ökumenischer Pilgerweg von Görlitz nach Hause (2013)
Andrea und Gert Kleinsteuber waren bereits 2012 auf dem ökumenischen Pilgerweg, Sie gingen von ihrem Zu Hause bis nach Eisenach.
Nun folgte 2013 die Strecke von Görlitz bis in die Nähe ihres Wohnortes. Den originalen Bericht kann man hier ansehen: gertkleinsteuber.blogspot.de
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Ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag der Anreise
Vor einer Reise hat man doch immer so Bilder im Kopf und möchte sich vorstellen, wie es dort wo man hin will aussieht und wie es sein wird. Und da die Wirklichkeit meist noch schöner oder zumindest anders ist, als das, was man sich ersponnen hat, laufen wir nun schon zum 5. Mal los, um die Bilder gerade zu rücken. Und nach 10 Tagen wollen wir wieder zu Hause anzukommen. Doch zuerst laufen wir mal zum unteren Bahnhof von Delitzsch. Es ist noch dunkel, das Haus ist kalt und der gestrige Tag steckt mir noch in den Knochen. Gestern war nämlich bei uns im Ort Landes – Erntedankfest. Eine Veranstaltung fand zusammen mit dem schon traditionsreichen Hoffest bei unserem ortsansässigen Kartoffelbauern statt. Schon Tradition ist es dabei auch, dass wir als Heimatverein und Freiwillige Feuerwehr bei der Ausrichtung helfen. Und so hatte ich etliche Meter Kabel verlegt, Lautsprecheranlagen installiert und am Abend wieder abgebaut. Da waren sicher wieder einige Kilometer zusammen gekommen und spät war es auch geworden.
Und das bedeutete, dass die letzten Vorbereitungen für unsere Reise erst spät am Abend statt fanden. Dazu hatte ich wie immer den gesamten Inhalt der Rucksäcke auf dem Boden verteilt, um ja nichts zu vergessen. Am Morgen dann noch mal ein prüfender Blick – alles da. Der Rucksack scheint nur halb voll zu sein, obwohl wir unser Abendessen und die Wegzehrung schon dabei haben. Vielleicht hätte es auch der kleinere Deuter getan, der allerdings 400 g schwerer ist. Na egal, nun ist alles gepackt, die frisch gewachsten Wanderschuhe, die mich die nächsten Tage durch Sachsen tragen werden, sind geschnürt. Schon klappert die Tür im Schloss und ein letzter Blick zurück lässt unser Haus im Dunkel verschwinden. Irgend etwas kneift noch. Es wird noch etwas dauern, bis ich die optimale Einstellung der Rucksack – Riemen gefunden habe. Stumm laufen wir nebeneinander her, noch etwas müde aber in froher Erwartung auf die kommenden Tage.
Es ist nicht weit bis zum unteren Bahnhof. Nach 20 Minuten rennen wir die letzten Meter zum Zug, der bereits am Bahnsteig abfahrtbereit da steht. Es ist ein Zug vor unserem, den wir gerade noch erwischt haben – eigentlich Quatsch, da wir in Leipzig genügend Aufenthalt haben und nun dort länger warten müssen. Auf dem modernen und lebendigen Hauptbahnhof in Leipzig sollte das aber kurzweiliger sein.
Andrea fragt ängstlich, ob wir mit diesem Zug überhaupt fahren dürfen. Prüfend schaue ich noch mal in meine Tasche und stelle beruhigt fest, dass das ausgedruckte Ticket darin ist. “Ja, ja, das wird schon gehen” sage ich. “Das kurze Stück wird´s die Bahn schon nicht so eng sehen” – obwohl ich weiß, dass auf meinem ausgedruckten Zugticket steht, dass nur die ausgewiesenen Beförderungsmittel benutzt werden dürfen. Schnell ist Leipzig erreicht und wir steigen unkontrolliert aus. Nee, nee, nicht so! Wir wurden nicht kontrolliert im Zug meine ich. Und so werden wir nie erfahren, ob unser Ticket gültig war oder nicht. So, nun haben wir also noch über ne Dreiviertelstunde Zeit.
Die Bänke auf dem Bahnsteig sind hart und glatt. Ich rutsche mit meiner neuen Wanderhose von Lidl (9,99€ !!) hin und her auf dem lackierten Holz. Die vielen Reisenden um uns herum warten auf einen anderen Zug. Und als dieser den Bahnhof verlässt, sind wir fast allein auf dem Bahnsteig. Das ändert sich auch kaum, als man den ICE nach Dresden bereit stellt. Es ist das erste mal, dass ich der bekennende Auto – Junkie mit einem ICE fahren werde. Andrea ist noch auf Toilette, als ich neugierig durch die Scheiben des Bistrowagens schaue. Ich nehme also die beiden Rucksäcke und gehe etwas nach vorn, am 1. Klasse Wagen vorbei. Andrea wird mich schon sehen auf dem immer noch fast leeren Bahnsteig. Als sie endlich zurück kommt, kann ich den unbequemen Bahnsteigsitz gegen den weichen des ICE tauschen.
Kindisch freue ich mich über die gläsernen Abteiltüren, die wie auf dem Raumschiff Enterprise zischende Geräusche machen, als sie wie von Geisterhand bewegt vor uns zur Seite verschwinden. Pfffft macht es auch wieder hinter uns und es ist ….. Ruhe. Das ist das erste, was mir auffällt. Wir wählen einen Platz mit Tisch, an dem wir uns gegenüber hinsetzen. Andrea hat Kaffee und Gebäck mitgebracht und so können wir in dieser angenehm ruhigen Umgebung frühstücken. Das ganze hat etwas vom Innenraum eines Flugzeuges. Ich bin begeistert. Nicht mehr so begeistert bin ich, als es sich eine Schulklasse gerade in unserem Abteil bequem macht. Andrea meint: Zu Hause sind sie maulfaul und man muss ihnen jedes Wort aus der Nase ziehen und hier unter sich ist kein Thema zu blöd, um sich nicht darüber laut schnatternd auszutauschen. Ja, ja die lieben Kinderchen!
Um die Sache abzukürzen – in etwa einer Stunde waren wir in Dresden Neustadt und bis auf das letzte Stück vor dem Neustädter Bahnhof in rasanter Geschwindigkeit. Das ist kein Vergleich zu früher, als ich die Strecke zwei Jahre lang alle 14 Tage, meist im Stehen mit einem D-Zug der Deutschen Reichsbahn zurück legen musste. Ein Viertel meines wertvollen Heimfahrtwochenendes verbrachte ich so in den Fängen der Deutschen Reichsbahn. Was man da alles erleben kann, könnte Bücher füllen. Das ist sicher ein Vorteil des Bahnfahrens gegenüber dem Auto, man hat Zeit sich mit den Umständen und den Leuten um einen herum zu beschäftigen und auseinander zu setzen. Wir beschäftigen uns nun aber mit dem Neustädter Bahnhof. Von Baustellen verursacht gehen wir treppauf und treppab und durch dunkle schmutzige Gänge, um in die Bahnhofshalle zu gelangen.
Und wir sind völlig überrascht von dem, was wir da erblicken. Denn so hässlich die Bahnsteige sind, die Halle haben sie schön hin bekommen. Hell und freundlich erscheint sie mir, als wir aus dem Dunkel des schmuddeligen Durchgangs kommend in sie hinein gehen. Sofort fallen mir die zwei Imbissstände auf. Alte Pilgerweisheit: Iss dann, wenn es was gibt, nicht wenn du Hunger hast. Später könnte es keine Gelegenheit mehr geben. Und schon stehen zwei Pötte Kaffee und zwei Teller mit Dresdener Eierschecke vor uns. Wer Dresdener Eierschecke noch nicht gegessen hat oder sie sogar überhaupt nicht kennt, was kaum vorstellbar ist, hat nie gelebt! Mit dem letzten Löffel stelle ich jedoch fest -zu viel! Die Augen waren wieder größer als der Magen. Ich ärgere mich dann immer maßlos, trage ich damit natürlich dazu bei, meinen Körper in die falsche Richtung wachsen zu lassen. Ich muss abnehmen! Beim Gepäck knausere ich mit jedem Gramm und ich selbst trage kiloweise überflüssiges Gewicht mit mir rum. Aber der innere Schweinehund will erst mal besiegt werden. Und ob die Pilgerei mich dabei weiter bringt, dazu bin ich inzwischen geteilter Meinung. Auf dem ersten Weg (800 km in 5 Wochen) habe ich fast 10 kg gelassen, die aber schnell wieder drauf waren. Bei den anderen Wegen war es entschieden weniger Gewichtsverlust. Vielleicht ist die alte Pilgerweisheit dran schuld, zu essen wenn es was gibt. Oder es gibt eben doch zu viele Möglichkeiten. Ehe ich weiter darüber grübele, ist die Zeit gekommen, sich den Wartenden auf dem Bahnsteig anzuschließen. “Achtung eine Durchsage: Der Regionalzug nach Görlitz hat voraussichtlich….” Na endlich, so kommt sie mir bekannter vor, die Bahn, kommt mir ohne Überraschung in den Sinn. Die Verspätung hielt sich jedoch in Grenzen. Ein Dieseltriebwagen fährt dröhnend in die Bahnhofshalle und es ensteht ein kleines Gedränge, bevor wir unseren Sitzplatz erreichen. Als der Zug los fährt, wird mir sofort klar, weshalb mir meinen Platz kaum jemand streitig machen wollte. Ich muss hier direkt auf dem Dieselmotor sitzen, sagte ich Andrea. Was für ein Kontrast zum ICE. Man versteht sein eigenes Wort kaum. Die Strecke nach Görlitz über Bischofswerda und Bautzen ist nicht elektrifiziert und so setzt man diese Dieseltriebwagen ein, die wohl einen gehörigen Teil ihres Kraftstoffes zum Krachschlagen verwenden. Mit dem Gedanken, das alles da draußen wieder zurück laufen zu müssen schaue ich aus dem Fenster und entdecke neben Neuem auch vieles alt Bekannte. Bischofswerda und die Silhouette von Bautzen sind mir vertraut.
In Görlitz war ich jedoch noch nie. Ich hatte schon vieles über Görlitz gehört. Sie ist die östlichste Stadt Deutschlands, hat einen fast vollständig erhaltenen Stadtkern, weswegen Hollywood die Stadt gern als Filmkulisse nutzt und schon viele international bekannte Filme hier gedreht wurden. Das die Stadt von einem edlen aber unbekannten Spender jedes Jahr 500 Tausend Euro für die Stadtsanierung erhält, habe ich auch schon gehört und finde es bemerkens- und bewundernswert, dass der Wohltäter kein Denkmal in der Stadt wünscht und die Zahlungen sofort einstellen will, wenn jemand seine Identität aufdeckt. Auch den Hickack um das wunderschöne Jugendstil – Kaufhaus kenne ich aus den Meldungen in Presse und Fernsehen. Das Bild, das ich mir von der Stadt mache, habe ich hauptsächlich von Fotos oder aus dem Fernsehen. Das verstärkt natürlich meine Neugier, als ich auf dem Bahnhofsvorplatz stehe und mich versuche zu orientieren. Ich schaue genauer hin und ich bemerke wieder einmal recht schnell: Die Bilder in meinem Kopf weichen gehörig von der Wirklichkeit ab.
Ich mag zu Hause keine schief hängenden Bilder an den Wänden und bin dauernd am geraderücken.
Machen wir uns also nun wieder mal dazu auf, die Bilder im Kopf gerade zu rücken.
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag in Görlitz
Die breite Straße, in die sie alle gehen, scheint die richtige zu sein, sagte ich zu Andrea als wir aus dem Bahnhof kommen.. Berliner Straße, das klingt auch sehr bedeutend. Und schon folgten wir der Fußgängergruppe. Fast hätte ich die Grünphase verpasst, weil ich noch schnell ein Foto vom Bahnhof machen wollte. Schnell renne ich noch über die Straße.
Ja, das muss richtig sein hier. Denn die Straße geht in eine Fußgängerzone über – ein Indiz dafür, dass man sich dem Stadtzentrum nähert. Bis auf ein paar graue Überbleibsel, die auf Sanierung warten, waren bereits hier die Straßenzeilen schön anzusehen. Mir fällt ein großes Portal im Jugendstil auf der rechten Straßenseite auf, welches weit aus der Häuserflucht heraus ragt. Und schon habe ich wieder den Fotoapparat in der Hand. Da, ein Wegweiser! Wir befinden uns also auf dem Postplatz, gut sichtbar das Postgebäude in diesem Stil, in dem um die Gründerzeit wahrscheinlich alle Postgebäude in Deutschland gleichzeitig gebaut wurden.
Wir lassen uns von einem Schild “Theaterpassage” zu einem kleinen Umweg verleiten, um dann doch auf dem Marienplatz zu landen. “Jetzt gucke ich erst mal, wo wir sind und wo wir hin müssen und rufe in der Herberge an”, sage ich zu Andrea und steure eine freie Bank an. Und während das GPS Gerät startet, tippe ich die Rufnummer der Herberge in mein Handy. Leider meldet sich nur der Anrufbeantworter. Artig sage ich meinen Spruch, dass wir die zwei Pilger sind, die sich vor einigen Tagen hier angemeldet haben und dass dies hier meine Rückrufnummer wäre. Ha, ich hab´s gefunden: Langenstraße 43, da müssen wir hin. Und schon stiefeln wir weiter. Eigentlich hätte ich genügend Zeit dazu gehabt. Aber ein Foto vom berühmten Kaufhaus mit der Jugendstilfassade am Marienplatz fehlt mir leider in meiner Fotosammlung.
Zwischen den parkenden Autos hindurch gehen wir über den Obermarkt und ich habe mein GPS Gerät vor der Nase. Hier gibt es halt noch keine Muscheln, die einen zur Herberge leiten und Papierkarten sind mir zuwider. Erstens ist Papier verdammt schwer und zweitens habe ich immer schon Probleme damit gehabt, die Dinger wieder richtig zusammen zu falten. Natürlich schaue ich mich schon nach Fotomotiven um. Und da fällt mir ein sehr schlanker Kirchturm auf. Es ist der Turm der Dreifaltigkeitskirche, einem ehemaligen Franziskanerkloster. Nur von Weitem bekomme ich ihn im Querformat ganz auf´s Foto. Man ist der lang und schmal, irgendwie ganz anders als die Kirchtürme, die ich sonst so kenne.
Davor ein schöner Brunnen mit einem Stadtknecht, der eine Hellebarde trägt. Solcher Art Brunnen kannte ich bisher nur aus der Schweiz und ich erinnere mich an einen sehr ähnlichen in Sion. Das wäre ein guter Treffpunkt mit Uwe, denn laut GPS Gerät war unsere Herberge nicht mehr weit. Uwe kenne ich aus dem Pilgerforum. Er ist Görlitzer, ist den öP ebenfalls schon gelaufen und hat sich spontan bereit erklärt, uns seine Stadt zu zeigen. Per SMS hatte ich uns bereits auf dem Marienplatz bei ihm angekündigt. Doch nun ab zur Herberge. Die präsentiert sich in einem sehr schönen Gewandt. Das Haus repräsentiert in seiner Form die Görlitzer Barockarchitektur und war das Wohnhaus des Begründers der Obelausitzschen Gesellschaft der Wissenschaft Karl Gottlob Anton (nachgelesen). Heute beherbergt es die evangelische Stadtmission und gibt Pilgern eine Unterkunft. Am Eingang hängt ein Zettel. Das ist ein gutes Zeichen. Und auf dem steht, bei wem wir klingeln sollen. Völlig überrascht lässt uns die Dame eintreten und meinte, dass sie uns erst morgen erwarten würde. Nee, nee, ich habe uns für heute angemeldet und habe auch schon angerufen und auf den AB gesprochen. Sie sagt, dass sich nur für morgen zwei Personen mit dem Namen Kleinschmidt angemeldet hatten. Da sind bestimmt wir gemeint, meine ich mit der Bemerkung, dass unser Name schon oft verhohnepiepelt wurde. Erst als es ans bezahlen geht, erkenne ich unseren oder besser meinen Irrtum. Wir sind im falschen Haus. Auch auf meine Frage, ob wir hier im Gästehaus Peregrinus sind, meint die Frau ja ja. Sie hatte mich wohl nicht richtig verstanden.
Ich bin auf einen Fehler in meiner eigenen, von anderen Nutzern hoch gelobten Tabelle herein gefallen. Online ist die Tabelle mit der richtigen Adresse. Ich hatte eine frühere Version als Ausdruck eingepackt. Für alle, die es noch nicht wissen, ich habe mich mal hingesetzt und alle relevanten Infos wie Adresse, Telefonnummern, Ansprechpartner, Besonderheiten, Ausstattung, Kosten und Sehenswürdigkeiten am Ort für die Pilgerherbergen am ökumenischen Pilgerweg zusammengetragen und in einer Exel Tabelle zusammengefügt. Der Pilgerführer ist zwar sehr schön gestaltet aber eben auch ziemlich schwer. Für jemanden, der die Gramm zählt wie ich ein NoGo. Ja und in dieser Tabelle gibt es eben die Hausnummer 43 in der Langenstraße zwei mal. Richtig wären wir jedoch in der 47 gewesen. Dort befindet sich das Gästehaus Peregrinus, in dem wir uns angemeldet hatten. Hmm und das kostet die Hälfte. Aber 20 Euro inklusive Frühstück ist auch sehr preiswert und so waren wir uns nach einem zustimmenden Blick einig hier zu bleiben und den Irrtum nicht weiter aufzuklären. (Ich rief dann aber noch im Peregrinus an, um mich zu entschuldigen.) Ist ja auch kompliziert, zwei Herbergen in einer Straße, die eine nicht erreichbar, eine nahezu Namensgleichheit mit zwei anderen angemeldeten Gästen und dann auch noch das offensichtliche Missverständnis der Frau, die uns eingelassen hat.
Na das geht ja gut los, denke ich. Als ich aber das Haus und das Zimmer sehe, meine ich aber: Na das hätten wir auch schlechter treffen können. Sogar ein Fernseher ist auf dem Zweibettzimmer, was heute nicht ganz unbedeutend ist, denn es sind Bundestagswahlen. Wir hatten unsere Stimme schon per Brief abgegeben. (ein seltsamer Ausdruck finde ich. Hat man dann keine mehr??) Sonst meiden wir eigentlich auf einem Pilgerweg jede Konfrontation mit den Massenmedien, was sehr befreiend und beruhigend wirkt. Aber an so einem Tag will man schon wissen, wie die Wahl ausgegangen ist. Wir richten uns häuslich ein – das heißt, wir breiten die Schlafsäcke auf den Betten aus, essen etwas und gehen zu besagtem Brunnen, an dem wir uns mit Uwe per SMS verabredet hatten. Uwe war als Stadtangestellter zum Dienst im Wahlbüro vergattert und hatte sich für uns ein paar Stunden frei genommen.
Wir sind natürlich etwas zu früh dran und nutzen die Zeit, um uns die Dreifaltigkeitskirche anzusehen. Ich frage nach einer Fotoerlaubnis, die man für 1,50€ bekommt. “Wenn Sie gleich drei Euro bezahlen, bekommen sie von mir einen Schein, mit dem sie in allen Kirchen der Stadt eine Fotoerlaubnis haben”, sagt der Bedienstete am Tresen. Natürlich machen wir das so. Und schon stehen wir mitten in dem riesigen Raum. Und ehe ich hier alles haarfein beschreibe, setze ich lieber einen Link. Natürlich nutze ich meine gerade erworbene Fotoerlaubnis und finde viele interessante Motive. Dann wird es Zeit und wir stellen uns gut sichtbar neben dem Brunnen auf. Ich erkenne Uwe sofort, obwohl ich ihn nur auf einem Portrait im Internet mal gesehen habe. Wir begrüßen uns wie alte Freunde und schon fängt er an zu erzählen über seine Stadt. Der Stolz auf sie, ist in jedem seiner Worte bemerkbar. Am liebsten würde ich ein Diktaphon mitlaufen lassen. Denn merken kann man sich das eh alles nicht auf einmal. Ich werde mich hüten, hier zu versuchen, alles nach zu erzählen. Fahrt selbst hin nach Görlitz. Schaut es euch an und ihr werdet begreifen, dass man aus einem mittelalterlichen Stadtzentrum auch etwas anderes machen kann, als eine gesichtslose und austauschbare Einkaufsmeile, die sich von Stadt zu Stadt nur dadurch unterscheidet, dass die Reihenfolge der Konsumtempel eine andere ist. Und auch ohne dieses überdimensionierte Konsumangebot kann so eine Stadt lebendig wirken.
Zu jedem Haus weiß Uwe eine Anekdote zu erzählen und ich frage ihn, was er beruflich macht. “Ich bin der Feuerwehrchef der Stadt”, entgegnet er. Na nun ist mir auch klar, warum er soviel von der Stadt weiß. Wer sonst, wenn nicht die Feuerwehr sollte sich gut in solch einem Wirrwar von verwinkelten, über Jahrhunderte um- und ausgebauten Altstadthäusern auskennen. Und schon klagt er mir sein Leid, welche Probleme es bereitet, in einer solchen Stadt den Brandschutz durchzusetzen. Er führt uns über den Untermarkt, erzählt etwas zur sehr interessanten Rathausuhr und weist auf den Kopf hin, der heraus schaut und bei jeder vollen Minute den Mund öffnet und der Rathaustreppe, an der eine Justitia auf einer Säule steht und warum diese Justitia keine Augenbinde trägt, wie sonst üblich.
Er führt uns an den Flüsterbogen und lässt uns die beeindruckende Wirkung selbst ausprobieren. Wir gehen in einen der Hinterhöfe, deren Hausdurchgänge immer so bemessen waren, dass Kutschen voller Waren hindurch passten. Überall sieht man, dass dies im Mittelalter eine bedeutende Handelsmetropole war. Dies ist der Lage an der Neiße und natürlich der Via Regia zu verdanken. Die Gestaltung und Ausstattung der Häuser verrät, dass hier viel Geld in der Stadt war und die Bürger stellten das stolz zur Schau. Heute kommt unter anderem Geld in die Stadt aus unbekannter Quelle. Denn in jedem Jahr gibt es eine Altstadtspende durch einen großzügigen Unbekannten. Früher waren es eine Million D-Mark und heute fünfhundert-tausend Euro. Ein Denkmal wünscht der Spender nicht und nur kleine Schildchen aus Aluminium verraten, dass dieses Haus mit Hilfe der Alstadtspende saniert wurde. Die Görlitzer hoffen natürlich, dass der Spender oder die Spenderin noch lange bei bester Gesundheit bleibt.
In einem Hinterhof fällt ein Schild auf, das eigentlich gar nicht in diese mittelalterliche Kulisse passt. Es ist das Überbleibsel einer Filmkulisse. Alle Szenen des Hollywood – Films In 80 Tagen um die Welt mit Jackie Chan, die in Paris spielen, wurden hier gedreht. Hollywood hat Gefallen an Görlitz gefunden. Die Kulisse ist authentisch und es bedarf weniger Veränderungen. Vielen Filmen diente Görlitz so als Kulisse, weswegen man auch von Görlywood spricht. Ihre sensationelle Kulisse mit Renaissance-Gebäuden, Barockbauten oder Gründerzeithäusern lässt die Stadt wie einen historischen Themenpark erscheinen, in der sich jede Epoche nachspielen lässt. Zur Freude der Location Scouts – jenen Leuten, die Drehorte auskundschaften – gibt es im Stadtkern keine moderne Architektur, die die Authentizität stören könnte. Filme wie “Der Vorleser” oder der schon erwähnte “In 80 Tagen um die Welt”, „Inglourious Basterds” oder die deutsche Produktion “Goethe” wurden ganz oder teilweise hier gedreht. Viele Bürger verdienen sich als Komparsen ein paar Euro nebenbei. Ich stelle mir das sehr spannend vor.
Plötzlich bleibt Uwe vor einem eigentlich unscheinbaren Haus stehen und fragt uns, was uns daran auffällt. Ich schaue angestrengt auf das Haus, um das wahrscheinlich wahnsinnig interessante Detail zu entdecken. Es ist etwas unsymetrisch gebaut, meine ich. “Schau noch mal genauer. Was fällt dir an den Fenstern auf?” “Die sind alle neu bis auf eines.” “Und??””Es ist nicht geputzt.” Erst beim zweiten Hinsehen erkannte man es. Und schon erzählt Uwe die Geschichte vom Gropius (ich hoffe, ich habe den Namen richtig verstanden), einem stadtbekannten Geizhals Marke Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens Weihnachtsgeschichte. Er war so geizig, das er selbst für seine eigene Beerdigung vorgab, wofür und wie viel Geld auszugeben ist. Um das zu kontrollieren, schaute der Gropius selbst bei seiner eigenen Beerdigung aus besagtem Fenster zu. Jeder, der danach aus dem Fenster schaute, starb kurze Zeit später, weswegen seither dies niemand mehr tat und es auch seither nie mehr geputzt wurde. Eine schaurige Geschichte, an die sich später noch weitere anschließen sollten. Doch zunächst gehen wir weiter durch den Karpfengrund, in dem Häuser stehen, die sehr denen in der Altstadt unserer Heimatstadt ähneln, zur Peters – oder auch St. Peter und Paul Kirche. Für diese haben wir aber noch später Zeit, sage ich zu Uwe.
An der steilen Straße hinunter zur Neiße fällt ein mehrstöckiges graues Haus auf, das Waidhaus. Waidhaus heißt es, weil dort früher Waid, ein Färbemittel gelagert wurde. Doch es ist schon viel älter als es scheint, denn es war ab der ersten Hälfte des 12.Jahrhunderts Bestandteil der Burg des Landesherren und besaß auch einen Turm. Doch wie vieles im Mittelalter brannte das Haus ab und wurde nach dem Wiederaufbau als Schule und als besagte Lagerhalle für Waid genutzt. Später war es sogar Feuerwehrwache. Und nun beherbergt es das Görlitzer Fortbildungszentrums für Handwerk und Denkmalpflege e.V. – wie passend.
Uwe zeigt uns einen Stein, an denen zwei Wegzeichen angebracht sind, eines für den Zittauer Jakobsweg in Richtung Prag und eines für den ökumenischen Pilgerweg, dem wir nun für 10 Tage folgen wollen. Eigentlich müssen wir morgen früh genau hier her, um wirklich vom Ursprung des Weges los zu gehen. Aber weil wir doch nun mal schon hier sind, können wir sicher darauf verzichten. Die Etappe wird eh eine der längsten und dann auch noch die Königshainer Berge dazwischen. Da werten wir das heute mal als Startzeichen. Na und gelaufen sind wir heute ja auch schon einige Kilometer. Über die Neiße gehen wir nun noch nach Polen. Das ist wirklich unspektakulär und man merkt kaum, dass man in einem anderen Land ist. Das ist halt Europa. Und es ist gut so. Hier macht uns Uwe auf eine große Tafel aufmerksam, auf der die verschiedenen hier sich kreuzenden oder beginnenden Wege erklärt werden.
barockes “Durchhaus” mit zwei Höfen nach Leipziger Vorbild
Zurück auf der deutschen Seite wird es leider Zeit, sich von Uwe zu verabschieden. Er muss wieder zurück ins Rathaus, zur Auszählung der Stimmzettel. Doch zuvor führt er uns, vorbei an herrlichen Barockhäusern in der Neißestraße, noch einmal zur Brüderstraße an den Georgenbrunnen, und erzählt uns die Geschichte vom Klötzelmönch, eine schaurig traurige Geschichte von einer Jungfrau, die von einem Mönch (besagter Klötzelmönch wegen des Geräusches, was seine Holzpantinen machen, wenn er eine Frauenleiche an den Haren hinter sich her zieht) umgebracht und in der Kirche vergraben wird. Der aber von einem Landstreicher wieder erkannt wird, welcher sich in der Kirche einschließen ließ, um Obdach zu finden. Der böse Mönch wurde verurteilt und lebendig eingemauert. Zu allem Überfluss und als hätte ich es geahnt, wurde natürlich viel später ein eingemauertes Skelet im Franziskanerkloster gefunden. Wer die Geschichte viel ausführlicher, eindrucksvoller und gruseliger hören möchte, sollte sich einer nächtlichen Stadtführung mit Darstellern anschließen, die regelmäßig veranstaltet wird. Zum Schluss geht es noch in die Verrätergasse, in der uns Uwe erzählt, warum die Uhr der Dreifaltigkeitskirche 7 Minuten vor geht: Einst schmiedeten Aufrührer ein Komplott gegen den Stadtrat und wollte diesen stürzen. Eine kleine Gruppe Aufrührer befand sich innerhalb der Stadtmauern, die auf Verabredung die Tore für eine größere bewaffnete Gruppe öffnen sollte. Und wie es oft bei solch einem Komplott ist, gibt es einen Verräter, der dem Rat alles steckt. Dieser ersinnt eine List und lässt die Kirchturmuhr 7 Minuten vor stellen. Vor den Toren hörte man diese Uhr nicht. Es schlägt z.B. Neune, die Gruppe in der Stadt kommt aus dem Versteck und will die Stadttore öffnen, wird aber in besagter Verrätergasse von den Stadtsoldaten geschnappt. Nun musste man am Stadttor nur noch auf den wirklichen Stundenschlag warten. die Tore öffnen und die übrigen Unholde dingfest machen. Alle wurden zum Tode verurteilt und die Uhr schlägt seit der Zeit 7 Minuten früher als die restlichen in der Stadt.
