Pilgerbericht von Sara
Ich kann mich noch an eine Geschichte vom kleinen Jakob erinnern, der den Jakobsweg nach Santiago im Jahr 2010 bestritten hat. Seine Geschichte von dieser fernen, mystischen und bezaubernden Welt hat mich auf Anhieb fasziniert. 800 km zu Fuß zu pilgern? Wie das wohl sein muss?
Aufgrund meiner Neugier für diese “Welt” habe ich den Beschluss gefasst: Das möchte ich auch eines Tages erleben!
Nie zuvor hatte ich über den Jakobsweg nachgedacht, ihn zu laufen war nie ein Ziel in meinem Leben.
Aber Jakobs Erzählungen und der Name Santiago (wenn auch nicht die Compostela gemeinte war), erfüllte mich mit einem Gefühl dort hin zu müssen.
Es war als ob mich etwas stark zu diesem Ort hinzog.
Drei Jahren später war es so weit.
Ich habe diese Entscheidung ohne viel nachzudenken und spontan getroffen. Ich wusste, dass diese Reise kein klassischer Urlaub sein wird, doch etwas in meinem Herzen war stärker. Was genau dieses „etwas“ war, wusste ich nicht, und um dies heraus zu finden, trat ich meine Reise an.
Ich kann noch immer die Unsicherheit und das innere Zögern von damals fühlen, bevor ich mich endgültig entschloss mich auf meinen Weg zu begeben. Ich stellte mir vor, wie ich eines Tages den Weg gehe auf dem ich verschiedene Leute treffe, Tage mit Regen oder Sonne erlebe und Kälte oder Wärme empfinde. Mit diesen Gedanken und einer Menge Emotionen, meinem Rucksack und einem Pilgerstab machte ich mich auf zu “meinem Weg”.
Nachdem ich in der ersten Herberge ankam, erhielt den erste von vielen Stempeln in meinen Pilgernachweis.
Die Stempel würden meinen zurückgelegten Weg bestätigten und mir die Unterkunft in Herbergen ermöglichen.
Die Herberge war brechend voll und, wie für mich, würde der kommende Tag für die meisten Pilger der erste Tag ihrer Reise sein. Man konnte die Euphorie und auch die Anspannung soga in der Nacht deutlich spüren.
Die meisten wälzten sich unruhig im Bett umher und das Licht ihrer Uhren leuchtete, vom ständigen Zeitablesen, durch den Raum.
Trotz aller Müdigkeit fiel es mir selber schwer einzuschlafen – auch ich war zu aufgeregt
Die vielen Emotionen, die ich in den kommenden 29 Tagen erlebt habe, waren einzigartig in ihrem Empfinden und Erleben.
Geprägt durch gleichgesinnte Pilger, den majestätischen Kirchen, den bescheidenen Kapellen, die die Dörfer so besonders machen, das Rauschen des Windes und das belebende Zwitschern der Vogel.
Der ergreifende Zauber des gregorianischen Gesanges, die langen und flachen Wege die nur den Himmel um mich zu spiegeln scheinen, die unzähligen Sterne, die so viele Nächte dieses faszinierenden Weges beleuchteten.
Es ist wie im echten Leben, manchmal pilgert man alleine, manchmal in Gruppen und oft findet man einen echten Wegbegleiter.
Ich erinnere mich noch gut an alle die fernen Länder aus denen andere Pilger kamen und von denen sie erzählten. Angefangen von Südafrika, über Peru, bis hin zu Indien. Aber noch häufiger als andere Menschen, waren alleine meine Gedanken meine Begleiter.
Diese Momente, wenn ich mich in mitten der Natur umsa, keine Menschenseele weit und breit zu finden war, umgeben von Bergen, den Wind auf meiner Haut spürend, fühlte ich die Zeit zum Stillstand kommen.
Die Melodie dieser Umgebung war eine Komposition aus meinem Atem, dem Aufschlagen meines Pilgerstockes auf den steinigen Boden und das Klicken der Kamera, mit der ich versuchte die Einzigartigkeit dieser Momente für die Ewigkeit festzuhalten.
Glück, Ganzheitlichkeit, Harmonie und inneren Frieden.
Dies waren die Momente und Gefühle, die ich einzufangen zu versuchte.
Eines Tages erblickte ich am Horizont ein Dorf.
Rauch stieg aus den Kaminen der Häuser, und als ich näher kam, roch ich den unverkennbaren Geruch von verbranntem Holz.
Auf einer nahen Weide weidete eine Herde Schafe.
Im Gespräch mit den Bewohnern des Dorfes leuchteten ihre Augen, als wir ihnen von der einfachen Schönheit ihres Dorfes und dem guten Geschmack ihres Wassers erzählten. Ihnen ist nicht bewusst, wie sehr sie unsere Seele erwärmten, wie viel sie uns lehrten und beibrachten. Ohne sie ist die Landschaft bedeutungslos, ein Weg ohne Gespräche und ohne Kontakt mit Menschen ist unvorstellbar.
Durch die Gespräche mit den Menschen erkannte ich, dass fast alle auf der Suche nach den gleichen Antworten sind und ähnliche Vorstellungen haben.
Ich habe Pilger von den verschiedensten Routen kommend (manchen folgten dem französischen und andere wieder dem portugiesischen Weg) auf meinen Weg getroffen und mit ihnen über das Leben gesprochen.
Das schafft Verbundenheit, obwohl doch jeder von uns einen anderen Weg geht.
Tatsächlich wandern wir oft auf unterschiedlichen Wegen auf der Suche nach Glück und Zufriedenheit.
Aber auch wenn ein anderer Weg nicht mit unserem übereinstimmt, bedeutet das nicht, dass einer der Wanderer verloren war.
