessliche Tage auf fantastischen Wegen in unbeschreiblicher Umgebung. Es waren Begegnungen mit tollen Menschen und interessante Gespräche. Das alles wog schwerer als die schmerzenden Füße und Rücken, als der Schweiß, der in Strömen floss, sobald es bergauf ging, als die fehlende Luft in den stickigen Herbergen, als das besch…eidene Wetter hinter Santiago.

Ein guter Freund vom Camino Frances schrieb mir, dass sein Immunsystem versagt hat, als er meine Fotos vom Primitivo im Netz gesehen hat, dass der Camino – Virus wieder zugeschlagen hat und dass er nur noch seine Frau überzeugen muss, dass er wieder los will.Na ein Glück, dass meine Frau unter dem gleichen Virus leidet und es nur noch um das „wo lang“ und „wann“ geht.

Buen Camino, Gert.

meine Helden

Der ganze Artikel steht im Original auf der Webseite von Gert Kleinsteuber, dort sind auch Videos und noch mehr Fotos zu finden.

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