Nachbildung der Grabeskirche
Mit dieser Geschichte und dem Hinweis unbedingt noch das heilige Grab zu besuchen, verabschieden wir uns von Uwe mit den Worten “Man sieht sich immer zwei mal im Leben”. Und so hoffe ich, dass wir uns irgend wann mal wieder treffen, entweder auf einem der vielen Wege oder noch besser als Stadtführer in Görlitz. Ich habe da auch schon einen Plan, will ihn aber nicht gleich damit überrumpeln, in dem ich hier darüber berichte. Kommt Zeit, kommt Rat.
Natürlich gehen wir nun zum heiligen Grab, wie es Uwe vorgeschlagen hatte. Es gibt in Europa viele Nachbauten dieser Pilgerstätte. Einzigartig ist bei dieser in Görlitz, dass sie in ihrer Anordnung bestehend aus Adams- und Golgathakapelle, Salbstein und dem Grab selbst, hier unter freiem Himmel steht und nicht wie z.B. in Jerusalem seit Kaiser Konstantin in einer baulichen Hülle. Aufbau und Geschichte des Grabes ist unter diesem Link recht gut erklärt. Natürlich frage ich nach einem Pilgerstempel vom Heiligen Grab und bekomme diesen prompt eingestempelt.
St. Peter und Paul
die Sonnenorgel
Danach gehen wir zu St. Peter und Paul. Nach Himmelsrichtung durchqueren wir Gassen, die wir bis jetzt noch nicht gesehen hatten und die auch sonst von den Touristenströmen sicher verschont bleiben. Am Ende wartet eine Eisentreppe hinauf zur Ochsenbastei. Von hier hat man einen schönen Ausblick auf die Neiße und die Altstadtbrücke. Die Peterskirche zu beschreiben, damit wäre ich ebenfalls überfordert. Viel besser wird das hiergetan. Auch hier erhalten wir einen Stempel in unsern Credencial. Wie jede gotische Kirche zeichnet sich St. Peter und Paul durch die hohen auf schlanken Säulen scheinbar schwebenden Gewölbedecken aus. Hier kann man durch die Bemalung sehr schön die Struktur des Netzrippengewölbes erkennen. Ein besonderer Hingucker und zweifellos auch ein Ohrenschmaus ist die Sonnenorgel. Ihren Namen erhielt sie wegen der 18 Sonnen, die sich im Prospekt auf den Pfeifengruppen finden. Die im Jahre 2004 nach altem Vorbild neu errichtete Orgel (die alte war völlig verschlissen – ein altes Manual wird ausgestellt) schöpft ihre Klangfülle und -Vielfalt aus 6085 Pfeifen, 89 Registern, vier Manual- und zwei Pedalklaviaturen. Die größte der Pfeifen misst 7,82 Meter. Selbst die barocken Register, die in der Lage sind, Vogelstimmen nachahmen, wurden wieder hergestellt. Ein wirklich imposantes Instrument, das ich wirklich gern einmal in Aktion hören möchte. Doch nun habe ich Durst nach so viel Kultur. Ganz in der Nähe, am Neißeufer ragt wie ein Schiffsbug die Terrasse des östlichsten Restaurants Deutschlands in den Fluss, die Vierradenmühle. Na wenn das nicht ein Anlass ist, sich dort einen Platz zu suchen.
das östlichste Restaurant Deutschlands
Lange müssen wir nicht suchen, denn das Wetter setzt gerade sein Bestreben fort, sich unbeliebt zu machen. Den ganzen Tag war es schon trübe. Na wenigstens trocken ist es geblieben. Und während sich Andrea einen Kaffee und ein Stück Obstkuchen einverleibt, genieße ich ein frisch gezapftes Landskron Bier aus Görlitz. Doch wenn man so sitzt, ist es doch schon empfindlich kalt und so bezahlen wir rasch und gehen zurück zur Herberge. Dort laufen schon die ersten Hochrechnungen zur Bundestagswahl und es zeichnet sich wiederum ein Sieg für die CDU ab. Dem Land hätte ich eine absolute Mehrheit gewünscht, damit sich mal was bewegt und damit mal jemand wirkliche Verantwortung übernimmt und nicht alles ausgesessen oder die Schuld auf den Koalitionspartner geschoben wird. Doch Schluss damit, Fernseher aus. Ich gehe nochmal in die Stadt, um ein paar Fotos bei Nacht in den Kasten zu bekommen. Gar nicht so einfach, denn die Görlitzer Altstadt ist so authentisch, dass sie auch recht spärlich beleuchtet ist.
Trotzdem gelingen mir ein paar Schnappschüsse. Meine Fotosafari findet ein jähes Ende, als mein Akku schlapp macht und ich in der Herberge den Ersatzakku liegen gelassen habe. Über sowas könnte ich mich schwarz ärgern. Denn sonst habe ich bei viel unwichtigeren Sachen immer einen geladenen Ersatzakku dabei. Zurück in der Herberge habe ich dann aber auch keine Lust, noch mal los zu gehen. Und so verkriechen wir uns bei Zeiten in unseren Schlafsäcken.
Morgen liegt eine lange Etappe vor uns und das Wetter soll auch nicht so berühmt werden, zwar kein Dauerregen aber trüb und nieselig. Das Hoch, welches uns der Deutsche Wetterdienst noch in der vorigen Woche versprochen hatte, wird noch eine Weile auf sich warten lassen.
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag der Berge
Endlich ist es soweit. Es geht nun richtig los. Doch zuvor ein Lob an meinen neuen Schlafsack: Viel Platz für meinen Astralleib, angenehme Temperaturen darin, angenehmes Material und wenig Platz, den er im Rucksack verbraucht. Im morgendlichen Ablauf sind wir beide bereits Profis. Da bedarf es nur noch weniger Worte, um den Ablauf zu organisieren. Wir sind eh am Morgen keine Plaudertaschen. Jeder hat da seinen Ablauf. Ich stehe meist als erster auf und mache Toilette, dann halte ich den Kulturbeutel vor Andrea´s Nase und in der Zeit, in der sie sich schön macht, packe ich die Schlafsäcke und mache die Wasserflaschen fertig. Alleine auf so einem Weg würde nicht nur sie mir fehlen, sondern auch die automatisierten Handgriffe.
Frühstück in der Stadtmission
Pfeifend verzieht sich die Luft aus dem praktischen Kompressionsbeutel mit meinen Sachen, als ich ihn zusammenrolle. Das ist ein Geräusch, das ich den Mitpilgern in einem gut belegten Schlafsaal, wie man ihn von den spanischen Wegen kennt, am Morgen nicht zumuten möchte. Aus diesem Grund mache ich das in jenen Fällen immer schon am Abend. Hier in Deutschland muss man keine missbilligenden Blicke aus verschlafenen Pilgeraugen fürchten.Wir sind wie so oft allein und ich konnte auch gestern niemanden in der Stadt erblicken, der im entferntesten aussieht wie ein Pilger oder Wanderer. Um das Frühstück müssen wir uns heute erfreulicherweise nicht kümmern. Ein Stockwerk unter uns steht es bereits auf dem Tisch. Dessen war ich mir sicher, da ich im Haus bereits vor unserem Aufstehen Unruhe vernahm.
Und wie der Tisch gedeckt ist! “Sie können sich ruhig was einpacken für den Weg.” Das lassen wir uns nicht zwei mal sagen und ich packe uns zwei belegte Brötchen ein. Um es vorweg zu nehmen: Ich trage sie bis zum Etappenziel und sie dienen uns als Abendessen. Ich mag solche “gereiften” Semmeln, die das Aroma des Belages während des gesamten Tages in sich aufnehmen konnten. Schon als Kind war das so, wenn ich meinen Vater von der Arbeit abholte und er seine Schnitten aus der Aktentasche zog um sie mir zu geben. Die hatten einen ganz besonderen Geschmack, den man schwer beschreiben kann: Nach einem Gemisch aus dem Leder dieser Tasche, dem Butterbrotpapier und den Akten, die er so mit sich herum trug. Schwer vorstellbar? Für mich aber eine schöne Kindheitserinnerung. Überhaupt gibt es Geschmäcke, Aromen oder Gerüche, die mich sofort zu Begebenheiten aus der Kindheit zurück führen.
im Regen nach Ebersbach
Doch zurück nach Görlitz. Eine kurze Verabschiedung und einen Dank an die Dame des Hauses, schon stehen wir auf der Straße. Oh Mist! Es regnet. Beide haben wir noch nicht raus geschaut oder hatten es bisher nicht bemerkt. Nun ja, die Regenjacken haben wir eh an und so können wir uns unverzüglich auf den Weg machen. Uwe hatte diesen am Vortag recht gut beschrieben und wir haben wenig Mühe, den Weg aus der Stadt zu finden. Schade, dass uns Görlitz mit diesem Wetter verabschiedet. Bei Sonnenschein bekommt auch die langweiligste Strecke schöne Seiten. Wir aber gehen beständig im Nieselregen bergauf (oder es scheint nur so, weil die Beine noch nicht so richtig wollen) am Krankenhaus vorbei bis zur Stadtgrenze. Dort verlassen wir die stark befahrene Straße endlich nach links auf einen Feldweg, um kurz darauf wieder auf diese zu stoßen. Doch alles kein Problem, denn alsbald finden wir uns auf einem einsamen Radweg wieder, dessen Asphalt vor Nässe trieft. Denn es regnet nun noch stärker.
die hier versprochene Aussicht fällt heute aus
Meine Brillengläser lassen nur einen verschwommenen Blick auf die Umgebung zu. Weit kann man bei diesem Mistwetter eh nicht sehen. Na wenigstens ist die Beschilderung gut, so dass ich keine Notwendigkeit verspüre, das GPS Gerät zu bemühen. Ich habe eh damit zu tun, die Kamera einigermaßen trocken zu halten. Denn hier und da mache ich trotz der wenigen Aussicht ein paar Fotos als Gedankenstütze, und um das GPS auszuprobieren. Diese Kamera zeichnet den Track auf und ich bin gespannt, wie sich das auf die Akkulaufzeit auswirkt. In Ermangelung anderer Abwechslungen mache ich mir eben über so etwas Gedanken beim gehen. An den Sinn oder Unsinn, bei Verhältnissen bei denen ich nicht mal meinen Hund vor die Türe jagen würde, mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken durch die Gegend zu zu latschen, mag ich im Augenblick gar nicht nachdenken. Das würde meine Laune noch mehr gegen Null sinken lassen. Ja, ich gebe es zu: Ich bin sehr gern ein Schönwetterpilger. Und jetzt habe ich schlechte Laune und ärgere mich über die nicht eingetroffenen guten Wetterprognosen des deutschen Wetterdienstes von voriger Woche. Die wollen den Temperaturanstieg in 100 Jahren berechnet haben, sind aber nicht mal in der Lage die nächsten fünf Tage verlässlich voraus zu sagen – unfassbar! Gerade hier, wo mir ein Schild am Wegesrand eine schöne Aussicht auf die Landeskrone (Hausberg von Görlitz) und das fern im Südosten liegende Isergebirge verspricht, sieht man rein gar nichts außer grauen Wolken aus denen es unerlässlich nieselt. Warum ich das immer wieder betone? Weil ich jetzt ningelich bin. Sehen wir es aber positiv, es könnte auch Blasen regnen. Die kurzen Pausen in denen es mal nicht nieselt, lassen zumindest meine Hosenbeine wieder trocken werden.
Ebersbach Gemeinde Vierkirchen
In all meinem Groll merke ich fast nicht, wie schnell wir Ebersbach erreichen. Kein Wunder, schaue ich doch meistens nach Unten – wie schon geningelt (Sächsisch für beschweren oder selbst bemitleiden) wegen der beschlagenen Brillengläser. Die schön restaurierte im Tagesgrau strahlend gelb leuchtende Kirche lassen wir auf ihrem Hügel links liegen, was nicht abwertend gemeint ist. Das Tor ist nur einfach zu. Und so gehen wir in dem recht hübschen Ort über eine kleine Brücke, von der ich ebenfalls ein paar lohnende Fotomotove entdecke. Kurze Zeit und keine 200 Meter weiter schallt uns ein “Buen Camino” entgegen. Fast bin ich erschrocken, in jedem Fall aber hoch erfreut – ein Leidensgenosse! Er steht unter dem Vordach einer ehemaligen Konsum – Kaufhalle, die nun nur noch oder wenigstens als Regenschutz für nasse Pilger dienen kann. Es ist Andreas* aus Kassel (*Namen und Wohnort geändert), der ebenfalls heute in Görlitz gestartet ist. Ein kurzes woher und wohin und schon sind wir beim Thema und jeder glaubt den anderen schon lange zu kennen. Es ist halt so auf einem Weg mit dem gleichen Ziel. Er berichtet auch von zwei Frauen, die er in Görlitz getroffen hat. Eine davon sollten wir viel später noch kennen lernen. Er ist gerade beim zweiten Frühstück. Wir warten, bis er fertig ist und gehen gemeinsam weiter. Es geht den Königshainer Bergen zu. Diese sind zwar das kleinste Gebirge Deutschlands aber trotzdem nicht ganz ohne.
ein Sonnenloch vor der Landeskrone
der Weg in die Königshainer Berge
Doch bevor wir den Gebirgszug erreichen, machen wir dann doch noch einige Sonnenstrahlen aus. Wie ein himmlischer Scheinwerfer setzt die Sonne interessante Lichtflecken in die Landschaft. Schnell die Kamera raus, bevor das Schauspiel wieder zu Ende ist. Im Weitergehen fällt mir Andreas* etwas unrunder Laufstil auf. Er trägt leuchtend blaue Laufschuhe, die ihm offenbar Kummer bereiten. “Wenn was zwickt an deinen Füßen, dann schau lieber gleich mal nach, bevor sich eine Blase bildet” sage ich zu ihm. Er stimmt mir zu und schnell haben wir an einem Hochstand eine günstige Stelle gefunden, um die Schuhe und Socken auszuziehen. “Ich habe immer Kinesiotape mit. Das hält gut und beugt Blasen an reibenden Stellen vor.” Schnell haben wir die gefährdete Stelle lokalisiert. Die Einlagen in den Schuhen verursachen diese Schmerzen und ich verarzte seine geröteten Fußballen, in dem ich mein blaues Tape darüber klebe. Ich hoffe, dass es nicht zu spät ist. Ich kann mir auch eine Bemerkung nicht verkneifen, ob die Schuhwahl nicht etwas gewagt ist. Andreas* meinte, dass er die Schuhe mal ausprobieren wollte. Er arbeitet selbst in einem Outdoorladen und scheint mir auch nicht zum ersten mal zu Fuß unterwegs zu sein. Um so unverständlicher ist mir die Wahl dieser Schuhe. Die Wege werden mit jedem Tropfen vom Himmel matschiger und der anfängliche Asphalt ist längst steinigen Feldwegen mit vielen fiesen Pfützen gewichen. Und nun beginnt auch noch der Anstieg in die Königshainer Berge.
der Aufstieg
Der Weg wird nun auch immer steiler und meine Atmung immer schwerer.” Nur noch ein Stück und wir sind auf dem Hochstein. Dort ist eine Baude, da können wir was essen und trinken” so meine aufmunternden Worte, die etwas keuchend klingen. Um Andrea mache ich mir keine Sorgen. Aber Andreas* geht immer schwerer. Er hustet auch viel und auf meine Frage wie es ihm geht, antwortet er, dass er gerade eine Bronchitis hinter sich hat – nicht gerade die besten Voraussetzungen einen Pilgerweg zu gehen, noch dazu bei diesem Wetter. “Noch ein paar hundert Meter auf einer steilen Asphaltstraße und wir müssten an der Baude sein” beruhige ich.
der Hochsteinfelsen
die Hochsteinbaude
Gespenstisch taucht aus dem Nebel die massige Felsformation auf dem Gipfel des Hochsteins auf. Zuerst hielten wir es für ein Gebäude. Doch dann sah ich den quer gerillten ausgewaschenen Fels. Erst dahinter taucht die Hochsteinbaude auf, zum Glück geöffnet. Sicher hat man von den Felsen, auf die man mittels Eisentreppen steigen kann, einen fantastischen Ausblick. “Hätte” hätte ich hier schreiben sollen, denn der Aufstieg wäre völlig sinnlos gewesen. Durchnässt und nun auch noch frierend betreten wir die Baude und werden freundlich begrüßt. Wir sind die einzigen Gäste und haben die freie Tischwahl. Um der Chefin Wege zu ersparen, setzen wir uns nicht ganz so weit weg vom Tresen. Ein Bier hab ich mir nach diesem Aufstieg doch sicher verdient und auch Andreas* bestellt sich eins. Obwohl für ihn sicher Hustentee besser gewesen wäre. Extra für uns steht auf der Karte eine Pilgersuppe und wir sind uns einig, dass so eine Gemüsesuppe genau das richtige jetzt ist. Alles andere würde zu schwer im Magen liegen, denn wir haben noch nicht mal die Hälfte des heutigen Weges geschafft. Andreas* ist zwar der Meinung, dass es nach dem Abstieg vom Hochstein noch einmal auf die gleiche Höhe gehen würde. Ich bin aber der Überzeugung, dass er sich irrt.
Arnsdorf in Sicht
Zum Glück behalte ich Recht. Auf rutschigen nassen Wegen geht es nun steil bergab durch den triefenden Wald. Von fern ist die Autobahn A4 zu hören, die in einem Tunnel die Königshainer Bergen unterquert. Dann endlich raus aus dem Wald in dem der Nieselregen zu großen Tropfen gesammelt, uns dauernd auf die Köpfe klatscht. Hinter einem großen Maisfeld kommt Arnsdorf in Sicht. Hier gibt es eine Herberge, für uns aber viel zu zeitig auf dem heutigen Weg. Nun sind wir eh nass und wer weiß, wie es morgen ist. Die Füße sind noch gut und so entschließen wir uns, wie geplant hier nicht in die Herberge zu gehen. Für Andreas* wäre das vielleicht besser gewesen. Sein Husten verschlimmert sich und ehrlich gesagt, habe ich etwas Bedenken wegen der bevorstehenden Nacht. An Schnarcher habe ich mich gewöhnt (ich weiß, was Andrea jetzt dazu sagt – von wegen Glashaus und so!) aber sein Husten würde uns die Nachtruhe rauben.
in der Kirche von Arnsdorf
Wasserschloss Döbschütz
Bevor wir jedoch Arnsdorf verlassen, besichtigen wir noch die offene Kirche, in der vor allem die schön bemalte Decke und die alten in der Apsis frei gelegten Fresken ins Auge fallen und etwas besonderes sind. Das Besondere im nächsten Ort Döbschütz ist das Wasserschloss, das sehr romantisch am Ortsrand in einem Wald versteckt, umringt von einem Wassergraben auf Restaurierung wartet. Auf dem Dammweg entlang der wild mäandrierenden Schwarzen Schöps erreichen wir Melaune. Am Ortseingang fällt eine große asphaltierte Fläche, eingerahmt von einer Holzbande auf – ein Eisstadion. Davor befindet sich eine überdachte Outdoor – Kegelbahn, für Andrea als aktive Keglerin besonders interessant. Hier in diesem Ort scheint man überhaupt sehr aktiv zu sein. Unter dem Dach eines großen Feuerwehrdepots machen wir eine kurze Verschnaufpause. “Es ist nicht mehr weit bis Buchholz, vielleicht noch fünf, sechs Kilometer, dann haben wir es geschafft”, versuche ich uns aufzubauen, da es wieder anfängt zu regnen.
die Herberge in Melaune
der endlose Weg an den Winkrafträdern
Auch in Melaune gibt es eine Pilgerherberge an der wir jedoch ebenfalls vorüber gehen. Der folgende Weg ist recht hart. Nachdem wir ein kurzes Stück sehr belebte Landstraße überstanden haben, biegen wir links in einen betonierten Feldweg ein, der über freies Gelände an einigen Windkrafträdern vorbei führt. Wer schon mal vor Freyburg / Unstrut auf dem ÖP den Höhenrücken vor der Göhle von Windrad zu Windrad gepilgert ist, weiß wie weit die Dinger auseinander stehen. Irgend jemand scheint das letzte Rad immer weiter weg zu versetzen. So auch hier auf dem zugigen Betonweg, der kein Ende zu nehmen scheint. Ein großes hölzernes Kreuz am Weg klärt uns auf, dass man vor vielen Jahren vor hatte, hier eine Sondermülldeponie zu errichten. Scheinbar hatten die Proteste Erfolg, denn außer Feldern ist hier weit und breit nichts zu sehen. Nur der Kirchturm von Buchholz ist schon auszumachen. Oder ist es doch erst der von Tetta? Wenig später erkenne ich es. Wir sind erst in Tetta. Hier soll es so kurz vor Buchholz noch eine Einkaufsmöglichkeit geben. Ich frage einen Anwohner bevor er wieder verschwindet danach. Er erzählt mir aber nur von einem Getränkemarkt in Buchholz, der auch andere Waren des täglichen Bedarfs anbietet. Das genügt uns eigentlich und so machen wir uns auf das letzte Stück nach Buchholz hinter uns zu bringen. Die Wegzeichen führen uns kreuz und quer durch den Ort entlang zweier großer Teiche.
die herberge in Buchholz
Nun ist auch er Kirchturm von Buchholz auszumachen und ich weiß, dass wir gleich da sind. Die beiden hinter mir schauen aber, als wenn ich sie veralbern will und eine Extrarunde drehe. Gleich gegenüber der Kirche steht ein schmuckes restauriertes Haus, die ehemalige Schule des Ortes. Ich entdecke ein Schild im Fenster neben der Tür, auf dem wir willkommen geheißen werden und mitgeteilt bekommen, wie und wo wir den Schlüssel für die Herberge bekommen. Die einfachste Methode nutzte ich, in dem ich zwei Häuser weiter gehe und klingle. Hmm, niemand da. Oben geht aber ein Fenster auf, aus dem mir die heraus schauende Frau bestätigt, dass niemand da wäre, der mich in die Herberge lässt. Also wieder zurück zum Haus. Ich rufe noch mal bei Frau Leubner an, die ich am Vormittag schon mal an der Strippe hatte. Hmmm… Anrufbeantworter…. Ich lege auf, bevor dieser Piep ertönt. Ich rede nicht so gern mit Automaten. Dann entdecke ich noch eine zweite Rufnummer, an der ich jemanden erreiche. Wenig später kommt eine Frau mit ihrem Fahrrad direkt auf uns zu gefahren. Was wir wollen, erkennt wohl jeder und so lässt sie uns ohne weitere Umschweife in das Haus.
in der Herberge Buchholz
Und das Haus ist eine Wucht! Alles neu und modern eingerichtet, neue saubere Duschen, eine große Küche mit vollem Kühlschrank, Fertigsuppen und Getränkekästen (Wasser, Limo, Bier). Selbst Rotwein und Sekt stehen im Schrank. “Was ihr verbraucht – dort hinten steht die Kasse.” Das ist umwerfend und den Getränkemarkt brauche ich jetzt nicht mehr im Ort suchen. Selbst eine Haube mit der Aufschrift “selbst gebackener Kuchen für unsere Gäste” entdecke ich. Meine Sorge wegen des Hustens von Andreas* ist auch schnell zerstreut, denn es gibt drei Zimmer, von denen wir zwei eines beziehen, was offensichtlich sonst als Büro genutzt wird. Die Einrichtung, der betriebsbereite PC auf dem Schreibtisch und die Liege, auf der wir unsere Schlafsäcke ausbreiten, alles wirkt auf mich wie ein Zimmer, das der Sohn des Hauses gerade für uns geräumt hat. Das stehen viele Utensilien, Bücher und Unterlagen, die dann trotzdem verraten, dass dieser Bereich von der Kirchgemeinde intensiv genutzt wird. Andreas* hat das Zimmer neben uns. Er sitzt regungslos auf seinem Bett und starrt gegen die Wand. Er scheint völlig fertig zu sein und erst am Abend ist er wieder ansprechbar.
in der Herberge Buchholz
unser Zimmer
schöner alter Ofen in der Herberge
Eine Holztreppe führt auf einen schön ausgebauten Spitzboden, in dem sicher noch einmal 6 Pilger auf Matratzen Platz finden könnten. Alles ist liebevoll eingerichtet und modern ausgestattet, so richtig zum Wohlfühlen. Das tue ich jetzt auch. Ich sehe keine Veranlassung das Haus bei diesem Wetter noch mal zu verlassen. Nach der Dusche gibt es in der Küche ein Bierchen und wir verspeisen unsere mitgebrachten belegten Semmeln vom Morgen, im schon beschriebenen Zustand. Knusprig ist was anderes – aber schön durchgezogen und weich sind die Semmeln. Später kommt dann auch Andreas* aus seiner Lethargie erwacht in die Küche, um sich sein Abendessen zu bereiten. Und was er da auspackt, versetzt mich in Erstaunen. Da steht neben dem Elektro – Einbauherd sein Camping – Gaskocher und er bereitet Nudeln aus einer Art schock – getrockneten Überlebensration, diese Trockennahrungstüten, die man aus Outdoorläden kennt. Also entweder er hat einen Forschungsauftrag seines Arbeitgebers oder er hat völlig falsche Vorstellungen von Ostdeutschland. Ich traue mich gar nicht zu fragen, mache aber trotzdem eine flapsige Bemerkung, die er mir hoffentlich nicht übel nimmt. Es ist wirklich ein netter Kerl, mit dem wir uns vor dem zu Bett gehen noch angeregt unterhalten. Aber er macht mir irgendwie Sorgen, ob er den nächsten Tag übersteht. Sein Husten ist noch recht schlimm. Seine Füße haben doch noch Blasen bekommen und das wird auch nicht durch das Tape, das ich ihm von meinem angebe besser werden. Und sein Rucksack beinhaltet wahrscheinlich die Nahrung für den gesamten Weg durch den wilden Osten und hat damit ein entsprechendes Gewicht. Ja und das in diesen Schuhen, ich mache mir so meine Gedanken, will ihn aber nicht mit diesen konfrontieren und verunsichern. Irgend wann wird es Zeit für den Schlafsack. Den Wein und den Sekt lassen wir im Schrank. Wir sind nach diesem Tag der Berge auch so müde genug.
Gute Nacht und bis Morgen.*Den Namen und den Wohnort unseres Begleiters auf dieser Etappe habe ich vorsorglich geändert, da ich nicht weiß, ob es ihm recht ist, dass ich ihn hier erwähne.
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag des Senfes
Warum ich diesen Posttitel gewählt habe? Wir gehen heute nach Bautzen. Und wer gern richtigen Senf isst und guten Senf mit viel Tradition bevorzugt, kommt an “Bautzner Senf” kaum vorbei. Ich weiß, hinter dem Weißwurstäquator kennt man den wahrscheinlich selten. Aber dort bevorzugt man ja auch süßen Senf. Hier in Sachsen mag man es eher scharf.
die Kirche in Buchholz
Die Nacht war erholsam und ruhig. Ich habe glaube ich auch nicht geschnarcht. Mein Hals fühlt sich jedenfalls nicht trocken an. Also hatte Andrea auch eine ruhige Nacht. Nach dem üblichen Morgenritual frühstücken wir noch in der Küche. Ich habe noch ein paar gummiartige Baguettebrötchen im Rucksack und mit Butter und Leberwurst schmeckt das in den Kaffee getunkt ganz gut und der Kiefer hat nicht so viel zu tun. Pünktlich um Acht Uhr kommt dann auch Frau Leubner, die mit uns in die kleine Kirche gegenüber geht, um uns einen Pilgersegen zu geben. Sie drückt uns ein Liederbuch in die Hand. “Das wird schwierig” sage ich unumwunden. Natürlich weiß Frau Leubner, dass nicht nur Christen auf diesem Weg sind. Und so macht sie es uns leicht an diesem Morgen. Sie hat ein Lied heraus gesucht, dessen Melodie sogar wir kennen. Auf die Melodie hat Cat Stevens seinen Welthit Morning has broken geschrieben. Während Andreas* recht textsicher mit singt, summen wir zumindest leise mit und sind sehr gerührt von der Atmosphäre.
Mit folgenden Worten schickt uns Frau Leubner in den Tag:
Sei mir heute nah
Ein neuer Tag ist da. Hab Dank für Schlaf und Ruhe
und sei mir heute nah bei allem was ich tue.
Weiß nicht, was kommen wird an Fülle und an Leere.
Sei Du der gute Hirt durchs Schöne und durchs Schwere.
Dein Wort soll Prüfstein sein, für wesentlich und wichtig,
das Maß für groß und klein und für verkehrt und richtig.
