Träume nicht vom Jakobsweg, geh einfach los

Ein ganz persönlicher Pilgerbericht

Für meine Frau Birgit (58) und mich (65) stand sehr schnell fest, wir werden den portugiesischen Jakobsweg von der Hafenstadt Porto in Portugal bis zur legendären Pilgerstadt Santiago de Compostela in Spanien gehen.

In jene spirituelle Stadt Galiciens in der die sterblichen Überreste des Heiligen Apostels Jakobus in der dortigen Kathedrale aufbewahrt werden. Wir wollen selbst erfahren was Millionen von Menschen seit dem 9. Jahrhundert, der Entdeckung des Apostelgrabes, antreibt. Ein Stück jenes Weges gehen, um den sich Mythen und Abenteuer ranken.

Nachdem wir einen Tag die wunderschöne Stadt Porto, auch bekannt durch ihre vielen Kachelfassaden (Azulejos), besichtigt haben, geht es endlich los. Gut vorbereitet starten wir am 06.05.2019 auf den etwa 280 Kilometer langen Küstenweg „caminho portugues“.

Die Gesamtstrecke haben wir in 13. Etappen eingeteilt, durchschnittlich waren also etwa 20 Kilometer am Tag zu bewältigen. Das sollte auf dem eher flachen Streckenprofil machbar sein. Die Unterkünfte wurden vorher gebucht und das war gut so.

Viele Pilger waren schon im Mai unterwegs und deshalb war so manche Unterkunft auf der zunehmend beliebten Küstenstrecke ausgebucht. Ein Pilger berichtet uns, dass er noch 8 Kilometer weiter laufen musste, um ein Quartier für die Nacht zu finden.

Unsere ständigen Begleiter sind ab jetzt unsere Rucksäcke. Die ersten zwei Tage beschimpfe ich ihn als lästiges 10-Kilo-Geschwür auf dem Rücken. Ab dem dritten Tag spüre ich ihn nicht mehr und ab dem vierten Tag vermisse ich ihn sogar, wenn ich ihn einmal ablege. Die Wanderschuhe sind zum Glück bequem und gut eingelaufen; anziehen und die Füße nicht mehr spüren, so soll es sein. Keiner von uns hatte Blasen an den Füßen. Und um es vorweg zu sagen, nein, es gab keinen Ehekrach, ganz im Gegenteil, wir gingen harmonisch das gleiche Tempo und genossen die vielfältigen neuen Eindrücke. Es war ein gemeinsames Pilgern mit allen Sinnen.

Im wahrsten Sinne des Wortes. Wir haben viel Neues gesehen, gehört, gerochen und geschmeckt.

Die ersten fünf Etappen in Portugal verlaufen entlang der Atlantikküste. Immer links das mächtige Rauschen des Meeres und die unverkennbaren Schreie der Möwen.

Es geht bei warmem aber windigem Wetter kilometerlang und oft alleine ruhig und entspannt über gut ausgebaute Holzbohlenwege, durch einsame Dünen und Buchten, die zum kurzen Verweilen und Verschnaufen einladen, vorbei an idyllischen Stränden und kleinen verträumten Ortschaften. Ab und zu gibt es kleinerer Regenschauer, die uns nichts ausmachen.

Hin und wieder treffen wir auf andere Pilger und wir rufen uns den obligatorischen Pilgergruß „buen camino“ zu. Mit einigen kommt man länger ins Gespräch und man geht ein Stück des Weges gemeinsam. Den ein oder anderen trifft man dann auf den Etappen immer wieder und jeder freut sich den anderen wieder zu sehen.

Meine Frau begeistert sich an den fast überall wild wachsenden Callas Blumen und den Strelitzien. Auch der frische Fisch, den wir jeden Abend hier genießen, hat es ihr sehr angetan.

Als Wegeorientierung dient uns der verlässlich überall angebrachte gelbe Pfeil, der den Jakobsweg sicher markiert. Leider ist der Küstenweg in Portugal noch nicht ganz durchgehend fertiggestellt, so dass wir immer wieder auch ins tristere Landesinnere auf weniger attraktive Wege geleitet werden. Aber es geht immer wieder zurück zum Meer.

Gerade hier in Portugal werden wir von vielen Menschen freundlich angesprochen, einige haben in Deutschland gearbeitet, zumeist im Hamburger Hafen, und sprechen etwas deutsch. Sie bewundern unser Vorhaben und wünschen uns ein portugiesisches „bom caminho“ oder „ bom dia“. Andere sind den Jakobsweg selbst gegangen und geben uns bereitwillig Insidertipps und zum Einkehren für eine kleine Pause. Immer die Cafés aufsuchen, die auch von Einheimischen genutzt werden. Ein guter Hinweis, wie wir auch an den günstigen Preisen feststellen. Wir waren überall willkommen. Als Pilger erkannt, schließlich tragen wir die Jakobsmuschel als Pilgersymbol an unseren Rucksäcken, zollt man uns große Anerkennung und sucht das Gespräch.