Es kommt nicht darauf an wie unser Nachname lautet, woher wir kommen, welchen Beruf wir haben oder wie groß unser Vermögen auf der Bank ist. Zuerst waren wir uns gleich in unseren Unterschieden, nun sind wir alle gleich als Pilger mit einem Rucksack und einem Pilgerstock in der Hand.
Ungeachtet ihrer Vergangenheit brachten mir alle Unterstützung, Freundschaft, Kameradschaft, Stärke und Solidarität entgegen. Sie alle waren Teil meines Weges, und ich konnte in allen von ihnen mein Ziel Santiago erkennen.
Auch wenn Müdigkeit und Durst groß waren, die Schönheit des Weges und die Gesellschaft von Freunden mit denen man das Leben reflektieren konnte, waren größer. Diese neuen Freunde halfen mir mein innerstes Selbst zu entdecken, die Freude der Einfachheit zu spüren, Durst zu überwinden und Müdigkeit zu vergessen.
Wir wissen, dass es keinen Himmel ohne Stürme und keine Straßen ohne Unfälle gibt.
So wie auf meinem Weg Steine lagen, so ist auch unser Leben oft ein steiniger Weg, doch jedes überwundene Hindernis lehrt mich etwas und macht mich stärker
Wenn neue Freunde Glück bedeuten, wenn die gelben Pfeile für das Ziel stehen, dann sind die Herbergen der sicherer Hafen. Die Geborgenheit der Herbergen gab mir Kraft und Energie für den weiteren Weg.
Ich fand oft Unterkunft in einfachen Herbergen mit kalten Wasser und alten Betten und manchmal in Herbergen in denen die Möbel noch neu rochen. Doch das Besondere an allen Herbergen war die einzigartige Atmosphäre, die ich für keinen Luxus auf der Welt tauschen möchte. Abend für Abend, wenn ich in einer neuen Herberge Unterkunft fand, wurde meine Seele durch das aufrichtige Lächeln, durch die Wärme des Kamins und das Zusammentreffen anderer Pilger, die ihre Abenteuer teilten, erwärmt.
Abend für Abend schrieb ich meine Eindrücke in mein Tagebuch. Doch weder gibt es genug Tagebücher für all die Emotionen, noch gibt es passende Wörter die diese Gefühle beschreiben können.
Als der 28. Tag anbrach, began ich mich an alles was hinter mir lag zu erinnern, und ohne, dass ich es merkte, fing ich an zu weinen. Ich hatte Sehnsucht nach dem Weg und Heimweh nach meiner Familie zugleich.
Dennoch wollte ich mein Ziel unbedingt erreichen.
Als ich Santiago endlich erreichte, nahm ich mir ein paar Tage um auszuspannen und mich von meinem Weg mit dem Rucksack zu erholen. Es waren einfach zu viele Eindrücke, unendlich viele Gefühle, neue Erkenntnisse und Freunde, und ein Weg… Mein Weg.
Der Weg spiegelt die ideale Traumwelt wieder. Die Welt der Solidarität, des Strebens nach dem gleichen Ziel.
In einer Welt in der weniger Wert auf Materielles gelegt wird, ist es leichter diesen Weg zu bestreiten.
Als ich vor der Reise meinen Rucksack packte, konnte ich mir nicht vorstellen auf so viele Dinge für so lange Zeit zu verzichten. Doch schlussendlich musste ich mich dafür entscheiden einige Kleidungsstücke und Accessoires daheim zulassen. Wir sind es gewohnt unnötigen Ballast anzuhäufen den wir dann durch unser Leben tragen. Durch meine Reise auf dem Jakobsweg habe ich gelernt nur mit dem Wesentlichen zu leben.
Auf dem Weg fand auch in mir eine Reise durch mein Leben statt. Ich reflektierte alles, was ich bis dahin erreicht und gemacht hatte, all die verpassten Möglichkeiten, die Suche nach Antworten auf offene Fragen. Obwohl ich keine Antworten fand, erkannte ich die Wichtigkeit dieser Fragen und behielt sie im Gedächtnis. Viele der Situationen, die ich auf meinem Weg erlebt habe, sind tief in meiner Erinnerung verankert. Zum Beispiel war es leicht auf meinem Weg Entscheidungen zu treffen, da ich von all den positiven Emotionen geleitet wurde.
Ich hatte das Gefühl, dass alles anders sein würde sobald ich wieder in der Realität ankommen würde. Doch war es wirklich so? Ich nahm an, dass es nach dem Weg schwierig sein würde, mich wieder an die Hektik der Stadt zu gewöhnen, an die oberflächlichen Gespräche mit Menschen und mein Leben wieder nach einem Terminplan zu richten. Aber es stellte sich heraus, dass meine Reaktionen auf diese Situationen kontrollierter und weniger impulsiv waren, weil ich nun einen Ort der inneren Ruhe in mir hatte.
Dieser innere Raum der Ruhe hilft mir seitdem Entscheidungen zu treffen und Wichtiges von Unwichtigem besser zu unterscheiden.
Nach dem Weg nach Santiago habe ich mich nicht nur innerlich verändert, sondern mein gesamtes Leben hat sich verändert.
Der Weg nach Santiago hat kein Ende, er geht in unserem Alltag weiter.
Ich hätte viel mehr schreiben können, von all den einzigartigen Orten, den unbeschreiblichen Eindrücken und den vielen neuen Bekanntschaften… aber die Wahrheit ist, dieser Weg kann nicht beschrieben werden…. man muss ihn selber erleben… und man muss ihn leben.
Sara Leonor Duque de Carvalho (Facebook, LinkedIn)
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