Hilf, wo ich etwas kann, die ganze Tat zu wagen
und fällt mich Schwäche an, auch dazu ja zu sagen.
Du hast mir Kraft verliehen, auch diesen Tag zu leben.
Am Abend lass mich ihn dir fröhlich wiedergeben.
Schön nicht? Warum ich diesen Spruch noch nieder schreiben kann? Ich habe den kleinen Zettel wohl behütet mit nach Hause genommen, den uns Frau Leubner zugesteckt hat. Sie zeigt uns in der Kirche noch die nette Fotoausstellung einer Frau, die von ihrem Balkon aus ein Eichhörnchenpaar über das Jahr beobachtet und fotografiert hat. Sie hatte einen Nistkasten aufgehängt, welchen die Tiere annahmen. Damit erhielt sie einmalige Einblicke in die Kinderstube der Baumbewohner. Zwei Räume hat sie gefüllt mit sehr schönen Fotos und Exponaten. Doch dann heißt es Abschied nehmen von der netten Herberge und von Frau Leubner, die uns natürlich einen guten Weg wünscht. Gleich am Ortsrand nach einem kleinen Anstieg verabschieden wir uns dann auch von Andreas*, der heute etwas langsamer und vielleicht auch nicht ganz so weit gehen will. Damit er die Möglichkeit aufrecht erhält, seinen Weg beenden zu können, ist das sicher eine gute Entscheidung. Auf Dauer kann man seinen Laufrhythmus nicht an den eines anderen anpassen. Jeder muss seinen eigenen finden. Und für Andreas* war der heute halt etwas langsamer als der unsere. Wie weit er auf dem Weg noch gekommen oder ob er immer noch unterwegs ist, wissen wir nicht, da wir bisher noch keinen Kontakt zu ihm hatten, obwohl ich ihm bereits gemailt habe. Ich sage zu ihm aber trotzdem meinen Spruch, den ich in solchen Fällen immer verwende und der keine Drohung sein soll: “Man sieht sich immer zwei mal im Leben.” Manchmal benötigt man mehr Mut dazu an der richtigen Stelle aufzuhören, als sich weiter zu quälen und damit vielleicht noch seine Gesundheit zu ruinieren. Ich wünsche Andreas* diesen Mut und die Weisheit die richtige Entscheidung zu treffen.
das Rathaus von Weißenberg
So sind wir nun wieder allein. Auf dem schmalen Pfad, der sich Totenweg nennt, verlieren wir unsere bisherige Begleitung sehr schnell hinter uns aus den Augen. Das Wetter ist heute auch nicht besser als gestern und so sind wir ständig dabei, die Kapuze auf und wieder ab zu setzen. Der folgende Ort ist Weißenberg, eine Kleinstadt mit einem etwas überdimensionalen Rathaus. Wegen des Regens mache ich hier auch nur ein Foto und dann haben wir zu tun, die richtige Wegführung zu finden. Zum ersten mal auf dem öP habe ich das Gefühl verkehrt zu sein. Nach dem steilen rutschigen Abstieg vom Marktplatz laufen wir in großem Bogen um den Stadtkern, so dass ich das Gefühl habe, wieder zurück zu gehen. Doch beim Anblick des GPS Tracks auf meinem Garmin muss ich mich eines Besseren belehren lassen. Die große Richtung West stimmt.
Abzweig nicht verpassen!
Auf einem alten Bahndamm gehen wir aus der Stadt und wir bemerken gar nicht, wo wir sie eigentlich verlassen haben. Große Schilder, die auf einen Mühlenweg hinweisen, überdecken fast das Wegzeichen des öP. Aber ich kann mich sofort an die Beschreibung im Pilgerführer erinnern, in der es heißt, dass man wenn man sich auf dem Viadukt befindet, bereits zu weit gelaufen ist. Und so steigen wir vor besagtem Viadukt hinab vom Bahndamm auf einen breiten Feldweg. Der führt uns direkt zum Einstieg in die Gröditzer Skala. Dies ist eine Art Fluss – Canyon, in dem sich das Löbauer Wasser etwa 15 Meter tief in die Umgebung gegraben hat. Der Fluss schlängelt sich etwa 10 Meter breit durch das Tal und viele Wege begleiten ihn an seinen Ufern.
Gröditzer Skala – Brücke über das Löbauer Wasser
Nach dem steilen Abstieg ist die erste Herausforderung die Überquerung des Flusses über eine etwas abenteuerlich anmutende Brücke. Diese besteht aus einem einzigen Baumstamm, der an der Oberseite mittels Kettensäge etwas abgeflacht worden ist. An seinen Seiten gibt es ein Geländer aus krummen unbearbeiteten Ästen. Alles zusammen sieht zumindest von Weitem etwas lawede wie wir Sachsen sagen aus. Erst beim näheren Hinsehen erkenne ich, dass der Erbauer sich durchaus etwas gedacht hat und sein Handwerk offensichtlich versteht. Das Geländer erweist sich als stabiler als angenommen und so haben wir die Möglichkeit uns an ihm fest zu halten. Das ist auch nötig, da der Stamm durch den Regen, durch Verwitterung und durch darauf liegendem Laub sehr glitschig ist. Welchen Weg man danach flussabwärts wählt, ist eigentlich egal, da alle entlang des Flusses verlaufen. Hüten sollte man sich allerdings zu zeitig nach rechts aus dem Canyon nach oben zu steigen, da die Autobahn A4 sehr nahe verläuft und man sie sogar hier unten noch deutlich hört.
in der Gröditzer Skala
Wir wählen einen Weg, der direkt am Ufer des Löbauer Wassers entlang führt. So haben wir immer wieder schöne Bilder vor uns, die selbst bei diesem fiesen Wetter einen Kontrast bieten zwischen dem üppigen Grün, dass hier mitten im Herbst noch anzutreffen ist und dem sich windenden Flusslauf. Bald kommen wir auf eine große Lichtung. Das Tal öffnet sich und wir sehen oben am Waldrand das Gröditzer Schloss über die Baumwipfel schauen. “Da müssen wir hoch!” rufe ich Andrea zu, die etwas voraus ist, da ich wieder mal mit dem Fotoapparat beschäftigt war. “Die Muscheln zeigen aber hier unten lang” sagt Andrea. Also halten wir es so, wie die Wegväter und -Mütter es wollten. Wir bleiben unten. Das Tal wird wieder enger und auf der rechten Seite erscheinen sogar steile Felswände.
das Gröditzer Schloss
Dann sind wir endgültig raus und sehen die ersten Häuser von Gröditz. Der Aufstieg zum Schloss wird uns aber trotzdem nicht erspart. Japsend muss ich sogar einmal Halt machen, um wieder zu Puste zu kommen. Nee, mit meiner Kondition ist es noch nicht zum Besten gestellt. Oben angekommen gehen wir zum Schloss. Hier befindet sich auch eine Pilgerherberge. Wir entdecken davor einen hölzernen weißen Baldachin mit ein paar Bänken und einem Tisch darunter. Ein schöner Platz für das zweite Frühstück meine ich und schon ist der Rucksack runter. Irgendwie bin ich noch nicht so glücklich mit den Einstellungen der Trageriemen. Unter dem rechten Rippenbogen verspüre ich seit einiger Zeit einen stechenden Schmerz, den ich auch schon auf dem Weg in Mecklenburg hatte.
Umgebindehaus in Gröditz (typisch für die Oberlausitz)
Ob es am Rucksack liegt, werde ich zu Hause mal ausprobieren, in dem ich mal ne längere Wanderung mit meinem alten Deuter mache. Könnte natürlich auch dran liegen, dass ich einfach zu fett geworden bin. Auf jeden Fall ist es lästig mit dem Bauch. Denn der Hüftgurt weiß nicht so recht wohin, meist rutscht er nach ein paar hundert Metern unter den Bauch und ist dort zu locker. So trage ich die ganze Last auf den Schultern, was nicht so günstig ist. Auch wenn es nur 8 bis 9 Kilo sind, auf die Dauer wirken die sich auch auf den Körper aus. Doch Essen ist auch wichtig, damit der Körper Energie bekommt. Also beiße ich noch mal kräftig ab, mache noch einen Schluck aus der Wasserflasche und schon geht es weiter.
der Weg nach Wurschen
Der folgende Weg bis nach Wurschen bietet keine Besonderheiten. Zuerst laufen wir über einen betonierten Wirtschaftsweg und dann eine Weile auf der Landstraße, bevor es wieder auf einen Feldweg geht. In Wurschen kann man sich leicht verlaufen. Erst ist es der Zugang zum privaten Schlosspark, der etwas versteckt hinter einer Einfahrt liegt und dann eine Zick -Zack Wegführung erst nach rechts auf die Straße und dann gleich wieder nach links zuerst auf eine Nebenstraße, die dann aber in einen Feldweg übergeht und aus dem Ort heraus führt.
Park und Wasserschloss in Wurschen
Der Weg am Wasserschloss geht rechts an diesem vorbei. Im weiten Bogen gehen wir durch den riesigen gepflegten Schlosspark, in dem es immer wieder Schilder gibt, auf denen zu lesen ist, dass das Grundstück Privatbesitz ist und die Wiesen nicht betreten werden dürfen. Nach besagtem Zickzackkurs geht es etwas bergauf. Ist man oben, steht man etwa einen Kilometer hinter Wurschen unter einem großen Baum mit einer Bank darunter. Wieder eine willkommene Gelegenheit, den Rucksack für ein paar Minuten abzunehmen. Danach sind für einige Kilometer die stechenden Schmerzen wieder verschwunden. Nur ein paar Fotos zurück nach Wurschen und vorwärts nach Drehsa, schon geht es weiter.
Blick nach Drehsa
Beim Blick auf Drehsa fällt ein hoher Turm auf, der aus dem Ort heraus schaut. Es ist ein Wasserturm, der zum Schloss Drehsa gehört. Am schlossartigen schön restaurierten Gutshaus steht dieser Turm, dahinter die Reste des Gutshofes in noch nicht restauriertem Zustand. Zu DDR Zeiten befand sich in dem Gut ein Kinderheim. Die Familie von Salza zu Lichtenau hat das Gut und das Schloss erworben und restaurieren die Anlage derzeit aufwändig. Den Turm kann man besteigen, wofür uns heute aber der Grund fehlt. Denn immer noch vermiest einem das Wetter die Aussicht. Hinter Drehsa dann wieder ein sehr schöner Abschnitt über einen uralten Feldweg, der auf einer Bergkuppe durch einen kleinen Wald führt.
Schutzhütte hinter Drehsa
Mitten im Wald, bereits beim Abstieg hat jemand eine Schutzhütte errichtet, in der man zur Not auch übernachten kann. Wir warten hier das Ende des Regenschauers ab und nehmen die Beine hoch. Als wir später aus dem Wald heraus treten, sehen wir zum ersten mal die Türme von Bautzen. Noch ganz schön weit weg und von der Karte weiß ich, dass die Wegführung nicht die direkteste ist. Wir treffen vor Waditz auf die Eisenbahnstrecke, auf der wie am Sonntag noch nach Görlitz gefahren sind. Ein ganzes Stück geht es an dieser entlang, ohne das ein einziger Zug kommt. Über Kubschütz, Baschütz und Jenkwitz gehend glaubt man des öfteren von Bautzen weg zu laufen.
Rast in Kubschütz
In Kubschüz lädt eine schön gestaltete Bank zur Rast ein, was ich mir nicht nehmen lasse. Nun nur noch ein letzter Ruck. Als wir bei Auritz auf die B6 treffen, sind wir ganz froh, dass wir nicht schon eher an ihr entlang gehen mussten. Und so waren die kleinen Umwege so kurz vor der Stadt doch recht nützlich. Nach Bautzen hinein laufen wir immer an der stark befahrenen Bundesstraße entlang, eine Tortour, wenn man den ganzen Tag in der Natur war. Wir haben vor ins St. Petri Pfarrheim zu gehen und im dortigen Pilgerzimmer zu übernachten. Den Schlüssel dafür empfangen wir in der Bäckerei, die sich stadteinwärts hinter dem Pfarrheim befindet. Um zum Pfarrheim zu gelangen, muss man in der Töpferstraße 23 durch den Torbogen gehen und weiter zum Hinterhof.
Pilgerwohnung im St. Petri Pfarrheim Bautzen
Hier ist das große weiß/gelbe Haus nicht zu übersehen. Erst als wir über die Treppe bis in den 2. Stock gestiegen sind, bemerken wir, dass es auch einen Aufzug gibt. Diesen hätte ich ohne Skrupel auch benutzt nach dieser heutigen Tour. Falls nach uns auch jemand seine Skrupel verlieren will: Der Zugang zum Aufzug ist an der linken Seite des Hauses. Zum gläsernen Vorraum passt der in der Bäckerei empfangene Schlüssel. Im Pilgerzimmer stehen 6 Stockbetten. Bei Anmeldung sind sie wahrscheinlich auch mit Bettwäsche bezogen. Denn ein Bett war so vorbereitet. Wir nutzen jedoch unsre neuen kuschligen Schlafsäcke. Eine Toilette und eine Dusche, sowie eine kleine Küche befindet sich mit in der Pilgerwohnung. Wir sind gerade dabei uns häuslich einzurichten, da klopft es an der Tür. Herein tritt Christoph aus Berlin. Sein Dialekt verrät jedoch, dass er eigentlich mal wo anders zu Hause war. Ich will ihn aber nicht mit meinen Fragen weiter löchern.
die alte Wasserkunst am Spreeufer
die Schlossstraße und ihre Kneipen
Über das übliche woher und wohin kommen wir kaum hinaus, auch weil wir alsbald das Haus verlassen, um einen Stadtrundgang zu unternehmen. Ich war 1976 zum letzten Mal in Bautzen und erkenne es kaum wieder. Ein liebevoll restauriertes Haus reiht sich ans andere. Und das Bautzen so viele Türme hat, daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Wir gehen quer über den Marktplatz zur Wasserkunst, wo man einen schönen Blick ins Spreetal hat und laufen dann noch durch das Mühltor bis zur Ortenburg, um dort über die Schlossstraße wieder ins Stadtzentrum zu gelangen. Der Petri – Dom ist leider verschlossen. Den hätten wir gern gesehen. Einige Restaurants haben im Namen den Senf verewigt. Bei den restlichen gibt es mindestens ein Gericht, in dem der Senf eine Hauptrolle spielt. Das erwartet man von Bautzen. Blauweiße Senfeimer stehen hier nicht auf der Straße weil man eine Warenlieferung vermutet, sondern als Werbung für einen Senfladen. Vieles dreht sich hier um die gelbe scharfe Paste. Was ist Senf eigentlich, ein Gewürz, eine Würzpaste? Auf alle Fälle sollte für mich Senf etwas in die Nase steigen, wenn man ihn pur isst. Für uns ist er in der Küche unverzichtbar.
erstes Bautzener Senfrestaurant und dahinter der Petri – Dom
Bei den vielen Sorten, die inzwischen auch von “Bautzner” angeboten werden, ist mir der Mittelscharfe der liebste. Und so suchen wir uns ein Restaurant mit Senfgerichten auf der Speisekarte. Lange müssen wir nicht suchen. Direkt auf dem Marktplatz gibt es das Surprise, ein Mischmasch aus Cafe, Pizzeria, Bierkneipe, Bar und Restaurant. Hier finden wir ganz sicher etwas. Und was wir da gefunden haben, war eine Pfanne Geschnetzeltes in einer Honig / Senfsoße – eine Wucht!! Die Augen waren aber wieder mal größer als der Magen. Und so habe ich ganz schön zu tun um abzuessen. Doch: “Er hebt das Glas und schlürft den Rest, weil er nicht gern was übrig lässt.”, um Wilhelm Busch in “Hans Huckebein der Unglücksrabe” zu zitieren. Sicher habe ich zu viel auf den Rippen, weil ich immer so schön aufesse. Draußen ist es unterdessen dunkel geworden und als wir das Lokal verlassen, regnet es natürlich auch wieder.
der Reichsturm am Abend
Nichts desto Trotz mache ich schnell noch ein paar Nachtaufnahmen der Stadt. Zurück in der Pilgerwohnung kommt bald auch Christoph von seinem Stadtrundgang zurück, der ebenfalls im “Surprise” gespeist hat. Schade, dass wir uns nicht getroffen haben. So bleibt es bei einer kurzen Begegnung. Denn am nächsten Tag entschwindet er mit einer Höllen Geschwindigkeit. Auch seine geplanten Etappenlängen entsprechen nicht unseren Vorstellungen. In der Hoffnung auf besseres Wetter gehen wir zeitig schlafen.
Morgen weichen wir zum ersten Mal von unseren Plänen ab. Denn wir gehen nicht wie geplant bis nach Panschwitz -Kuckau, wo ich vor langer Zeit für zwei Jahre mal im Lehrlingswohnheim war. Sondern wir beenden die Etappe schon 3 Kilometer davor in Crostwitz in der Pilgeroase von Monika Gerdes. Das ist ein Tipp von Uwe, den wir gern beherzigen. Und es sollte sich als sehr richtig erweisen und wir verleben einen Abend, den wir so schnell nicht vergessen werden.
(*) Name geändert
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag der Begegnungen
ein Lichtblick am Morgen: Wolkenlücken
Mein erster Gang heute Morgen ist zum Fenster. Noch ein Regentag ließe sich schwer ertragen. Doch da keimt Hoffnung auf. Zwischen einzelnen Nebelfeldern blitzt hier und da etwas Blaues am Himmel auf. Das macht Hoffnung und man ist doch schon für ein klein wenig Sonnenschein dankbar nach diesen zwei Tagen. Schnell ist alles gepackt und wir verabschieden uns von Christoph. Unser sonst eher improvisiertes Frühstück können wir uns heute sparen. Denn in einer relativ großen Stadt wie Bautzen sollte sich doch eine Bäckerei finden lassen, in der wir ein Frühstück bekommen. Wir haben heute viel Zeit, denn wir kürzen die Etappe etwas ein. Wie im vorigen Post bereits geschrieben, hat uns Uwe aus Görlitz geraten, in Crostwitz in der Pilgeroase bei Monika Gerdes zu bleiben und nicht wie geplant, die 3 Kilometer weiter bis Panschwitz Kuckau zu gehen.
der Morgen in Bautzen
Wir geben also unseren Schlüssel in der Bäckerei ab. Es ist aber unmöglich hier einen Kaffee zu trinken und was zu essen. Wenn außer uns noch zwei weitere Kunden in den Laden kommen, ist er voll. Dann müssten unsere Rucksäcke raus aus dem Laden. Also suchen wir uns was anderes. In der Reichstraße sehen wir eine Bäckerei, in der wir uns erst mal orientieren müssen. Denn hier ist alles Selbstbedienung. Es gibt nur noch an der Kasse eine Beschäftigte, die nur noch nach Vorne kommt, wenn man sich was auf seinem Tablett zusammen gesucht hat und in den Kassenbereich tritt. Fehlt eigentlich nur noch ein Drive In für Autos wie in der Schachtelwirtschaft, wie letztens ein Freund das Restaurant mit dem großen “M” zu meiner Erheiterung umschrieb. Am liebsten würde ich wieder gehen und eine schöne alte Bäckerei suchen, in der noch das Mehl an den Fingern der Verkäuferin klebt und der man ansieht, dass sie sich schon mindestens seit 4 Uhr in der Backstube zu schaffen macht. Doch die Bequemlichkeit siegt und ein Pilger ist ja bekanntlich lauffaul. Das mag paradox klingen. Doch jeder Schritt abseits vom Weg gilt es zu verhindern. Man weiß ja nie, was noch kommt. Und so bleiben wir halt hier, gewinnen den Kampf mit der Kaffeemaschine und finden auch was zu Essen.
schöner morgendlicher Blick ins Spreetal
Draußen bekommt die Straße ganz helle Flecken. In der Sonne trocknet sie stellenweise ab. Jahh, die Sonne lässt sich mal blicken, auch wenn es nur ein kurzes Intermezzo werden sollte. Wir haben so aber die Möglichkeit, das gestern bei tristem Wetter besichtigte nun in einem anderen Licht zu betrachten. Wir gehen also über den Markt noch einmal zur Wasserkunst und laufen vor der alten Stadtbefestigung oberhalb der Spree um die Altstadt, bevor wir hinter dem Schloss eine steile Treppe hinunter zur Spree nehmen. Wir wandern über die Spreebrücke, unter der B96 und unter der Autobahn A4 hindurch aus der Stadt heraus.
die Stadt liegt schon weit hinter uns
Bald sehen wir die Stadt mit den vielen Türmen als graue Silhouette hinter uns liegen. Die nahe Autobahn und die vielen Fahrzeuge auf der Landstraße nerven etwas und stören die morgendliche Idylle. Doch wir werden sogar gegrüßt aus einem entgegen kommenden Kleinwagen. Wie sich am Abend herausstellte, war das Monika Gerdes, die ihre abendlichen Gäste grüßte. Sie wusste bereits, dass wir kommen, denn ich hatte uns angemeldet. Der Ort Salzenforst, den wir nun durchlaufen und an dessen Ortseingang eine große Recycling – Anlage befindet, stellt sich als schönes Wohndorf heraus für Betuchte, die außerhalb von Bautzen sich ein großes Haus auf einem noch größeren Grundstück leisten können – alles sehr nett und sehr einfallsreich.
Rast in der Bushaltestelle Oberuhna
Hier und da wird gewerkelt und es schien ein Wettbewerb ausgerufen worden zu sein, wessen Rasen und wessen Vorgarten schöner ist. Das was ich sehe, ist ein Muster an Spießigkeit. Über einen einsamen Wirtschaftsweg gehen wir nun nach Oberuhna. Doch so einsam sind wir gar nicht, denn uns entgegen kommen zwei junge Männer, die unverkennbar als Pilger unterwegs sind. Meinen überflüssigen Spruch, dass sie in die falsche Richtung laufen, hätte ich mir sparen sollen. Der ist weder originell noch geistreich und ich ärgere mich sofort nach dem gesagten. Aber was einmal raus ist aus der Gusche….? Obwohl sie sicher diesen Spruch schon mehrfach gehört haben, reagiert der erste von beiden gelassen.
Abzweig hinter Oberuhna
Der zweite kommt etwas schlurfend ein ganzes Stück hinter ihm nach. Sie kommen aus Erfurt und haben eben diese Richtung gewählt. Da sie zu zweit sind, ist die Einsamkeit, die man erfährt, wenn man auf einem Pilgerweg in die falsche Richtung unterwegs ist, sicher auch nicht ganz so schlimm. Jeder, den man auf dem Weg oder in den Herbergen kennen lernt, ist spätestens am nächsten Tag entschwunden, so auch dieses Mal. Wir verabschieden uns und sie geben uns schöne Grüße an Monika mit auf den Weg, in deren Herberge sie die vergangene Nacht untergekommen waren. Wir hatten ihnen gesagt, wo wir hin wollen und so verspreche ich, die Grüße zu übermitteln. Im nächsten Ort Oberuhna machen wir Pause in einer Bushaltestelle (- nein es regnet immer noch nicht!) und schauen dem geschäftigen Treiben auf einem alten Dreiseitenhof zu, dessen Tor weit offen steht.
der Weg hinter Oberuhna
Von der Landstraße zweigen wir bald hinter Oberuhna nach links auf einen Feldweg ab, eine Abkürzung wie sich herausstellt. Manchmal kürzt man also auch ab auf einem Pilgerweg. Unsere Erfahrungen bisher sagen aber etwas anderes. Denn meist nimmt man Umwege in Kauf zu Gunsten einer Wegführung weit ab vom tobenden Straßenverkehr oder entlang schöner Natur oder an Andachtsstätten oder Kirchen vorbei. Eine solche Andachtsstätte sehen wir schon von Weitem, das Milleniumsdenkmal. Ich zitiere mal von der Seite viaregia-sachsen.de:
das Milleniumsdenkmal
“Das Denkmal symbolisiert die Ausbreitung der christlichen Botschaft. Cyrill und Methodius sind dargestellt, die von 863 bis 885 im Großmährischen Reich missionierten. Als Zeichen für deren frohe Verkündigung und die Ausbreitung des Glaubens in der Lausitz „gedeihen“ auf dem Areal Kreuze aus der Erde. Die Anlage lädt ein zum Verweilen und ist für Andachten, Feste und Gottesdienste geschaffen.”
Als wir näher kommen, sehen wir einen PKW neben dem Denkmal stehen und auf einer Bank sitzt ein etwas beleibter Mann in Arbeitskleidung, der offensichtlich gerade Pause macht. Ich glaube zunächst an jemanden, der mit Pflegearbeiten am Denkmal beauftragt ist. Doch wie sich im Gespräch herausstellt, ist es ein Pilzsammler, der hier seine “Zentrale” aufgebaut hat, um seine vollen Körbe in Eimer umzufüllen, die im Kombi bereit stehen. Doch so groß ist die Ausbeute am heutigen Tag noch nicht.
schöne Allee
Denn auf meine neugierige Frage nach dem Ergebnis, zeigt er mir nur wenige Rotkappen und einen Steinpilz. Er scheint es aber auch nicht so verbissen zu sehen, ein Genuss – Sammler sozusagen. Das übliche Gespräch nimmt seinen Lauf, woher, wohin und woher ursprünglich – also unser Wohnort. Als wir nun Delitzsch sagen, steht der Mann unvermittelt auf, gibt mir die Hand und meint willkommen Landsmann. Er hat seine Kindheit in Delitzsch in der Karl Liebknecht Straße (heute wieder Bismarckstraße) verbracht. Und so haben wir plötzlich viel zu erzählen. Denn er macht mit uns einen Abgleich seiner Kenntnisse darüber, was sich in Delitzsch so alles verändert hat im Laufe der Zeit. Vieles weiß er schon, was mir zeigt, dass er immer noch großes Interesse an seiner ehemaligen Heimatstadt hat.
Wegweiser an der Via Regia
Nebenher mache ich noch einige Aufnahmen vom Denkmal. Auf den angebrachten Schrifttafeln erfahre ich auch, weshalb gerade hier solch eine große Anlage angelegt wurde, abseits von großen Siedlungen und abseits großer Verbindungsstraßen. Es ist die Via Regia, als völkerverbindende Handelsstraße, die diesen Platz als geeignet erscheinen ließ, dieses Denkmal im Jahr 2000 gerade hier zu erreichten. Seit Jahrhunderten steht dieser Weg für friedlichen Handel. Und heute sind es Pilger und Wanderer, die ihren Glauben und ihre Geschichte in die Welt tragen und die hier vorbei kommen, um in Andacht zu verweilen oder nur um auszuruhen. Ein uralter restaurierter Wegweiser ist ein Zeugnis der langen Geschichte dieses Weges.
Trauerweiden in Dreikrezscham
Wir verabschieden uns vom Pilzsammler aus Delitzsch und wandern weiter durch eine schöne Allee in Richtung Dreikretscham. Hier fällt mir eine lange imposante Baumreihe aus Trauerweiden auf, die entlang des Hoyerswerdaer Schwarzwasser angelegt wurde. Sowas sieht man echt selten. Was leider auch selten ist, sind hier offene Gastwirtschaften. Die in Dreikretscham sieht sehr einladend aber auch sehr geschlossen aus. Na wenn die Pilgerzahlen auf der Via Regia dann erst Bereiche annehmen, die es lohnend machen, nicht erst am Abend zu öffnen, wird das sicher anders. So müssen wir weiter von unseren eisernen Reserven leben, also aus dem Rucksack. Noch bleibt er aber zu, denn wir gehen erst mal weiter bis nach Storcha.
in der Pfarrkirche in Storcha
In Storcha befindet sich die von weithin sichtbare neugotische Pfarrkirche Herz Jesu. Die Kirche wurde im Jahr 1870 auf Initiative des sorbisch-katholischen Cyrill-Methodius-Vereins gebaut. Cyrill und Methodius haben wir am Milleniumsdenkmal bereits als Statuen verewigt kennen gelernt. Die Pfarrkirche ist offen und so treten wir ein in die Ruhe des für den keinen Ort sehr großen Gotteshauses. Für uns ist es immer noch wie das Betreten einer anderen Welt. Man wir ganz still und ganz klein, bewegt sich plötzlich langsamer und flüstert nur noch.
Pfarrkirche Storcha
Ob es Ehrfurcht vor der Bestimmung des Hauses oder Rücksicht auf die Gläubigen ist, die hier die Nähe zu Gott suchen und sicher auch finden, wir werden beide anders in dieser Umgebung. Auch ohne geistigen Zugang zum Glauben erzielt ein Sakralbau also auch bei uns seine Wirkung, eine sehr schöne und gute, wie ich finde. Doch wir haben heute erst 12 Kilometer geschafft und wir wollen das ausgesprochen gute Wetter nutzen, um den Weg weiter zu genießen. Es ist 12 Uhr und als wir aus dem Ort laufen, läuten die Glocken der Pfarrkirche wie zur Verabschiedung und als Antrieb. Doch sehr weit ist es heute nicht mehr und so nehmen wir uns die Zeit, nochmals in einem Buswartehäuschen kurz vor Prautitz Rast zu machen. Am Ortsausgang von Prautitz sehen wir bereits den Kirchturm der Pfarrkirche St. Simon und Juda in Crostwitz. Ich kenne Crostwitz aus der Zeit, als in im benachbarten Panschwitz Kuckau zwei Jahre im Lehrlingswohnheim verbrachte. Crostwitz hatte damals ein Freibad (heute leider nicht mehr) und im Sommer nahmen wir gern den 3 Kilometer langen Fußmarsch in Kauf, um in dieses Freibad zu gelangen. Gerade die Wochenenden, an denen wir nicht nach Hause fuhren, wurde so etwas erträglicher.