Oft reicht ein lobendes „Daumen hoch“. Viele Autofahrer hupen anerkennend.

Eine unvergessliche und sehr emotionale Begegnung haben wir gleich in der dritten Etappe erlebt. Wir suchen die kleine Kirche Sankt Michael hinter dem Ort Esposende auf. Das gehört zu unserem Ritual, Kirchen zu besichtigen, einen Augenblick runter kommen, in sich kehren, eine Kerze anzünden und zugegeben, auch um etwas Abkühlung zu erfahren, es waren an diesem Tag sehr warme 29 Grad.

Oft erhält man auch den Pilgerstempel in den Kirchen für unser Pilgerheft. Mit den täglichen Stempeln wird die gelaufene Strecke mit Datum dokumentiert, um später in Santiago de Compostela die Pilgerurkunde, die Compostela, zu erhalten.

Leider ist die Kirche geschlossen und wir wollen enttäuscht weitergehen, als ein älterer Mann erscheint. An seiner Kleidung erkennen wir den Pfarrer. Er schließt die Kirche auf und winkt uns hinein. Im portugiesischen Stakkato erklärt er uns die Kirche

Wir verstehen kein Wort. Dann bittet er uns in die Sakristei. Mit einem seltenen Prägestempel und seiner Unterschrift beglückt er uns und unser Pilgerheft.

Dann legt er seine Hände über unsere Köpfe und erteilt uns seinen persönlichen Pilgersegen. Anschließend beten wir gemeinsam das „Vater unser“. Er auf Portugiesisch und wir auf Deutsch. Wir sind zutiefst gerührt. Ich schäme mich meiner Tränen nicht. Als wir noch völlig beeindruckt und schweigend weiter gehen, kommt uns der Pfarrer noch nachgelaufen, übergibt uns einen Zettel mit einem deutschen Gebet und eine Jesusfigur aus Holz. Herzlich verabschieden wir uns.

Auf dieser Etappe haben wir nicht mehr viel miteinander gesprochen.

Mit der fünften Etappe erreichen wir die Grenze zu Spanien, die mitten durch den Fluss Rio Mino verläuft.Es ist üblich hier mit der Fähre überzusetzen, leider verpassen wir diese um 5 Minuten. Ein Motorfischerboot setzt uns dann für 5 Euro in rasanter und nasser Fahrt über.

Nun also 8 Etappen in Spanien. Jetzt heißt es wieder „buen camino und buen dia“ und die Uhr wir wieder eine Stunde vorgestellt.

Galizien empfängt uns mit einem kräftigen Regenschauer bei warmen 18 Grad und es geht zum ersten Mal richtig bergauf zum Monte Santa Tegra und einem gut erhaltenen Keltendorf. Die ersten vier Etappen führen dann immer wieder bergauf und bergab über steinige Wege, die schon die Römer und Kelten errichtet haben, entlang der etwas schrofferen und raueren Atlantikküste begleitet von einer kräftigen Brise.

Die gelben Pfeile werden ergänzt um die typischen und unübersehbaren Kilometersteine, die uns nicht nur sicher den weiteren Weg zum Ziel weisen, sondern auch die noch zu laufenden Kilometer bis nach Santiago de Compostela anzeigen.

Leuchttürme, alte Klöster und zerfallene Schlossruinen wechseln sich mit kleinen Fischerdörfern, verträumten Buchten und lebhaften Häfen ab.

Mit der zehnten Etappe erreichen wir den geschichtsträchtigen Ort Pontevedra, die Hauptstadt des portugiesischen Küstenweges. Die dortige Kirche „La Peregrina“ hat den Grundriss einer Jakobsmuschel und der Besuch ist ein Muss für jeden Pilger.

Die galicische Landschaft wird vielfältiger, es geht über saftige Wiesen, durch Felder und entlang kleiner Flüsse.

Beeindruckend ist die Wegführung durch einen aromatisch duftenden Eukalyptuswald, wir atmen die ätherische Luft tief ein und aus und fühlen uns angenehm erfrischt.

Ein ganz besonderes Naturerlebnis.

Üppige Zitronen- und Apfelsinenbäume begeistern meine Frau ebenso wie die zahllosen

Horreos, diese aus Stein oder Holz auf Pfeilern erbauten, markanten Speicherstätten für Früchte und Mais.

Mit der vorletzten Etappe erreichen wir Padron, hier soll der Überlieferung nach das Boot mit dem Leichnam des Apostels Jakobus an einem Stein angelegt haben. Wir besichtigen die beeindruckende Jakobuskirche und können auch hinter dem Altar den mächtigen Stein sehen, an dem das Boot angelegt haben soll.