Wegweiser zur Pilgeroase in Crostwitz
Kurz vor dem Ort zweigt der Weg nach links von der Straße ab, für mich etwas unverständlich, da man so nicht direkt durch den Ort und an der Kirche vorbei kommt. Auf einem Feldweg geht man südlich an Crostwitz vorbei, was eigentlich sehr schade ist. Denn man verpasst nicht nur den sehr schönen Ort und die imposante Pfarrkirche sondern auch die Pilgeroase bei Monika Gerdes. Zum Glück gibt es ein kleines hölzernes Schild, welches den Pilger vom Weg lockt. Auf dem liest man “Kaffee, Tee, Kuchen, Gebäck, Obst”. Wenn es nicht sowieso unser Ziel gewesen wäre, wir wären hier sowieso abgebogen. Denn so ein Schild macht neugierig, vor allem auf die Menschen, die sich hier so rührend um die Pilger kümmern und etwas organisieren, was eigentlich außerhalb der Norm liegt. Quer über eine Weide gehen wir dem Ort zu.
Andrea in Monikas Pilgeroase
Vorbei an der Kirche und dem Gemeindehaus finden wir von Herbergsschildern geleitet sehr schnell das gesuchte Haus. Weit offen steht das Gartentor mit dem Schild, auf dem man “Pilgeroase” lesen kann. Unter einem hölzernen Dach stehen Bänke und ein Tisch, auf dem zwei Isolierkannen, Blechschachteln, Tassen, Teller und eine Kuchenglocke stehen. Also wirklich – eine Oase. Vom Initiator weit und breit nichts zu sehen. Dafür hängt ein Schild an der Terrassentür, auf dem zu lesen ist, dass man diese ruhig aufdrücken soll, um die Wasserflaschen auffüllen zu können, sich mit Getränken einzudecken oder die Toilette zu benutzen. Leider hatten die jungen Männer die uns begegnet waren, entgegen der Instruktion von Monika die Tür von Innen vor dem Verlassen der Herberge verschlossen, so dass wir auf Monika warten müssen. Wir machen es uns bequem, nutzen das Angebot an Kaffee und Kuchen, lesen im Pilgertagebuch und ich streiche etwas um das Haus.
Herberge in Crostwitz
Da sehe ich am vorderen Eingang einen großen Zettel. Eine ganze Liste von Kontaktmöglichkeiten ist dort aufgeschrieben “im unwahrscheinlichen Fall”, dass die Herberge mal verschlossen ist. Genau gerade rüber ist es ein Uhrmacher, der mit seiner Lupenbrille aus der Tür tritt, nachdem ich bei ihm geklingelt habe. “Bei der Monika ist zu und auf dem Schild…..” sage ich. Der Uhrmacher lugt über den Brillenrand, mustert mich und sagt “Du siehst aber nicht wie ein Pilger aus”. Ich weiß nicht, ob er meine Körperfülle meint oder den Umstand, dass ich in Strandsandalen vor ihm stehe. “Ich habe schon die Schuhe gewechselt” sage ich in dem Glauben er meint das letztere. Bereitwillig überreicht er mir den Schlüssel mit der Anweisung diesen morgen bevor wir los gehen, diesen bei ihm in den Briefkasten zu werfen. “Natürlich” sage ich und stiefele wieder zur Herberge, um die Terrassentür von innen zu öffnen. Andrea geht nach oben, während ich mir ein Bier aus dem bereit stehenden Kasten nehme, um mit hoch gelegten Beinen den “Feierabend” zu genießen.
ab heute unsere nette Begleitung (nicht die Katze sondern Betina!)
Plötzlich steht eine schlanke, groß gewachsene Frau in roter Jacke und großem blauen Rucksack vor mir. Ihr offenes freundliches Gesicht strahlt förmlich. “Endlich ein Pilger!” ruft sie aus. “Ich hätte das nicht mehr lange ausgehalten so allein.” sagt sie. So ganz überraschend tauchte Betina (ja, mit einem t) aus der Nähe von Darmstadt nicht auf. Monika hat am Telefon als ich uns anmeldete schon von ihr erzählt. Und meinte, dass sich die angemeldete Pilgerin sicher freuen wird, nicht mehr allein zu sein. “Wir sind sogar zwei” sagte ich und schnell entspann sich ein nettes Gespräch. Ich glaube, wir waren uns von Anfang an sympatisch.
in der Herberge Crostwitz
Andrea kommt mit der Bemerkung von oben: “Ich glaube, ich habe jetzt die Küche und das Bad der Hausbesitzerin benutzt”. Aber da steht eindeutig “hinter der Glastür”. Da oben ist nur eine Glastür. Wir haben eine ganze Wohnung zur Verfügung – Wahnsinn! So viel Vertrauen, so viel Hilfsbereitschaft, so viel Liebe – wir sind überwältigt und sehr gespannt auf diese Frau. Unterdessen unterhält uns eine kleine Katze, die es sich in Betinas Rucksack bequem gemacht hat und nun unter keinen Umständen diesen wieder verlassen will. Betina will ebenfalls heute hier bleiben. Alles andere hätte mich auch gewundert, so wie sie sich über unsere Gesellschaft gefreut hat. Sie verschwindet mit Andrea, um ihre Sachen in der Herberge zu verstauen. Zur Feier des Tages trinke ich noch ein Bier. Später gehen Andrea und ich noch durch den Ort.
in der Pfarrkirche Crostwitz
Wir besuchen die Pfarrkirche und versuchen uns in der kleinen Kaufhalle mit Lebensmitteln für den nächsten Tag einzudecken. Warum schreibe ich “versuchen”? Schon als ich den klitzekleinen Einkaufswagen aus der Reihe nehme, fühle ich mich in längst vergangene Zeiten zurück versetzt. Das Sortiment und die Darbietung dieses erinnert mich sehr stark eine eine Kaufhalle zu DDR Zeiten. Fünf Tüten Zucker nebeneinander, daneben Senfdosen ebenfalls in Reih und Glied, dahinter Leere im Regal. Und so setzt sich das in jeder Regalreihe fort. Hauptsache es steht überall etwas. Später ist es Betina, die ebenfalls den Laden findet, ein Foto wert, was den Besitzer sehr verwundert.
nostalgishce Kaufhalle – leider bald geschlossen
Die Erklärung folgt auf dem Fuße: Der Besitzer will altershalber aufgeben und nicht unnötig noch Waren horten, die er dann nicht los wird. Es gibt keinen, der die Kaufhalle übernehmen will. Kein Wunder, die Leute die außerhalb arbeiten, kaufen unterwegs mit dem Auto ein und die paar Alte, die auf die örtliche Einkaufsmöglichkeit angewiesen sind, bringen nicht genug Umsatz um die Kosten zu decken. Da helfen auch keine Solidaritätseinkäufe, wie es uns später Monika erzählt, die sichtlich überrascht ist durch die für sie neue Information. Wir nehmen für den Abend noch eine Flasche Rotwein mit und gehen zurück zur Herberge. Dann kommt Monika und nach ihrer Bemerkung, dass sie uns heute schon gesehen hat, erinnere ich mich sofort an die Autofahrerin, die uns kurz hinter Bautzen freundlich zu gewinkt hatte. Monika zieht uns sofort in ihren Bann. Wie ein Wirbelwind reißt sie sehr sympatisch die Aufmerksamkeit an sich und stellt uns sozusagen in ihrer Organisation an. Wir folgen ihr sehr bereitwillig in ihre Küche. Sie lädt uns zum Abendessen ein, unter der Bedingung, dass wir ihr bei der Zubereitung helfen. Was wir noch nicht wissen, wir bereiten nicht das unsere sondern das Mahl für die nächsten Pilger zu. Denn es haben sich für morgen 11 Pilger, Behinderte mit ihren Betreuern angekündigt. Und das bedarf nicht nur einiger Vorbereitungen wegen des Essens, sondern auch einige logistische Strukturänderungen im Haus. Normalerweise gibt es viel Platz im Erdgeschoss. Dieses ist aber im letzten Jahr durch ein Hochwasser sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, so dass sich die Herberge in die obere Etage zurück ziehen musste.
wir verewigen uns im Pilgerbuch
Wo nimmt diese Frau nur diese Energie her? Sie hat einen sehr fordernden Beruf als Redakteurin im MDR Radio Studio Bautzen. Sie zeigt dort Verantwortung für das sorbische Programm. Ihre Nacht ist bei Frühdienst oft schon vor vier Uhr vorbei. Zwischendurch verschwindet sie kurz an ihren PC, um einen Beitrag zu bewerten und zu bestätigen. Irgend wie schafft sie das scheinbar spielend alles unter einen Hut zu bekommen und macht trotzdem auf mich einen sehr ruhigen und aufgeräumten Eindruck. Wir sitzen in der Küche und schnippeln Gemüse für die Suppe. “Das ist nicht für euch, das ist für morgen. Für euch machen wir Kartoffeln und Quark” sagt sie und ich bedaure das fast etwas. Auch Betina kann ein “Ohhhr schade” nicht unterdrücken. Nicht das ich etwas gegen Kartoffeln mit Quark hätte aber die köchelnde Suppe verbreitet einen Duft in der Küche, der mir eine kleine Pfütze auf die Zunge zaubert. Nebenbei gibt es viel Zeit zum Quatschen, während mein Taschenmesser Möhren und Kohlrabi zerkleinert. Die Themen sind vielfältig, vom Pilgerweg über die Geschichte des Hauses bis hin zu persönlichen Erfahrungen und Einstellungen. Alles findet sein Interesse. Bevor es an den Tisch in Monikas Wohnküche geht, heißt es aber noch Matratzen und Tische bzw. Stühle schleppen. Irgend wie müssen wir auf 11 Schlafplätze kommen. Dazu müssen Matratzen aus dem Erdgeschoss nach ober geschafft werden und in die Küche ein zweiter Tisch und weitere Stühle. Viele Hände schaffen schnelles Ende. Und so sitzen wir bald am Tisch und verzehren unser Abendessen.
Bei netten Gesprächen lassen wir den ereignisreichen Tag ausklingen. Und jetzt erklärt sich auch der Titel dieses Beitrags: Der Tag der Begegnungen. Wir sind heute ein paar Menschen begegnet, die einen nachhaltigen Eindruck bei uns hinterlassen haben. Es sind solche Begegnungen, aus denen Freundschaften wachsen können. So wie wir es auf allen unseren Pilgerwegen bereits erlebt haben.
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag des Regens
Der Titel sagt eigentlich schon alles. Die gestrige Wetterbesserung ist leider nur von kurzer Dauer. Der erste Blick nach dem Aufstehen wiegt uns zwar noch in Sicherheit. Aber in dem wir unseren ersten Fuß auf die Straße stellen, fängt es an zu regnen. Und es hört auch den ganzen Tag nicht auf damit.
Frühstück bei Monika
Wir haben uns für sieben Uhr bei Monika fürs Frühstück angemeldet. Sie muss zur Arbeit und wir wollen natürlich nicht ihre Tagesablauf zu sehr stören. Als wir von Oben herunter kommen, ist sie bereits dabei den Tisch zu decken und auch alles für die Pilgeroase fertig zu machen, in dem sie den Kaffee und den Tee in die Thermoskannen abfüllt. Ein paar Matratzen hat sie auch schon wieder geschleppt. In einem leeren Raum im Erdgeschoss liegen nun auch noch Matratzen. “Wenn nun Pilger kommen und bei mir ist mit den 11 Personen, die sich bereits angemeldet haben alles schon belegt? Die kann ich doch nicht vor der Türe stehen lassen….”. Ich glaube das sagt alles über Monikas Einstellung und Engagement. Nun sitzen wir am üppig gedeckten Frühstückstisch und versuchen Monika unsere Dankbarkeit auszudrücken, was sicher nur teilweise gelingt.
Im Radio laufen gerade die Nachrichten und danach gibt es Musik. Das die Nachrichten in sorbischer Sprache gesendet werden, das war mir schon klar. Aber dass es auch in sorbischer Sprache produzierte moderne Popmusik gibt, ist mir neu. Für unsere Ohren klingt es ein wenig fremd. Die Sprachmelodie hat etwas völlig Eigenes und klingt, obwohl es alles slawische Sprachen sind, weder Polnisch noch Tschechisch. Als Jugendlicher im Lehrlingswohnheim mussten wir mal in so einer Art Chor ein sorbisches Lied einstudieren. Das war für uns ein Zungenbrecher und klang sicher seltsam. Das ist auch das einzige, woran ich mich noch erinnere. Der Text ist längst entschwunden. Trotzdem bekommt man es unweigerlich mit der sorbischen Kultur zu tun, wenn man so lange Zeit hier wohnt. Monika sorgt an ihrem Arbeitsplatz dafür, dass die Sprache und die Kultur nicht von der deutschen erdrückt wird. Es wäre auch sehr schade darum. Auch sonst wird alles getan, die Kultur der Sorben am Leben zu erhalten. Es gibt sorbische Schulen, in denen Sorbisch Unterrichtssprache ist. Es gibt deutsche Schulen, an denen Sorbisch als Fremdsprache gelehrt wird. Das Brauchtum wird von Vereinen und Dorfgemeinschaften gepflegt. Diese Erfahrung habe ich bereits schon vor vielen Jahren gemacht, als wir noch DDR Bürger waren. Dies ist nur ein Thema, worüber wir uns am Frühstückstisch unterhalten.
Ortsausgang von Crostwitz
Eigentlich gäbe es noch viel zu erzählen und viel zu erfahren. Aber irgend wann wird es für Monika Zeit auf Arbeit zu kommen und für uns wird es Zeit, den Rucksack zu schnappen und Platz für die nächsten Pilger in Crostwitz zu machen. Monika wird ganz feierlich und spricht für uns noch den Pilgersegen, bevor wir uns voller Dankbarkeit verabschieden. Eigentlich dachten wir, Betina würde sich uns anschließen. Aber sie bummelt etwas rum und alles spricht dafür, dass sie heute lieber allein gehen will. Später hatte ich den Eindruck, dass sie fürchtete, uns zu stören. Als sie dann am nächsten Tag immer wieder fragte, ob sie wirklich mit uns gehen kann, sagte ich: “Wenn Du jetzt noch mal fragst, lassen wir dich wirklich allein, also Schluss damit.
Wir werden uns schon melden, wenn Du lästig wirst.”sagte ich grinsend. Heute jedoch gehen wir eine ganze Weile vor ihr aus dem Haus. Betina will unterwegs noch einen Zweigbetrieb ihrer Firma besuchen und die Leute kennen lernen, die sie sonst nur vom Telefon kennt. Na die werden gucken. Sicherheitshalber haben wir die Telefonnummern und Adressen ausgetauscht. Ich bringe also unseren Schlüssel zurück zum Uhrmacher und schon stiefeln wir wieder los. Und…. es regnet. An den Feldweg von Crostwitz und Panschwitz Kuckau kann ich mich noch ganz dunkel erinnern. Er nennt sich Trebenja und ist an vielen Stellen den galicischen Hohlwegen ähnlich. Kurz vor Panschwitz zweigt der Pilgerweg nach links ab. Das ist ein Umweg, führt aber über ein Stück originale Via Regia in den Park des Klosters St. Marienstern. Da ich das weiß und auf Umwege bei diesem Wetter keine Lust verspüre, gehen wir weiter geradeaus und ersparen uns hast einen Kilometer. Am Ortseingang muss ich mir aber die Zeit für ein Foto nehmen. Andrea knipst mich so, wie ich 1976 schon an diesem Ortseingangsschild gelehnt habe. Irgendwo muss das Foto doch noch sein…? Ahh, da ist es:
Ortseingang von Panschwitz Kuckau gestern
und heute
Bergab gehen wir nun an den hohen Klostermauern entlang bis zum Eingangsportal des Klosterhofes. Hier wurde schon damals das Klostergut betrieben und so wie andere Bauern in anderen Dörfern auf der LPG arbeiteten, gingen hier die Landarbeiter aufs Klostergut. Die Klosteranlage hat seit damals viel Farbe bekommen und sieht im Gegensatz zu früher sehr einladend aus mit seinen rot abgesetzten hellen Fassaden.
Kloster St. Marienstern
Wir folgen dem Weg zur Klosterkirche und treten ein in den großen Kirchenraum, der schon halb gefüllt ist. Das Zisterzienser Kloster St. Marienstern betreibt schon seit Jahrzehnten ein Heim für geistig behinderte Menschen. Ich kann mich sehr gut an die Schwestern erinnern, die mit den weniger schweren Fällen Spaziergänge im Dorf oder im Klosterpark unternahmen. Ansonsten bekam man die Zisterzienserinnen kaum zu Gesicht. Für uns als Jugendliche waren die Klostermauern was sehr geheimnisvolles und fremdes. Und wir waren doch sehr neugierig, was dahinter war. Doch man bekam wenig Einblick in das Leben des strengen Ordens. Nur manchmal sahen wir die Mutter Oberin mit ihrem Wartburg Tourist nach Kamenz fahren, um am Bahnhof ein junges Mädchen, wahrscheinlich eine Novizin abzuholen. Wir sitzen nun ganz weit hinten in der Kirche und lauschen den Worten des Pastors, der eine Messe für die Bewohner des Heimes zelebriert. Damals vor 36 Jahren wäre ich nie auf die Idee gekommen, in eine Messe zu gehen, obwohl die hier regelmäßig statt fand. Sachsen ist eigentlich protestantisch, die Sorben der Oberlausitz aber katholisch. Ich konnte damals wenig anfangen damit und die Kirche und der Glaube, gleich in welcher Religion oder Glaubensrichtung, waren mir fremd und etwas unheimlich. Meine Erziehung ist wie bei vielen Ostdeutschen atheistisch geprägt. Meine Neugier konnte ich mir aber erhalten. Und obwohl ich mit der Institution Kirche immer noch nicht viel am Hut habe, interessiert mich das Christentum wegen seiner humanistischen Grundeinstellung, die es nach der Überwindung der Wirren und Fehltritte im Mittelalter (ich meine damit Inquisition oder Kreuzzüge) vertritt. Mit vielen Dingen kann ich mich aber nicht identifizieren, was mit meiner Erziehung und meiner wissenschaftlichen und sehr weltlichen Weltanschauung zu tun hat.
vor der Messe
Die verbietet mir jedoch nicht, über den Gartenzaun (oder hier über die Klostermauer) hinweg zu sehen, um aufgestaute Vorurteile und Unverständnis abzubauen. So sitze ich also hier auf einem Platz, auf dem ich mich vor vielen Jahren nie in der Zukunft gesehen hätte und lausche einem katholischen Priester. Und was er da sagt, sagt er so, dass die Heimbewohner es verstehen. Man sieht in den Gesichtern, wie viel Freude im Raum ist. Und wir erleben, wie ein kleiner Chor von geistig behinderten Jugendlichen voller Freude und Inbrunst einige Lieder anstimmt. Und die halbe Kirche mit singt. Dann beginnt der Pfarrer seine Predigt. Wir glauben uns zu verhören und blicken uns etwas verwundert an. Denn er spricht zum Thema “Der Weg ist das Ziel”. Wir beziehen jedes Wort auf uns. Wir sind aber sicher, dass er uns, ganz weit weg in den hinteren Reihen, nicht wahrnehmen konnte. Es ist nicht das erste Mal, dass uns bzw. so etwas schwer erklärbares auf einem Pilgerweg geschieht und eines jener Dinge, die mein sehr rational denkendes Gehirn nicht erklären kann. Also lasse ich es geschehen und freue mich darüber. Weniger Freude haben wir dann aber, als wir die Kirche wieder verlassen. Im Torbogen des Klosterhofes legen wir die Rucksäcken nochmals ab, um die Regenüberzüge, die wir am Morgen vergessen hatten über zu ziehen. Zum Glück sind die Rucksäcke auch ohne Schutz recht wasserdicht, so dass noch kein Schaden am Inhalt entstanden ist. Schade, dass ich bei diesem Wetter keine Lust mehr verspürte, noch einen größeren Rundgang durch den mir vertrauten Ort zu machen. Ein paar Fotos vor der ehemaligen Konsum – Gaststätte, die sich jetzt “Karstens Bierstube” und “Restaurant” nennt und in der wir so manchen Abend an fleckigen Tischdecken mit Klosterbräu oder Bautzener Bier und Kamenzer Würsten mit Bauztner Senf verbrachten müssen jedoch sein.
die Konsumgaststätte gestern
heute Karstens Bierstube
Auch vom Klosterwasser, einem Flüsschen, was die Ortsteile Panschwitz und Kuckau trennt und von der Straße, die wir so oft hoch und runter gelaufen sind, um zur Kneipe zu gehen. Das klingt jetzt so, als wäre ich damals ein Trinker gewesen. Bier war zu DDR Zeiten wirklich billig und in den Kneipen sogar billiger als im Laden. Aber das magere Lehrlingsgehalt (64 DDR Mark!) ließ das gar nicht zu, sich regelmäßig zu betrinken. Von dem Geld mussten auch noch 32 Mark für das Wohnheim und das Essen abgezogen werden. Eine Bahnfahrt nach Hause kostete hin und zurück 16,10 Mark und das Busgeld nach Kamenz zur Berufsschule 3,60 Mark die Woche. Da blieb nicht viel übrig, wenn die Eltern nicht was zugebuttert hätten. – Mein Gott, an was man sich alles noch erinnert, wenn man so schreibt.
das Kosterwasser und Blochs mittlerweile geschlossene Wirtschaft
Da kommen einem auch alle Schandtaten wieder in den Sinn. So wie diese (aber nicht weiter erzählen!!): Es war er erste Advent und wir waren ganz allein im Wohnheim. Und zum Advent gehört nun mal ein Weihnachtsbaum ins Zimmer. Aber woher? Und vor allem, einfach so kaufen wäre ja langweilig gewesen. Also wurde eine Wette ersonnen. Es wurde gesammelt im Wohnheim und es kamen fast 20 Mark zusammen. Und dann war auch noch schnell ein bereitwilliges Opfer gefunden, das so verrückt war, auf den Blödsinn einzugehen. Wer es also schafft splitternackt (es waren -7 Grad!!) durchs Dorf bis zu Juri (das ist besagte Kneipe) zu rennen und vor seiner Wirtschaft einen kleinen Weihnachtsbaum zu klauen, bekommt die 20 Mark. Man wird´s nicht glauben, ab es hat wirklich geklappt.
die Hauptstraße durch Panschwitz
Ich denke, ein in seine sorbische Tracht gehülltes Mütterlein, wie wir es oft von oder zur Kirche haben laufen sehen, wäre stehend in Ohnmacht gefallen, hätte sie den nackten Jüngling gesehen, wie er mit einem Weihnachtsbaum bekleidet durch das winterliche Dorf rennt. Und ein wenig haben wir es uns auch gewünscht. Doch um die Zeit klappte man in Panschwitz die Bürgersteige nach 19 Uhr nach oben und das Dorf macht mir heute den Eindruck, als würde das auch noch so sein. Also: Die Wette war gewonnen, wir waren unser Geld los, hatten aber unseren Weihnachtsbaum und ich denke, dass der kleine Diebstahl bereits verjährt ist. So ein kleiner Baum kostete damals etwa 3 Mark. Man hätte uns also höchstens wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder wegen grobem Unfug ran kriegen können. Der ABV (Abschittsbevollmächtigte) war eh Dauergast im Wohnheim. Wenn ein Blödsinn im Dorf geschah, wurde immer zuerst bei den Lehrlingen ermittelt. Oft waren wir es aber gar nicht, wenn zum Beispiel das gesamte Leergut der Kneipe im Klosterwasser lag. Das ergab natürlich Spannungen zwischen der Dorfjugend und uns Lehrlingen, die in mancher Rauferei ausgetragen wurden. Ich bin mir nicht sicher, aber es besteht die Möglichkeit, dass auch unser jetziger Ministerpräsident damals dabei war. Er ist in meinem Alter und er wohnt auch heute noch in Panschwitz. Ich schreibe mich hier gerade um Kopf und Kragen, merke ich. Und man könnte noch Seiten füllen mit diesen Erlebnissen. Aber es geht ums Pilgern und so laufen wir am Sportplatz vorbei (auf dem ich manches Tor schoss) aus dem “Grab meiner Jugend”, wie wir es damals nannten. Mit den Jahren verklärt sich vieles und nur das positive bleibt zum Glück in den Gedanken übrig.
Unterschlupf Bushaltestelle
Die Wege werden nun immer schlammiger und immer öfter müssen wir den großen Pfützen ausweichen. Hinzu kommt ein scharfer sehr kühler Wind. In Nebelschütz setzen wir uns für eine Weile in die Bushaltestelle, zu der wir uns im wahrsten Sinne des Wortes durchgekämpft haben. Auf dem Asphalt entstehen unterdessen Blasen von den großen Tropfen, die auf uns nieder prasseln. Beim 2. Frühstück fassen wir einen Entschluss. Wir sind durchnässt, wir frieren und wir gehen keinesfalls heute noch bis nach Reichenau, unserem eigentlichen Ziel heute. Wir suchen uns eine Herberge oder Pension in Kamenz und lassen es für heute gut sein. Und so pfeifen wir auf den Regen, nehmen den Kopf nach unten und laufen weiter.
Kamenz ist erreicht
Erst am Ortseingang von Kamenz nehmen wir ihn wieder hoch, um Betina anzurufen und ihr unsere Entscheidung mitzuteilen. Sie stimmt uns sofort zu und wir versprechen uns nochmals zu melden, wenn wir was gefunden haben. Die steilen Treppen zur Altstadt schlauchen ganz schön. Gleich in der Nähe der Marienkirche finden wir das Pfarramt der Stadt in dem Glauben, dass wir dort Unterkunft bekommen. Da haben wir uns aber gründlich geirrt, denn hier verweist man uns nur an die Stadtinformation. Als ich dann noch etwas rum jammere wegen des Wetters, erfahren wir, dass die einzige Herberge auf dem Hutberg ist. Wir sollten unbedingt das hintere Zimmer nehmen. Denn man hat dort ein Problem mit dem Kaminzug. Und feucht wäre es da auch etwas. Das genügt. Das hat uns heute gerade noch gefehlt, eine feuchte muffige Herberge und dann noch die Besteigung des Hutberges. In meiner Tabelle finde ich noch die Pension Wendländer. Die ist gleich um die Ecke.
in der Pension Wendländer
Wir bedanken uns, bekommen unseren Stempel und versuchen es in der Pension in der Pulsnitzer Straße. Wir haben Glück und Frau Wendländer öffnet uns. Sofort macht sie uns darauf aufmerksam, dass alles teurer geworden ist und sie die veröffentlichten 18,50€ nicht mehr halten konnte und den Preis auf 20€ erhöht hat. Wir bekommen ein nettes Doppelzimmer und finden den Preis durchaus angemessen und sehr pilgerfreundlich, zudem ein Frühstück inbegriffen ist. Ganz wichtig ist heute die Heizung, um die Klamotte trocken zu bekommen und eine heiße Dusche. Wir rufen sofort Betina an, nachdem wir uns vergewissert haben, dass sie auch noch ein Bett bekommt. Wenig später steht sie ebenfalls vor der Tür. Erst am Abend lässt der Regen nach und wir trauen uns wieder vor die Tür.
der Marktplatz von Kamenz
Kamenz ist nicht sehr groß und hat außer der Kirche St.Marien, dem Marktplatz mit dem schmucken Rathaus, dem Lessingmuseum und der St Annen Kirche, in der sich ebenfalls ein Museum befindet, nicht so viel zu bieten wie z.B. Bautzen oder Görlitz. Wir haben keine richtige Lust auf Museum und so sind wir schnell fertig mit dem Stadtrundgang. Zudem ist die Marienkirche leider verschlossen. “Habt ihr Hunger?” frage ich, in der Hoffnung mindestens ein ja zu hören. Denn ich habe nämlich welchen und vor allem Appetit auf eine echte Kamenzer Wurst. Das war während meiner Lehre eines unserer Grundnahrungsmittel. Es ging schnell, war billig und schmeckte wirklich gut, eben anders als die sonst übliche Bockwurst. Es gab da am Markt damals so eine Art Imbiss, wo man zuerst bestellte, eine Nummer bekam und dann ein hoch rotes dickes Gesicht aus einer Luke schaute und laut die Nummer in den Raum brüllte. Wenn man dann schnell war und einem die Wurst nicht vor der Nase weg geschnappt wurde, war man nach kurzer Zeit wieder raus aus dem verrauchten Raum. Von Rauchverbot in Gaststätten war damals noch nicht die Rede. Diese Wurst gibt es nur in der Umgebung von Kamenz und die Kopien, die man manchmal bei großen Discountern findet, haben nichts mit dem Original zu tun.
nette Verkäuferin in der Klosterstraße
Es ist kurz vor Ladenschluss. Auf ein großes Menü in einem Restaurant haben wir keine Lust. Und so gehen wir kurzerhand in die Fleischerei in der Klosterstraße 5. Vorsichtig frage ich im Wissen um die Uhrzeit, ob wir noch drei warme Kamenzer Würste bekommen könnten. “Na da musssch ihn ehm welche warm machn. Setzn sich ma da drühm dor Weile hin. Ich brings dann rübbor.” sagt sie in schönstem Sächsisch. Betina feixt immer über unseren Dialekt und versucht ihn nach zu sprechen. Es muss aber ein sehr schwerer Dialekt sein, denn sie hat große Mühe damit, sächssch zu quatschn. Wir haben es mit der Muttermilch eingesogen und wir können den Dialekt schwer unterdrücken – warum auch? Dann sind die Würste fertig. Ich bestelle noch Bier dazu und schon ist es fast wie früher. Die Verkäuferin hat es nicht eilig in den Feierabend zu kommen und wir bleiben noch eine Weile sitzen, um zu quatschen. Es wird ein lustiger Abend. Dann haben wir ein Einsehen mit der netten Verkäuferin und verabschieden uns in die in der Dämmerung liegende Stadt – ohne Regen von oben.
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag der Pilze
Ohne Kenntnis des Wetterberichtes merke ich heute Morgen, dass irgend was anders ist. Nicht nur, dass es trocken draußen ist, der Wind hat sich gedreht. Und das ist ein ausgesprochen gutes Zeichen.
Frühstück in Kamenz
Doch bevor wir heute losgehen, setzen wir uns zunächst an den reich gedeckten Frühstückstisch. Frau Wendländer hat sich wirklich viel Mühe gegeben und wir haben es nicht sonderlich eilig mit dem Aufbruch. Heute gehen wir gemeinsam und Betina wagt es nicht, noch einmal zu fragen, ob sie sich uns anschließen darf. Wir verabschieden und also von Frau Wendländer und gehen durch das von der Morgensonne durchflutete Kamenz. Wir schauen noch mal in die Fleischerei hinein und treffen die nette Verkäuferin an, die bereits wieder im Laden steht. Der Weg ist gut ausgeschildert in Kamenz und wir entschließen uns, nicht über den Hutberg zu gehen, sondern rechts an ihm vorbei, was keinen Umweg darstellt aber nicht gleich am Morgen unsere Kondition heraus fordert.
der Nebel steigt aus dem Wald auf
Aus dem Wald steigt im Gegenlicht die Feuchtigkeit der letzten Tage auf und hinterlässt ein interessantes Schattenspiel. Einige Laubbäume beginnen sich bereits bunt zu färben, was bei Sonnenschein natürlich sehr viel schöner aussieht als bei Regenwetter. Eine Weile gehen wir noch auf einer asphaltierten Nebenstraße, bevor wir auf einem Schotterweg in den Wald eintauchen. Es ist was ganz anderes, wenn man sich keine Sorgen darum machen muss, ob man seine Klamotten irgend wie wieder trocken bekommt. Und es macht natürlich auch viel mehr Spaß, unbelastet in den Tag hinein zu laufen.
Panorama hinter Kamenz
im Wald vor Schwosdorf
Und so laufen wir vertieft ins Gespräch oder auch mal schweigend, in jedem Fall aber bester Laune und entspannt durch den üppigen grünen Wald auf Schwosdorf zu. Schwosdorf zeigt sich zunächst als recht weitläufiges Dorf mit sehr weit auseinander stehenden Bauernhäusern. Hier gibt es eine Pilgerherberge, wie der Pilgerführer verrät. Der Verein PRO Wal- und Wüsteberg e.V. unterhält diese Herberge, vor der wir jetzt stehen und in dessen Garten wir einen Mann beobachten, der sich angeleitet von den Anweisungen einer davor stehenden jungen Frau, an einer Trockenmauer zu schaffen macht. Er sagt nicht viel, bzw.gar nichts. Sie dafür um so mehr.
Herberge Schwosdorf
Wir können ihr nicht entrinnen. Schnell bittet sie uns herein und ich kann gerade noch sagen, dass wir bei ihr nicht übernachten wollen. Wäre sie aber sicher auch selbst drauf gekommen so früh am Tage. Ein Kaffee wäre nicht schlecht, sagt Betina. Und schon stehen wir im Büro der Herberge und schauen zu, wie die Dame des Hauses ihre Kaffeemaschine in Gang setzt. Wir können nur gucken in dem kleinen Büro, in dem man auch einiges einkaufen kann. Denn zu Wort kommen wir eh nicht. Wortreich bekommen wir alle Informationen zum Haus und den Umständen, wie es zu dem wurde, was es ist.
Einladung zum Kaffee
Der Verein hat sich mal gegründet, weil ein sogenannter Investor in der Nähe, also am Wal- und am Wüsteberg einen Steinbruch eröffnen wollte. Die Einwohner schlossen sich in ihrem Protest dagegen zusammen und hatten Erfolg. Die Berge gibt es noch aber der Inhalt und das Ziel des Vereins waren verloren gegangen. Also entschloss man sich das Haus zur Pilgerherberge zu machen. Und seit dem wird hier gebaut. Ob es jemals fertig wird, da habe ich meine Zweifel. Das Engagement ist aber ungebrochen und in großem Maß vorhanden. Der Kaffee ist bald fertig und auch etwas Kuchen steht auf dem Tisch. Der Monolog ist aber immer noch nicht beendet. Der Trockenmauerbauer hat bisher nichts gesagt – wie auch. Mir klingen die Ohren und ich suche eine Möglichkeit mich höflich zu verabschieden und zu flüchten. Meine Gedanken kreisen darum was wäre, wenn wir hier übernachtet hätten. Nicht dass das falsch verstanden wird, die Frau war durchaus sehr nett und verfolgt die besten Absichten, aber eben mit etwas zu vielen Worten. Auch Andrea grinst mich immer mal an. Sie denkt wahrscheinlich das gleiche. Betina “kümmert” sich unterdessen um den Trockenmaurer, der wieder seinem Werk nachgeht. Später erfahre ich den Inhalt des Gesprächs. Angesprochen wegen seiner Schweigsamkeit und Betinas Bemerkung, dass er ja eine gute Unterstützung habe, sagte er nur: “ja, aber sie redet nur.” Der gute Mann hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden. Er gehört übrigens nicht wie ich zunächst annahm zu der Frau, sondern war so eine Art Gemeindearbeiter des Dorfes.
die alte Poststraße nach Reichenau
Viel später finden wir dann endlich den Mut, den Redeschwall zu unterbrechen und uns zu verabschieden, was zunächst wenig Eindruck auf unsere Gastgeberin machte. Erst als wir den Rucksack wieder auf haben, gelingt es uns Dankeschön zu sagen und davon zu ziehen. “Na die war ja aber überhaupt nicht maulfaul” sage ich nach einigen Minuten. Lächelnd aber wortlos kommentieren es meine beiden Begleiterinnen. Sie wollen mein Ohrensausen sicher nicht weiter verstärken. Ehe ich hier einen falschen Eindruck verbreite, dies alles schreibe ich mit einem Lächeln auf den Lippen und mit einem Augenzwinkern. Ich will da wirklich niemanden abschrecken und meine diese Beschreibung keinesfalls böse. Es war aber eine recht lustige Begegnung mit einer Frau am Weg, die ihre Begeisterung nicht im Zaum halten kann.
endlich in Reichenau
Nun geht es wieder auf einem breiten Sandweg in den Wald. Es ist die alte Poststraße und wir wandern auf der originalen Wegführung der Via Regia. Etliche Kilometer sind es bis nach Reichenau, auf denen wir die Ruhe des Waldes genießen, die nur von ein paar Pilzsuchern unterbrochen wird. Schon vom Weg aus sind viele Pilze zu sehen, von denen ich auch einige als essbar einstufe. Für Pilze haben wir heute aber keine Verwendung. Dazu haben wir das falsche Ziel. Denn wir wollen ins Armenhaus in Stenz, einem Ortsteil von Königsbrück. Ob wir dort die Pilze zubereiten können, wissen wir nicht. Und so lassen wir die Pilze lieber im Wald.
Herberge Reichenau
Schon lange vor Reichenau verspüre ich ein natürliches Bedürfnis, das keinen längeren Aufschub duldet. Im Wissen um das Vorhandensein einer Herberge in Reichenau kneife ich den Hintern also etwas zusammen, mache kleiner Schritte, in der Hoffnung nicht in den Busch zu müssen. Mit Schweißperlen auf der Stirn schaffe ich es bis Reichenau. An der Herberge hängt ein Zettel mit Adressen und Telefonnummern und ich bin froh, dass eine Adresse gleich über die Straße liegt und auf mein Klingeln auch jemand öffnet. “Wir wollen hier nicht übernachten. Aber wäre es möglich, dass ich mal die Toilette der Herberge benutzen könnte?, frage ich etwas verkniffen. “Aber natürlich” sagt die Frau und kommt drückt mir den Schlüssel zur Herberge in die Hand. Mann, was für ne Erleichterung!
vor der Herberge in Reichenau
Alles hat aber seinen tieferen Sinn, kann man denken, wenn man erfährt, was darauf geschieht. Nur weil ich mal auf´s Klo musste, haben wir nicht nur die sehr schöne Herberge besichtigen können, wir werden auch auf einen anderen Weg verwiesen, der wie sich heraus stellt, einer der schönsten Abschnitte auf unserer Tour sein wird. “Wenn sie hier links den Weg weiter gehen und nicht weiter nach den Schildern, kommen sie nach etwas 600 Metern an ein Holzschild, dass nach rechts ins “Tiefetal” weist” sagte uns die nette Dame. “Der Weg führt direkt an der Pulsnitz entlang durch ein romantisches Tal.”
die Pulsnitz im Tiefetal
Wir erfahren, dass man zunächst den Pilgerweg durch das Tal führen wollte, die Naturschutzbehörde dies aber wegen der zu erwartendeden Schäden durch die Pilger verboten hat. “Es kommen ja auch jeden Tag 100 Pilger, die die Landschaft zerlatschen, alles abreißen und ihren Müll liegen lassen.” sage ich sarkastisch. Die Leute in Reichenau schicken jedoch jeden Pilger den sie sehen durch das Tal. Und das dies gut so ist, erleben wir wenig später, nach 600 Metern. Nach einer kleinen Brücke über den Fluss Pulsnitz, tauchen wir in einen Märchenwald ein. Einem Urwald gleichend, wächst hier alles so, wie es will und auch was nicht mehr wächst und auf dem Boden liegt, wird so gelassen wie es ist. Mitten hindurch fließt in wilden Kurven, oft angestaut von Felsbrocken oder umgefallenen Bäumen die Pulsnitz mit ihrem klaren Wasser. Ja und warum ich diesen Abschnitt den “Tag der Pilze” nenne, sieht man auf den folgenden Fotos.
Eigentlich will ich, dass dieser Weg nie aufhört. Und wir laufen viel langsamer als sonst. Doch die ersten Häuser von Königsbrück künden davon, dass wir unser heutiges Ziel erreicht haben.
Marktplatz von Königsbrück
Wir sind dann doch ganz froh da zu sein, da sich in der Magengegend ein hohles Gefühl breit macht. Und so suchen wir auf dem Marktplatz von Königsbrück vergeblich nach einer Möglichkeit etwas zu essen. Doch lange suchen wollen wir auch nicht mehr. Und so entschließen wir uns, in den Döner Laden zu gehen, der um diese Zeit die einzige Möglichkeit hier zu sein scheint, was zu essen zu bekommen. Und es ist besser als zunächst befürchtet. Wir nehmen uns sogar ein paar Knoblauchbrote für den Abend mit. Auf dem Weg nach Stenz kommen wir an der Marienkirche vorbei und gehen hinein.
Marienkirche Königsbrück
Uns kommen Orgelklänge entgegen und wir gehen auf Zehenspitzen in den Raum. Oben auf der Empore erblicken wir einen jungen Mann, der eine Übungsstunde auf der Orgel abhält. Ab und zu mischen sich ein paar Missklänge in sein Spiel. Erst als er uns bemerkt, beginnt er ein neues Stück, was er dann auch fehlerfrei durch spielt. Wenn man so einen Sakralbau betritt, ändert man sein Verhalten, wie ich bereits schrieb ja sowieso. Den Eindruck, den solch ein Raum, bis zum letzten Winkel erfüllt von Orgelklängen verbreitet, ist unbeschreiblich. Ein Gänsehaut erzeugender Schauer jagt den anderen. Beeindruckt lauschen wir der Musik,bedanken uns nach deren Ende beim Organisten und verlassen die Kirche. Meine Neugier auf das viel gepriesene Armenhaus lässt mich etwas schneller gehen. Im Pilgerführer heißt es sinngemäß: Wer das einfache Leben gewohnt ist, wird sich hier wohl fühlen. Wer Luxus gewohnt ist, wird hier erfahren, wie wenig man benötigt, um sich wohl zu fühlen. Und auf dieses Wenige bin ich gespannt. Dann sehe ich es bereits, ein klitzekleines Fachwerkhaus direkt an der Straße. Die Tür ist mit einem uralten Vorhängeschloss verschlossen. Hinter einem kleinen aufschiebbaren Fenster liegt der Pilgerstempel für durchziehende Pilger und im Fenster hängt ein Zettel mit den Adressen der Kontaktpersonen. Ich mache mich sogleich auf, um das Haus von Werner Lindner zu suchen, während sich Andrea und Betina es sich auf der vor dem Armenhaus stehenden Bank in der Sonne bequem machen. Schnell habe ich ihn gefunden. Ein älterer Mann in Arbeitskleidung tritt mir entgegen und begrüßt mich etwas feierlich in Stenz.
das Armenhaus in Stenz
Diese feierliche Miene setzt er auch auf, als wir alle zusammen im Haus an dem rustikalen Tisch sitzen und er uns den Unterschied zwischen den anderen Herbergen am Weg und diesem Haus klar macht. “In den übrigen Herbergen seid ihr zu Gast. Das hier ist für heute euer Haus.” Betina fällt immer wieder ins “Sie”, was Werner energisch berichtigt. Hier ist wirklich einiges anders. Es gibt keinen Strom und damit auch kein elektrisches Licht. Es gibt kein fließendes Wasser. Es gibt keine Dusche oder ein Waschbecken. Es gibt aber ein Plumpsklo hinter dem Haus, einen gemauerten Ofen mit Röhre, und mit Stroh gepolsterte Bettstellen auf dem Spitzboden.
unsere Schlafstätten auf dem Dachboden
Wir folgen Werner auf den Boden und sehen einen Bettkasten und ein Doppelbett, gepolstert mit Stroh und bedeckt mit riesigen Federbetten. “Wir wechseln die Bettwäsche alle 14 Tage. Wem das nicht passt, der soll seinen Schlafsack nehmen.” Das sind klare Ansagen und ich meine, dass wir nicht so pingelich sind. Unter einem Hocker steht die Mitternachtsvase (Nachttopf). Ich muss schmunzeln bei diesem Anblick und bin gespannt, wie sich die lange Betina heute Abend in den kleinen Bettkasten knüllt. Für uns zwei ist natürlich das Ehebett reserviert. Wieder unten im “Wohnzimmer” heizt und Werner noch den Ofen an und sagt, dass wahrscheinlich nicht er, sondern Sigmar kommt, um uns das Wasser zu bringen.
Werner mach Feuer
Das Wasser kommt in einer großen Milchkanne und davon muss man alles machen, den Abwasch, den Kaffee und die Abend- bzw. Morgentoilette. Werner weist uns noch in den Umgang mit dem Ofen und mit offenem Licht ein, nicht ganz unwichtig in Bezug auf den Brandschutz. Und schon lässt er uns allein. Ein kleines Problem haben wir aber noch. Für den Abend brauchen wir noch was zu trinken und für den nächsten Tag unseren Wegproviant. Die Frauen machen also das Haus wohnlich, während ich noch einmal zurück in die Innenstadt von Königsbrück gehe, um einen Supermarkt zu finden. Der ist natürlich genau am anderen Ende des Ortes. Und so hole ich mir fast einen Krampf im Arm. Weil ich Angst habe, dass die Flaschen den Plastikbeutel zerreißen, klemme ich diesen unter den Arm. Es wäre auch sehr schade gewesen um die Rotweinflaschen.
am Abend im “Wohnzimmer”
Als ich zurück komme, sitzen Andrea und Betina schon wieder in der Sonne. Außer das Feuer nicht aus gehen zu lassen und Wasser für den Kaffee heiß zu machen, gibt es ja auch nicht viel zu tun. Am Abend kommt dann Sigmar mit der Wasserkanne und einer Flasche Wein und erzählt uns die spannende Geschichte des Armenhauses Stenz. Die beiden Freunde Werner und Sigmar haben denke ich maßgeblichen Anteil, dass dieses Kleinod vor dem Abriss gerettet wurde. Wir sind sehr beeindruckt von der Geschichte und vom Engagement der beiden Männer. Und wir hätten Sigmar noch lange zuhören können. Aber er verabschiedet sich alsbald mit dem Hinweis, dass er morgen Früh wieder kommt und uns das Frühstück bringt. Das hören wir natürlich sehr gern. Er wünscht uns eine gute Nacht und wir sind nun gespannt, ob die wirklich so gut wird.
was braucht man mehr?
Wir trinken unseren restlichen Wein und den von Sigmar mitgebrachten im Schein der brennenden Wachskerzen. Die Stimmung ist gut und wir verleben einen kuschligen Abend am bullernden Ofen. Nur der Gang aufs Plumpsklo ist etwas gewöhnungsbedürftig. Ich kenne solch einen Einrichtung aus längst vergangenen Tagen. Meine Großeltern hatten auf dem Hof solch ein Klo und auch während meines Wehrdienstes mussten wir im Feldlager auf so eine Latrine. Witzig finde ich das Körbchen mit dem in rechteckige Stücke zerissenen Papier von Illustrierten. Das ist Hochglanzpapier! Das putzt ganz ganz schlecht! Irgend wann, ich habe nicht auf die Uhr gesehen, wird es Zeit nach Oben zu gehen. Betina kriecht unter die dicke Federdecke in ihre Kiste und wir schlüpfen in die unsere. Die Unterlage aus Stroh ist angenehm hart und das dicke Federbett scheint einen zu erdrücken. Aber schön warm wird es, ohne dass es unangenehm und schwitzig wird. Einziges Problem, meine Seite ist leicht abschüssig zur Mitte und ich rolle immer wieder dort hin, wo Andrea ihren Platz behauptet. Ja und ich ahne jetzt, warum es nicht nur der fehlende Fernseher ist, warum früher die Leute mehr Kinder hatten….
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag der Kälte
Ich glaube so gut wie in dieser Nacht habe ich lang nicht mehr geschlafen. Ich rollte zwar doch immer mal wegen der etwas schrägen Unterlage zu Andrea rüber und ich musste auch mal des nachts auf das Örtchen, was in der Dunkelheit nicht so prickelnd ist, da das Gebälk hier oben sehr niedrig ist und ich meine Taschenlampe unten im Rucksack vergessen hatte. Sonst aber war es eine sehr angenehme Nacht im Armenhaus.
unsere Mitternachtsvase
Für ein oder zwei Nächte ist das mal eine erfrischende Erfahrung so ohne Strom, ohne fließendes Wasser und ohne Komfort. Aber immer so leben? Da weiß man mal, was unsere Vorfahren aushalten mussten. Aber sie kannten es halt nicht anders. Auch Andrea und Betina haben ausgesprochen gut geschlafen, wie sie versichern. Bei mir hat es ab und zu etwas gezogen. Am Morgen sehe ich auch warum. Genau neben meinem Hintern scheint ein helles Licht unter dem Dachsims hervor. In der Simsverkleidung klafft ein rundes Loch im Holz, dass ich am Abend wegen der Dunkelheit nicht gesehen hatte. Um den Durchzug zu stoppen hätte ich einen Ziegelstein vor´s Loch legen müssen. So aber hatte ich den nicht gesehen und damit sehr frische Luft. Der Wetterwechsel brachte zwar klare Luft und Sonnenschein aber eben auch morgendliche Kälte. Es kostet etwas Überwindung sich zu waschen, wenn es kein fließendes warmes Wasser aus dem Hahn gibt. Für die Morgentoilette ist noch genügend Wasser da und es gibt zwei große Metallwannen, von denen eine für den Körper und die andere für den Abwasch vorgesehen ist. Das Wasser kam früher vom Dorfbrunnen wie wir erfuhren. Gestern kam es vom Sigmar in der Milchkanne.
Sigmar bringt uns das Frühstück
Sigmar steht dann auch 7 Uhr 30 auf der Schwelle, mit zwei großen Körben, in denen unser Frühstück liegt. Neben frischen Semmeln hat er auch arschfrische Hühnereier, Wurst, Marmelade, Butter und Kaffee in Thermoskannen dabei. Aus seinem Garten liegen Tomaten und Gurken auf dem Tisch. Und zur Krönung wickelt er noch drei Stückchen Dresdener Eierschecke aus. “Wer soll das alles essen?” frage ich, als wir uns an den Tisch setzen. “Macht euch was für unterwegs und den Kuchen könnt ihr ja auch für den Weg mitnehmen”, antwortet Sigmar. Wir hauen mächtig rein und sitzen gemütlich im Wohnzimmer, das durch die Restwärme des alten Ofens noch sehr angenehm temperiert ist. Sigmar erzählt uns nebenbei noch mehr über das Haus und den Heimatverein des Ortes, der es unterhält. Es sind nicht nu Pilger, die hier absteigen. Auch Schulklassen erhalten hier lebendigen Heimatkundeunterricht. Vereine nutzen das Haus oder Einzelpersonen, die zu Hause raus geflogen sind, können sich hier zeitweise einmieten.
Betina beim Abwasch
Wie am Abend zuvor, würden wir ihm noch gerne länger zuhören. Aber so schnell wie Sigmar erschienen ist, war er auch wieder weg. Na ja, vielleicht haben sich bereits die nächsten angemeldet. Das Pilgerbuch zeigt jedenfalls, dass das Haus gut besucht ist. Wir machen noch etwas Ordnung im Haus, schreiben ein paar dankende Worte ins Pilgerbuch und stempeln unseren Pass mit dem Stempel für Hausbesitzer. der im Fenster ist nur für vorbei ziehende Pilger, sagte uns Werner, als er uns gestern einließ. Dann schnappen wir unsere Sachen und wollen gerade los ziehen, als ich auf der Hauptstraße eine größere Gruppe Wanderer sehe. Da sie in die gleiche Richtung wollen und auch ähnlich ausgerüstet sind wie wir, werden sie sofort in die Kategorie Pilger eingestuft, was sich auch als richtig herausstellt. Einer der Unterschiede zu uns ist aber, dass sie nicht in Pilgerherbergen gehen, sondern von zu Hause aus vorgebuchte Pensionen und Hotels bevorzugen. Ich halte das als Pilger für, na sagen wir mal suboptimal, bzw. finde, dass man sich damit einem für mich unverzichtbaren Teil von positiven wie negativen Erlebnissen entzieht.
Andrea verewigt uns im Pilgerbuch
Gerade haben wir eine Nacht verbracht, die für immer in meiner Erinnerung bleibt. Pensionen oder Hotels sind anonym, austauschbar und besitzen nicht den Charme einer Pilgerherberge. Wie ich im Gespräch mit einem der sechs Pilger erfuhr, laufen sie zwar den gleichen Weg wie wir, aber trotzdem viele Kilometer mehr, da die gebuchten Pensionen oft weit entfernt vom Weg entfernt liegen. Da kommen pro Tag mal schnell 10 Kilometer mehr zusammen. Ob das durch die größere Bequemlichkeit und den Komfort in den Pensionen aufgewogen wird, wage ich zu bezweifeln. Eine 80 jährige Frau, die tapfer ihren Rucksack trägt und auf deren Tempo auch alle Rücksicht nehmen, hat später zu uns mal gesagt, dass sie lieber mit uns in die Herbergen gegangen wäre. Nun, es hat halt jeder einen anderen Anspruch an einen Pilgerweg und so muss man auch die Entscheidung der Gruppe akzeptieren. Wir unterhalten uns angeregt mit den neuen Begleitern, stellen aber fest, dass wir weit mehr zu erzählen haben. Interessiert hören uns die Leute zu und stellen viele Fragen. Dann stoppten sie plötzlich mit der Bemerkung, dass das hier doch eine sehr geeignete Stelle wäre für ein Morgengebet. Mann, dachte ich mir, jetzt haben sie mich wieder auf dem falschen Bein erwischt. So weit waren wir in den Gesprächen noch nicht vorgedrungen. Denn zu meiner und Andrea´s Motivation diesen Weg zu gehen, hatten wir uns noch nicht geoutet. Und einfach weiter gehen hätte auch dumm ausgesehen. Außerdem will ich auf Betina Rücksicht nehmen, die durchaus religiöse Motive für diesen Weg hat. Und schon hält mir jemand ein kleines Gesangbuch vor der Nase und ich blicke in fragende Gesichter, weil ich keines dabei habe. Wie auch, ich kenne es ja nicht mal. Dann beginnen alle laut und voller Inbrunst zu singen. Nur zwei bleiben stumm, Andrea und ich, was mir in diesem Augenblick sehr peinlich ist. Etwas verschämt schaue ich in das kleine Buch. Zu allem Überfluss klingelt mitten in der Zeremonie Andreas Handy, der Rückruf der Herbergsmutter von Schönfeld. Sie will uns mitteilen, dass wir kommen können aber etwas Geduld mitbringen müssen, da sie am Nachmittag noch eine Schlossführung hat. Etwas neidisch schaue ich, wie sich Andrea der Situation entziehen kann, in dem sie zur Seite geht, um zu telefonieren. Vor meiner Nase baumelt immer noch das Gesangbuch, als wenn es mich auffordert: Nu sing endlich! Habt doch endlich ein Einsehen und begreift, sage ich mir und möchte am liebsten im Boden versinken. Warum klingelt mein Handy nicht. Sonst tut es das ja auch zu den unpassendsten Gelegenheiten.
die Morgensonne im Wald
Nach dem “Amen” bin ich erlöst und ich höre mich sagen, dass wir schon mal weiter gehen und wir uns sicher noch mal sehen, als die Gruppe Anstalten machte, ihre Pause noch etwas auszudehnen. “Wir haben ja den gleichen Weg.” sage ich. Was die Leute über uns zwei denken, darüber wollte ich gar nicht nachgrübeln. Und auch was Betina von uns dachte…. Na gut, sie kennt unsere Einstellung und sie ist ja fein raus. Sie hat mitgesungen. Ich aber komme mir nicht zum ersten mal etwas deplatziert vor, obwohl mir nie in dieser Weise irgend jemand entgegen trat und mir meine Lebenseinstellung um die Ohren haute. Nirgends waren wir bisher auf Ablehnung gestoßen, wenn wir wie immer offen unsere Meinung sagten. Dieser Gedanke baut mich wieder auf. Und als Betina dann sagt, dass es ganz gut ist, dass wir weiter gegangen sind, wusste ich, dass sie es uns auch nicht übel genommen hat. Vielleicht oder sicher mache ich mir darüber viel zu viele Gedanken.
die Esther Heiße Bank
Wir wandern nun auf den großen Wald zwischen Königsbrück und Tauscha zu, von dem wir von Sigmar wissen, dass es hier besonders schwer gefallen ist, die Wegführung wieder zu finden. Oft konnte man sich nur an den Kronen der Bäume orientieren, die den Weg unter sich habend, eine Lücke zum Himmel bilden. Esther Heiße war es, die sich um die Wiederentdeckung, die Kartierung und die Kennzeichnung des ökumenischen Pilgerweges in jungen Jahren (sie war erst 23) verdient gemacht hat. Und ihr zu Ehren haben die Mitglieder des Heimatvereins von Königsbrück in diesem Wald eine steinerne Bank mit einer Inschrift gestiftet. Unter einem Vorwand hat man sie zu ihrem Geburtstag in den Wald gelockt, um ihr das Geburtstagsgeschenk voller Dankbarkeit zu übergeben. Randalierer hätten sich an der Schutzhütte zu schaffen gemacht, so die Lock – Geschichte. Empört darüber fuhr sie mit dem Rad zum vermeintlichen Tatort, um dort ihre Freunde zu treffen, die ihr gratulieren wollten. All dies erfuhren wir ebenfalls von Sigmar. Also stehen wir nun vor der Bank und denken an die Frau, die so viel für diesen Weg getan hat. Ja, und so war das sicher auch gedacht von den Leuten aus Königsbrück.
horch! Wildschweine!