Auf dem Marktplatz lernen wir einen 57-jährigen Holländer kennen, dem äußeren Erscheinungsbild ein gepflegter Pilger. Er erzählt uns, dass er mit 17 sein Zuhause verlassen hat, 20 Jahre lang auf See ein bewegtes Leben führte und jetzt seit 20 Jahren auf der Straße lebt. Ein anderes Leben könne und wolle er sich nicht vorstellen. Wir laden ihn zum Essen ein und lernen einen sympathischen Menschen kennen, der mit seinem Leben im reinen zu sein scheint.

Die letzte Etappe nach Santiago de Compostela steht an. Vorfreude, aber auch Wehmut, dass der Weg nun zu Ende geht kommt auf als der Kilometerstein plötzlich nur noch 10 Kilometer bis zum Ziel anzeigt.

Schließlich stehen wir beeindruckt auf dem großen Vorplatz der imposanten Kathedrale von Santiago de Compostela. Es spielen sich unglaubliche Szenen ab. Freudentänze werden aufgeführt, fremde Menschen fallen sich um den Hals, es fließen Tränen, der Boden wird geküsst, es wird gesungen und gelacht und natürlich fotografiert.

Auch wir sind sehr ergriffen und überwältigt, sitzen sehr lange schweigend auf dem Platz, wollen auch innerlich ankommen und lassen die Atmosphäre einfach auf uns einwirken.

Erst viel später besichtigen wir die Kathedrale (die derzeit innen renoviert wird), umarmen die Statue des Heiligen Jakobus und erwerben stolz unsere Pilgerurkunde.

Wir haben eine beeindruckende und nachhaltige Erfahrung gemacht.

Wir lernten viele interessante Menschen aus aller Welt kennen und hatten nette Begegnungen.

Da war das immer lächelnde japanische Ehepaar, das mit kleinen Schritten eher über den Jakobsweg tippelte als pilgerte.

Da war die junge Tschechin, die über Handy online mit ihrem Freund in Prag verbunden war und ständig filmte und ihm berichtete, über GPS verfolgte er ihren Standort.

Da war der Ire, der sich für das kurze Gespräch herzlich bedankte und uns als echte Deutsche bezeichnete, wir kämen schließlich nicht aus dem Osten und nicht aus Bayern.

Da waren die beiden etwas „verpeilten“ Damen vom Bodensee, die sich ständig verliefen und doch ans Ziel kamen.

Da war der Spanier, der uns quer durch die Stadt zu unserer Unterkunft führte und von seinen vier Touren auf dem Jakobsweg berichtete.

Und da war die singende Nonne in der Kirche, die auf ihre tolle Stimme angesprochen, erwiderte: „Die Stimme wurde mir von Gott für euch gegeben!“

Nein, wir sind nicht an unsere physischen Grenzen gelangt und gesund angekommen.

Gott persönlich sind wir nicht begegnet (oder doch?), aber seinen vielfältigen, wunderbaren Geschöpfen und beeindruckenden Werken.

Und dafür sind wir sehr dankbar. Buen Camino.

Karl Hofstätter

Tourplan

  • 1.Tag: Flug von Frankfurt nach Porto
  • 2.Tag: Besichtigung Porto
  • 3.Tag (23 km): Erste Etappe von Porto-Matosinhos nach Povoa de Varzim
  • 4.Tag (22 km): Zweite Etappe von Povoa de Varzim nach Esposende
  • 5.Tag (24 km): Dritte Etappe von Esposende nach Viana do Castelo
  • 6.Tag (25 km): Vierte Etappe von Viana do Castelo nach Vila Praia de Ancora
  • 7.Tag (22 km): Fünfte Etappe von Vila Praia de Ancora nach A Guarda/Spanien
  • 8.Tag (20 km): Sechste Etappe von A Guarda nach Viladesuso
  • 9.Tag (20 km): Siebte Etappe von Viladesuso nach Baiona
  • 10.Tag (25 km): Achte Etappe von Baiona nach Vigo
  • 11.Tag (22 km): Neunte Etappe von Vigo nach Arcade
  • 12.Tag (16 km): Zehnte Etappe von Arcade nach Pontevedra
  • 13.Tag (21 km): Elfte Etappe von Pontevedra nach Caldas de Reis
  • 14.Tag (28 km): Zwölfte Etappe von Caldas de Reis nach Padron
  • 15.Tag (22 km): Dreizehnte Etappe von Padron nach Santiago des Compostela
  • 16.Tag: Besichtigung Santiago de Compostela
  • 17.Tag: Rückflug von Santiago de Compostela nach Frankfurt

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