Weiter geht es durch den endlos scheinenden Wald. Im Unterholz knackende Zweige lassen Wildschweine vermuten. Betina bleibt minutenlang stehen, um welche entdecken zu können. Aber nichts. Der Wald lichtet sich und wir laufen auf Tauscha zu. Im Ort werden wir durch eine mit Muschelsymbolen verzierten Bank und einer Infotafel begrüßt. Auf dieser Tafel erfahren wir, dass es hier in Tauscha was ganz besonderes am Pilgerweg gib, eine Holzfigur die den Jakobus darstellt. Doch die kleine Kirche ist verschlossen. Am Eingang zum Friedhof ist jedoch eine Infotafel angeschlagen. Wie sonst bei Herbergen üblich, steht hier eine Telefonnummer.
der Jakobus von Tauscha
Wir rufen an und wenig später kommt eine Frau mit ihrem Fahrrad angesaust, um die Kirche aufzuschließen. Innen ein gepflegter, schön restaurierter Raum aber weit und breit nichts zu sehen vom Jakobus. Der steht hinter einer verschlossenen Glastür. Nach einem Einbruch in die Kirche im Jahr 1972 hat man hier aufgerüstet. Damals wurden zwei wertvolle Statuen, ein Kruzifix aus Meissener Porzellan und ein paar Leuchter gestohlen. Den Jakobus hat man stehen lassen. Er schien den Dieben in zu schlechtem Zustand gewesen zu sein, weil seine Arme bereits abgebrochen waren. Das rettet der kleinen Kirche zumindest dieses Kleinod. Das Kruzifix wurde durch eine Kopie ersetzt und steht auf dem Altar. Die Kirche besitzt nun eine Einbruchmeldeanlage und ist leider immer verschlossen. Für die durchziehenden Pilger wurde aber dieser Schließdienst eingerichtet, den wir gerade nutzen. Wir bedanken uns bei der netten Frau, die uns die Geschichte der Kirche und ihres Jakobus erzählt hat und wir schließen eine kurze Rast an dem Dorfweiher an. Wir haben heute Kaiserwetter und einen Himmel, der vor allem dem Fotografen in mir viel Freude macht. An einem stahlblauen Firmament hängen weiße Blumenkohlwolken.
Blumenkohlwolken
Der Wald ist erst mal zu Ende und wir gehen über einen Feldweg, auf dem man freie Sicht über die umliegenden Felder hat. Ein Himmel ohne Wolken ist für einen Fotografen langweilig. Ich habe heute keine Langeweile. Wir spüren aber ganz deutlich den kalten Ostwind, der immer mehr auffrischt und uns immer mal die Jacken aus- und wieder anziehen lässt. Mit Jacke schwitzt man wegen der intensiven Sonneneinstrahlung und ohne zieht es durch den Fleecepullover, so dass man fröstelt auf der nass geschwitzten Haut. Na wenigstens kommt der Wind von hinten und treibt uns förmlich über den Weg. Nach dem Schotterweg folgt eine wenig befahrene Asphaltstraße, auf der wir nun nach Thiendorf laufen.
Rast in Thiendorf
Die Bushaltestelle am Dorfausgang nutzen wir für eine kurze Rast. Weit kann es nicht mehr sein bis Schönfeld. Die Autobahn ist sogar gegen den Wind bereits kurz nach Thiendorf zu hören. Durch einen kleinen Tunnel unterqueren wir die A14 und holen wenig später die sechs uns bereits begegneten Pilger ein. Die hatten uns in Tauscha überholt, als wir die Kirche besichtigten. Freundlich werden wir begrüßt. Wie es aussieht, hat man uns den Fauxpas vom Morgen nicht übel genommen. Als ich von dem hölzernen Jakobus in der Kirche Tauscha berichte, bekomme ich eine Visitenkarte gereicht: “Du hast ihn doch bestimmt fotografiert?” Natürlich, sage ich und verspreche die Fotos zuzusenden, was inzwischen bereits geschehen ist. Vor dem Ort Schönfeld treffen wir auf die B98, neben der wir in den Ort gehen.
Schloss Schönfeld
Bereits am Ortseingang ist dasSchloss Schönfeld zu sehen. Dort ist unsere heutige Herberge untergebracht. Die riesige Schlossanlage, die wir wenig später betreten, ist zu großen Teilen bereits restauriert. Einige Teile schlummern aber noch im Dornröschenschlaf. Wir legen unsere Rucksäcke auf einer Sitzgruppe ab und warten darauf, in die Herberge eingelassen zu werden. Bis dahin ist noch etwas Zeit. Andrea und Betina gehen in den Ort zurück, um nach Einkehr – und Einkaufsmöglichkeiten zu forschen. Sie kommen aber kurze Zeit später ohne Ergebnis wieder. Die angesprochenen Kinder waren sich auch nicht so richtig sicher, faselten was von einer Eisdiele, die aber weit weg ist. Was ist schon weit? Das ist relativ. Ich nutze die Zeit noch, um mich im weitläufigen Schlosspark etwas um zusehen.
Betina auf der Eierschecke
Und so nehmen wir uns vor, nachdem wir die Herberge bezogen haben, unsere Suche im Ort fortzusetzen. Die beiden Frauen setzen sich wiederauf die Bänke und Betina ist wieder ganz schnell eingeschlafen und liegt etwas verknorkelt auf der Bank. Nachdem sie ihren steifen Nacken wieder bewegen kann, startet sie noch einen Versuch an dem Festzelt, welches hinter dem Schloss aufgebaut wurde und in dem es so aussieht, als ob hier heute noch eine Fete starten würde. Mit den Worten “Das ist eine private Veranstaltung.” wird sie aber abgewiesen. Wir wären ja mit ner Bockwurst zufrieden gewesen. Im Rucksack habe ich ja noch die drei Kamenzer Würste aus Königsbrück. Vielleicht können wir diese nachher in der Herberge warm machen.
in der Herberge Schloss Schönfeld
Können wir nicht. Denn die Herberge erweist sich als sehr spartanisch eingerichtet. Das Armenhaus war fast besser ausgestattet. Zumindest war dieses aber warm und viel gemütlicher. Hier hängen zwar große Heizkörper unter den neuen Fenstern. Diese bleiben aber kalt, nachdem ich die Ventile öffne. Mehrere Zettel rufen zwar dazu auf, nach Nutzung der Herberge die Heizkörperventile wieder auf Frostschutz zu stellen, was sich aber als etwas sinnfrei erweist, das die Heizung eh kalt bleibt. Überhaupt macht diese Herberge einen etwas lieblosen Eindruck. Statt einer persönlichen Einweisung durch die etwas lustlos wirkenden Dame, die uns aufgeschlossen hatte, hängen überall Zettel mit Verhaltensregeln.
hier “residierten” wir
Zwei karge Räume bieten auf Matratzen mindestens 6 Pilgern Platz. In der Ecke steht ein alter Küchenschrank und ein Tisch mit mehreren Stühlen. Wenigstens ein Wasserkocher ist vorhanden. Um die Ecke ein kleines Verließ, die Toilette. In dem winzigen Raum die Waschgelegenheit, ein ebenfalls winziges Waschbecken. Das ist alles. Von einem Schloss hatte ich irgendwie was anderes erwartet. Tja so ist das manchmal im Leben. Man erwartet wenig und bekommt viel (so wie im Armenhaus) und am nächsten Tag denkt man in ein Märchenschloss zu kommen und findet eine kalte und primitive Unterkunft. Ja, das ist das richtige Wort. Als Unterkunft möchte ich das hier bezeichnen, nicht mehr und nicht weniger ist es. Wir haben ein Dach über dem Kopf, können unseren müden Leib nieder legen und uns waschen, Kaffee kochen und eine Toilette benutzen. Hmm, was braucht man mehr? Ich verlange wieder zu viel. Und es fällt mir wieder ein Ausspruch ein, an den ich mich eigentlich gerne halte: “Der Tourist verlangt. Der Pilger dankt.” Und so bin ich trotz der Umstände dankbar für diese Unterkunft. Zum Kaffee haben wir ja noch Sigmars Eierschecke, welche Betina in ihrem großen Rucksack mit hier her getragen hat. Und schon steht der Kaffee und der Kuchen auf dem Tisch. Na es geht doch. Schon wird es gemütlich. Noch gemütlicher wird es, als wir eine Weile Betinas Föhn laufen lassen (ja, sie hat einen Fön mit!). Dieser bringt wenigstens etwas Wärme in den Raum.
Abendsonne in Schönfeld
Hier wird es immer kälter und wir beschließen, nochmals in den Ort zu gehen. In den letzten Sonnenstrahlen des Tages sitzen wir vor einer Art Einkaufszentrum, misstrauisch beäugt von den Nachbarn gerade rüber. Betina hat kurzerhand die vor dem Fleischereigeschäft stehenden Biertischgarnituren so platziert, dass uns die Sonne ins Gesicht scheint. Die Läden haben heute zum Samstag alle bereits geschlossen. Wir warten also, dass die Dorfkneipe, an der wir gerade vorbei gekommen sind öffnet. Und ich überlege, wie ich aus meinem Haus nach draußen blicken würde, wenn da gerade rüber Fremde in etwas angeschnuddelten Wanderklamotten an der Straße rum lungern würden. Lange müssen sie diesen Anblick aber nicht mehr ertragen. Denn die Sonne ist weg und die Kneipe macht gleich auf. Wir stellen also wieder alles so hin, wie es war (Wir sind ordentliche Pilger!) und ziehen zum Gasthaus.
Abendessen in Schönfeld
Wir treten ein in den Gastraum und befürchten sogleich wieder raus zu fliegen. Hier ist offenbar eine geschlossene Veranstaltung im Gange. Wir werden aber unkompliziert und lautstark herein gebeten. Der Tisch am Ofen ist genau der richtige für uns. Und schon sind wir mitten drin im Klassentreffen, als was sich die Feier herausstellt. Betina sitzt vorne und übernimmt es, mit mehreren gereichten Fotoapparaten die lustige Truppe abzulichten. Es ist bereits ein älteres Semester (ich meine die EX – Schüler nicht Betina!) und jedesmal wenn ein neuer Mitschüler hinzukommt, wird ein großes Hallo angestimmt. Das Essen ist klasse, eben gute Hausmannskost, wie man es in einer Dorfkneipe erwartet. Eigentlich will ich noch ne Weile sitzen bleiben am warmen Ofen, denn der Gedanke in die kalte Unterkunft zurück zu gehen, ist nicht so schön.
das Schloss am Abend
Wir brechen aber trotzdem auf, verabschieden uns von den anderen Gästen und gehen zurück zum Schloss. Die Party hinterm Haus ist noch in vollem Gange. Irgend wer singt live deutsche Schlager. Die Proben hatte ich am Nachmittag schon belauscht und es klang grauselig. Wir ziehen uns in unsere kalten Herberge zurück und sitzen noch lange vor dem winzigen Display meines Handys. Ich habe da einige lustige Sachen von Youtube drauf, Uwe Steimle, Elsterglanz, Kurt Krömer, Reinald Grebe und H.P. Kerkeling. Andrea kennt das alles schon. Aber Betina hat sich beeimert. Ich zaubere noch drei Flaschen Bier aus meinem Rucksack und es wird trotz der Kälte noch ein lustiger Abend.
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag der Freudlichkeit
abmarschbereit
In der vergangenen Nacht machte sich zum wiederholten Mal die Anschaffung der neuen und wärmeren Schlafsäcke bezahlt. Es ist bitter kalt in dem dicken Gemäuer des Schlosses. Beim Frühstück, was mangels Reserven heute mal wieder etwas magerer ausfällt, kommt Betinas Föhn nochmals zum Dauereinsatz. Es gibt die Brötchen vom Vortag und löslichen Kaffee. Ich mache mir heiße Zitrone, was zu den im Raum herrschenden Temperaturen besser passt. Wenigstens draußen scheint es immer wärmer zu werden, da die Sonne in einen fast wolkenlosen Himmel aufsteigt. Ich mache vor dem Abmarsch noch einige Aufnahmen vom Schloss, welches sich heute morgen in einem besseren Licht präsentiert. Und schon gehen wir, den Rucksack auf dem Rücken durch Schönfeld.
der Biorasenmäher
Am Ortsausgang verlassen wir zum Glück wieder die B98 und biegen nach links auf eine kleinere Asphaltstraße ab. Hier treffen wir dann auch auf die “Eisdiele”, die uns die Kinder am Vortag beschrieben haben. Diese ist nur schwer als solche zu erkennen. Auch ein biologischer Rasenmäher auf einer Wiese am Wegesrand ist mir ein Foto wert. Wenn man genauer hin schaut, zeigt sich dort, wo die Sonne noch nicht hin gekommen ist Rauhreif auf den Wiesen. Doch die Sonne steigt immer weiter nach oben in den Himmel und man spürt bereits die Wärme auf dem Rücken. Lange Schattenspiele auf dem Weg verraten aber, dass es noch sehr früh ist am Tage.
Schattenspiele
Kronospan
Auf der rechten Seite ist ein großes Industriegebiet nicht zu übersehen. Es ist das Kronospan – Werk in Lampertswalde. Zum Glück ist die Windrichtung günstig und wir bekommen nicht die Abgase ab. Dafür riechen wir immer mehr einen riesigen Kuhstall, der am Ortsrand von Quersa vor sich hin müffelt. In Quersa wechselt Betina plötzlich die Straßenseite und ich sehe, wie sie sich mit einer alten Frau unterhält, die vor einem großen Gehöft an einem Auto steht. Sehe ich richtig? Ja, Betina winkt uns zu. “Ich habe die Frau einfach mal gefragt, ob es in dem Dorf eine Möglichkeit gibt, einen Kaffee zu trinken.” (Unser Löslicher am Morgen war wohl doch nicht das richtige.) “Und sie hat uns zu sich eingeladen.” berichtet Betina.
die freundliche Helga
Helga, so wie die alte Frau heißt, bittet auch uns ohne lange zu überlegen zu sich ins Haus. Die Rucksäcke lassen wir draußen im Hof stehen. Und schon sitzen wir in der kleinen Küche. “Ihr müsst schon entschuldigen, dass es hier so aussieht. Wir hatten gestern eine Feier und ich habe noch nicht aufgeräumt”, so versucht sie völlig unnötigerweise die Unordnung in ihrem Reich zu entschuldigen. Und schon fängt sie an Kaffee für uns zu kochen. “Ich habe von Gestern noch Schichtsalat im Kühlschrank und gebratene Hühnerbeine”. Und schon stehen neben unseren Kaffeetassen zwei große Schüsseln auf dem Tisch. Wir können sie kaum bremsen, denn schon kramt sie auch noch Kuchen aus dem Schrank und stellt ihn auf dem Tisch vor unsere Nase.
unverhofft kommt oft
Mit einem großen Löffel gibt es dann einen tüchtigen Schlag des sehr schmackhaften Schichtsalat auf den Teller. Wir müssen Helga ausbremsen in ihrer Freundlichkeit, denn immer mehr Sachen finden ihren Weg auf den Küchentisch. Sie erzählt uns nebenbei von ihrer Familie, von ihren schlimmen Krankheiten, die sie in letzter Zeit erdulden musste und warum sie uns herein gebeten hat. “Jeden lade ich nicht ein in mein Haus”, betont sie. “Da muss man schon etwas Menschenkenntnis haben”, setzt sie fort. Na wir scheinen jedenfalls nicht den schlechtesten Eindruck auf unsere Umgebung zu machen, denke ich. Helga scheint glücklich zu sein, dass sich jemand die Zeit nimmt, ihr zu zuhören, obwohl sie immer wieder betont, dass ihre Kinder sofort da sind, wenn sie Hilfe braucht.
Helga mit Betina
Ihr Sohn, der mit im Haus wohnt, betritt den Raum und schaut etwas verwundert. Es stimmt also, sie lässt wirklich nicht jeden in ihre Küche. Er kommt von der Jagd. Wie es scheint erfolglos, denn er verschwindet nach einer knappen Begrüßung im Nebenraum. Nur sein Hund, ein Drahthaar – Dackel bleibt da. Er ist völlig durchnässt und Andrea reibt ihn mit seiner Decke etwas ab. Er lässt es geschehen und scheint es zu genießen. Helga hat sich warm geredet und ihre Güte und Freundlichkeit ist überwältigend. Wir trauen uns fast nicht aufzustehen und uns zu verabschieden. Doch wir müssen weiter. Also bedanken wir uns artig bei unserer freundlichen Gastgeberin, machen noch ein paar Fotos, von denen wir, so haben wir uns vorgenommen, welche an Helga schicken wollen und verlassen das Haus. Helga winkt uns nach und wir hoffen, dass sie ihrer Familie und auch den durchziehenden Pilgern noch recht lange erhalten bleibt. Wen also jemand durch Quersa kommt, einfach mal nach Helga Händler fragen und einen schönen Gruß von uns bestellen. Das wäre nett.
vor Großenhain
Quersa erweist sich als lang gezogenes Bauerndorf, in dem es viele solche schön wieder hergestellten Dreiseitenhöfe gibt, wie den, in dem Helga wohnt. Kurz vor dem Ortsausgang zweigt der Weg nach rechts wieder ab von der B98 und wir gehen bis zu einem Bahnübergang. Dann muss man aufpassen, denn gleich hinter dem Bahnübergang, muss man die Straße nach links verlassen und auf einen Feldweg gehen, der direkt am Bahndamm entlang in Richtung Großenhain führt. Hier sehen wir schon den hohen Turm der Marienkirche dieser alten Garnisonsstadt. Einige Kilometer laufen wir über freies Feld an der Bahnlinie entlang. Der Wind hat hier leichtes Spiel. Und wie schon am Vortag ist er recht kühl. Das lustige Jackewechsledich beginnt wieder. Kurz vor Großenhain kommen wir nach Folbern und biegen dort auf die alte B98 nach rechts ein. Nach Fertigstellung der neuen Ortsumgehung und der Verlegung der B98 ist es hier recht ruhig geworden. Außerdem ist heute Sonntag und da ist um diese Zeit so kurz vor Mittag eh nicht so viel Verkehr. Weil heute Sonntag ist und es am Zielort Skassa keine Möglichkeit gibt, etwas zu essen zu bekommen, nutzen wir die erste Gelegenheit, unsere Vorräte an Proviant aufzufüllen. Erste Direktive beim Pilgern: Nutze die Chance!
Mittag in der Tankstelle
Und die erste Chance dazu ist eine Tankstelle. Das Angebot ist aber recht übersichtlich. In der Auslage tummeln sich noch zwei belegte Baguettes und die Verkäuferinnen machen nicht den Eindruck, viel Freude an ihrem Job haben. Zumindest laufen sie nicht Gefahr, mit dem Titel dieses Beitrages in Verbindung gebracht zu werden. Wiederwillig bereiten sie weitere zwei Baguettes für uns. Wüsste ich eine andere Möglichkeit zum Einkauf, ich wäre wieder gegangen. So verursachen wir aber hier wahrscheinlich den Umsatz des Tages, trinken noch einen Kaffee bzw.Cola und verlassen die Tankstelle mit einigen Kilo mehr auf dem Rücken. Darin befinden sich jetzt einige Flaschen Bier und Rotwein, ein paar Semmeln und die vier Baguettes. Und auch ein paar BiFi´s belasten den Rücken zusätzlich zu dem, was sowieso schon im Rucksack ist.
Altstadt von Großenhain
Während wir in die Stadt gehen, verweise ich auf die vielen neu gedeckten Dächer. Großenhain wurde vor zwei Jahren von einem schlimmen Tornado heim gesucht. In einer Schneise von 2 Kilometern Breite von hier bis nach Mühlberg an der Elbe wurde kaum ein Haus und kaum ein Baum verschont. Und so sieht man heute hier viele neu gedeckte Dächer und und die Spuren an den Kronen der großen Bäume, die etwas merkwürdig gerupft aussehen. Entlang der Großen Röder gehen wir nun auf das Stadtzentrum zu. Beim Betreten der Altstadt sieht man bereits den massigen Bau der Marienkirche und man erkennt, weshalb sie auch die kleine Schwester der Dresdener Frauenkirche genannt wird.
Marienkirche Großenhain
Von dieser Seite sieht sie wirklich aus wie ein Rundbau mit einem großen Turm darauf, ist also der großen Schwester in Dresden sehr ähnlich. Kein Wunder, wirkte doch der Erbauer der Marienkirche Johann George Schmidt auch an der Dresdener Frauenkirche mit. Erst wenn man um sie herum geht, erkennt man das Langschiff in T – Form. Sie ist die einzige Kirche Sachsens mit dieser eigenwilligen Form und stellt deshalb etwas Besonderes dar. Wir wollen natürlich hinein und suchen etwas länger nach dem richtigen Eingang. Erst nach einer halben Umrundung entdecken wir die offen stehende Tür. Wir treten ein und auch im Innern erinnert die Ausstattung an die Frauenkirche. Emporen verlaufen ähnlich Theaterrängen in Schwüngen auf mehreren Etagen links und rechts des Altars, auf den man vom Hautportal her zugeht. Hoch oben befindet sich die Orgel, darunter hoch über dem Boden die Kanzel. Die Bänke verlaufen in den gleichen Schwüngen wie die Emporen durch den Raum. Das alles sieht sehr lebendig und doch erhaben aus. Betina sitzt minutenlang in der Bank und schaut nach oben. Auch in meinem Genick beginnt zu ziehen, weil ich den Kopf schon längere Zeit nach oben richte. Ich denke, die Bauherren wollten das so. Auffallend ist, dass große Bereiche der Emporen verglast sind. Das sind sogenannte Betstuben. Wohlhabende Bürgerfamilien konnten diese erwerben, was zur Finanzierung des Aufbaus genutzt wurde. Das Mobiliar in den Räumen ist teilweise erhalten.
Kanzelaltar der Marienkirche
Die Kirche hat eine wechselvolle Geschichte. Von den Vorkirchen, die hier standen, ist nicht viel überliefert. 1748 wurden die Bauarbeiten der jetzigen Marienkirche beendet. Die Kirche wurde da aber nur mit einer Mindestausstattung versehen. Erst sieben Jahre später erhielt sie ihren beeindruckenden Kanzelaltar und erst 1802 wurde nach zweijähriger Bauzeit der Turm eingeweiht. Die Orgel stammt von 1902 und wurde 2001 überholt. 1972 wurde die Kirche mit den damaligen Mitteln und Möglichkeiten restauriert. Und 2004 erhielt sie nach einer erneuten Überholung ihr heutiges Aussehen. Wir schlendern nun zum Marktplatz, wo sich das imposante Rathaus von 1876 im Stil der Neorenaissance und auf der Ostseite des Platzes der Diana Brunnen befindet. Ich kenne Großenhain nur vom Durchfahren und komme dabei natürlich nie hier vorbei. Und so bin ich froh, für die Stadt auch mal mehr Zeit zu haben.
Rathaus von Großenhain
Am heutigen Sonntag befinden sich hier nur wenige Leute auf der Straße. Nur ein paar Biker haben ihre Motorräder abgestellt und machen Pause im Freisitz einer Eisdiele. Wir tun es ihnen gleich und setzten uns in die Sonne. Der Wind ist aber kühl, so dass man eine Jacke braucht. Also wieder auspacken… Betina mag es lieber herzhaft und bestellt sich einen Toast. Ich bestelle ein Radeberger. Nur Andrea bekommt ihren Eisbecher. Es ist eine Art “Running Gag” bei uns, der während unserer Wanderungen in den Alpen entstand. Wenn sie “schön gelaufen” sind, bekamen die Kinder immer ein Eis. Andrea hat das schnell übernommen und ist auf den Zug aufgesprungen. Wenn unterwegs also eine Eisdiele in der Nähe auftaucht, muss ich nicht lange warten bis Andrea sagt: “”Woor? Ich bin heute schön geloofen.” Wer könnte da nein sagen?
vor der Eisdiele am Markt
Ich bin nicht so der Eistyp, deshalb das Bier. Später gesellen sich auch noch die sechs uns bereits bekannten Pilger zu uns, die wir bereits vor Großenhain in der Ferne kommen sahen. Die Koalition derer, die sich lieber uns anschließen wollen, hat sich inzwischen unter ihnen vergrößert. Nun schon offen werden einzelne in der Gruppe aufmüpfig und verkünden, dass sie lieber mit uns gehen würden, als wir aufstehen um weiter zu gehen. Aber die Gruppendisziplin siegt und wir gehen allein weiter. Im weiten Bogen durch die Altstadt gehen wir zum sehr schönen Stadtpark und dann durch schmucke Eigenheimsiedlungen am Stadtrand. Auf einem mit Betonsteinen gepflasterten kilometerlangen Radweg geht es direkt nach Skassa.
Landschaft vor Skassa
Die Kleinraschützer Heide erstreckt sich rechts von diesem Weg und viele Ausflügler treffen wir, die dieses Naherholungsgebiet vor den Toren Großenhains zum Ziel für eine Wanderung oder einen Radausflug haben. Nach der Brücke über die Große Röder betreten wir den Ort Skassa. Ein Mann macht sich vor dem Feuerwehrhaus an einem Schild zu schaffen “Skassaer Weinfest 3. Oktober”. Schade, da sind wir schon weg. Gerade rüber sehe ich an der Mauer des Pfarrgartens einen Wegweiser zur Herberge. Diese befindet sich hier im Pfarrhaus. An der Grundstückseinfahrt hängt ein großes Transparent “Fürstentum Platanien”, daneben baumelt an einer wackligen Konstruktion aus Knüppeln eine kleine Glocke. Ich bin versucht am Strick zu ziehen und zu läuten, lasse es dann aber besser. Ich klingle lieber an der Türe zum Haus. Geöffnet wir diese von einem kleinen Mädchen, welches sofort etwas verschreckt wieder verschwindet. Minutenlang …. nichts. Dann endlich kommt die Hausherrin.
Pfarrhaus von Skassa
Wir hatten uns angemeldet und sollten vor 15.30 Uhr hier sein, da sie mit ihren drei Kindern am Nachmittag zum Kindergottesdienst nach Riesa fahren will. Und so hat sie wenig Zeit für uns, was auch nicht so schlimm ist, da wir uns schnell zurecht finden. Am wichtigsten ist heute eine Dusche. Denn wir hatten bereits zwei Tage keine Gelegenheit mehr dazu, eine solche zu genießen. Vielleicht ist das Mädchen deshalb ausgerissen? Wir beziehen zwei Zimmer und finden auch einen kleinen Aufenthaltsraum. Unten hinter dem Gemeindezimmer befindet sich eine sehr gut ausgestattete Küche, in der wir nun endlich auch unsere Kamenzer Würste, die ich in Königsbrück gekauft habe zubereiten (soll heißen warm machen) können. Doch bis zum Abendessen ist noch Zeit. Ich wasche meine Socken und ein Shirt. Und während Andrea und Betina duschen und ebenfalls Wäsche waschen, gehe ich in die nahe Kirche, die zum Glück geöffnet ist. Von der schönen Ausstattung bin ich recht überrascht, auch vom sehr guten Zustand des Innenraumes. Ich kann sogar auf die Empore steigen. Und als ich entdecke, dass auch die Lattentür zum Turm nicht verschlossen ist, besteige ich diesen über die morsch erscheinenden Holzstiegen. Vorsichtig versuche ich die Bretter nur in der Nähe der Balkenlage zu betreten. Ich befürchte wegen des Besorgnis erregenden Zustandes der Bodendielen durch zu brechen.
in der Kirche von Skassa
Ich mache einige Aufnahmen vom interessanten Werk der Turmuhr, bevor ich vorsichtig wieder absteige. Dann verschließe ich alle Türen wieder und mache das Licht aus. Ich muss mich beeilen, denn die Kirche ist nur bis 18 Uhr geöffnet. Die Frauen würden mich sicher nicht auf dem Kirchturm vermuten, wenn ich eingeschlossen werde. Pünktlich zum Abendessen bin ich aber zurück. Betina telefoniert gerade in der Küche als ich herein poltere. Ich will sie eigentlich nicht dabei stören. Aber sie verlässt bevor ich mich zurück ziehen kann den Raum. Ich habe also Gelegenheit das Abendessen vorzubereiten. Üppig fällt es wie immer nicht aus, wenn wir keine Gelegenheit finden, sozusagen “auswärts” essen zu gehen. In Skassa gibt es solch eine Gelegenheit leider nicht.
es gibt Kamenzer und Krostitzer
Und so gibt es heute wieder nur warme Kamenzer mit Bautzner Senf und Ur – Krostitzer Bier, von dem Betina zu meiner Freude begeistert ist. Das Bier wird ganz in der Nähe unseres Wohnortes gebraut, ist sozusagen mein Heimatbier, auch wenn ich es seit einiger Zeit verschmäht habe, sozusagen fremd gegangen bin. Es hat mir nicht mehr richtig geschmeckt und ein bisschen vergnatzt war ich auch. Denn zu DDR Zeiten wurde das Bier aus Krostitz fast nur “unter dem Ladentisch” verkauft. Man brauchte sogenannte “Beziehungen”, wenn man mal größere Mengen brauchte. Das nahm groteske Formen an, die in einem “Bierkrieg zu Delitzsch” gipfelten. Bitterfelder, deren Bier man einfach nicht trinken konnte und die “Beziehungen” in Delitzsch hatten, kamen mit Pkw Anhängern und holten das Bier am Hintereingang der Kaufhalle kistenweise. Das ärgerte natürlich die durstigen Delitzscher, die das mit bekamen und “ihr” Bier nur kontingentiert bekamen. Einige griffen zum Messer und zerstachen die Reifen der Bitterfelder Anhänger. Ein Handgemenge war die Folge. Wahnsinnig und unvorstellbar erscheint das heute, wenn man in einen Getränkehandel schaut. Diese Vielfalt verursachte dann sicher auch mein Fremdgehen in Sachen Bierkonsum. (Nur mal so am Rande zur allgemeinen Erheiterung)
im Aufenthaltsraum
Nach dem Essen verziehen wir uns nach oben in den Aufenthaltsraum. Gedämpftes Licht scheint durch ein weißes Tuch , das locker unter die Decke gehängt ist. Ich habe einen Heizlüfter in Gang bekommen, der in der Zimmerecke lautstark vor sich hin surrt. So langsam wird es wegen der zunehmenden Wärme auch hier gemütlich. Wir fläzen in den bequemen Sesseln, trinken noch was und werten den Tag aus. Das Highlighte heute war natürlich Helga, die uns ohne Umschweife in ihre Küche einlud und mit ihrer Freundlichkeit uns sehr beeindruckte. Im Gegensatz dazu – die beiden Verkäuferinnen in der Tankstelle, die für Freundlichkeit eigentlich bezahlt werden, diese aber vermissen ließen. Und deshalb nenne ich diesen Tag auch den Tag der Freundlichkeit. Ein Lächeln, eine Geste oder ein freundliches Wort – schon wird das Eis gebrochen. Oft haben wir diese Freundlichkeit, ein Lächeln oder eine nette Geste am Weg schon gefunden. Andere wiederum stehen sich selbst im Weg, schauen miesepetrig, misstrauisch und verständnislos. Sie und können einem eigentlich leid tun.
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag des Abschiedes
Diese Nacht war viel zu kurz. Ich bin trotzdem bereits vor meinem Wecker munter. Im Halbdunkel suche ich verzweifelt nach meiner Schlafsackhülle. Irgend wie stehe ich heute neben den Schuhen. War wohl doch etwas lange gestern Abend. Ich war auch regelmäßig wach. Und zwar wenn der Heizlüfter sich halbstündlich automatisch einschaltete. Ich schaffe es dann doch noch alle meine Sachen zusammen zu suchen und im Rucksack zu verstauen. Dieser ist heute wesentlich leichter als gestern.
der Weg hinter Skassa
Es ist Montag und der Zielort Strehla ist eine Kleinstadt, in der es ganz sicher eine Einkaufsmöglichkeit gibt. Andrea kommt auch nicht so recht aus dem Knick. Nach einem Kaffee sieht die Welt aber schon besser aus. Wir verabschieden uns von unserer Gastgeberin, die sicher schon länger munter ist, da sie die Kinder in die Schule bringen muss. Das Wetter beschließt auch heute uns mit Sonnenschein zu verwöhnen. Und so laufen wir uns warm auf den ersten Kilometern, die über einen schmalen, fast zugewachsenen Wirtschaftsweg führen. Ich brauche am Morgen sowieso immer mindestens eine halbe Stunde, bis die Beine das machen, was sie sollen. Es ist aber kein Vergleich mehr zu den ersten Etappen, als sie das den ganzen Tag nicht so recht wussten.
am Horizont die Wacker Chemie in Nünchritz
Wacker Chemie Nünchritz hüllt sich am Horizont in dicke Rauchwolken. Ich bin schon oft an dem Werk vorbei gefahren. Aber so viel Rauch habe ich dort noch nie gesehen. Das Werk liegt direkt an der Elbe vor Riesa und in den letzten Jahren wurde es stark erweitert. Unsere sechs wackeren Mitstreiter waren gestern noch dort hin gegangen. Sehr idyllisch sieht das aber nicht aus. Wir schwenken nach rechts, lassen also Nünchritz links liegen und gehen über Weißig nach Roda. Dort im Dorfkrug gibt es bei Familie Linke ab 11 Uhr ein Pilgermahl. Leider sind wir viel zu zeitig dort.
Sonnenblumenfeld hinter Roda
Das Wegstück ab Roda gilt es zu genießen. Denn danach gibt es lange keine Gelegenheit mehr dazu. Wir wandern vorbei an großen Sonnenblumenfeldern, die schon erntereif sind und deswegen einen recht traurigen Anblick bieten. Das anschließende Waldstück wird heute das letzte sein. Und so verschwindet jeder noch einmal hinters Gebüsch. Wir hören bereits die stark befahrene B98, der wir an den letzen beiden Tagen immer wieder begegneten. An ihr müssen wir nun ein ganzes Stück bis Zeithain auf einem Radweg entlang laufen. Doch zuerst kommen wir nach Glaubitz. Mitten im Ort, gegenüber des Teiches sehen wir einen kleinen Laden, der geöffnet hat.
Imbiss in Glaubitz
Was haben wir gelernt? 1. Direktive beim Pilgern: Nutze die Gelegenheit! Und schon sind wir drin. Es ist fast eine kleine Kaufhalle mit angeschlossenem Imbiss. Der Imbiss ist aber noch geschlossen. Wir fragen nach einem Kaffee und die nette Betreiberin öffnet für uns ihren Imbiss. Etwas Gebäck nehmen wir uns aus dem Laden mit und so sitzen wir allein im Gastraum und machen Pause. Die Frauen schnattern angeregt. Es geht irgendwie um Katzen, bekomme ich gerade so mit, während ich mit den Augen zu kämpfen habe. Ich schrieb ja schon: Irgend wie stehe ich heute neben den Schuhen. Müde bin ich. Das ist es. Da hilft nur eins: Weiter laufen.
Zwangspause vor Zeithain
Wir zahlen also und machen uns auf zu einem der hässlichsten und nervigsten Wegabschnitte unserer Wanderung. Immer auf dem asphaltierten Radweg geht es entlang der B98 auf Zeithain zu. Einige Autoinsassen blicken seltsam mitleidig oder verständnislos zu uns rüber, wenn sie vorbei rauschen. Wir würden auch lieber wo anders lang laufen, möchte ich ihnen zurufen. Kurz vor dem Ort verlässt uns der tosende Verkehr in Richtung Riesa. An einer Bahnschranke warten wir, in den Ort eingelassen zu werden. Zeithain ist ein recht ansehnlicher und großer Ort. Was sich dann aber anschließt, ist eine Zumutung. Hier heißt es nur Augen zu und durch. Denn es gibt nun nicht mal mehr einen Radweg, den wir benutzen könnten. Es ist zwar eine Nebenstraße. Auf dieser verkehren aber jede Menge Fahrzeuge. Davon viele große Kipper, die massenweise Baumaterial aus der Kiesgrube Zeithain holen, an der wir auf dieser Straße vor bei hasten.
Lockerungsübungen
Ich ertappe mich dabei, immer schneller zu werden, um diesem Wahnsinn möglichst schnell zu entfliehen. So zieht sich unsere kleine Gruppe etwas auseinander. Ein ganzes Stück nach mir kommt Betina und viel später auch Andrea angetrottet, während ich am Abzweig nach Gohlis auf die Frauen warte. Betina bleibt auf der anderen Straßeneite mit hoch gestreckten Beinen liegen. Sie macht Lockerungsübungen. Vielleicht bin ich das Stück wirklich zu schnell gelaufen. Andrea macht auch kein glückliches Gesicht, als sie nach kommt. Als wir wieder zusammen sind, verspreche ich aber, dass es nun besser wird. “In Gohlis kommen wir an die Elbe und dann gehen wir auf dem Elberadweg weiter. Das wird sicher schöner.”, sage ich zuversichtlich. Zunächst jedoch heißt es weiter auf Asphalt zu laufen bis nach Gohlis.
Panorama an der Elbe bei Gohlis
In Gohlis wird viel gebaut. Die Kanalisation wir erneuert. Aber auch in den Grundstücken sieht man viele Baustellen. Hier war im Juni diesen Jahres wieder einmal die Elbe ein ungebetener Gast. Nach dem Jahrhunderthochwasser von 2002, dessen Wasserstandsmarken man an vielen Hauswänden sieht, stieg in diesem Jahr das Hochwasser wiederum auf fast die gleiche Höhe. Es ist zu sehen, dass einige im Ort danach aufgegeben haben und weg gezogen sind. Wir gehen weg von der Hauptstraße und sind nun auf dem Elberadweg.
alle wollen aufs Foto
Links von uns glitzert der Fluss in der Sonne und auf den saftigen Elbwiesen stehen einige Ponys, die sich aufs Bild drängen, als wir sie fotografieren.. Wenn man das so sieht, kann man sich das kaum vorstellen, wie es möglich ist, dass dieser Fluss so weit ansteigt. Es liegen etliche Höhenmeter zwischen der Wasseroberfläche und dem Weg. Vor einigen Grundstücken haben die Besitzer selbst Flutmauern mit Spundwänden errichtet. Diese haben aber auch in diesem Jahr nicht verhindern können, dass die Erdgeschosse der Häuser geflutet wurden. Bei vielen Häusern sieht man, dass die untere Etage immer noch nicht bewohnt ist und die Fenster zur Lüftung offen stehen. Der Putz ist abgeschlagen und wird erst erneuert, wenn die Wände wieder ausgetrocknet sind.
ausgedehnte Pause an der Elbe
Wir blicken zur anderen Seite und sehen das Idyll des dahin fließenden Stromes. An einer windgeschützten Stelle unter einem Baum machen wir Rast, legen uns ins Gras, essen etwas und schlummern ein. Die Sonne brennt uns aufs Gesicht und am Abend gibt es einen Sonnenbrand auf der Nasenspitze. Diese Ruhe ist herrlich nach der lauten Straße. Wir genießen die Zeit und sagen nicht viel,um die Ruhe nicht zu stören. Die Wanderschuhe liegen im Gras und die Socken können ausdampfen. Ich weiß nicht, wie lange wir da gelegen haben. Und wenn ich nicht zum Aufbruch gemahnt hätte, wären wir bis zum Abend geblieben. Beim Aufstehen kann ich ein Stöhnen nicht unterdrücken. War doch ganz schön hart auf dem Boden und die Beine spürt man jetzt schon nach diesem Eilmarsch.
auf dem Elbdamm
Langsam schlendern wir über den Elbdamm. Strehla unser Ziel ist schon zu sehen und auch die Fähre, mit der wir über den Fluss setzen wollen. Wir gehen über eine sehr breite Wiese, auf der eine ganze Armada von Beleuchtungsmasten steht, scheinbar sinnlos. Denn darunter ist nichts als Gras. Ich beschließe den Fährmann zu fragen, was das zu bedeuten hat. Geduldig warten wir am Steg, bis sich am anderen Ufer was tut und die kleine Motor betriebene Fähre schnell näher kommt. Genau so schnell wie sie herüber kam, gelangen wir dann auch zum gegenüber liegenden Ufer. Ich habe kaum Zeit ein paar Fotos zu schießen.
Personenfähre in Strehla
Schnell frage ich den Fährmann noch nach den Lichtmasten. Zuerst veralbert er mich und meint das wäre ein Golfplatz. “Ja genau!” sage ich. “Nun aber wirklich!” mahne ich ihn zur Ehrlichkeit. “Das ist ein Festplatz”. meint er dann. Au, das müssen ja große Feste sein, die hier veranstaltet werden. Da muss ich mal drauf achten. Als wir vom Kahn klettern und die steile Kopfsteinpflasterstraße hinauf steigen, sagt Betina plötzlich, dass ihre Reise wohl heute zu Ende geht. Wir bleiben geschockt stehen und fragen was los ist. Betina hat Probleme mit dem Sprunggelenk und will lieber aufhören, bevor es noch schlimmer wird. Sie hatte uns die Geschichte um ihr Sprunggelenk mal erzählt und wir können ihre Entscheidung, so traurig sie ist, nachvollziehen. Im Stillen mache ich mir Vorwürfe, ob ich nicht doch zu schnell gelaufen bin heute, als die Strecke so öde war.
Rathaus in Strehla
Langsam und etwas bedrückt laufen wir zur Stadt hinauf. Auf dem Marktplatz bleibe ich stehen und bemerke, wie die beiden Frauen in einem Laden verschwinden. Mit vollen Tüten kommen sie nach und wir suchen die Adresse der Unterkunft. Diese müsste in der Nähe der Kirche sein, deren Turm unübersehbar vor uns steht. Wir gehen in diese Richtung, über den Friedhof an der Kirche vorbei und stehen vor dem Pfarrhaus. Drinnen ist alles dunkel. Wir klingeln und niemand meldet sich. Im Fenster hängt wie immer ein Zettel mit den Kontaktmöglichkeiten. Zuerst meldet sich der Pfarrer am Telefon, der aber sagt, dass er nicht in Strehla ist. Wir sollen uns gerade rüber bei einer Frau melden. Ich also hin. Aber ohne Erfolg. Sie hört weder auf mein intensives klingeln, noch sehe ich sie hinter dem Haus im Garten, wo ich auf Hinweis des Pfarrers ebenfalls nach sehe.
die Herberge in Strehla
Zur Herberge gelangen wir links vom Pfarrhaus durch eine offen stehende Gittertür. Sie steht sozusagen direkt hinter dem Pfarrhaus. Es ist ein schmuckes zwei stöckiges Gebäude und macht einen guten Eindruck auf uns. Aber was bringt das, wenn wir nicht hinein kommen? In Abständen von 15 Minuten versuche ich es immer wieder an der Klingel von gerade rüber – ohne Erfolg. Dann gehe ich noch ein ganzes Stück auf der Suche nach der Jugendherberge, die hier in Strehla eine Alternative bietet. Aber als es mir dann zu weit erscheint, drehe ich wieder um und rufe nochmals beim Pfarrer an. Dieser erklärt mir freundlich, dass die Frau eigentlich da sein müsste, nennt mir aber noch eine Telefonnummer in Strehla. Ich rufe nun dort an und erkläre die Situation. “Kein Problem!” bekomme ich zu hören und “Ich bin gleich da”. Ich gehe wieder nach vorn zum Pfarrhaus, um auf unsere Retterin zu warten. Da kommt eine Frau auf mich zu und fragt mich, ob ich bei ihr geklingelt habe. Die Nachbarn hätten ihr mitgeteilt, dass da jemand da gewesen wäre, der fast die Klingel abgerissen hätte. “Na so schlimm habe ich nicht geklingelt und die Klingel ist ja noch dran”, sage ich scherzhaft. Wie abgesprochen kommt natürlich im gleichen Moment auch die eben angerufene um die Ecke. Ich muss mich erneut erklären und entschuldige mich für die Ungeduld.
der Schlafraum
Wir werden daraufhin eingelassen und finden im Obergeschoss einen schönen großen und hellen Schlafraum mit 6 Betten vor. Oben ist noch eine große Küche und unten die Toiletten und Duschen. Sogar eine Waschmaschine und ein Trockner sind vorhanden. Diese Herberge ist sehr zu empfehlen, sag ich mal. Während sich die Frauen hübsch machen, nehme ich meinen Fotoapparat und gehe noch mal in die Stadt. Jedes mal, wenn ich durch Strehla gefahren bin, fielen mir da zwei Türme auf. Und ich wollte schon immer mal wissen, wozu diese gehören und mir das ansehen. Nun weiß ich es. Sie gehören zum Schoss Strehla, einer ehemaligen Burganlage, die nach der Albrechtsburg Meissen die älteste Sachsens darstellt.
Schloss Strehla
Bereits vor dem Jahr 900 soll hier eine slavische Wehranlage gestanden haben. Zum Schloss wurde es später erst um 1550. Die Anlage besteht aus einem Sammelsurium verschiedener Epochen, von der Spätgotik bis zur Renaissance. 1945 enteignet, wurde es zu DDR Zeiten als Kinderheim genutzt. Während der Zeit wurden viele Nebengebäude abgerissen. Heute befindet sich das Schloss wieder in Privatbesitz und wurde teil saniert. Teile der Vorburg werden als Wohngebäude genutzt. Vieles ist hier zwar weiterhin sanierungsbedürftig. Aber eine Besichtigung lohnt in jedem Fall. Nachdem ich meinem Chip also wieder ein paar Fotos hinzu gefügt habe, gehe ich zurück zur Herberge.
die beiden Schlosstürme
Zur Feier des Tages beschließen wir heute was zu kochen. Andrea sagt zu Betina: “Damit du noch in den Genuss seiner Kochkünste kommst, bevor wir uns verabschieden”. Uns ist aber eigentlich gar nicht so nach Feiern. Andrea und ich machen uns auf die Socken, um den Supermarkt zu suchen. Nach einigen Umwegen finden wir ihn und ich beschließe nach einigem Überlegen und Suchen zwischen den Regalen, Nudeln zu kochen. Mit denen konnte ich auch schon auf dem Camino Frances bei der Damenwelt punkten, auch wenn die damals alle weit über sechzig waren. Voll bepackt schleppen wir unsere Tüten zurück und ich beginne sofort mit den Vorbereitungen.
ein Schluck Krostitzer zum Abendessen
Natürlich sind auch ein paar Flaschen Krostitzer und Rotwein dabei. Zu den Nudeln gibt es Salat und ich habe noch ein Stückchen Räucherfisch von Betina bekommen. Das Essen wird förmlich zelebriert. So richtig bin ich mit der Nudelsoße zwar nicht zufrieden (ich hatte den Knoblauch vergessen) aber satt sind wir alle geworden. Wir feiern heute unseren Abschied von Betina und haben trotz des eher traurigen Anlasses noch viel Spaß.
“Wenn dein Fuß wieder ganz ist, laufen wir den Rest zusammen” sage ich nicht im Scherz.
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der Tag mit Aussicht
Irgendwie macht das Aufstehen heute keinen Spaß. Während wir die Rucksäcke packen und die Morgentoilette erledigen, macht Betina schon das Frühstück. Ziemlich schweigsam verzehren wir unsere Brötchen. “Wir bleiben aber in Kontakt und ihr besucht uns mal” bricht Betina das Schweigen. “Na klar” sage ich kurz. Und wer mich kennt weiß, dass ich das auch so meine. Mit vielen, die wir auf unseren Wegen trafen, haben wir auch heute noch Kontakt. Erst kürzlich hatten wir Besuch aus Bayern von Thomas, den wir 2011 auf dem Camino Frances in Spanien kennen lernten. Oder Martin aus der Schweiz, mit dem ich regelmäßig skype. Und dann die vielen Mails, die immer wieder hin und her gehen, von Iva aus Tschechien, Jürgen aus Ulm oder Andrea aus Dortmund. Wir haben wirklich gute Freunde auf unseren Pilgerwegen gefunden. Und nun ist es Betina, von der wir uns heute leider verabschieden müssen.
“Abschied nehmen ist nicht so mein Fall” sagt sie, als wir unten vor der Herberge stehen. “Meiner auch nicht” sage ich und versuche meine feuchten Augen zu verbergen. Auch Andrea geht der Abschied nahe. Das merke ich. Wir umarmen uns und drehen uns im Fortgehen noch einige Male um. Dann sind wir weg und allein. Betina wird von ihrem Mann mit dem Auto abgeholt und verbringt den Tag noch in Strehla.
Landschaft am Liebschützberg
Schweigend verlassen wir die Stadt. Es ist wieder ziemlich kalt an diesem Morgen. In den Gärten sehen wir, dass es bereits Nachtfröste gab. Ein leichter Schleier liegt noch über den Feldern. Aber die Sonne wird dafür sorgen, dass das nicht lange so bleibt. Unser erstes Ziel am heutigen Tag ist der Liebschützberg, eine weithin sichtbare Erhebung nördlich von Oschatz. Der Höhenzug ist 198 Meter hoch und so wie der nahe Collmberg eine von Fern gut erkennbare Landmarke. Seine Geologie sollte nach dem Willen einiger Baustoff Unternehmen aus Süddeutschland dem Berg 2003 zum Verhängnis werden. Es war geplant auf 44 Hektar Fläche Granodiorit, eine Granitsteinart abzubauen. Die Abbaufläche liegt zu 100 Prozent im Landschaftsschutzgebiet und es regte sich schnell Widerspruch. Eine Bürgerinitiative zusammen mit dem sächsischen Naturschutzbund versuchte die Landschaft vor den Baggern zu retten. Wahrscheinlich mit Erfolg, da jetzt 2013 immer noch nichts von einem Steinbruch zu sehen ist.
Windspiel und Aussicht nach Oschatz
Das Gelände steigt sanft an und weit im Süden sehen wir im Dunst die markanten zwei Türme von Sankt Aegidien in Oschatz. Mit jedem Schritt wird nun die Aussicht immer beeindruckender. Im Nordosten schauen wir in die Elbniederung bis hin nach Mühlberg, wo man den Kühlturm und den Schornstein der Zuckerfabrik rauchen sieht. Im Nordwesten schießt sich das große Waldgebiet der Dahlener Heide an. Und im Vordergrund schmiegt sich das Dorf Laas an den Höhenzug. Im Südwesten zeichnet sich hinter dem Ort Liebschütz immer deutlicher der 320 Meter hohe Collmberg mit dem großen Sendemast und dem Albertturm aus dem Dunst ab.
auf dem Libschützberg
Der Collm ist die höchste Erhebung am östlichen Rand der Leipziger Tieflandsbucht. Wir stehen nun kurz vor dem Gipfel des Liebschützberges und das Panorama ist phantastisch. In einem eingezäunten Areal steht die alte Bockwindmühle, die derzeit eingerüstet ist und restauriert wird. Ebenfalls hier oben steht seit einiger Zeit ein Holzgerüst mit einer Glocke, die bei Gottesdiensten unter freiem Himmel hier oben geläutet wird. Der Liebschützberg wird vielfältig genutzt. Neben Veranstaltungen und Freizeitbeschäftigungen ist er aber über die meiste Zeit des Jahres ein Ort der Ruhe und Erholung. Und das es hier oben einsam und ruhig sein kann, beweist uns die Anwesenheit einiger Kraniche. Die scheuen Zugvögel stehen in großem Abstand am Hang und beobachten uns. Kommen wir näher, heben sie ab, fliegen ein Stück und stellen so den alten Sicherheitsabstand wieder her. Doch es geht zeitweise auch anders. Denn der Berg ist alljährlich Anziehungspunkt für Tausende Bewohner der umliegenden Gemeinden, die hier große Veranstaltungen wie das Osterfeuer, das Liebschützbergfest, das internationale Drachenfest und auch die bereits erwähnten Gottesdienste unter freiem Himmel durchführen.
bergab Richtung Westen
Dies alles ist hier oben auf großen Infotafeln zu lesen und ich habe versucht, mir einiges davon zu merken. Warum habe ich eigentlich kein Foto davon? Wir halten uns nicht sehr lange hier oben auf, da der Wind doch ganz schön pfeift. Von nun an geht es wieder stetig bergab bis hinunter nach Lampertswalde. Gleich am Ortseingang laufen wir an einer dicken hohen Mauer entlang und treffen am Tor auf eine hölzerne Jakobsmuschel. Na da gucken wir doch mal rein! Hinter der Mauer verbirgt sich ein richtiges kleines Paradies. Blickfang ist eine sehr alte und sehr dicke Platane. Sie steht in einem Schlosspark mit Teich und Insel, halt so, wie man sich das vorstellt.
Schlosspark Lampertswalde
Zwischen den Bäumen sind Kabel gespannt, an denen Regenschirme hängen. Was soll das denn darstellen, denke ich und nehme zunächst an, dass es sich um ein Kunstobjekt handelt. Doch nein, es sind Lampenschirme. Überall in dem Park hängen die bunten Schirme und darunter Fassungen mit Glühbirnen, was für eine nette Idee. Zwei Arbeiter sind beim Aufräumen und Laub harken. Wir grüßen freundlich und sehen den Freisitz eines kleinen Cafés, auf dem sich auch schon jemand zu schaffen macht. “Haben sie schon geöffnet?” frage ich. “Na dann machen wir eben auf.”, sagt der Besitzer. Die beiden Arbeiter nutzen ebenfalls sofort das Café für eine Pause.
Schlosspark Lampertswalde
Wir sitzen in der Sonne, schauen den Schwänen auf dem Schlossteich zu und lassen uns Kaffee und Kuchen bringen. Was kann es schöneres geben? Na gut, ich hab ne Bockwurst gegessen. Nun versuche ich uns in Börln anzumelden, merke aber, das die Telefonnummer entweder nicht stimmt oder unvollständig ist. Also rufen wir Betina in Strehla an, da sie ja einen Pilgerführer mit hat. Sie ist in der Stadt und hat ihn natürlich nicht einstecken. Später ruft sie dann aber zurück und gibt uns die richtige Nummer. (Fällt mir ein, ich muss diese dann auch noch in meiner Tabelle ändern. Es fehlt übrigens eine Ziffer.) Das eigentliche Schloss Lampertswalde existiert nicht mehr. Es stand auf der großen Insel im Teich, war also ein Wasserschloss. Es sind nur noch einige Nebengebäude übrig geblieben.
Schlosspark Lampertswalde
Die gesamte Anlage macht einen sehr gepflegten Eindruck. Das ist aber noch nicht lange so. Nach der Enteignung der Eigentümer durch die Nazis verfiel das Areal zusehends. Nach dem Krieg wurde das Schloss 1947 abgerissen. Der Park verwilderte, der Wassergraben wurde mit Bauschutt verfüllt und der Schlossteich hatte kein Wasser mehr. Nach der Wende nahmen sich die Bürger des Ortes des Parkes an und bereits 1994 war die Anlage in der jetzigen Struktur wieder hergestellt. Ist schon beeindruckend, was alles möglich ist, wenn ein Dorf zusammen hält. Der Park und das Burgcafé sind zum Anziehungspunkt für die nähere Umgebung, für Touristen, Wanderer und natürlich auch für Pilger geworden. Nachdem wir uns gestärkt haben, gehen wir noch mal durch den Park und verlassen dann den Ort über die Axelallee.
der Weg vor Dahlen
Lampertswalde ist ein Ort, der sich sehr in die Länge zieht. Und erst zweieinhalb Kilometer weiter westlich verlassen wir dann den Ort wirklich. Das nächste Zwischenziel ist die Kleinstadt Dahlen. Den Kirchturm sieht man schon von Weitem. Der Weg dorthin ist recht idyllisch und führt über leicht welliges Gelände an einem großen Teich vorbei zum östlichen Ortseingang. Fast immer ist im Süden der Collmberg zu sehen, an dem wir nun schon vorbei sind. Auf den umliegenden Feldern gibt es viel Rotwild, das scheu das Weite sucht, wenn wir uns nähern. In die Stadt Dahlen gehen wir über einen schmalen abschüssigen Weg vom Burgberg herunter.
Landschaft vor Dahlen
Dahlen ist wirklich nicht groß. Und so stehen wir sehr schnell auf dem Marktplatz, wo wir uns gleich neben dem “Sackhupper” auf einer Bank nieder lassen. Einer Legende nach ist Dahlen auch als “Sackhupperstadt” bekannt geworden. Richtig ist wohl, dass im vorigen Jahrhundert ein Fuhrwerksbesitzer jährlich ein Kinderfest veranstaltete und sich als neuen Spaß auch das Sackhuppen ausdachte. Dieser Geschichte ist dieses lustige Denkmal gewidmet. Damals stand aber sicher nicht “LPG Dahlen” auf den Jutesäcken. Wir schauen uns um und entdecken eine kleine Bäckerei.
Sackhupper Denkmal in Dahlen
Es ist ja auch Zeit für eine kleine Stärkung und für einen Kaffee. So viel Kaffee wir hier trinke ich zu Hause sonst nie. Aber was soll man sonst machen, wenn man nicht gerade läuft? Wir also rein in den Laden. Für den Abend und das Frühstück wären ein paar Semmeln nicht schlecht und für jetzt zwei Kaffee und zwei Stück Obstkuchen. Es gibt Pflaumenkuchen, mein Lieblingsgebäck. Ja und irgendwie muss die nette Verkäuferin uns angesehen haben, dass wir lieber im Sitzen unseren Kaffee trinken würden. Und schon stellt sie zwei Stühle und einen winzigen Tisch neben die Ladentheke. Im Raum ist wirklich nicht viel Platz und wir müssen uns etwas in die Ecke quetschen, damit die Kunden noch hinein können.
in der Bäckerei
Aber wir sitzen und sind der Frau sehr dankbar dafür. Auf unserem Weg aus der Stadt kommen wir an einem Biomarkt vorbei. In diesem decken wir uns noch mit Getränken ein. Und schon hat mein Rucksack wieder ein Gewicht, bei dem ich leicht stöhne wenn ich ihn aufsetze. Das folgende Stück führt dann lange über eine Asphaltstraße in Richtung Bortewitz. Erst nach etwa 2 Kilometern zweigt dann ein Wirtschaftsweg nach links ab, an dem jede Menge Obstbäume stehen. Wir laufen über einen Teppich vor sich hin faulender Birnen. Die Wespen tummeln sich dazwischen und haben ein Festmahl. Ich weiß nicht, ob die Leute zu bequem sind, oder ob es verboten ist das Obst zu pflücken? Früher bin ich mit meinem Vater jedenfalls immer ins Obst gegangen und wir haben es dann in die Mosterei geschafft, wo es später Most oder Obstwein gab. Heute vergammelt alles auf den Straßen und Wegen. Darüber ärgere ich mich etwas, kann es aber auch nicht ändern. Die Leute scheinen lieber Obst aus Neuseeland zu essen.
Pfarrhaus Börln
Da wir trotz der nun vollständigen Telefonnummer niemanden im Pfarrhaus Börln erreicht haben, machen wir uns Gedanken, wo wir denn noch die Nacht verbringen könnten, als wir große Strohballen am Wegesrand sehen. “Nur im aller größten Notfall!”, denke ich, als Andrea den Vorschlag macht. Dann betreten wir den Ort. Von Ortsdurchfahrten ist mir in Erinnerung, dass es hier viele Pferdekoppeln, Pferdeställe und ein Hotel gibt. An dem letzteren laufen wir gerade vorbei und sehen, dass es zu ist. Auch sonst macht der Ort einen “geschlossenen” Eindruck. Fast die Hälfte der Gehöfte stehen leer. Ist schon seltsam. In Lampertswalde sehen wir ein blühendes Dorf mit schmucken Häusern und engagierten Einwohnern. Und hier gar nicht so weit weg, geht alles den Bach runter. Die Turnhalle scheint noch ein beliebter Treffpunkt zu sein. Überall hängen Tafeln, die Werbung für Tischtennis in der Halle machen. Ja und die Eisdiele läuft gut, was wir später noch überprüfen werden. Andrea ist zwar auch heute wieder “schön gelaufen” aber zuerst heißt es die Rucksäcke los werden. Das Pfarrhaus ist auf Grund der guten Ausschilderung schnell gefunden. Auch hier hängt ein Zettel im Fenster mit Kontaktpersonen. Die zweite Nummer funktioniert dann. Es meldet sich eine Frauenstimme, die uns sagt, dass sie noch in Dahlen ist und in 20 Minuten bei uns sein wird. Wir setzen uns im Pfarrgarten unter eine Art Laube und sehen zu, wie sich ein Mann an der Natursteinmauer des Grundstückes zu schaffen macht. Er hat zwar den Schlüssel zur Garage aber nicht den zum Haus. Doch dann fährt ein Auto vor und wir werden eingelassen.
die Kirche in Börln
Die Frau zeigt uns den Gemeinschaftsraum und die sich daneben befindliche (na ja, sagen wir mal) Küche, in der auch die Toiletten und die Dusche mittels aufgestellten Wänden abgeteilt sind. Der Raum wird von der Gemeinde genutzt. Es steht ein großer Tisch mit vielen Stühlen in der Mitte und wir fragen und zuerst, wo wir schlafen können. Dann entdecke ich einige Matratzen zusammengeklappt auf dem Schrank liegend. Und schon ist alles geklärt. Die Frau verabschiedet sich mit dem Hinweis, dass es sein könnte, dass heute Abend hier noch eine Veranstaltung ist. Um nicht zu stören lassen wir also erst mal alles in den Rucksäcken, stellen diese in die Ecke und machen uns auf zur Eisdiele.
Andrea ist “schön gelaufen”
Denn Andrea ist “schön gelaufen”. Wir sind wirklich erstaunt über das Angebot und den Andrang. Im Freisitz sind einige Tische bereits belegt und auch als wir uns dazu gesellen, kommen immer mehr Leute. Es gibt vorwiegend Softeis. In verschiedenen Varianten kann man das auch in größeren Mengen mit nach hause nehmen. Scheint gut zu laufen, sage ich. Und das Eis ist wirklich gut, muss ich zugeben, obwohl ich kein begeisterter Eisesser bin. Nach der Eisdiele gehen wir noch etwas durch den Ort. Die Kirche ist verschlossen, das Gutshaus hat auch schon mal bessere Zeiten erlebt und immer wieder müssen wir verlassene Höfe sehen. Das Dorf ist so gut wie tot, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Auch die Frau, die uns eingelassen hatte, sprühte nicht gerade vor Optimismus, was den Ort angeht.
am Teich
Wir sitzen am Ende an einem großen Teich, dessen Wasser in der sich neigenden Sonne glitzert, inter uns — natürlich ein verlassenes Haus. Wir beenden also den Rundgang und kehren zurück ins Pfarrhaus. Das macht zumindest äußerlich einen soliden Eindruck. Ich räume die Matratzen vom Schrank und Andrea kehrt noch mal aus, bevor ich sie auf den Boden lege. Wir sind nicht sonderlich pingelig. Aber Andrea scheint seit langem die erste zu sein, die hier einen Besen in der Hand hat. Da wir so nahe am Boden liegen werden, ist es schon besser so. Auf dem Klavier, das irgend jemand mit weißer Farbe angepinselt hat (wer kommt denn bloß auf sowas? fragt Andrea) steht eine Stereoanlage. Mir gelingt es, sie in Betrieb zu nehmen und so fülle ich den Raum mit etwas Musik zum Abendessen.
ab ins Nest
Alt werden wir heute nicht. Betina sendet uns noch eine SMS, dass sie fast zu hause ist. Sie hat in einem Getränkemarkt noch einen Kasten Ur – Krostitzer ergattert, schreibt sie. Ich muss schmunzeln und an den Bierkrieg zu Delitzsch denken. Andrea schlummert schon und ich gehe nachdem ich mein Bier ausgetrunken habe auch auf die Matratze. Das Radio singt uns in den Schlaf und dudelt die ganze Nacht vor sich hin.
Morgen ist unser letzter Tag.
ökumenischer Pilgerweg 2. Teil – Der letzte Tag
Na nun? Weshalb ist nun heute bereits unser letzter Tag? Wir sind doch noch mindestens zwei Tage von zu Hause entfernt? Hier nun die Aufklärung: Das liegt an unserer Bummelei. Wir hatten einen recht festen Zeitplan. Und der sah vor, dass wir am 2. Oktober zu Hause sind. Nun haben wir aber die Etappe nach Panschwitz-Kuckau verkürzt und sind in Crostwitz geblieben. Wegen des Wetters hatten wir in Kamenz die Etappe wesentlich eher beendet als eigentlich geplant. So gerieten wir einen Tag in einen Verzug, der auf 200 Kilometern nicht aufholbar ist. So gesehen hat aber alles gepasst. Denn wir hätten sonst nie unsere nette Reisebegleitung getroffen. Doch zurück zum Tagesablauf:
beim Bäcker in Börln
Ich habe recht gut geschlafen auf den Matratzen. Da wir die freie Auswahl hatten und niemand weiter nach uns kam, habe ich für uns gleich zwei Matratzen übereinander gelegt. Das war recht gemütlich. Um das Frühstück müssen wir uns heute am letzten Tag nicht kümmern. In Börln gibt es einen Bäcker und wie wir gestern auf unserem Rundgang gesehen hatten, sollte der auch heute wieder geöffnet haben. Schnell packen wir also unsere Sachen zusammen. Ich wuchte die Matratzen wieder auf den Schrank und schon schließen wir die Tür des Pfarrhauses hinter uns zu. Die Bäckerei hat wirklich offen, macht aber auf mich nicht den Eindruck, dass das noch lange so sein wird. Der Zustand der Ladeneinrichtung ist desaströs und einen frischen Anstrich könnte der Verkaufsraum auch mal vertragen. Ich möchte gar nicht wissen, wie es hinten aussieht. Während wir so sitzen und unseren Kaffee schlürfen, habe ich Zeit mich näher um zusehen. Und da fallen einem solche Sachen nun mal auf.
Nur eine Kundin betritt den Laden, in der Zeit unseres dortigen Frühstücks. Als wir durchs Dorf laufen, ist dieses wie ausgestorben. Was anderes hätte mich auch gewundert.
der Morgen im Park von Börln
Wir laufen durch den Park, in dem die Sonne bunte Punkte auf den Boden malt. Kurz vor Heyda geht es nach links auf eine schöne Lindenallee. Auch hier gibt es wieder jede Menge Pilze, die man schon vom Waldrand aus sieht. Ein Schild verrät uns, dass es hier einen Steinbruch gibt und auch einen Aussichtspunkt, an dem man gefahrlos hinein schauen kann in das Loch. Den Aussichtspunkt finden wir nicht. Aber durch das Gestrüpp führen schmale Trampelpfade, denen wir folgen. Und schon stehen wir an einem großen See, dessen felsige Steilufer verraten, dass hier ein Steinbruch ist.
Steinbruch in Dornreichenbach
Es sieht nicht so aus, als wenn hier noch Porphyr gebrochen wird. Denn die Zufahrten sind schon ganz schön zu gewachsen. Aber es stehen überall die Hinweisschilder, die auf die “Dornreichenbacher Quarzporphyrwerk GmbH” hinweisen. Wir gehen weiter und kommen nach Dornreichenbach. Das ist ein recht ansehnlicher Ort mit einem Schloss, dem dazu gehörigen Park, einerNaturbühne und einem Tiergehege. Das ist für ein so kleines Dorf mit knapp 500 Einwohnern ganz schön üppig und wieder mal ein Beweis, dass es geht, wenn sich engagierte Bürger zusammen tun. Hinter Dornreichenbach schließt sich wieder ein sehr schöner Weg über freies Feld an.
Wegweiser hinter Dornreichenbach
Die eng zusammen stehenden Baumreihen rechts und links des Weges verraten, dass er schon sehr alt ist. An einigen dieser Bäume hängen in Folie eingeschweißte Zettel mit Bibelsprüchen. Hier kümmert sich jemand sehr intensiv um diesen Wegabschnitt. Wie ich überhaupt sagen kann, dass der gesamte Weg bisher sehr gut ausgeschildert war. Hat man sich in die Systematik erst mal eingewöhnt und denkt so wie der, der die Wegweiser angebracht hat, braucht man keine Karten. Es sieht so aus, als ob es zwei verschiedene Historien der Beschilderung gibt: Eine recht alte von 2003 und eine neuere. Die alte Beschilderung besteht überwiegend aus mit Schablonen aufgetupften Muschelsymbolen auf blauem Grund. Die quadratischen kleinen Wegweiser sind auf Masten, Bäumen oder anderen Sachen aufgemalt, die man nicht so schnell entfernen kann. Sie sind aber auch oft im Laufe der Jahre zugewachsen oder verstellt worden. Die moderneren Schilder sehen professioneller aus, sind also richtig gedruckt und als Aufkleber ebenfalls an geeigneten Dingen befestigt.
was ist das?
Wandalismus oder offensichtlich fehlende Wegzeichen habe ich nicht feststellen können. Der Weg ist den Anwohnern bekannt, er ist geachtet, geschätzt und man kennt den Sinn und Zweck eines solchen Weges. Viele Orte haben das Vorhandensein dieses Weges für ihre Zwecke werbewirksam eingesetzt. Das sieht man an Schaukästen in den Orten, an extra für Pilger aufgestellten Bänken oder an der Internetpräsenz (falls vorhanden). Die Herbergen verzeichnen einen stetigen Zuwachs an Übernachtungen, nicht zuletzt wegen der sehr guten Infrastruktur des ökumenischen Pilgerweges. Natürlich gibt es auch Sachen, die verbessert werden können. Wie schon auf dem Pilgerweg durch Mecklenburg und dem Teilstück Via Regia, dass wir bereits 2012 gegangen sind, gibt es recht große Unterschiede zwischen den Pilgerunterkünften. Es ist fest zu stellen, dass private Angebote mit sehr viel Engagement und Liebe erbracht werden, währen die Begeisterung über den Pilgerstrom in einigen Pfarrhäusern manchmal zu wünschen lässt. Das mag an der Überlastung der Pfarrer liegen aber auch am mangelnden Interesse der betreffenden Gemeinde. Zumindest kann man aber feststellen, dass es auf diesem Weg den Organisatoren gelungen ist, genügend pilgergerechte Unterkünfte zu organisieren. Unter pilgergerecht verstehe ich in diesem Zusammenhang eine preiswerte und zweckmäßige Ausstattung und das Angebot zu Gesprächen oder auch zur inneren Einkehr (wenn gewünscht). Soweit schon mal ein erstes Resümee. Wir sind ja auf der letzten Etappe.
Bockwindmühle Kühnitzsch
Inzwischen sind wir natürlich weiter gegangen. Rechts etwas abseits von der “Alten Dorfstraße”, wie dieser Wegabschnitt heißt, sehen wir eine sehr schön restaurierte Bockwindmühle. Die Mühle in Kühnitzsch ist ein Technisches Denkmal und wird vom Heimat- und Schulverein Kühnitzsch/Körlitz e.V. betreut. 1812 wurde sie erbaut und ist voll funktionsfähig. Das besondere an dieser Mühle ist, dass sie von einem Lanz Bulldog am Sterz in den Wind gedreht wird. Diese Windmühlenart ist hier in Mittel- und Nordsachsen sehr verbreitet. Zum Pfingstfest findet hier jährlich der Mühlentag statt. Da haben alle Mühle geöffnet und man kann mit dem Fahrrad oder dem Auto von Mühle zu Mühle fahren. Oft wird nicht nur die Mühle gezeigt, sondern es finden auch andere Rahmenveranstaltungen wie Ausstellungen, Jahrmärkte oder Tanzveranstaltungen statt.
in Körlitz
Wir lassen die Mühle aber rechts liegen und kommen nach Körlitz. Im Ort teilt sich der Weg und man kann die ursprüngliche Strecke auf der asphaltierten Ortsverbindungsstraße oder die Variante über einen Feldweg nach Roitzsch nehmen. Beide Wege sind gut ausgeschildert. Der schönere über den Feldweg ist jedoch einen Kilometer länger. All das steht auf einem Schild unter den Wegweisern in Körlitz. Wir entscheiden uns für den schöneren von beiden, sind aber etwas enttäuscht, als wir dann doch noch ein drittel des Weges auf einer Asphaltstraße laufen müssen. Als wir hinter einem Solarpark nach rechts auf einen Feldweg abbiegen, sehen wir schon die markanten Türme der Stadt Wurzen.
Wurzen in Sicht
Das sind insbesondere die Türme des Domes St. Marien, der Wenceslaikirche und der Keksbude, wie die “Wurzener Dauerbackwaren GmbH” im Volksmund immer noch heißt. Am Wegesrand befinden sich große Apfelplantagen und Erdbeerfelder. Während letztere natürlich längst abgeerntet sind, hängen die Apfelbäume brechend voll. Der Weg scheint an der Stadt Wurzen links vorbei zu führen, macht aber urplötzlich einen Rechtsknick und wir gelangen so an einem kleinen See vorbei, zur ursprünglichen Strecke zurück in den Ortsteil Roitzsch. Nun sind es nur noch wenige Hundert Meter bis ins Stadtzentrum der Keks- und Ringelnatz – Stadt Wurzen. Zu den Keksen kommen wir noch. Joachim Ringelnatz ist der größte Sohn Wurzens. Er wurde hier geboren und sein Geburtshaus im Crostigall ist ein beliebtes Ausflugsziel. Das Crostigall ist ein Stadtteil Wurzens, der als Ursprung der Stadtentwicklung gilt. Die Stadt Wurzen erinnert an Ringelnatz durch einen 1983 zu seinem 100. Geburtstag auf dem Martktplatz aufgestellten Brunnen, durch die Ringelnatzsammlung im Museum und durch einen ausgeschilderten Ringelnatzpfad. Überall in der Stadt ist das bekannte Konterfei des berühmten Schriftstellers, Humoristen, Kabarettisten und Malers zu sehen.
Willkommensgruß auf dem Jakobsplatz Wurzen
Was wir nun auf dem Jakobsplatz sehen, ist ein besonderer Willkommensgruß der Stadt an die Pilger auf der Via Regia. Mitten auf dem Platz im Kleinsteinpflaster ist eine Muschel als Mosaik eingelassen und zwei Steine weisen in die Richtung, aus der wir her kommen “Görlitz 195 km” und dem Ziel des Weges, “Santiago de Compostela 2918 km”. Über die letzte Zahl lässt sich allerdings streiten. Denn hinter Erfurt sahen wir im vorigen Jahr ein Schild nach dem es noch über 3000 Kilometer wären. Aber es gibt ja mindestens so viele Wege nach Santiago wie nach Rom. Wir nutzen den Aufenthalt auf dem Jakobsplatz, um eine Bratwurst zu essen und während ich am Wurststand anstehe, schwatzt Andrea mit zwei Frauen, die uns als Pilger identifizieren konnten und nun einige Fragen haben. Als meine Würste endlich fertig sind, sitzt Andrea wieder allein auf der Bank.
Pilgerherberge “zur Kräuterfee” in der Jakobsgasse
Ich setze mich dazu und habe wieder mal Zeit, mich um zusehen und entdecke noch weitere Hinweise auf den Pilgerweg. Wir sitzen auf dem “Jakobsplatz”, es gibt ein “Jakobs Eck” und eine “Jakobsgasse” zweigt hier ab. “Die nehmen wir! sage ich und wir schlendern durch die schmale Straße an der “Kräuterfee” vorbei. Hier steht es an der Ladentür: Pilgerherberge. Schade, wäre sicher interessant gewesen. Betina hatte mal was davon gesagt, dass sie hier übernachten wolle. Ist ja leider nichts mehr draus geworden. Wir gehen aber weiter zum Markt. Ich war lange nicht mehr in Wurzen und habe den Markt nur grau/schwarz in Erinnerung. Hier und da blättert es zwar schon wieder aber ansonsten erstrahlt der Marktplatz in frischen Farben.
Markt mit Ringelnatzbrunnen
Überall sieht man Renaissance- und Barockgebäude, die neben jüngeren Wohnbauten und Geschäftshäusern mit reichen Jugendstilfassaden ein eigenes Flair entstehen lassen. Andrea findet den Ringelnatzbrunnen, der am unteren Ende des Marktes steht übrigens scheußlich. Dabei hat es immerhin 10 Jahre gedauert vom ersten Konzept bis zur Umsetzung. Ich glaube aber, dem Joachim hätte er gefallen, denn der Brunnen entspricht seinem etwas ausgefallenen Humor. Ein paar Stufen nach oben und wir stehen vor dem Domcafé. Die Sonne scheint und wir setzen uns draußen hin, um wieder mal einen Kaffee zu trinken. Es ist herrlich, in einer Stadt am Marktplatz zu sitzen und die Leute zu beobachten.
Markt in Wurzen
Es ist Mittag und es herrscht eine wohltuende Entspanntheit. Auf dieser Seite des Marktes, schon auf dem Weg zum Domplatz, ist der Fußweg eine Art Balkon, zu dem man über Treppen empor steigen kann, die sogenannte Liegenbank. Hinter schmiedeeisernen Gittern stellen die Restaurants und Cafés ihre Tische auf und man hat von hier einen schönen Überblick über den Markt und einige angrenzende Gassen. Von der Wenceslaikirche, die vor uns auf dem Sperlingsberg steht, schlägt es 12 Uhr. Wir haben noch jede Menge Zeit. Denn bis Nepperwitz, unserem heutigen Endpunkt ist es nicht mehr weit. Also schlendern wir durch die Domstraße, vorbei am Stadtmuseum zum Schloss.
Schloss Wurzen
Das Schloss Wurzen gilt als das älteste Schloss im deutsch sprachigen Raum. Bereits im 10. Jahrhundert soll es an gleicher Stelle eine ähnliche Anlage gegeben haben. Das Vorhandensein eines Grabens um das massive Gebäude und den Überbleibseln einer ehemaligen Zugbrücke, kennzeichnet den baulichen Übergang von einer mittelalterlichen Wehrburg zu einem Residenzschloss. Ich kenne das Schloss recht gut, war hier doch zu DDR Zeiten das Volkspolizei Kreisamt eingezogen und ich im technischen Dienst bei der Polizei unter anderem auch für diese Dienststelle zuständig. Das war immer eine große Herausforderung, wenn hier beispielsweise Kabel verlegt werden sollten. Man wollte so wenig wie möglich Schaden anrichten an diesem alten Gemäuer, denn man hatte doch Ehrfurcht davor. Es ließ sich aber nicht immer vermeiden, auch mal etwas robuster Hand anzulegen. Ich weiß noch, dass wir für ein 2 Zentimeter starkes Kabel mal einen Wanddurchburch von einem halben Meter stemmen mussten, weil eben gerade an dieser Stelle ein großer Wackerstein in der meterdicken Wand verbaut war. Einige Jahre nach der Wende ist die Polizei dann in ein modernes Gebäude umgezogen, das Schloss wurde saniert und es zog ein Hotel ein.
Dom St. Marien
Gegenüber vom Schloss befindet sich der Dom St Marien. Den habe ich noch nie ohne Gerüst gesehen. Und so steht auch dieses Mal ein Gerüst im Schlosshof. Alle Türen auf dieser Seite sind verschlossen. Wir gehen wieder auf den Domplatz, um nach einer offenen Tür zum Dom zu suchen. An der werden wir um Verständnis gebeten, dass das Innere das Doms durch Videotechnik überwacht wird, da es immer wieder zu Diebstählen kam. Mann, was gibt es doch für Menschen? 1114 wurde der Dom von Bischof Herwig von Meißen als Pfeilerbasilika geweiht. Der romanische Dom ist einer der ältesten und interessantesten Sakralbauten Sachsens und der älteste Bauzeuge Wurzens. Die Geschichte des Domes ist spannend. Mitte des 15. Jahrhunderts brannte er völlig ab und wurde Anfang des 16. Jahrhundert wieder aufgebaut.
ausdrucksstarke Kreuzigungsgruppe im Dom
Nach dem Dreißigjährigen Krieg und der Reformation erhielten die Türme ihre barocken Hauben. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde er im neugotischen Stil umgebaut und in den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bekam der Dom sein heutiges Aussehen. Außerdem wurde der Eingang in den Turm verlegt und der Dresdener Prof. Wrba schuf die ausdrucksstarke Kreuzigungsgruppe und die Kanzel. Nachdem wir den Dom wieder verlassen haber, suche ich nach Wegweisern. Einen finde ich auf dem Domplatz, direkt vor dem Eingang zum Schloss. Dieser ist etwas irreführend, denn man könnte denken, er weist in Richtung Schlosshof. Nein, der Weg führt links am Schloss vorbei, über ein paar Treppen hinunter vom Schlossberg auf die Muldengasse. Wie eine Gasse sieht das hier aber gar nicht aus, eher wie eine Straße zum repräsentieren.
die “Keksbude”
Die dicken Lindenbäume waren jedenfalls mal repräsentativ genug für den Eingang zur “Keksbude”. Wir kommen vorbei am großen Tor zum Fabriksgelände und sehen die zwei Mühlentürme in ihrer ganzen Wuchtigkeit. Die fallen einem zuerst auf, wenn man egal aus welcher Himmelsrichtung man aus die Stadt zu fährt. Seit 1847 wird hier Feingebäck hergestellt. “Wurzener” war zu DDR Zeiten der wichtigste Produzent dieser Waren. Nach der Wende übernahm der Konzern De Beukelar den Betrieb. “Wurzener” wird aber als Marke immer noch vertrieben. Die historischen Fabrikgebäude wurden aufwändig restauriert und vor allem die Mühlentürme gelten als weithin sichtbares Wahrzeichen der Stadt. Der Weg verläuft nun in die eigentlich entgegen gesetzte Richtung. Denn die Brücke über die Mulde liegt nördlich von uns. Wir gehen jedoch ein ganzes Stück durch eine Lindenallee in Richtung Süden, um dann die Brücke über einen Kanal zu nehmen. An diesem Kanal gehen wir nun entlang, links der etwa 20 Meter breite Kanal und rechts der Muldedamm. Die Mulde fließt etwa 150 Meter dahinter.
Greifvogel am Muldedamm
In der Ferne sehen wir bereits den Kirchturm von Nepperwitz. Am Kanal packt gerade ein Angler seine Ausrüstung ein und ein kurzer Blick hinüber sagt mir, dass ein “Petri heil” umsonst gewesen wäre. Der Angler grüßt nur kurz und ich traue mich gar nicht nach dem Fang zu fragen, so wie er schaut. Nach etwa 2 Kilometern geht es nach links auf einen Damm, auf dem eine Pflasterstraße zur Mulde hin führt. Hier und da sieht man noch die Schäden, die das letzte Hochwasser auch an dieser Straße angerichtet hat. Die schmale Brücke über die wir nach Grubnitz gelangen, hat das Hochwasser überstanden, was fast ein Wunder ist, wenn man sich wie ich mit eigenen Augen gesehen hat, was hier für Wassermassen unterwegs waren. Unter einer Reihe Kastanienbäume, die neben der Mulde zwischen den Deichen steht, liegt noch allerhand Treibgut. Und dazwischen macht sich ein älterer Mann zu schaffen. “Das ist für die Tiere.”, sagt er. Und ich erkenne, was er da treibt. Er wühlt mit einem Stock im Gras und sucht nach Kastanien. Sein Korb ist schon fast voll. Er will die Kastanien in den Tiergarten bringen. Als Kinder haben wir das auch oft gemacht. Aber welches Kind schafft es heute noch, sich von seinem Computer oder Handy zu trennen? Letztens las ich einen Ausspruch: Als ich klein war, hieß mein soziales Netzwerk “draußen”. Das sagt eigentlich alles. Wobei man den Kindern selbst keine Vorwürfe machen kann. Denn sind sie nicht im Netz, sind sie nicht “in” und werden gemobbt. Doch ich schweife wieder ab so kurz vor dem Ziel. Von Grubnitz, dass wie Nepperwitz ebenfalls beim letzten Hochwasser im Juni 2013 heimgesucht wurde, gehen wir eine kleine Asphaltstraße bis zum Ortseingang des letzten Ortes auf unserer diesjährigen Wanderung.
Nepperwitz
Der ökumenische Pilgerweg geht heute für uns hier in Nepperwitz leider schon zu Ende. Bevor wir uns hier von unserem Sohn mit dem Auto abholen lassen, schauen wir uns aber noch an der Herberge um. Die ist nach dem Hochwasser wieder hergerichtet wurden und offen. Das heißt, sie ist gerade verschlossen und wir möchten nicht ohne hier schlafen zu wollen, die verantwortlichen Leute aus dem Ort alarmieren, nur weil wir mal rein schauen wollen. Dann setzen wir uns an das Buswartehäuschen und warten auf unseren Sohn. So unspektakulär geht diese Pilgerreise zu Ende. Ich wäre ja gern noch bis nach Hause gelaufen, auch wenn die Strecke dann nicht der Wegführung der Via Regia entsprochen hätte. Aber wir haben morgen Termine. Auf einem Pilgerweg einem Ziel zuzustreben, dass man dann in Santiago findet, haben wir bereits zwei mal erlebt. Das Ziel spielt natürlich eine große Rolle in den Gedanken während man läuft. Wie es in Nepperwitz sein wird, tut mir leid, aber darüber habe ich nie nachgedacht. Also ist der Ausspruch “der Weg ist das Ziel” hier auf einem Teilabschnitt eines Pilgerweges viel bedeutsamer als das geografische Ziel. Wir haben auch auf diesem Weg wieder vieles erlebt, viele neue Menschen kennen gelernt, viel Vertrauen und Zuneigung gespürt, viele Städte und Dörfer gesehen und sind durch die schönen Landschaften Sachsens gewandert. Weitere Wege werden sicher folgen. Doch jeder bleibt etwas besonderes.
Ich habe versucht, meine und unsere Erlebnisse möglichst verständlich und kurzweilig nieder zu schreiben. Wenn ich das ursprünglich auch nur deshalb getan habe, um meine Erinnerungen nicht all zu schnell verblassen zu lassen, bin ich mir der Außenwirkung eines solchen öffentlichen Blogs wohl bewusst. Über Zweitausend Zugriffe sprechen für sich und ich freue mich sehr über das rege Interesse.
Aber wenn ihr nun das alles hier gelesen und jetzt immer noch keine Lust habt, auf einen der vielen Pilgerwege zu gehen, kann ich euch auch nicht mehr helfen. Über jeden, der sich dazu durch meine Zeilen aber inspiriert fühlt, würde ich mich freuen. Wenn ihr Fragen habt, bin ich gern bereit diese zu beantworten, gern auch persönlich per Mail. Ja und wenn ihr dann zurück kommt und hier vielleicht mal einen Kommentar hinterlasst und schreibt wie es euch ergangen ist, wäre das für mich der Lohn für die viele Arbeit.
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